Heuersdorf, Ausradierung eines Dorfes

  • Zitat von "rakete"

    wo liegt das problem?

    Das "Problem" liegt eigentlich vor allem in einem Punkt:

    Daß es keine gemeinsame Basis gibt zwischen denen, die in Materialismus, Globalisierung, Industrialisierung, Natur- und Kulturverwertung sowie Wachstum stets "Fortschritt" und "kein Problem" sehen, und jenen, denen es vor allem um die Wahrung von traditionellen Werten jenseits der materiellen Verwertbarkeit geht.

    Und dieses letztlich nicht diskursiv lösbare "Problem" kann man auch beim Lesen diverser Beiträge selbst in diesem Forum immer wieder so schön feststellen...

  • Davon dass fast seit Anbeginn der Zivilisation kulturelle Werte immer auch auf kosten von Natur und Geschichte geschaffen werde wird dabei geflissentlich übersehen.

    Wir leben in einer Kulturlandschaft, in hundert Jahren wird die renaturierte Tagebruchlandschaft ein hochgeschätzter Teil dieser sein, da lege ich mich fest, genau wie die Überreste der Braunkohleförderung Teil unserer Geschichte sein werden.

    Mann kann nicht alles bewahren, hat man glücklicherweise bis jetzt auch noch nie probiert, ansonsten könnten wir uns wohl kaum hier elektronisch verständigen.

  • Zitat von "Trips"

    Mann kann nicht alles bewahren

    Zum Beispiel braucht der Tagebau nicht bewahrt werden...

    Zitat von "Trips"

    ansonsten könnten wir uns wohl kaum hier elektronisch verständigen

    Diese "einleuchtenden" Zusammenhänge und Argumente verschlagen einem doch immer wieder die Sprache. (Und das ist ja wohl auch ihr einziger Zweck.)
    Man hätte statt der elektronischen Verständigung (die übrigens z.B. einige Wälder vor der Abholzung für Papier bewahren dürfte) auch das Salamibrot auf dem Esstisch heranziehen können. Ich sehe schon "Trips" oder "Rakete" den Finger erheben: "Ja willst du denn auch das Salamibrot bewahren und lieber verhungern? Wenn wir jede Kartoffel und jeden Apfel bewahren würden, wäre die Menschheit ausgestorben... Siehst du, und deshalb brauchen wir den Tagebau und amerikanische Investoren und dann die vielen schönen Neubauprojekte. Hängt alles miteinander zusammen..."

    Überspitzung? Natürlich. Aber wie gesagt, es gibt eben keine gemeinsame Diskursbasis zwischen jenen, deren Wertekanon grundsätzlich differiert.

  • Die Anlage eines Braunkohletagebaus setzt in Deutschland ein mehrstufiges rechtliches Verfahren voraus, das bei Regelungen im Landesplanungsgesetz beginnt und über einen Braunkohleplan sowie bergrechtliche Betriebspläne bis zum Grundabtretungsverfahren reicht.
    Natürlich sind bei solchen Verfahren komplexe Abwägungen zwischen allen betroffenen Interessen, einschließlich Denkmal- und Naturschutz, erforderlich, die auch dargelegt werden müssen. Abwägungsdefizite und sonstige Abwägungsfehler können zu Rechtswidrigkeit und Anfechtbarkeit führen. Grobe Pauschalurteile, wie sie hier teilweise geäußert wurden, sind Musterbeispiele für solche Abwägungsdefizite, wie sie leider immer wieder von Verwaltungsgerichten aufgedeckt werden.


  • ich versteh garnicht, was du da redest. ich geh dem klimaschwindel genauso wenig auf den leim, wie du. mich erinnert die ganze diskussion eher an den ablasshandel oder die mitteralterliche vorstellung vom jüngsten gericht.

    nur, ist auch das thema der braunkohlen-abbaggerung eine frage des preises. und zwar des finanziellen wie des kulturellen - und letzterer ist mir im falle von röcken zu hoch.

    beim thema winderenergie ist die sache aber eindeutiger - die gewinnung ist ineffizient und die windparks zerstören blickbeziehungen und vernichten die ästhetik ganzer (kultur-)landschaften.

    ich bekomme ja schon depressionen wenn ich durch die region nördlich und östlich des harzes fahre. da verstellen ganze spargelwälder den horizont und nachts funzelts überall wie auf dem frankfurter flughafen. und das diese hemmungslose lanschaftsverschandelung mit magdeburger "connections" der windkraftlobby zutun hat, bezweifelt in sachsen-anhalt kein mensch mehr. aus diesem grund ist der begriff "polit-clique" solange nicht unsachlich, bis nicht noch schlimmeres bewiesen ist.

  • Ich empfinde die schlanken, eleganten Windräder z.b. als Bereicherung einer sowieso weitgehend künstlichen Kulturlandschaft.

    Wenn ich von weitem die Flügel eines ganz bestimmten Windparks sehe, weiss ich, ich bin zu Hause (in Bandenburg).

  • Ostermontag 2008 - erster Gottesdienst in der Emmauskirche am neuen Standort:

    Zitat

    ...Wer an den Martin-Luther-Platz in Borna geht, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. War die kleine Kirche an ihrem neuen Standort noch vor wenigen Wochen mit Planen behängt wie einstmals der Berliner Reichstag zu Christos Zeiten, so erstrahlt das Bauwerk mittlerweile frisch verputzt und mit saniertem Dach. Der Altar ist eingebaut, und die Fliesen sind verlegt. Auch die Orgel ist montiert. Dabei handelt es sich um ein Instrument aus der Werkstatt des Bornaer Orgelbauers Urban Kreutzbach, einem der namhaftesten Vertreter seiner Zunft im 19. Jahrhundert. Bei der bevorstehenden Wiedereröffnung der Kirche wird die Orgel allerdings noch nicht erklingen, was mit der hohen Luftfeuchtigkeit während der gegenwärtigen Arbeiten im Kircheninneren zusammenhängt.

    Beim Gestühl handelt es sich um die Originalsitzmöbel. Bei der Wiedereinrichtung der Kirche wie auch sonst hat der Denkmalschutz mit Argusaugen darüber gewacht, dass der ursprüngliche Zustand so weit wie möglich wiederhergestellt wird, wie der Bornaer Superintendent Matthias Weismann betont.

    Um das Gestühl hatte es Diskussionen gegeben, weil für die künftige Nutzung der Kirche, deren Ersterwähnung mit dem Jahr 1297 angegeben wird, mehr als die etwa 60 Originalplätze vonnöten sind. Deshalb soll es künftig auch mobile Sitzmöbel geben, mit denen die Zahl der Sitzgelegenheiten für größere Besuchermengen, etwa bei Kulturveranstaltungen, erhöht werden kann.
    Zwar soll die Emmauskirche weiterhin zunächst als Gotteshaus genutzt werden. Darüber hinaus sieht ein Konzept des Kuratoriums Emmauskirche aber vor, das Gebäude zum Erinnerungsort für die zahlreichen abgebaggerten Ortschaften zu machen, die seit den 20er Jahren im Süden von [lexicon='Leipzig'][/lexicon] der Kohle weichen mussten…

    Textquelle: http://www.dnn-online.de/aktuell/content/56549.html

    Und einige aktuelle Fotos (am Mittwoch war Pressetermin vor Ort):
    http://www.dnn-online.de/slideshow/img/e001.jpg
    http://www.dnn-online.de/slideshow/img/e013.jpg
    http://www.dnn-online.de/slideshow/img/e021.jpg
    http://www.dnn-online.de/slideshow/img/e022.jpg
    http://www.dnn-online.de/slideshow/img/e028.jpg

  • Zitat von "Heimdall"


    Man hätte statt der elektronischen Verständigung (die übrigens z.B. einige Wälder vor der Abholzung für Papier bewahren dürfte) auch das Salamibrot auf dem Esstisch heranziehen können.

    Von 1950 bis heute stieg der Papierverbrauch in Deutschland um über 700 Prozent, auf heute rund 230 Kilogramm je Einwohner und Jahr. Gründe sind übrigens der Computer und die Ansicht, man müsse jeden Ramsch Ausdrucken. Das dazu.

  • Zitat von "Däne"

    Röcken ... Ich glaube kaum, dass der Ort selbst (mit Taufkirche, Grab und Geburtshaus) weggebaggert wird.

    Zitat von "DER SPIEGEL"

    Die mächtigen Mibrag-Bagger auf der einen Seite, Nietzsches Gedankenwelt auf der anderen – so könnte der Showdown Röcken in den kommenden Jahren ablaufen.

    http://www.spiegel.de/kultur/gesells…,543569,00.html

    "Nichts zeichnet eine Regierung mehr aus als die Künste, die unter ihrem Schutze gedeihen."
    Friedrich der Große

  • Gute Nachrichten hierzu. Folgender Artikel findet sich in der heutigen LVZ:

    Zitat

    Nietzsche und Autobahn retten Röcken

    Röcken/Magdeburg. Geburtshaus und Grab des Philosophen Friedrich Nietzsche fallen nicht dem Braunkohletagebau zum Opfer. Die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft mbH (Mibrag) teilte gestern mit, dass der Ort Röcken im Burgenlandkreis nicht abgebaggert wird. Nach heutigem Erkenntnisstand komme ein Abbau der Gemeinde aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht in Frage, sagte der Vorsitzende der Mibrag-Geschäftsführung, Joachim Geisler. [...] ist Röcken allerdings aus dem Rennen, auch Nietzsches wegen. Der Philosoph wurde 1844 in dem Ort geboren und nach seinem Tod 1900 dort auch begraben. Vor allem aber die Kosten einer Autobahnverlegung und einer Umsiedlung der etwa 600 Einwohner Röckens sprächen gegen eine Abbaggerung, sagte die Firmensprecherin. [...]

  • Auch wenn ich mich freue, daß der kulturvernichtenden Moderne wenigstens in diesem Fall Einhalt geboten wurde, muss ich doch sagen, daß das Wegbaggern von Grab und Wohnhaus eines Literaten ("Philosoph" wäre für Nietzsche definitiv zu hoch gegriffen), der nie müde wurde die Vernichtung des Alten, Schwachen und Kranken und die "Überwindung" von Moral und Ethik überhaupt zu fordern, nicht einer gewissen Ironie (im Englischen nennt man so was wohl "poetic justice") entbehrt hätte.