Noch ist es ein wenig wie in Andersons Märchen "Des Kaisers neue Kleider". Wir Deutschen möchten ja viel denken und vor allem für denkfähig gehalten werden; deshalb ist der Papieraufwand für kleine graue Würfel und andere Banalitäten auch ungleich höher als anderswo, Österreich mal ausgenommen.
Aber seit mehreren Jahren ist der Wind dabei, sich zu drehen - man vergleiche z.B. diverse "Spiegel"-Ausgaben im Abstand von nur fünf Jahren. Man verabschiedet sich von der Sentimentalität bzw. besinnt sich auf die Profitwirkung positiver Sentimentalitäten. Mit der Durchsetzung "kalter Ökonomie" wird auch das letzte Stück sauergewordener Dt. Idealismus im Form des bundesdeutschen 68'er Moralismus für "unzweckmäßig" befunden und verworfen werden. Die vielgeschmähte Standortwirtschaft führt bereits jetzt zum "Zwang" zu historistischer oder zumindest angepaßt-gefälliger Architektur an wenigen medialstrukturellen Brennpunkten deutscher Geschichte (leider auch zu allerart Blob-Unsinn, als Kunsthallen ect. schreierisch vermarktet); ebenso wie die Wirtschaft vor 100 Jahren die Aufgabe überbordender Ornamentik im Sinne der Gewinnmaximierung erzwang.
Die Eventisierung unserer Städte und Gemeinwesen ist übrigens kein Produkt der Globalisierung oder der Ökonomisierung der Kultur seit 1995, sondern ist eine erstmals in Deutschland auf breiter Front aufgetretene Entwicklung, die dummerweise durch drei dämliche Kaiser und einen durchgeknallten Balkanesen unterbrochen wurde. Man wird zwar nicht zu einer Zeit wie vor 1900 zurückkehren, in der mit immer eindrucksvollerer historistischer Architektur um Standortvorteil und zahlungskräftige Klientel gebuhlt wurde, aber bestimmte Anzeichen sind vorhanden, siehe z.B. die "Hohe Düne". Vom (östlichen) Ausland mal ganz zu schweigen.