• Ein anderes Beispiel für die Unfähigkeit unserer Denkmalschutzbehörden sei hier aufgeführt:
    Calw ist eine wunderschöne alte Stadt im Nordschwarzwald, die gerne und oft von Touristen besucht wird, weil Hermann Hesse hier geboren wurde. Trotz vieler Bausünden (Parkhaus, Betonbunker etc.) strahlt die Stadt noch etwas “Ursprüngliches” aus. Jetzt jedoch sollen für ein Seniorenzentrum mitten in der Stadt 10 teilweise uralte Häuser abgerissen werden, bei einem habe ich sogar das Jahr 1796 gelesen. Da frage ich mich: Wo bleibt der Denkmalschutz???? Ich war fassungslos und hab mal die Häuser fotografiert...




    Der Tiefpunkt der Baukultur wurde in den 60er und 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts erreicht...

  • Also ich würde mindestens bei dem schmalen verputzten Fachwerkbau aufgrund seiner Knaggen auf mittelalterlich wetten...

    Unglaublich ist das...kurzfristige Notlösungen, die in zehn Jahren vielleicht schon wieder überholt sind, zerstören 600 Jahre Baukultur...

    Die Feder ist mächtiger als das Schwert...wenn das Schwert sehr stumpf ist und die Feder sehr spitz!

    -Terry Pratchett

  • Das Haus im letzten Bild hat ja noch Knaggenverriegelung (interessanterweise erst oberhalb des zweiten Geschosses, eine Aufnahme der Konstruktion dürfte hochinteressant sein) und einen deutlichen Überhang, selbst in einer ländlichen Region dürfte das wenigstens auf das 16. Jahrhundert zurück gehen, nach unten hin offen. Wer wohnt denn in dem Haus, normale Privatleute? Vielleicht einfach mal klingeln und fragen, was die von einem Abriss halten würden... wenn sie ablehnend eingestellt sind, vielleicht mal gründlich bildlich dokumentieren (Keller, Dachstuhl, Verzimmerungsdetails etc.) und das Ganze sowohl der Presse als auch der zuständigen Denkmalschutzbehörde zuspielen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass die noch gar nix von dem Vorhaben wissen...

  • Man versteht nicht, was im Schwabenländle eigentlich los ist. Während im Norden und Osten längst ein Bewußtsein für das baukulturelle Erbe gewachsen ist, scheint man im Südwesten wirklich noch geistig in den 70er Jahren stehen geblieben zu sein. Die stillos modernistische Stadtplanung in Stuttgart ist das beste Beispiel dafür.

    Wenn diese Calwer Häuser für das Seniorenzentrum abgerissen werden sollen, muß man am Verstand der Verantwortlichen zweifeln. Sicher findet man in Calw genug andere potentielle Bauplätze. Oder aber man saniert die Häuser und macht aus ihnen eben eine außergewöhnliche Altenwohnanlage. Die hier aber anscheinend anvisierte Lösung ist ein Frevel.

  • Noch mal zurück zu den geplanten Abrissen in Calw:

    Ich habe im Netz nachgeforscht und leider nur wenige Informationen gefunden. Das Thema Denkmalschutz wird in dem Zusammenhang nicht einmal erwähnt.

    Zitat

    Nach dem derzeitigen Stand wird bis Mitte des Jahres 2007 die Schaffung einer Betreuten Seniorenwohnanlage mit Kleinpflegeheim im Bereich der Tor- und Nonnengasse noch verwirklicht werden können, wodurch die Stadt Calw auch dem demografischen Wandel innerhalb der Bevölkerung Rechnung trägt.


    Quelle: Innenstadt III

    Text und Fotomontage hier (6,21 MB):

    http://www.nussbaum.de/calw/2006/cwred3206.pdf

    Wenn man sich das so durchliest, scheint es, dass alles in trockenen Tüchern ist. Niemand scheint sich auch nur ansatzweise damit beschäftigt zu haben, was da abgerissen werden soll - skandalös! Das erinnert wirklich an schlechtere Zeiten. 1972 wurde am Markt ein ähnlich großer Block dem Erdboden plattgemacht.

    memet: Weißt du, ob es in irgendeiner Weise Protest gibt? Lassen sich die Bürger so etwas ohne weiteres gefallen? Wie ist in BaWü die Stimmung innerhalb der Bevölkerung zum Denkmalschutz?

    Baden-Württemberg tut weiterhin nichts dagegen, nicht mehr deutschlandweites Schlusslicht in Sachen Denkmalschutz zu sein - traurig und unverständlich...

  • Noch ein Link:
    http://www.calw.de/servlet/PB/men…essDetails=true

    @Moderator (Antiquitus etc.)

    Weil ich den Fall überaus skandalös finde und den Abriss eines ganzen Straßenblocks in der zentralen Altstadt nicht ohne Kampf hinnehmen will, bitte ich einen Moderator, die Artikel über die Abrisse in Calw (ab 3.8.07/ 9:42 Uhr) in einen neuen Strang (Inland) zu verschieben.

    Ich habe an verantwortliche Stellen und die Presse E-Mails geschrieben und ich bitte auch Euch dafür zu sorgen, dass dieser Fall publik wird.
    Die Vorhaben erinnern überaus stark an Stadtsanierungen der 60er und 70er und die radikale Vorgehensweise wird 1:1 übernommen.

    Also schreibt, schreibt, schreibt...an folgende Adressen:

    -------------------------------------------------------------------------------------

    Adressliste:

    Stadplanungsamt:
    mailto:bauverwaltung@calw.de">bauverwaltung@calw.de
    mailto:stadtplanung@calw.de">stadtplanung@calw.de

    Stadtratsfraktionen:
    Freie Wähler: mailto:dieter_koempf@koempf.de">dieter_koempf@koempf.de
    CDU: mailto:fuessinger@t-online.de">fuessinger@t-online.de
    SPD: mailto:sivrikozoglu@t-online.de">sivrikozoglu@t-online.de
    FDP/Grüne: mailto:ott@ahg-gmbh.de">ott@ahg-gmbh.de

    Oberbürgermeister Dunst: mailto:mdunst@calw.de">mdunst@calw.de


    Stuttgarter Zeitung: mailto:redaktion@stz.zgs.de">redaktion@stz.zgs.de

    Pforzheimer Zeitung-Lokales (Holger Knöferl): mailto:region@pz-news.de">region@pz-news.de

    -------------------------------------------------------------------------------------

    Mein Text (dient natürlich nur als Anregung):


    Sehr geehrte Damen und Herren,


    es stimmt mich traurig und nachdenklich, was zurzeit in der Altstadt von Calw geplant wird. Für ein Seniorenheim sollen mitten im historischen Stadtzentrum sieben Häuser abgerissen werden, deren Geschichte sich teilweise bis ins späte Mittelalter zurückverfolgen lässt.

    Trotz einiger stark kontrastierenden Gebäude strahlt die Altstadt von Calw noch etwas Ursprüngliches aus. Dazu tragen nicht nur die Plätze und Hauptstraßen (Marktplatz, Ledergasse, Altburgerstraße) bei, sondern auch die kleinen malerischen Gassen, die das Altstadtgewebe zusammenhalten und die großen Straßen verbinden. Dazu zählen unter anderem die Tor- und die Nonnengasse, die ihr mittelalterliches Flair bis heute bewahren konnten. Die Stadt plant, dieses Ensemble möglichst schnell zu zerstören und durch ein rentables Altenpflegeheim zu ersetzen. Dadurch wäre nicht nur die jahrhundertealte Geschichte der Häuser, sondern auch das malerische Vor- und Zurücktreten der Giebelhausfassaden in der Nonnengasse und der Torgasse für immer und unwiederbringlich vernichtet und durch einen aalglatten, geometrischen, regelmäßigen Allerweltsneubau in heutiger Formensprache ersetzt.

    Das will ich so nicht hinnehmen, denn ich hatte eigentlich gehofft, dass die Zeit der großflächigen Stadtsanierung der 60er und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts längst Vergangenheit sind und man zur behutsameren Methode der Substanzerhaltung übergegangen ist, was zwar auch auf Calw zutrifft, nur eben nicht konsequent. Überall sonst in Deutschland ist es konsens, dass die grobschlächtige Flächensanierung nicht mehr betrieben werden, nur eben nicht in der württembergischen Provinz im Nordschwarzwald.

    Warum die Gebäude abreißen, wenn es doch viel vernünftigere und nachhaltigere Methoden zum Umgang mit dem betroffenen Stadtquartier gibt. Wenn das Altersheim schon an der Stelle errichtet werden soll, was nicht zwingend notwendig ist, da auch andere innerstädtische Flächen unbebaut sind (am Hang), dann schlage ich vor, die betreffenden Gebäude von außen originalgetreu zu sanieren und von innen weitgehend zu entkernen, um eine barrierefreie Einrichtung zu gewährleisten. Die Häuser könnten durch einen modernen Zwischenbau miteinander verbunden werden.

    Nicht nur mich, sondern auch zahlreiche geschichtsinteressierte Bürgerinnen und Bürger, sowie Passanten und Besucher, die einfach nur das Altstadtflair genießen wollen und natürlich die zukünftigen Heimbewohner werden es der Stadt danken.

    Ich wünsche mir das Loslösen von den grausamen dogmatisierten Nachkriegsjahrzehnten und ein Ausüben professionellen Denkmalschutzes des 21. Jahrhunderts, also den Erhalt der wertvollen Bausubstanz, in dem sich die Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner widerspiegelt – die einfach, aber ästhetisch und harmonisch ist.


    Mit freundlichen Grüßen

    XXX

  • Ich habe das Thema jetzt verschoben. Wäre aber gut, wenn jemand abseits des ganzen Getöses die Sache mal verifizieren könnte. Bislang erscheint mir da alles als Könnte-Würde-Sein...

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Oliver: Sehr gut!

    Antiquitus: Ein Könnte-Würde-Sein ist es ganz sicher nicht. Der Stadtrat hat den Abriss des Quartiers bereits im November letzten Jahres entschieden, der Abriss sollte im Frühjahr 2007 stattfinden. Da die Häuser jedoch im Spätsommer noch stehen, schöpfte ich Hoffnung, dass die Verzögerung mit möglichen Protesten begründet werden kann bzw. ein Überdenken stattfindet (Hoffentlich).
    Ich bin gespannt, was auf die E-Mails geantwortet wird, sicherlich werde ich auch mit jemandem mal telefonisch sprechen.

    Weiß jemand, welches Denkmalschutzamt für Calw zuständig ist; von denen würde ich auch gerne mal eine Begründung hören, sofern es sich um Denkmäler handelt (Wahrscheinlich wurde die Denkmaleigenschaft aber schon wegen des Bauzustandes aufgehoben :klaresnein: .

  • Nun, ich bin einfach mal dem Aufruf gefolgt und habe einige der hier vorgestellen werten Damen und Herren der Zuständigkeit für derlei Debakel verständigt.

    Der Herr Ott von der FDP/Grüne gab mir zu wissen: (Ich zitiere mal ein paar Auszüge, wird sonst wohl zu lang und Augenkrebsfördernd)

    Zitat

    als engagierter und ambitionierter Gemeinderat dürfen Sie sicher sein, dass ich Entscheidungen in einem solch wichtigen Gremium sehr wohl reiflich überlege und abwäge.

    Zitat

    Ich befinde mich ab heute bis zum 08.09.07 im Urlaub. Gerne telefoniere ich danach mit seriösen Kritikern unserer Entscheidungen!

    Nun... Das Urteil über diese Äußerungen überlasse ich an dieser Stelle einfach mal den Forenjüngern ;)

    Und eventuell hat ja hier jemand noch eine kreative Antwort auf Lager, die man soviel 'Toleranz' entgegenwerfen kann :augenrollen:

  • Primär springt mal ins Auge, dass er der eigentlichen Frage mehr oder minder ausweicht. Und die Argumentation, dass viel erhaltene Bausubstanz den Abriss von ein bisschen rechtfertigt, würde vielleicht in die Gründerzeit passen, aber nicht in ein Deutschland, in dem wenigstens 60 % seines kulturellen Erbes den Flammen übergeben wurden.

    Was aber ein Besuch in der Stadt an dem vorliegenden Missstand ändern soll, entzieht sich dann aber völlig meinem Verständnis.

  • "Es handelt sich bei dem Areal um einen echten
    Schandfleck in der Innenstadt von Calw ... sorry, anders kann man es nicht
    bezeichnen"

    Also auf den Bildern kommt das aber nicht so rüber. Täuschen da die Aufnahmen oder täuscht sich der werte Herr?

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Vermutlich reicht in dieser Ecke schon die Andeutung einer Patina von 15 Jahren aus, um ein historisches Gebäude als verfault, unhaltbar und seine Bewohner als Asoziale zu klassifizieren.

    Nein, die werden gedünstet

  • Krass, oder ? Er reisst seine halbe Heimatstadt ab und verabschiedet sich dann nach Rhodos um sich die schönen Altstädte dort anzusehen. Ich kann es gar nicht glauben ! :schreckgrau:

    Dem Mann ist seine Altstadt völlig egal. :schild4: