Bombenkrieg, Rekonstruktion und "Schuldkult"

  • Noch ist es ein wenig wie in Andersons Märchen "Des Kaisers neue Kleider". Wir Deutschen möchten ja viel denken und vor allem für denkfähig gehalten werden; deshalb ist der Papieraufwand für kleine graue Würfel und andere Banalitäten auch ungleich höher als anderswo, Österreich mal ausgenommen.

    Aber seit mehreren Jahren ist der Wind dabei, sich zu drehen - man vergleiche z.B. diverse "Spiegel"-Ausgaben im Abstand von nur fünf Jahren. Man verabschiedet sich von der Sentimentalität bzw. besinnt sich auf die Profitwirkung positiver Sentimentalitäten. Mit der Durchsetzung "kalter Ökonomie" wird auch das letzte Stück sauergewordener Dt. Idealismus im Form des bundesdeutschen 68'er Moralismus für "unzweckmäßig" befunden und verworfen werden. Die vielgeschmähte Standortwirtschaft führt bereits jetzt zum "Zwang" zu historistischer oder zumindest angepaßt-gefälliger Architektur an wenigen medialstrukturellen Brennpunkten deutscher Geschichte (leider auch zu allerart Blob-Unsinn, als Kunsthallen ect. schreierisch vermarktet); ebenso wie die Wirtschaft vor 100 Jahren die Aufgabe überbordender Ornamentik im Sinne der Gewinnmaximierung erzwang.

    Die Eventisierung unserer Städte und Gemeinwesen ist übrigens kein Produkt der Globalisierung oder der Ökonomisierung der Kultur seit 1995, sondern ist eine erstmals in Deutschland auf breiter Front aufgetretene Entwicklung, die dummerweise durch drei dämliche Kaiser und einen durchgeknallten Balkanesen unterbrochen wurde. Man wird zwar nicht zu einer Zeit wie vor 1900 zurückkehren, in der mit immer eindrucksvollerer historistischer Architektur um Standortvorteil und zahlungskräftige Klientel gebuhlt wurde, aber bestimmte Anzeichen sind vorhanden, siehe z.B. die "Hohe Düne". Vom (östlichen) Ausland mal ganz zu schweigen.

    Nein, die werden gedünstet

  • Was man dem Dirks-Beispiel (und an Dutzenden ähnlicher Formulierungen) sehen kann, ist die Sinnlosigkeit dieser Art der Argumentation: Dort werden rein zufällige und willkürliche Geschehnisse (das Goethehaus wurde im Krieg zerstört, es hätte aber rein zufällig auch genauso gut den Krieg unbeschadet überstehen können) in den Rang einer mit tieferem Sinn gefüllten, höheren Fügung erhoben.

    Ähnliches gilt für den Wiederaufbau: Hier wurden in den verschiedenen deutschen Städten ja völlig unterschiedliche Aufbaukonzepte verfolgt (vgl. Nürnberg mit Frankfurt) und trotzdem wird so getan, als sei *DER* Wiederaufbau (den es also folglich gar nicht gibt) einem göttlichen-antifaschistischen-demokratischen-modernen-aufgeklärten-heilbringenden Plan gefolgt, den man jetzt rückwirkend auf keinen Fall in Frage stellen dürfte (weil Sakrileg).

    Diese Haltung muss man im Grunde als schicksalsgläubig bezeichnen und hat daher mit Wissenschaftlichkeit nichts zu tun.

  • Zitat

    Dort werden rein zufällige und willkürliche Geschehnisse (das Goethehaus wurde im Krieg zerstört, es hätte aber rein zufällig auch genauso gut den Krieg unbeschadet überstehen können) in den Rang einer mit tieferem Sinn gefüllten, höheren Fügung erhoben.

    Das ist halt überhaupt das Problem, das man in der deutschen Debatte um Bombenkrieg und Rekos oft beobachten kann: die Sakralisierung bloßer kontingenter Ereignisse zu einem "Geschehen von tieferer Bedeutung", sozusagen einer Stufe im Heilsplan. Und dann wird's natürlich tatsächlich zum Sakrileg, die Resultate dieser "höheren Fügung" in Frage zu stellen.
    Bei Dirks wird das 1947 aber zumindest noch offen ausgesprochen, so daß man es auch thematisieren und kritisieren kann. Heute wird es vielfach nur noch in suggestiven Beschwörungsformeln unters gläubige Volk gebracht.

  • Es ist im Grunde völlig...deutsch. Dieser Hang zum Absoluten, der jedem von uns in irgendeiner Weise drinstreckt. Ein Fluch und ein Segen für uns, daß wir diesen Drang nicht mehr lange ausleben können. Wir erfreuen uns einer wachsenden Anzahl von Menschen in unserem Land, welche nicht unsere "tiefe" Mentalität besitzen; sondern sie allenfalls hin und wieder auszunutzen verstehen. Wir werden lernen müssen, bestimmte Hohheiten aufzugeben; mediale Allgemeinplätze zurückzunehmen, zu teilen - und das allein dürfte viele geistige Kuckucksheime wie z.B. die Kollektivschuld oder die Frage des deutschen Schicksals ihrer Bedeutung entheben. Wer nicht mehr uneingeschränkt herrschen kann, muß sich sowohl Rückzugsräume erarbeiten und festigen als auch der über viele Jahrzehnte selig ignorierten Realität rechnung tragen. In der neuen Rauheit bleibt kein Platz für Weltverbesserung, wirtschaftsschädigende Selbstbezichtigung und anderes "Liebgewonnene" - ich denke, die Amerikanisierung (jetzt, nach fast 50 Jahren Warnung & Kulturpessimismus....kommt sie tatsächlich und unwiderruflich) wird uns eher guttun als schaden.

    Nein, die werden gedünstet

  • Zitat

    Es ist im Grunde völlig...deutsch.

    Na ja, was wir da heute bei unsern '68igern und ihren Vorläufern und Spätlingen erleben, ist eher eine Satire auf den deutschen Geist als sein Ausdruck. Aber die Tragödie wiederholt sich ja bekanntlich nur als Satyrspiel.

    Amerkanisierung scheint mir jedenfalls auch nicht gerade der wünschenswerte Weg zu sein ...

  • >>>Amerkanisierung scheint mir jedenfalls auch nicht gerade der wünschenswerte Weg zu sein ...<<


    Die Amerikaner haben au einige der Entwicklungen, über die wir uns derzeit den Kopf zerbrechen, in ihrer ganz eigenen Art und Weise reagiert. Bemerkenswert: Die Gesellschaft, die Mittelschicht hat reagiert, unabhängig von der Politik. Moralisch vielleicht "fragwürdig" - aber doch so stabil, daß sie weitere hundert Jahre eine Weltmacht sein können, ohne von inneren Wirren erstickt zu werden.
    Einiges können wir lernen, natürlich nicht alles (z.B. brauchen wir erheblich mehr Schutzzonen als die Amerikaner). Und vieles vom geistigen Rüstzeug, was sich die Amerikaner als Mittelstandsland schlechthin erarbeitet haben, ist auch den Deutschen (als einem Gründervolk der WASPS) inne - nur durfte man es jahrzehntelang nicht ausleben bzw. mußte so tun, als täte und dachte man das genaue Gegenteil. Die Zeichen stehen darauf, daß man mittelfristig der amerikanischen Unbekümmertheit auf diesem Gebiet folgen und sich den Schwermut für exportierfähige, gewinnbringende Kulturevents aufheben wird.

    Wenn jedoch der zum Irrationalismus mutierte -einstige- deutsche Idealismus(der wirklich einmal eine gute Idee gewesen ist) weitere Jahrzehnte Entscheidungsfreiheit bekommt, könnten die Vereinigten Staaten von Amerika die Bundesrepublik Deutschland sogar überleben...aber ich denke mal, daß es zu diesem Fall nicht kommen wird. Wir können zwar unglaublich törricht, aber auch ebenso fischeland sein. :)

    Nein, die werden gedünstet

  • Sehr fundierte Darstellung, Philon, aber doch mit weitgehender Gültigkeitsbeschränkung auf den Westen Deutschlands. In der DDR durfte man das Kind sehr wohl beim Namen nennen – es waren ja „anglo-amerikanische“ Bomber. Auch die langjährige Tradition des Gedenkens des 13. Februar wäre anderenfalls nicht denkbar gewesen. Hier nur mal ein kurzes Beispiel, wie sich der 13. Februar in der üblichen offiziellen Formulierung las (was ich auf die Schnelle gerade parat hatte) – Alles wörtlich zitiert:

    Zitat

    Historischer Führer – Bezirke Dresden, Cottbus
    Urania-Verlag, 1981

    Am 13. und 14. Februar 1945 zerstörten drei anglo-amerikanische Luftangriffe sowie am 15. Februar ein kleinerer Nachfolgeangriff das durch Flüchtlinge übervölkerte Stadtzentrum….Dresden war kein wichtiges militärstrategisches Ziel. Der „dreifache Schlag“ am 13. und 14. Februar berührte nur wenige der Verkehrs- und Industrieanlagen Dresdens und die schwachen militärischen Anlagen überhaupt nicht. Er war ein reiner Terrorangriff auf die Bevölkerung...

    im Kapitel als Sehenswürdigkeit genannt:
    - Ruine der Frauenkirche als Mahnmal für die Opfer der anglo-amerikanischen Terrorangriffe;
    - Gedenkstätten für die Opfer der Terrorangriffe auf dem Heidefriedhof, dem Nordfriedhof, dem Friedhof Meußlitzer Straße und dem Johannisfriedhof

    Wissmut
    Ob die "neue Rauigkeit" des Amerikanismus uns wirklich in Summe gut tut, bezweifle ich aber sehr.

  • @ Bautzenfan:

    Zitat

    In der DDR durfte man das Kind sehr wohl beim Namen nennen – es waren ja „anglo-amerikanische“ Bomber. Auch die langjährige Tradition des Gedenkens des 13. Februar wäre anderenfalls nicht denkbar gewesen.


    Und ohne diese vermutlich auch nicht der Wiederaufbau der Frauenkirche und des Neumarkts.

    Zitat

    aber doch mit weitgehender Gültigkeitsbeschränkung auf den Westen Deutschlands.


    Nun ja, das glaube ich so nicht unbedingt. Der zitierte Herr Böhme, der in der Frauenkirchen-Ruine ein "Mahnmal für die kollektive Schuld der Deutschen" sehen wollte, war jedenfalls zeitlebens Dresdner und bis '90 DDR-Bürger ...

  • Ganz kurz OT @ Wissmut:

    Zitat

    Wenn jedoch der zum Irrationalismus mutierte -einstige- deutsche Idealismus(der wirklich einmal eine gute Idee gewesen ist)


    Ich stimme dir teilweise durchaus zu, aber ich sehe nicht ganz, was der deutsche Idealismus mit dem Problem zu tun haben soll.
    Zwischen dem Deutschen Idealismus von Kant über Hölderlin, Schelling usf. bis Hegel und den verwirrten '68iger Attitüden sehe ich wirklich keinen Zusammenhang - ganz im Gegenteil, betrachtet man etwa den enormen politisch-gesellschaftlichen Realismus Hegels oder die klare Kantische Moralphilosophie, auf der der größte Teil meiner Ausführungen zum Bombenkrieg beruhen.
    Die Wurzeln des deutschen Schuldkults und anderer '68iger Verwirrungen sehe ich eher im (deutschen und us-amerikanischen ... schwer zu sagen, was da Henne und was Ei ist) Liberal-Protestantismus, der mehr Pseudo-Moralismus als echte Moralität bietet und sich fatalerweise mit einem massiven Rassismus/Kollektivismus (schuldige und unschuldige "Rassen" bzw. "Völker") verbunden hat. Ein exzellentes Buch dazu:
    Paul Edward Gottfried: Multiculturalism and the Politics of Guilt, Missouri 2002

  • Zitat

    Nun ja, das glaube ich so nicht unbedingt. Der zitierte Herr Böhme, der in der Frauenkirchen-Ruine ein "Mahnmal für die kollektive Schuld der Deutschen" sehen wollte, war jedenfalls zeitlebens Dresdner und bis '90 DDR-Bürger ...

    Ja das stimmt, Böhme war und blieb vehementer Gegner des Wiederaufbaus aus eben den von Dir genannten Gründen („Wiederaufbau ist Ablehnung der Sühne“). Auch Schorlemmer argumentierte ähnlich. Aber das waren sehr, sehr vereinzelte Stimmen, die in der damaligen Diskussion vor Ort (unter der Bevölkerung) eigentlich keine Rolle spielten und keinesfalls eine breite Meinungsströmung widerspiegelten. Ich glaube das sagen zu können, denn ich habe die damalige Diskussion sehr intensiv verfolgt. Es ist auch richtig, dass es anfänglich in Dresden und Sachsen eine breite Ablehnung des Aufbauvorhabens gab – allerdings aus ganz anderen Gründen. Die diesbezüglichen Überlegungen mal vereinfacht auf den Punkt gebracht: Wir haben doch jetzt wirklich andere Probleme als die Frauenkirche aufzubauen. Hier spielte die verinnerlichte Erfahrung der Gegebenheiten in der DDR eine maßgebende Rolle (basierend auf dem zentralistischen Wirtschaftssystem) mit etwa folgender Denkweise: Was für den Kirchenbau an Mitteln eingesetzt wird, fehlt beim Bau der damals dringend benötigten Wohnungen oder für die Reparatur der völlig maroden Infrastruktur. Und für die evangelische Kirche war es zum damaligen Zeitpunkt einfach nicht anständig – angesichts ihrer baufälligen (nicht im Krieg zerstörten) Kirchen oder ihrer reparaturbedürftigen Altersheime (die Kirche betrieb etliche) so ein Projekt stemmen zu wollen. Haben sie ja dann auch nicht, die finanzielle Verantwortung zum Aufbringen der Mittel für Bau und Erhaltung lag und liegt (laut Vertrag ab Weihe für weitere 99 Jahre) in den Händen der eigens dafür gegründeten Stiftung.
    Wirklich Philon, diese Diskussion wurde tatsächlich zum Anfang sehr kontrovers geführt, aber das Argument, dass man nicht aufbauen dürfte, weil man aufgrund kollektiv zu verantwortender beispielloser Verbrechen das Recht darauf verwirkt hat, also das ist mir so nicht unter gekommen.

    Hier mal eine kurze Formulierung, wie man das von der evang. Kirche selbst im Rückblick darstellt:

    Zitat

    Ekd-Seite, dort Archiv-Beitrag aus 2004:
    "Frauenkirche: Der ganze Stolz der Stadt"

    Auch die sächsische evangelische Landeskirche rang mit sich, geplagt von Geldsorgen und dem Verfall vieler großer Kirchen. Vor der Synode im März 1991 veröffentlichte Baudezernent Ulrich Böhme sogar eine Denkschrift gegen den Wiederaufbau. Doch das Kirchenparlament sprach sich nach zähem Ringen dafür aus. Bischof Volker Kreß übernahm den Vorsitz im Stiftungskuratorium, Böhme blieb ein vehementer Kritiker.

    Das in Hinsicht auf das Thema "Schuldfrage" von der SED postulierte Selbstverständnis des Staates DDR kommt auch in dem offiziellen Terminus für die Berliner Mauer zum Ausdruck - Die Mauer hieß nämlich in allen Geschichtsbüchern "Antifaschistischer Schutzwall". Die Militaristen, Kriegstreiber und Faschisten lebten im Westen und vor denen musste sich die DDR 1961 schützen.

  • Nur eine kleine Anmerkung am Rande:

    Wieso investieren Britische Firmen nicht am Neumarkt? Das hätte doch eine große Symbolkraft. Stattdessen wird nun z.B. das British Hotel von einem Schweizer Unternehmen rekonstruiert und ein holländisches Unternehmen rekonstruierte zusammen mit einem Italiener das Quartier I. Die Engländer hingegen haben bisher nur das Kuppelkreuz der Frauenkirche beigesteuert. Das ist meiner Meinung nach einfach zu wenig und sehr enttäuschend. :augenrollen: Kennt jemand die Gründe für das dürftige Engagement Britischer Firmen am Neumarkt bzw. in Dresden?

  • Nun, weshalb Britische Firmen nicht am Neumarkt investieren weiß ich nicht aber die anderen sowieso nicht aus ideelle Gründe.Da gehts nur um Geld vor allem bei der Wessels Gruppe. :(

  • Zitat von "Philon"

    Die Wurzeln des deutschen Schuldkults und anderer '68iger Verwirrungen sehe ich eher im (deutschen und us-amerikanischen ... schwer zu sagen, was da Henne und was Ei ist) Liberal-Protestantismus, der mehr Pseudo-Moralismus als echte Moralität bietet und sich fatalerweise mit einem massiven Rassismus/Kollektivismus (schuldige und unschuldige "Rassen" bzw. "Völker") verbunden hat.

    Absolute Zustimmung: In Deutschland grassiert ein Rassismus, der auf der Welt wohl seines gleichen sucht. Manche sprechen vom positiven Rassismus, wobei die Frage gestellt werden muss, inwieweit sich Rassismus positiv auswirken kann, und vor allem: für wen? Das jüngste Beispiel zum Thema Rekonstruktionen zeigte die Debatte um die Frankfurter Altstadt, wo linke Pseudomoralisten das Argument brachten, dass eine Reko eines kleinen Teils der Frankfurter Altstadt ausländische Mitbürger diskriminieren, und die Internationalität der Banken-Stadt nachhaltig Schaden nehmen könnte. Ohne dass auch nur ein Ausländer zum Thema befragt wurde und aus falsch verstandenem Toleranzverständnis wurde prophylaktisch angenommen, dass Ausländer dagegen sein könnten. Und ein paar Hardcore-Moralisten kamen noch auf die hanebüchene Idee, doch gleich lieber eine Moschee zu bauen (sic!). Derweil zeigen meine Erfahrungen mit Ausländern (sorry, politisch korrekt natürlich „ausländischen Mitbürgern), dass die viel unverfänglicher und offener mit dem Thema Altstadt umgehen, was sich auch am Abstimmungsverhalten des Frankfurter Ausländerbeirates zur Reko-Debatte widerspiegelte.

    Zustimmung auch an BautzenFan: Die Debatte um Rekos muss in Ost und West womöglich wirklich unterschiedlich bewertet werden, wobei man sich in der Diskussion nach 17 Jahren Wiedervereinigung ziemlich angenähert hat. In der DDR wurde die Nazi-Herrschaft und der 2. Weltkrieg anders behandelt. Ich erinnere mich an meinen Geschichtsunterricht (8. Klasse 1989), dass jüdische Opfer eine eher untergeordnete Rolle spielten, und Opfer der Nazi-Gräuel eigentlich nur Kommunisten betraf. Dass das so war, ist kein Zufall, sah die DDR in Israel doch einen imperialistischen-zionistischen Staat, der gemeinsam mit Amerika die Weltherrschaft anstrebte. Die Flächenbombardements der westlichen Alliierten sah man wiederum in der DDR als das an, was sie im Prinzip auch waren, nämlich zivilbarbarische Angriffe.

    Und was die Mauer angeht: Nazis gab es nur im Westen Deutschlands, so die Indoktrinierung im Osten, wovor sich die DDR mittels einer Mauer schützen musste, die offiziell antifaschistischer Schutzwall hieß. Die Notwendigkeit leuchtete mir damals sehr ein, Nazis sind schließlich das letzte, was man gebrauchen kann. Jetzt weiß ich, dass es eine Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der DDR nie wirklich gegeben hat, im Gegensatz zum Westen, wenn auch mit unschönen Nebenwirkung (siehe 68er-Bewegung). Aber das führt jetzt alles zu weit vom Thema ab.

  • Zitat von "Philon"

    Ich denk, das greift zu kurz. Die Argumentationslinie der Reko-Gegner läuft nicht auf den von dir skizzierten Schienen ab, sondern auf folgenden Schienen (die alle nur Varianten desselben Arguments sind):

    Ich denke, du hast Recht, dass es viel schwieriger ist als ich dachte. Ich will es trotzdem ansatzweise versuchen. Aber so richtig überzeugend wird's wohl nicht werden.

    Zitat

    1.) "Wer rekonstruiert, versucht sich 'die deutsche Geschichte' (auch so ein Konstrukt, das nur funktioniert, wenn man 'die deutsche Geschichte' so liest, als würde es sich um die Biographie einer Person handeln), also mithin seine eigene, schön zu reden. 'Die deutsche Nation' hat aber die NS-Verbrechen begangen. Es ist also unmoralisch und verhöhnt die Opfer des NS, sich die 'eigene Geschichte' durch Rekonstruktionen zu harmonisieren, als wäre der NS nicht gewesen. Die Sehnsucht nach einer heilen Geschichte ist unmoralisch, weil unehrlich, quasi gebaute Holocaustleugnung."

    Ein solche Argumentation funktioniert höchstens für Gebäude, deren Ruinen noch stehen bzw. der Verlust klar präsent und auf den 2. WK beziehbar ist. Ein Gebäude, dass es einfach nicht mehr gibt, hat für den Betrachter und Bürger keinen Bezug zum NS, und wenn es wieder da ist, genauso wenig. Wie sollte überhaupt ein normaler Bürger einen Bezug zwischen einem Gebäude und den Verbrechen des NS herstellen können. Wer so etwas behauptet, kann höchstens rein subjektiv vorbringen, das seine persönliche Emotion das nahe legt. Aber mehr nicht.
    Es gibt keinen moralischen Nutzen durch ein fehlendes Gebäude. Wenn überhaupt, dann könnte eine Rekonstruktion zur Versöhnung mit den alten Kriegsgegnern führen, aber bestimmt nicht zu einer mit den NS-Verbrechen.
    Wie man es auch dreht und wendet, es fehlt der klare und objektive Bezug zu den NS-Verbrechen. Einen Haufen Stein mit deutscher Schuld aufzuladen ist reiner Unsinn.

    Zitat

    2.) "Der Bombenkrieg war die Folge des NS. Also war er verdient und folglich ist auch die Zerstörung unserer steingewordenen Geschichte eine verdiente Strafe für 'die deutschen Verbrechen'. Wer rekonstruiert, entzieht sich dieser gerechten Strafe, die über die deutsche Nation verhängt wurde. Und sich einer gerechten Strafe zu entziehen, ist unmoralisch."

    Selbst wenn es eine gerechte Strafe wäre, ist der Umstand, das originale Gebäude verloren zu haben, schon Strafe genug. Und es ist eine ewige Strafe, denn das originale Gebäude wird es nie mehr wieder geben. Eine Rekonstruktion tangiert diesen Verlust der Originalsubstanz nicht. Wir können uns der Strafe nicht entziehen, auch nicht durch Rekonstruktion.

    Zitat

    3.) "Der Holocaust war ein beispielloser Zivilisationsbruch. In seiner Folge wurden die deutschen Städte zerstört, von denen dieser Zivilisationsbruch ausgegangen ist. Die Zerstörung der deutschen Vergangenheit dokumentiert also den beispiellosen Zivilisationsbruch des NS und muß daher aus Pietät gegenüber den Opfern konserviert werden. Deshalb darf nicht rekonstruiert werden, weil damit der Bruch gekittet und verleugnet würde."

    Da was dagegen zu sagen, ohne die Prämissen anzugreifen, ist schwierig. Vielleicht könnte man was gegen diesen vagen Begriff des "Bruches" sagen. Fällt mir spontan aber auch nichts ein.

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Ich finde die bisherige Diskussion interessant, bin aber selbst in einigen Punkten noch etwas unschlüssig.

    Der Bombenkrieg der Alliierten war moralisch gesehen sicherlich nicht richtig. Man sollte aber doch den historischen Kontext nicht außer Acht lassen. Damit meine ich nicht den Holocaust, denn dieser wird zwar heute als Hauptverbrechen des Nationalsozialismus angesehen, dürfte aber damals für den Kriegseintritt und die Kriegführung der Alliierten von untergeordneter Bedeutung gewesen sein. Für bedenkenswert halte ich aber, daß Großbritannien im Frühjahr 1940 einer aggressiven, expansiven, überaus starken Macht gegenüberstand, die vom Großteil Europas Besitz ergriffen und große Verwüstungen (Warschau, Rotterdam, etc. ) angerichtet hatte und nun auch das eigene Land bedrohte. Da ist man dann in der Wahl der Mittel vielleicht doch weniger zimperlich, zumal wenn die Kriegführung teilweise strukturell vorgegeben ist (nur schwache britische Landstreitkräfte). Im Verlauf des Krieges hat sich dann wohl viel verselbständigt, und auf allen Seiten dürfte es angesichts der eigenen Verluste zu einer moralischen Verrohung gekommen sein.

    @ Philon
    In diesem Zusammenhang würde mich interessieren, inwiefern es von Alliierter Seite tatsächlich gezielte Angriffe auf Kulturgüter gegeben hat. Die deutschen Angriffe auf Exeter, Bath, etc. (der "Baedeker Blitz") sind mir bekannt. Bei den Alliierten Angriffen hatte ich bisher den Eindruck, daß sie sehr pragmatisch und kühl berechnend ausgerichtet waren (z. B. gute Brennbarkeit der Altstädte durch dichte Bebauung) und Zerstörung von Kulturgütern in Kauf genommen wurde, aber nicht primäres Ziel war.

    Ich persönlich finde diese moralischen Fragen aber für nicht zentral für die Wiederaufbaudiskussion. Was wäre denn erreicht, wenn man zu dem Schluß käme: die Bombenangriffe waren moralisch nicht gerechtfertigt und stellen Kriegsverbrechen dar? Dürften wir dann deshalb (und nur deshalb) unsere Städte wiederaufbauen? Was wäre mit Städten, deren Zerstörung möglicherweise "gerechtfertigt" war, weil sie durch Front-und Straßenkämpfe und nicht durch willkürlichen Angriff auf Zivilisten zerstört wurden? Auf solche Diskussionen würde ich mich nicht einlassen wollen.

    Ich sehe durchaus, daß es Tendenzen eines "Schuldkults" gibt - aber reichen sie tatsächlich über die einschlägigen Feuilletons hinaus? Ich könnte mir vorstellen, daß in den ersten Jahren nach Kriegsende eine solche Argumentation durchaus auf fruchtbaren Boden gefallen sein könnte. Angesichts der vielen Kriegstoten, der Besetzung des Landes, der unglaublichen Zerstörungen, im Bewußtsein der nationalsozialistischen Verbrechen, die nun vor der Welt offenbar wurden - da kann ich mir schon vorstellen, daß man so etwas wie einen Schlußstrich ziehen mochte: Wir fangen noch einmal neu an, wir machen tabula rasa, auch ganz konkret in den Städten. Es gab dann ja auch viele derartige Pläne zur völligen Umgestaltung von Städten.

    Selten wurde diese jedoch wirklich in vollem Umfang realisiert. Vermutlich waren es oft ganz pragmatische Entscheidungen, die dazu geführt haben, daß die Städte im Stil der Zeit wiederaufgebaut wurden. War doch ein solcher Wiederaufbau völlig normal in dem Sinne, daß beispielsweise nach dem Dreißigjährigen Krieg ja auch im Stil der Zeit wiederaufgebaut wurde. Die historische Rekonstruktion von Städten ist doch eigentlich etwas unerhört Neues (fast würde ich sagen: Modernes).

    Und heute? Ich sehe die Gründe für die mangelnden Rekonstruktionsbemühungen eher woanders. Am Anfang mag der Weg in die Moderne ja wirklich ideologisch begründet gewesen sein. Inzwischen glaube ich, daß wir es hier mit einem sich verselbständigenden System zu tun haben: Wenn die angehenden Architekten nichts anderes lernen, als Glas- und Betonkisten zu bauen, können sie mit traditioneller Architektur eben nichts anfangen. Ein Problem ist sicherlich auch der Drang der Menschen nach Innovationen und nach Individualität. So sehr ich diese Begriffe in einem allgemeinen Kontext schätze, so sehr halten sie von Rekonstruktionen ab: In einem gewissen Sinne ist es halt spannender, etwas Neues zu wagen und Risiken einzugehen, als Häuser zu rekonstruieren, die jemand anders entworfen hat. Sicherlich kommt noch ein elitäres Gehabe, eine gewisse esoterische Haltung der heutigen Architektenschaft hinzu. Das ist in Künstlerkreisen aber auch nichts wirklich Neues, das gibt es auch schon viele Jahrhunderte.

  • @ Candidus:

    Zitat

    Der Bombenkrieg der Alliierten war moralisch gesehen sicherlich nicht richtig. Man sollte aber doch den historischen Kontext nicht außer Acht lassen.


    Das Problem mit solchen Forderungen à la "den historischen Kontext beachten" ist doch folgendes:
    Entweder erfolgt diese Forderung in der Absicht, ein Verbrechen - das ja, wie du selbst sagst, der Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung war - bzw. die Verbrecher zumindest ein wenig zu entschuldigen. Dann ist sie ethisch gesehen falsch (warum siehe unten)
    Oder sie erfolgt nicht mit dieser Absicht. Dann ist sie für die ethische Diskussion irrelevant.
    Die Forderung, "den historischen Kontext" zu sehen ist also ethisch entweder falsch oder irrelevant. Du kannst es dir aussuchen ...

    Das bedeutet natürlich nicht, daß Umstände und Intentionen von Handlungen für die moralische Bewertung dieser Handlungen grundsätzlich irrelevant wären. Nur ist es eben so, daß die Umstände und weiteren Intentionen (neben der unmittelbaren Intention, Zivilisten zu töten, die für die Bewertung allerdings sehr relevant ist) der Handlung "unterschiedsloser Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung" diese überhaupt nicht rechtfertigen oder entschuldigen können, weil es sich bei dieser Handlung um eine Handlung dasjenigen Handlungstyps handelt, die unter ein absolutes moralisches Verbot fallen (in der katholischen Moraltheologie, die in dieser Hinsicht auf dem avanciertesten Stand der moralphilosophischen Debatte ist, heißen solche Handlungen "intrinsisch falsche Handlungen": Hi sunt actus, qui a morali Ecclesiae traditione “intrinsece malum” vocati sunt: tales semper per se, id est sunt ob ipsum eorum obiectum, nulla agentis eiusque aliorum adiunctorum ratione habita.).

    Das kann man auch, wie ich es bereits andeutungsweise getan habe, zeigen, indem man die üblichen Möglichkeiten der Rechtfertigung oder Entschuldigung ansonsten "falscher Handlungen", nämlich Notwehr/Nothilfe und Strafe dahin überprüft, ob sie auf diesen Fall anwendbar sind. Dabei wird man dann sehen, daß das nicht der Fall ist, in beiden Fällen schlicht deshalb, weil sowohl Notwehr/Nothilfe, wie auch Strafe sich nur gegen die unmittelbaren Angreifer bzw. gegen Schuldige richten dürfen. Eine "Nothilfe via unschuldige Dritte" (Notwehr war es ja ohnehin nicht, da GB aus freien Stücken in den Krieg eingetreten ist - dasselbe Argument würde aber auch für Notwehr gelten) wäre nach keinem mir bekanntem ethischen Ansatz (außer vielleicht einem Extremutilitarismus, der als solcher den Bombenkrieg aber aus einem anderen Grund verurteilen müsste, nämlich weil er nicht das mildeste zur Verfügung stehende Mittel war und daher nicht die optimale Gesamtbilanz der von Individuen präferierten Güter aufwies) zulässig oder auch nur entschuldbar. Zumal diese "Nothilfe via unschuldige Dritte" in diesem Fall den Charakter der Erpressung und des durch den Menschenwürde-Grundsatz verbotenen "Als-Mittel-zum-Zweck-Behandelns" hatte: Gebt auf oder wir ermorden eure Frauen und Kinder!

    Ergo ist der Rechtfertigungs- oder Entschudligungsversuch durch Verweis auf "historische Umstände" hier von vorneherein zum Scheitern verurteilt.


    Zitat

    In diesem Zusammenhang würde mich interessieren, inwiefern es von Alliierter Seite tatsächlich gezielte Angriffe auf Kulturgüter gegeben hat. Die deutschen Angriffe auf Exeter, Bath, etc. (der "Baedeker Blitz") sind mir bekannt. Bei den Alliierten Angriffen hatte ich bisher den Eindruck, daß sie sehr pragmatisch und kühl berechnend ausgerichtet waren (z. B. gute Brennbarkeit der Altstädte durch dichte Bebauung) und Zerstörung von Kulturgütern in Kauf genommen wurde, aber nicht primäres Ziel war.


    Dazu gibt's bei Grayling einige Quellen. Muss ich mir aber erst wieder bei der StaBi ausleihen (das Teil ist ständig vorgemerkt...). Im übrigen: worum sollte es bei der Bombardierung von Hildesheim, Würzburg, Paderborn, Worms, Potsdam usw. jeweils nur wenige Tage oder Wochen vor ihrer Besetzung durch alliierte bzw. sowjetische Truppen denn sonst gegangen sein. Der Krieg war definitiv gewonnen und ließ sich auch durch das o.g. Kalkül nicht mehr verkürzen. Im Falle Potsdam gibt es auch sehr explizite Aussagen der britischen Führung in diese Richtung: "Auschlöschen des preußischen Geistes und der preußischen Kultur" etc.

    Zitat

    Ich persönlich finde diese moralischen Fragen aber für nicht zentral für die Wiederaufbaudiskussion. Was wäre denn erreicht, wenn man zu dem Schluß käme: die Bombenangriffe waren moralisch nicht gerechtfertigt und stellen Kriegsverbrechen dar? Dürften wir dann deshalb (und nur deshalb) unsere Städte wiederaufbauen?


    Nun, es geht nicht um das "Dürfen", sondern darum dem Gegner eine (pseudomoralische) Waffe in der Argumentation aus der Hand zu schlagen und zugleich durch den klaren Aufweis, daß die Ergebnisse, die wir mit Rekonstruktionen korrigieren wollen, Ergebnisse von Kriegsverbrechen waren, selbst den "moralischen Rückenwind" zu bekommen.

  • Ich muss etwas weiter ausholen.

    Der konkrete historische Kontext ist doch folgender:
    Nach jahrelanger Beschwichtigungspolitik gegenueber dem nationalsozialistischen Regime erkennen britische Politiker, dass ihr bisheriges Entgegenkommen nicht zur Friedenssicherung beigetragen hat, sondern dass sich die Nationalsozialisten dadurch offenbar geradezu aufgefordert fuehlen, ihre expansive Politik weiterzubetreiben. Die "Zerschlagung der Resttschechei", der Griff ueber die deutsche Volksgrenze im weiteren Sinne, waere ja eigentlich schon ein Kriegsgrund gewesen. Der Angriff auf Polen (so berechtigt moeglicherweise einige Forderungen hinsichtlich der deutschen Minderheit in Polen, des Status von Danzig etc. waren) nach vorheriger Buendniszusage durch Grossbritannien und Frankreich ist es auf jeden Fall, auch wenn A.H. in seiner Blauaeugigkeit davon ausgegangen sein sollte, dass er so weitermachen konnte wie bisher. Deswegen halte ich es nicht fuer relevant, dass nicht Deutschland, sondern Grossbritannien und Frankreich den Krieg erklaert haben: Der Angriff auf Polen musste als Kriegserklaerung auch an die Westmaechte verstanden werden. In diesem Sinne ist GB nicht aus freien Stuecken in den Krieg gezogen.

    Deutschland entfesselt also einen Krieg, verletzt dabei u.a. auch die Neutralitaet der Niederlande, und geht ruecksichtslos gegen jeden Widerstand vor. Bevor britische Bomben deutsche Staedte erreichen, sind Warschau und Rotterdam bereits schwer zerstoert. Der Krieg gegen Polen wird barbarisch gefuehrt, z.B. werden Intellektuelle gezielt ermordet (von der Verfolgung der Juden ganz zu schweigen). Halb Europa wird besetzt oder ist mit Deutschland verbuendet, so dass im Mai 1940 nur noch Grossbritannien als ernsthafter Gegner uebrigbleibt. Ein grosses Heer hat Grossbritannien noch nie besessen, ein Landkrieg scheint in weiter Ferne. Dagegen verfuegt es ueber eine starke Luftwaffe, mit der man im folgenden (in mehrerer Eskalationsstufen) versucht, den Gegner zu treffen, wo es eben geht. Denn musste Grossbritannien nicht davon ausgehen, dass es als naechstes Opfer einer Invasion wird, oder auf eine andere Art und Weise zum unfreien Vasallenstaat wird? Also ging man daran, das britische Gesellschaftssystem und seine Freiheiten auch nach aussen hin zu verteidigen. Meiner Meinung nach profitieren auch wir heute noch davon, dass damals diese Freiheiten verteidigt wurden.

    Wie bereits ausgefuehrt: Ich halte die Bombenangriffe auf die Staedte fuer moralisch verwerflich. Die oben dargestellten Umstaende jedoch sehe ich durchaus als mildernd an. Die zugrundeliegende Intention war doch, den Krieg zu gewinnen, um das eigene (und moralisch bessere) Gesellschaftssystem zu erhalten und dem besetzten Europa die Freiheit zurueckzugeben. Die zugrundeliegende Intention war nicht, Zivilisten zu toeten. Die Toetung von Zivilisten war nicht Zweck, sondern Mittel zum Zweck. Und ich finde, dass GB damals (Mai 1940) sehr nahe an einer Situation war, die man als Notwehr bezeichnen koennte. Die schnelle Niederlage Frankreichs musste geradezu als Schock gewirkt haben.

    Die von mir vorgebrachten mildernden Umstaende fallen freilich zum Ende des Krieges hin weniger ins Gewicht. Ich glaube, dass hier vieles einem Automatismus folgte - die Maschinerie lief und suchte sich immer neue, noch wenig oder unzerstoerte Staedte. Es gibt zudem viele Aussagen von Harris und auch von Churchill, die wirklich himmelschreiend sind und von einer moralischen Verrohung zeugen. Man sollte aber hier auch nicht unterschlagen, dass London bis zum Schluss von Deutschland aus bombardiert wurde. Wer mal in London war, weiss, dass der dortige Schaden durchaus betraechtlich war. Darueber hinaus war der Krieg Mitte 1944 (nach der erfolgreichen Landung) definitiv verloren, wahrscheinlich schon frueher. Ein verantwortliche Regierung haette zu diesem Zeitpunkt kapitulieren muessen. (Und dieses Forum hier wuerde sich dann auf einige wenige zerstoerte Staedte (Hamburg, Frankfurt, Koeln) konzentrieren, waehrend Dresden, Nuernberg, Wuerzburg, Potsdam u.v.a. weitgehend erhalten waeren.)

    Zitat von "Philon"


    Das kann man auch, wie ich es bereits andeutungsweise getan habe, zeigen, indem man die üblichen Möglichkeiten der Rechtfertigung oder Entschuldigung ansonsten "falscher Handlungen", nämlich Notwehr/Nothilfe und Strafe dahin überprüft, ob sie auf diesen Fall anwendbar sind. Dabei wird man dann sehen, daß das nicht der Fall ist, in beiden Fällen schlicht deshalb, weil sowohl Notwehr/Nothilfe, wie auch Strafe sich nur gegen die unmittelbaren Angreifer bzw. gegen Schuldige richten dürfen. Eine "Nothilfe via unschuldige Dritte" (Notwehr war es ja ohnehin nicht, da GB aus freien Stücken in den Krieg eingetreten ist - dasselbe Argument würde aber auch für Notwehr gelten) wäre nach keinem mir bekanntem ethischen Ansatz (außer vielleicht einem Extremutilitarismus, der als solcher den Bombenkrieg aber aus einem anderen Grund verurteilen müsste, nämlich weil er nicht das mildeste zur Verfügung stehende Mittel war und daher nicht die optimale Gesamtbilanz der von Individuen präferierten Güter aufwies) zulässig oder auch nur entschuldbar. Zumal diese "Nothilfe via unschuldige Dritte" in diesem Fall den Charakter der Erpressung und des durch den Menschenwürde-Grundsatz verbotenen "Als-Mittel-zum-Zweck-Behandelns" hatte: Gebt auf oder wir ermorden eure Frauen und Kinder!

    Freilich wurden Unschuldige ermordet. Ich kenne allerdings auch fast keinen modernen Krieg, wo dem nicht so waere. Utilitaristische Erwaegungen spielen dabei doch eigentlich immer eine Rolle. Selbst bei gezielten Angriffen (wie sie heutzutage bei der Bombardierung von Staedten ueblich sind) kommen doch Unschuldige zu Tode. Es wird abgewogen, wie viele Menschen dabei ums Leben kommen, und ob es das Ziel wert ist. Wenn durch die Bombenangriffe der Krieg tatsaechlich verkuerzt worden waere (was ich nicht weiss, die Briten aber damals auch nicht), waeren insgesamt ("extremutilitaristisch" gesehen) moeglicherweise Menschenleben gerettet worden.

    Deine Argumentation ist insgesamt sehr auf das Individuum bezogen und da sicherlich zutreffend. Der Krieg ist aber in gewissem Sinne ein kollektives Ereignis. Bitte verstehe mich hier nicht falsch: ich sage nicht, dass ich das richtig finde, ganz im Gegenteil. Es zu leugnen, halte ich aber fuer unmoeglich. Schon die Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kombattanten ist zwar einerseits zu loben, andererseits aber von einem individualistischen Standpunkt aus nur schwer zu rechtfertigen. Wieso soll ein Soldat (der u.U. gegen seinen Willen kaempft) legitimes Toetungsziel sein, nicht aber ein ziviler Arbeiter, der (u.U. aus innerer Ueberzeugung heraus) die Kriegswirtschaft stuetzt? Der moderne Krieg stuerzt uns in prinzipiell unloesbare moralische Dilemmata. Es gibt keine gerechten Kriege, allenfalls gerechtfertigte. Und alle teilnehmenden Staaten werden sich auf die eine oder andere Weise die Haende schmutzig machen.


    Zitat


    Im übrigen: worum sollte es bei der Bombardierung von Hildesheim, Würzburg, Paderborn, Worms, Potsdam usw. jeweils nur wenige Tage oder Wochen vor ihrer Besetzung durch alliierte bzw. sowjetische Truppen denn sonst gegangen sein. Der Krieg war definitiv gewonnen und ließ sich auch durch das o.g. Kalkül nicht mehr verkürzen. Im Falle Potsdam gibt es auch sehr explizite Aussagen der britischen Führung in diese Richtung: "Auschlöschen des preußischen Geistes und der preußischen Kultur" etc.


    Ich wuerde z.B. nicht ausschliessen, dass auch taktische Ziele gerade zum Ende des Krieges hin wichtiger wurden. Dresden beispielsweise war ja nicht mehr weit von der Front entfernt im Februar 1945, und zu behaupten, es haette keinerlei militaerische Bedeutung gehabt, halte ich fuer unzutreffend.

    Zitat

    Nun, es geht nicht um das "Dürfen", sondern darum dem Gegner eine (pseudomoralische) Waffe in der Argumentation aus der Hand zu schlagen und zugleich durch den klaren Aufweis, daß die Ergebnisse, die wir mit Rekonstruktionen korrigieren wollen, Ergebnisse von Kriegsverbrechen waren, selbst den "moralischen Rückenwind" zu bekommen.

    Ich hatte neulich eine Festschrift zur Verabschiedung eines Nachkriegsoberbuergermeisters einer kriegszerstoerten Stadt aus dem Jahr 1974 in der Hand. Da wurden zum Wiederaufbau tatsaechlich die moralischen Argumente angefuehrt, die wir so beklagen. Warum nicht rekonstruiert wurde, wurde folgendermassen begruendet (aus dem Gedaechtnis frei zitiert):
    (1) Funktionale Gruende. Die heutige Zeit erfordert andere staedtebauliche Loesungen als die Vergangenheit
    (2) Moralische Gruende
    (a) Es ist moralisch verwerflich, dem Betrachter eines Gebaeudes Dinge vorzuspiegeln, die nicht da sind (z.B. spiegelt eine Rekonstruktion vor, aus der Renaissance zu stammen und Jahrhunderte alt zu sein, dabei ist sie vielleicht erst 10 Jahre alt und stammt aus dem 20. Jahrhundert)
    (b) Es ist moralisch verwerflich, so zu tun, als habe der Krieg niemals stattgefunden

    Interessant finde ich ja immer wieder den Aspekt, dass demzufolge ja nicht nur die Zerstoerung an sich eine Bestrafung darstellt, sondern in diesem Sinne auch die Architektur, die Stelle des Zerstoerten tritt. Hier wendet sich das Argument sicherlich in eine Richtung, die die Modernisten nicht so gerne sehen: Die moderne Architektur als Strafe fuer begangene Verbrechen.
    Einen wichtigen Punkt, den Du angesprochen hast, ist ja auch die Kontingenz der Zerstoerungen. Oder sollten sich die Regensburger moralisch besser verhalten als die Wuerzburger? Und ausserdem: Warum soll nur die Baukunst ihr Scherflein beitragen? Sollten wir nicht daran gehen, systematisch auch die Haelfte des deutschen musikalischen und literarischen Erbes zu zerstoeren?

    Insgesamt habe ich allerdings den Eindruck, dass viele dieser moralischen Argumente nur vorgeschoben sind und der Widerstand gegen Rekonstruktionen haeufig auf ganz andere Dinge zurueckzufuehren ist, in erster Linie auf die Ausbildung der heutigen Architekten (und Baubuergermeister...), und inzwischen auch auf eine aesthetische Abstumpfung weiter Bevoelkerungskreise.

    Was ich immer wieder feststellen muss, ist eine Unwissenheit der Bevoelkerung im Hinblick auf das Ausmass der Zerstoerung unserer Staedte. Hier tut sich auch ein weites, fruchtbares Feld auf, in meinen Augen letztlich fruchtbarer fuer die Akzeptanz von Rekonstruktion als es Diskussionen ueber die Moral der Bombenangriffe (so notwendig diese sind) sein koennen. Fuer mich jedenfalls ist der Schmerz ueber das Verlorene ein entscheidender Antrieb. Dazu muss man aber erst einmal wissen, was verloren gegangen ist.

    Wir sind uns sicherlich einig darin, dass Rekonstruktionen nicht aus moralischen Gruenden zu unterlassen sind. Wenn es nach mir ginge, haetten wir ein sehr langfristig angelegtes, systematisches Programm zur Rekonstruktion der deutschen Staedte. Ich sehe das allerdings nicht aus moralischer Sicht geboten, sondern in erster Linie aus kunsthistorischen Gruenden, aus aesthetischen Erwaegungen und aus Ueberlegungen hinsichtlich der urbanen Lebensqualitaet.

  • @ Candidus und Restitutor:

    Den letzten vier Absätzen stimme ich auch zu. Den Absätzen bis dahin definitiv nicht. Aus moralphilosophischer Sicht ist praktisch jeder von Candidus' Sätzen in diesen Absätzen unhaltbar und steckt voller Denkfehler und Fehlschlüsse.
    Wenn ich übernächste Woche aus dem Urlaub zurück bin, werde ich Candidus' Punkte auch gerne im einzelnen widerlegen.

  • >>Die zugrundeliegende Intention war doch, den Krieg zu gewinnen, um das eigene (und moralisch bessere) Gesellschaftssystem zu erhalten und dem besetzten Europa die Freiheit zurueckzugeben. Die zugrundeliegende Intention war nicht, Zivilisten zu toeten. Die Toetung von Zivilisten war nicht Zweck, sondern Mittel zum Zweck. <<


    Ich persönlich bin davon überzeugt, daß gerade das der Endzweck war, ebenso wie die Vernichtung deutschen Kulturgutes.

    Wenn man einen Krieg gewinnen will - auch "nur" mit Bomben - führt man ihn so, wie die Amerikaner es mit der Ausschaltung der deutschen Industrie und Infrastruktur erfolgreich getan haben. Selbst die Zerstörung von Dörfern und Städten entlang der amerikanischen Marschroute 1944/45 liegt in einer militärischen Logik begründet (unter der übrigens Franzosen, Holländer, Flamen und Wallonen ähnlich litten). Die britische Kriegführung besitzt diese militärische Logik nicht.

    Aber, darüber läßt sich bis in alle Unendlichkeit streiten; ebenso über die Frage, ob GB jemals an der Freiheit irgendwelcher nichtenglischen Völker interessiert gewesen ist. Was ich persönlich sehr bezweifle.

    Nein, die werden gedünstet