Sehschule - Banalität des Alltags

  • Willkommen :)


    [...] beim zweiten Bsp hat man doch die Villa vollständig zerstört und dann diesen 50er Jahre-Bau neu errichtet oder?

    Abgesehen von...

    [...] es wurde nur "modernisiert", nicht abgerissen. [...]

    ..., dann hätte man sich dann wohl nicht die Mühe gemacht und die Schornsteine, den leichten Gebäudevorsprung beim Giebel und die grobe Position der Fenster wieder zu übernehmen. Nein, da wurde definitiv radikal modernisiert und wegrationalisiert.

    Es gibt eine Architektur, die zur Landschaft gehört, sowie eine andere, die sie zerstört.

    Einmal editiert, zuletzt von Fusajiro (28. Januar 2018 um 16:34)

  • Es handelt sich tatsächlich noch um die selben Häuser! Wenn man genau hinschaut erkennt man auch am zweiten Haus kleine Besonderheiten die darauf hindeuten:
    -das keine Relief an der Giebelfassade
    -der Rücksprung der Straßenfront
    -der verputzte Sockel aus Sandstein
    -der noch vorhandene Kamin
    -die Anordnung der Kellerfenster

    Alle Gesimse, Fensterlaibungen und der ehemals prächtige Giebel wurden entfernt. Solche Umbauten kann man meiner Meinung nach nur als brutaler Vandalismus bezeichnen. :wuetenspringen:

  • Ja, lieber Clarenthaler, willkommen im Forum und vielen Dank für diese photographischen Offenbarungen. Da kann man nur stöhnen (frei nach Goethe) Des Deutschtums ganzer Jammer fast mich an! Gehört es zum Wesen des deutschen Provinzialismus, dass jegliches Gespür für Architektur, ja für die ästhetische Seite des Lebens weithin verkümmert ist? Dass die Daseinsgestaltung sich aufs rein Funktionale zurückgezogen hat und die gleichwohl unabweisbare Gestaltungsaufgabe durch ein allerprimitivstes Verständnis von Moderne erledigt wird? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in irgendeinem anderen europäischen Volk einen vergleichbaren Zerfall von Formbewusstsein gegeben hat. Überall sonst und selbst unter einfachsten, ärmlichsten Lebensweisen führt der Volksgeist dem gestaltenden Hausbauer die Hand und bewahrt ihn vor dem Abrutschen in die pure Banalität. Nicht so in Deutschland...

  • Bei so Beispielen frage ich mich tatsächlich, ob der Altbaubestand in Deutschland nicht um ein vielfach höher als erwartet ist?

    Ich könnte mir auch als ein Arbeitsfeld von Stadtbild Deutschland vorstellen, Beispiele von Rückbauten/Rekonstruktionen des Erbauungszustandes zu sammeln, die Aufgaben und Kosten eines solchen Vorhabens transparent zu machen und somit aktiv dafür werben, dass mehr Privatleute nachziehen. Quasi Stadtbildsanierung in der Breite neben den Leuchtturmprojekten der Komplettrekonstruktion.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Vor allem das zweite Haus ist ja ganz bitter. Die edlen Sandstein-Fensterrahmungen alle weggerissen! Dach verkleinert, Giebel eingerissen! Ich frage mich nur: lags an "kein Geld", oder "zuviel Geld"? (Warum bringt man sich um den Platz im Dachgeschoß mit einem schönen großen Fenster?)
    Der Optik nach würde ich bei beiden Häusern auf die 1960er als Umbauzeit tippen - eine Zeit, die geradezu monoman "puristisch-modern" war.

  • Ich frage mich nur: lags an "kein Geld", oder "zuviel Geld"? (Warum bringt man sich um den Platz im Dachgeschoß mit einem schönen großen Fenster?)

    Natürlich zu viel Geld in Kombination mit schlechtem Geschmack. Es ist ja nun nicht so, dass jemand mit Geldnöten den Stuck und Zierat an seinem Haus veräußert, um über die Runden zu kommen.
    Natürlich war der Gedanke da auch, den Unterhalt auf lange Sicht billiger zu gestalten; nur ob die Rechnung langfristig aufgeht, wage ich zu bezweifeln. Es ist ja auch nicht so, dass man -gute Pflege vorrausgesetzt- alle zwanzig, dreißig Jahre teure Holzkastenfenster alle austauschen müsste und die Sandsteinpflege wird auch nicht den Aufwand wie bei gotischen Kathedralen nach sich ziehen. De facto ist so eine Total-Verstümmelung eine unglaubliche Vermögensvernichtung.

  • Natürlich zu viel Geld

    Daß die Eigentümer auf die Idee kamen, Geld zum Rausreißen der Sandsteingewände auszugeben, kann ich mir nach wie vor schwer vorstellen. Ich vermute eher, daß es da irgendwelche "steuernden Modernisierungskredite" gab, ähnlich den Entstuckungszuschüssen in West-Berlin, oder den heutigen Dämmwahn-Krediten. Vielleicht gab es dabei eine qm-Wohnflächen-Grenze, der das DG zum Opfer fiel.
    Also eher "Geld nur mit Förderung des schlechten Geschmacks" als "zuviel Geld".


  • Und in 20-30 Jahren wird es abgerissen, weil sich nach so einer Sanierung keiner mehr vorstellen kann, was man aus so einem Haus machen kann. Ich dachte immer, dass sowas mittlerweile nicht mehr möglich sei, werde aber doch immer wieder eines besseren belehrt.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Viel Geld und wenig Zeit und rein garkeine geschmackliche Bildung machens möglich. Man braucht für all das ja nichtmal mehr einen Architekten, man geht das Zeug einfach einkaufen und lässt es MyHammer-mäßig jemanden montieren. Ich sag immer: WDVS ist die letzte Evolutionsstufe eines Gebäudes vor dem Abriss.

  • Aua. In Form, Farbe und Material vergriffen. Dass das genehmigt wurde zeigt, dass es keinerlei gestalterische Einschränkungen mehr gibt. Jeder kann das Stadtbild verunstalten womit er will. Da kommen einem die Hundekot-Diskussionen in den Städten richtig albern vor.