• Diesen "Faden des Schreckens" kenne ich - wirklich extrem was da in Schweden abging. Trotzdem hat Deutschland eine Sonderrolle. Hier wurde am kompromisslosesten alte Bausubstanz zerstört - mit diesem Akt wollte man unmittelbar nach dem Krieg seine historische Geschichte hinter sich lassen. Ich kenne unzählige Städte in F, NL, UK, in der noch leicht vernachlässigte aber erhaltenswerte Altbauten stehen, die in Deutschland zu 100 % schon längst der Abrissbirne geopfert worden wären.

    ...

  • Diese Theorien sind nett, ignorieren aber, dass es sich hier um die ehemalige DDR handelt. Hier gab es eine andere Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte. Die DDR war per Definition der Erbe des guten Deutschland, da mußte man nicht gegen die ganze Kultur wüten. Immerhin hat sie ja die DDR hervorgebracht.
    Diese Kulturverachtung gibt es in Ostdeutschland so auch gar nicht, denn die Geschichte ist hier oftmals das einzige was die Wende unbeschadet überstanden hat. Eigene Biografie nichts mehr wert, gesamte Industrielandschaft weg, Kinder weg; da bleibt nur noch der Rückgriff auf die vermeintlich gute alte Zeit. Diese Zustände sind eher die Summe aus marktwirtschaftlichen Fehlentwicklungen und der typisch deutschen Sehnsucht nach Ordnung. Insofern hat der Karpatenbär schon recht, denn für Deutsche ist ein Haus nun mal schnell ein Schandfleck. Weil Ordnung nämlich sein muß. Karpatenbärs Verweis auf Polen zeigt allerdings das andere Extrem, das genauso falsch ist.

  • Zitat von "Karasek"

    Diese Theorien sind nett, ignorieren aber das es sich hier um die ehemalige DDR handelt. Hier gab es eine andere Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte. Die DDR war per Definition der Erbe des guten Deutschland, da mußte man nicht gegen die ganze Kultur wüten. Immerhin hat sie ja die DDR hervorgebracht.
    Diese Kulturverachtung gibt es in Ostdeutschland so auch gar nicht, denn die Geschichte ist hier oftmals das einzige was die Wende unbeschadet überstanden hat. ...

    Wie bitte? Dies ist mit Abstand die größte Geschichtsverfälschung, die ich jemals über die DDR, in Zusammenhang mit dem Erhalt der historischen Städte, gehört habe. Nicht nur, dass in der DDR ausnahmslos alle historischen Innenstädte dem Verfall anheim gegeben wurden, um nach Jahren des Verwohnens und nicht Tuns, dann sagen zu können, diese (auch damals schon so bezeichneten) Schandflecken müssen der guten, neuen, sozialisten Plattenbauaestetik weichen. Nein, auch unter Denkmalschutz stehende Gebäude und ganze unter Denkmalschutz stehende Stadtviertel, wurden abgerissen oder sollten Ende der 80er Jahre abgerissen werden: Rostock, Potsdam, [lexicon='Leipzig'][/lexicon], Erfurt, Dresden, Bitterfeld, Görlitz, Wismar und viele Andere mehr. Gebäude und ganze Stadtviertel, die nicht durch den Krieg, sondern durch bewusste und gewollte Vernachlässigung dem Verfall übergeben wurden, jedoch nachfolgenden Generationen, die diesen Zustand nicht erlebt haben, als kriegsbedingt vernichtet zu begründen.

    Insbesondere der sozalistische Stadtumbau wurde Propagiert. Gerade in Großstädten wurden Straßenmagistralen und Aufmarschplätze wie Schneisen durch historische Baustruktur geschlagen. Und dieses in bester autogerechter manier. Nicht jedoch für die Autos, sondern für Aufmarschmagistralen zum 1. Mai und 7. Oktober, für Partei und Genossen.

    Das Ganze nun so hinzustellen, als ob dieses nicht statt gefunden hätte, ja, als ob sich die DDR besonders geschichtsbeflissen gegeben hätte, schlägt dem Fass den Boden aus! Gerade die DDR hat überhaupt kein Geschichtsbewusstsein besessen. Genau das Gegenteil: sie hat von sich selbst gesagt, dass sie (die DDR) nicht der Nachfolgestaates Deutschland ist, sondern eine Neugründung. Das man selbst (also die DDR) sich in keinster Weise mit der Geschichte identifiziert, an der Geschichte nicht schuldig ist (das nennt man übrigends "psychologische Selbstimunisierung"). Und infolge dessen auch keine Rücksicht auf Geschichte, geschichtliches und Überbrachtes zu nehmen braucht. Insbesondere die deutlichsten Zeichen der Geschichte: die Bürgerhäuser (Bürger waren in der DDR nicht gewollt, sondern Arbeiter = Sozialisten) und Schlösser (diese waren der Staatsfeind Nr.2, direkt nach den Gebäuden aus der Zeit 33-45, da Schlösser den Feudalismus repräsentieren). Infolge dessen waren diese Gebäude auch nicht erhaltenswert.

    In Potsdam z.B. wollte man nach dem Krieg das unzerstörte Schloss Sanssouci abreissen! Nachdem sogar die Russen interveniert hatten, wollte man daraus ein Arbeiter- und Bauern Museum machen. Wir hatten nur Glück, das dieses (wegen Geldmangel!) nicht geschehen war. Dafür aber mit einer ganzen Reihe anderer Schlösser, allein hier in Potsdam: Neues Palais war bis in die 90er Jahre "Armeemuseum der NVA", die Wände und Decken alle mit Rigipsplatten abgehangen, sodaß man vom Schloss nichts mehr gesehen hat. Das Babelsberger Schloss wurde "Museum für Ur- und Frühgeschichte", auch hier die gleiche Verfahrensweise und das Schloss war von Innen nicht mehr erkennbar. So erging es unzerstörten Schlössern und Gebäuden. Alle die, die auch nur die geringsten Schäden hatten, wurden nieder gelegt: in Potsdam und Berlin das Stadtschloss, in Berlin Schloss Monbijou (das heute kaum noch einer kennt und überhaupt nicht mehr im Gespräch ist) ebenso in vielen anderen Städten. Und wenn man die Schlösser schon nicht umwidmen oder abreißen konnte, wurden sie leer geräumt und die Möbel und Einrichtungsgegenstände über die Stasi (hier über die KoKo Außenhandelsgesellschaft [die nannte sich doch wirklich "Kommerzielle Koordinierung"], deren Chef Alexander Schalck-Golodkowski, Mitgleid des Politbüros der SED, bis heute unbehelligt am Tegernsee lebt) verschärbelt. So daß am Ende in der so beschriebenen, "geschichtsliebenden" DDR, die Bürger durch leere Schlösser wandelten und diese in der Art und Ausstattung als richtig und so überbracht bedachten. Und wenn mal hinterfragt wurde, warum die Schlösser so leer waren, dann waren der Kaiser schuld und die 70 Eisenbahnwagen mit Ausstattung, er mit seiner Abdankung mitnehmen konnte, nicht etwa dieser "geschichtsliebende" Staat.

    Aber nach der Auffassung des Herren "Karasek" ist daran sicherlich heute der böse Westen schuld, schließlich hat der ja die Möbel damals gekauft. Gell?

    Grüße
    Luftpost

    Einmal editiert, zuletzt von Luftpost (13. Dezember 2011 um 11:06)

  • Zitat von "erbsenzaehler"

    Ich glaube Karasek hat seine Aussage eher auf das Kulturverständnis und die Gemeinheit denn die SED-Politkaste bezogen, womit ein Großteil deines Beitrages redundant würde, Luftpost.

    Exakt.

  • Zitat

    Und wenn man die Schlösser schon nicht umwidmen oder abreißen konnte, wurden sie leer geräumt und die Möbel und Einrichtungsgegenstände über die Stasi (hier über die KoKo Außenhandelsgesellschaft [die nannte sich doch wirklich "Kommerzielle Koordinierung"], deren Chef Alexander Schalck-Golodkowski, bis heute unbehelligt am Tegernsee lebt) verschärbelt. So daß am Ende in der so beschriebenen, "geschichtsliebenden" DDR, die Bürger durch leere Schlösser wandelten und diese in der Art und Ausstattung als richtig und so überbracht bedachten.

    Hallo Luftpost,

    die Schlösser in Potsdam und Brandenburg sind heute deshalb so leer, da viele Kunstgegenstände zwischen 1945-47 als Beutekunst in die damalige Sovietunion verschleppt wurden, und dort heute zum Teil in öffentlichen Museen und Depots wieder auftauchen. Dass sämtliche Bibliotheken, Gemäldesammlungen und Möbel bis heute fehlen oder nur zum Teil an ihren eigentlichen Standorten erhalten sind, hat also recht wenig mit der Politik der DDR zu tun. Im Gegenteil gab es sogar eine größere Rückgabeaktion, in der zum Beispiel vieles der Dresdener Kunstsammlungen aber auch Gemälde aus Sanccuci wieder in die DDR zurück gesendet wurden.
    Ich kann mir vorstellen, dass eher durch diese Kunstdiebstähle, die leerstehenden Schlösser umgewidmet worden sind.

    Du beziehst dich bestimmt auf historische Möbel, die aus Privathaushalten und dem Besitz enteigneter Großgrundbesitzer, Großbauern und Firmeneigentümer stammen. Das hat aber mit dem heutigen erscheinen der Potsdamer Schlösser gar nichts zu tun.

    Zitat

    Aber nach der Auffassung des Herren "Karasek" ist daran sicherlich heute der böse Westen schuld, schließlich hat der ja die Möbel damals gekauft. Gell?

    Die Möbel sind leider nicht im Westen!

  • Winson

    Interessantes Thema !
    Gibt es dazu objektive, einschlägige Literatur ? Zahlen, Fakten, rechtlicher Statuts etc...

    "Europa wurde von den Bürgern erbaut und von den Proleten zerstört."
    - Sándor Márai

  • An amenophis:

    Dies lässt sich zum Beispiel auf der Internetseite der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten unter der Überschrift

    Kriegsverluste der Stiftung finden:

    Der Link zum Gesamten Text: http://www.spsg.de/index_71_de.html\r
    http://www.spsg.de/index_71_de.html

  • Das Thema spielt noch immer eine große Rolle.

    http://www.mdr.de/damals/archiv/6165569.html\r
    http://www.mdr.de/damals/archiv/6165569.html

    Sämtliche Sammlungen sind bis heute leider noch immer unvollständig, bzw. mit fremden Werken durchmischt. Bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden hat man deshalb die Software Daphne in Auftrage gegeben, durch die beispielsweise fremde Kunstwerke ihren ehemaligen Besitzern zugeordnet werden sollen. Leider weiß man nicht, ob sich bisher viel ergeben hat.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Daphne_%28Museumsverwaltung%29\r
    de.wikipedia.org/wiki/Daphne_%28 ... waltung%29

    Wahre Baukunst ist immer objektiv und Ausdruck der inneren Struktur der Epoche, aus der sie wächst. Ludwig Mies van der Rohe

  • Ah, Danke. Ich dachte zunächst an einen postmodern-historisierenden Neubaukomplex aus den 90ern, aber wenn man genauer hinsieht...

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Anläßlich der IBA Stadtumbau 2010 umfangreiche Informationen aus Sachsen-Anhalt:
    Stendal, Magdeburg, Schönebeck, Köthen, Dessau-Roßlau, Wittenberg, Bitterfeld-Wolfen, Merseburg, Weißenfels, Naumburg, Halle, Eisleben, Sangerhausen, Bernburg, Quedlinburg, Aschersleben, Halberstadt, Staßfurt und Wanzleben - 19 Städte – 19 Konzepte.

    http://www.iba-stadtumbau.de/index.php?iba-2010-de


    Gottseidank sind noch IBA-Mittel für den weiteren Stadtumbau übrig. Und so geht es jetzt dem Flächendenkmal Eisleben weiter an den Kragen. Unter dem höhnischen Motto "Mut zur Lücke" (so heißt das Projekt tatsächlich) verschwindet ein "Schandflecke" (Schandfleck O-Ton aus der MZ) aus der Altstadt. Genauer gesagt sind es sogar gleich drei Altstadthäuser, die mit staatlicher Förderung unter der Abrissbirne verschwinden werden. Weiteres im Artikel der MZ vom 23.07.14: http://www.mz-web.de/eisleben/bauvo…2,27925524.html

    ...

  • Mit dem Begriff "Schandfleck" diskreditiert sich doch jeder Journalist. Sobald jemand dieses Wort verwendet, kann man ihn nicht mehr ernstnehmen. Es beweist, dass er sich überhaupt nicht weitergehend mit der Materie beschäftigt hat, sondern nur hohle Phrasen nachplappert. Und wahrscheinlich kommen sie sich ganz hochintelligent vor, wenn sie das Wort "Schandfleck" verwenden. Soll doch endlich der Gebrauch dieses Wortes den Journalisten zum Schandfleck werden, beweist es doch, dass er auf niveauvolle Berichterstattung keinen Wert legt.

  • Mit dem Begriff "Schandfleck" diskreditiert sich doch jeder Journalist. Sobald jemand dieses Wort verwendet, kann man ihn nicht mehr ernstnehmen. Es beweist, dass er sich überhaupt nicht weitergehend mit der Materie beschäftigt hat, sondern nur hohle Phrasen nachplappert. Und wahrscheinlich kommen sie sich ganz hochintelligent vor, wenn sie das Wort "Schandfleck" verwenden. Soll doch endlich der Gebrauch dieses Wortes den Journalisten zum Schandfleck werden, beweist es doch, dass er auf niveauvolle Berichterstattung keinen Wert legt.


    Richtig! Auf das Wort "Schandfleck" reagiere ich auch allergisch. Dabei ist der Begriff in sich nicht falsch, er wird nur falsch verwendet. Das Schändliche ist nämlich nicht das Gebäude, sondern die Tatsache, daß man ein historisches Haus verkommen läßt.

  • Wenn man nach der Wende alle "Schandflecken" beseitigt hätte, würde von der heute vorhandenen Bausubstanz nur höchstens noch ein Drittel stehen. Die DDR-Städte wären nach dieser Definition größtenteils Schandflecke gewesen.

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.


  • Richtig! Auf das Wort "Schandfleck" reagiere ich auch allergisch. Dabei ist der Begriff in sich nicht falsch, er wird nur falsch verwendet. Das Schändliche ist nämlich nicht das Gebäude, sondern die Tatsache, daß man ein historisches Haus verkommen läßt.

    Genau. Sauber muss es aussehen, dass es nicht zur allgemeinen Schande des Ortes gerät. Egal was. Da packt einem das ästhetische Grauen aufgrund Verunstaltung eines Gebäudes bei abgeschlagener Zierde und wegen der Werbeaufkleber bis zum Get-No, da passt größenordnungsmäßig das eine nicht zum anderen, doch sauber geharkt muss eben werden.

  • Erinnert irgendwie an den Nazisprech und die "Entschandelung" der Altstädte in den 1930ern, mit einigen großflächigen Abrissen. Ja, den Nazivergleich müssen sich solche Deppenjournalisten dann gefallen lassen.

    Ob dieses ständig wiederkehrenden hohlen Vokabulars sehne ich mir glatt eine Pressemitteilung von Stadtbild Deutschland herbei, mit dem Titel "Altbauten sind keine Schandflecken - ihre Abrisse sind es!"... Über einen Verteiler an sämtliche Redaktionen in Deutschland versandt.