Duisburg - Abrisse in Marxloh und Bruckhausen

  • Danke für die Info, ulgemax. Ich habe mich gestern durch das Thema durchgelesen und hatte aufgrund einer scheinbar nebensächlichen Formulierung ( ...sondern auch der Stahlstandort Duisburg dauerhaft gesichert") einen ähnlichen Verdacht (in den letzten Jahren muss man sich bei den immer als Erfolg formulierten Pressemeldungen zunehmend fragen: "Was wird nicht gesagt?").
    Es ist schon unglaublich, dass die Presse heutzutage nur die Pressemitteilungen der Politik mit Strg+C und Strg+V in den Medien verbreitet, unheimlich viel darüber schreibt was passiert, jede dumme Hausfrau oder jeder blöder Baggerfahrer dabei zu Wort kommt, die eigentlichen Beweggründe und die Gründe, warum jeder Protest nur scheitern kann, so gut wie nicht genannt werden. Dies würde ja dem Image der großen Firmen schaden. Komisch auch, dass die großen Firmen als die eigentlichen Verursacher oft ungescholten davon kommen, während die Kommunen bzw. die Politik als die blöden dastehen. Man muss nur diesen Strang lesen, alle schimpfen auf die Stadt, keiner auf die Großindustrie als eigentlichen Verursacher.

  • politikerschelte ist halt immer kostenlos, die hat man gewählt und ist dann enttäuscht oder hat sie nicht gewählt, weil man sowieso alles besser weiss. wie viel ringen und kompromissbereitschaft gerade in der kommunalpolitik zum erreichen selbst kleiner verbesserungen oft notwendig sind, wird dagegen kaum wahrgenommen. das agieren großer konzerne wird dagegen weit weniger öffentlich wahrgenommen. andererseits darf man es sich auch in diesem fall nicht zu einfach machen: den meisten bürgern dürfte das verschwinden dieser einfachen arbeiterbehausungen vermutlich weit mehr egal sein als der mögliche rückzug eines arbeitgebers von der grösse thyssenkrupp. und die paar türken, die in marxloh-abbruchhausen ihr dasein fristen, haben aus verschiedenen gründen dagegen keine lobby zu setzen. aber wer weiss, vielleicht ist für die ein umzug auch gar nicht so unzumutbar? der widerstand gegen die abrisse wurde jedenfalls eher von den verbliebenen privaten hauseigentümern betrieben als von der mehrheit der bewohner (die meisten häuser gehören übrigens längst thyssenkrupp, die haben, zukünftige erweiterungen im blick, über die jahre hinweg hier ordentlich eingekauft...). aber deren interessen sind für sich betrachtet natürlich auch legitim. seien wir ehrlich: ein um jeden preis erhaltenswertes stück duisburg geht hier vielleicht nicht verloren, wohl aber ein stück heimat und industriegeschichte.

  • Hier ist zu erfahren, dass das Rheinische Amt für Denkmalpflege im Jahr 2007 bereits vergeblich vorgeschlagen hatte, das Viertel in DU-Bruckhausen als typische Ruhrgebietsarchitektur unter Denkmalschutz zu stellen.

    Zitat

    Denkmal Bruckhausen

    „Bruckhausen ist ein Stadtteil, der erhalten werden muss.“ Das fordern die Historikerin Katrin Susanne Gems und ihre Mitstreiter. In der Gaststätte „Schwarzer Diamant“ trafen sich die Aktivisten zu einem ersten Arbeitstreffen. Weitere sollen folgen.

    Den Abriss im Februar 2011 wollen sie auf den letzten Metern stoppen. Das hat sich die Gruppe zum Ziel gesetzt. Im vergangenen Sommer kreiste bereits die Abrissbirne: Damals verschwanden elf Häuser. In knapp drei Monaten 50 weitere Gebäude folgen.

    „Wenn wir Bruckhausen abreißen, dann ist das so, als ob Erfurt seine mittelalterliche Innenstadt abreißt“, sagt die Historikerin von der von ihr gegründeten Geschichtswerkstatt Duisburg-Nord. Die junge Frau schreibt zur Zeit ihre Doktorarbeit über die Geschichte des Duisburger Nordena. Die Gebäude, die schon bald dem Erdboden gleichgemacht werden sollen, sind ihrer Meinung nach typische Denkmäler des Ruhrgebiets. Die Planung der Stadt, einen Grüngürtel anzulegen, hält sie für „Unsinn“.

    Mit ihrer Meinung steht Katrin Susanne Gems nicht ganz alleine da. Der Personenkreis aus Bruckhausenern, Marxlohern und Experten, der sich um die Historikerin gescharrt hat, sieht in dem ehrgeizigen Projekt der Stadt eine einzige große Fehlplanung, „die man durchaus mit Stuttgart 21 vergleichen kann“. [...]


    Quelle und Volltext: Der Westen

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Öh und wie stellt man sich das vor? 5 Häuser wie Bombenversehrt stehen lassen oder was? Verwunderlich, dass man von dem Unsinn noch nichts gehört hat bisher.

  • EU-gefördert, dabei kann ohnehin fast nur Unsinn herauskommen. Ich habe erst irgendwas sinistres vermutet, also Auflockerung der Stadtstruktur zur besseren sozialen Kontrolle (beispielsweise gilt Marxloh ja vielerorts als ein Problemstadtviertel). Aber bei solchen Förderprojekten zur "Sozialen Stadt" geht es einfach darum, Gelder auszuschütten und eine Menge an Beteiligten arbeitstechnisch zu beschäftigen und zu ernähren. Die müssen dann für ihr Geld auch irgendetwas erkennbares vorweisen, also wird eben ein "Grüngürtel" geschaffen incl. Häuserabrisse.

  • Zitat

    Ex-Städtebauminister Christoph Zöpel belebt mit einem Brandbrief die Diskussion um den geplanten Grüngürtel in Bruckhausen, für den ganze Häuserzeilen abgerissen werden sollen.
    [...]An längst vergangene und von ihm 1980 gestoppte Zeiten der „Flächensanierung“ fühlt sich Zöpel in seinem Brief erinnert. Ganze Stadtteile und gewachsene Strukturen wurden in den 60 und 70 Jahren plattgemacht, in der Tat mit teils fatalen Folgen. „Der Abriss sollte verhindert werden“ fordert Zöpel nun für Bruckhausen, sieht er in den gründerzeitlichen Häuserfluchten eine „fast singuläre baugeschichtliche Bedeutung“. Als „geradezu widersinnig“ nennt der 68-jährige SPD-Grande die Planungen für einen Grüngürtel. Mit Blick auf die zu 80 Prozent türkischstämmige Bevölkerung sieht der Honorarprofessor der Uni Dortmund im Erhalt der Stadtquartiere „auch einen erforderlichen Beitrag zur Integration von Zuwanderern“.

    „Ich war erschüttert, als ich das sah“, berichtet Zöpel gegenüber der WAZ von seinem Besuch in Bruckhausen, um den ihn sein langjähriger Freund Prof. Roland Günter, streitbarer Vorsitzender der Architekten- und Raumplanervereinigung Deutscher Werkbund, gebeten hatte. Seit 1980 sei ihm solch ein Fall des städtebaulichen Kahlschlags nicht mehr bekannt. Für die veranschlagten 70 Mio Euro, die Aufkauf, Abriss und Grüngürtel kosten, könne man die gründerzeitliche Bausubstanz erhalten, sanieren und als lebendigen Wohnraum erhalten, warnt Zöpel vor den Sünden vergangener Zeiten und fordert einen „neuen Dialog“.


    Sanierung in Bruckhausen mit dem Bagger? - Duisburg | DerWesten

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    (Immanuel Kant)

  • Eine interessante Bilderauswahl zeigst Du da, allesamt Industriebrachen, die EINE (gar nicht so uninteressante) Seite von Duisburg darstellen. Die Realität ist sehr viel vielfältiger und keineswegs so schwarz bzw. grau in grau.

    In Bruckhausen gab es vor Planung des Grüngürtels übrigens nur einen geringen Leerstand, nicht verwunderlich, da die Mieten sehr niedrig waren. Erst die Abrissplanung verbunden mit einer Veränderungssperre im Rahmen der "Sanierung", die es den Eigentümern nicht mehr erlaubt, die Gebäude zu renovieren, ohne Erlaubnis der Stadt zu verkaufen oder Mietverträge, die länger als ein Jahr laufen, abzuschließen oder ihre Häuser zu beleihen hat den heutigen Zustand herbeigeführt. Zusätzlich gewährt man den Mietern eine Umzugspauschale...DIe Veränderungssperre gilt seit dem 01.01.2007.

    Durch die von der EU erzwungenen Umweltmaßnahmen ist die Luft heute in Bruckhausen nicht mehr schlecht. Die Menschen haben gerne in dem kleinen Ort, der fast dörfliche Struktur hat und in dem jeder jeden kennt, gelebt. Nicht wenige Mieter, die sich durch die Umzugspauschale hatten bewegen lassen wegzugehen, sind wieder nach Bruckhausen zurückgekehrt.

    Zur baugeschichtlichen Bedeutung Bruckhausens empfehle ich die Lektüre des hervorragenden Artikels von Thomas Parent, stellvertretender Direktor des LWL-Industriemuseums:

    http://www.geschichtswerkstatt-du-nord.de/pdf/2008-01-01…im_Schatten.pdf

  • Soweit ich weiß, ist aber gerade Dortmund eine der wenigen Städte des Ruhrgebietes die an Einwohnern zulegen oder? Bei Duisburg ist das ja eher, leider muss man sagen, nicht der Fall.

  • Alles kein Grund, Menschen aus ihren Häusern zu vertreiben, sie mit Enteignung zu bedrohen und wirtschaftlich zu ruinieren. Und kein Grund wichtiges Kulturgut zu zerstören, dass für die Zukunft des Ruhrgebiets eine wichtige Rolle spielen könnte.

  • Willy Brandt sagte einst: "Der Himmel über der Ruhr muss wieder Blau werden". Was man sich in den 1960er Jahren kaum vorstellen konnte, ist heute realität.

    Was da in Duisburg derzeit geplant ist, macht traurig und wütend. :gehtsnoch: disgust:) Wieder einmal sollen historisch gewachsene Strukturen sprichwörtlich Plattgemacht werden. Schade, dass man in Duisburg wohl nichts aus der Vergangenheit gelernt. In vielen Städten, zum beispiel in Dortmund Hörde, wurden nach sehr langen uns sehr Emotionalen Diskussionen die Arbeitersiedlungen Alter und Neuer Clarenberg Plattgemacht. Zuvor hatten dort über viele Generationen die Arbeiter des nahen Stahlwerks mit ihren Familien in je einem Siedlungshäuschen gelebt. Die gewachsene und idyllische Struktur hat man dann ende der 1960er Jahre Plattgemacht, um Platz für den "Wohnpark Clarenberg" zu schaffen. Ein netter Name für eine anonyme Hochhaussiedlung. Dabei hätte man die Häuser sehr gut Sanieren können. Das ist sicher auch in Duisburg der Fall. Mit überschaubaren mitteln könnte so ein attraktives Wohngebiet entstehen. Irgendwann wird dann auch sicherlich der Tag kommen, an dem man das Plattmachen der vielen Gründerzeiler bedauern wird.

  • In welchen Straßen abgerissen werden soll, hat die Stadt nicht gemeldet. Sie werden wohl die Planung umsetzen wollen, die sie eigentlich für 2011 gemacht hatten. Ich vermute, dass sie in der Heinrichstraße, die bisher am schlimmsten von Abrissen betroffen ist, weitermachen werden, auch in der Kronstraße und im Beecker Teil auf der Arnold-Overbeck-Straße. Ich kann das aber nur vermuten.

  • Abbruchmaßnahmen sind allerdings bei 1:21 und 1:50 zu sehen.

    @ DortmundWestfalica:
    Verrate uns doch bitte, mit welcher Straßenbahnlinie Du gefahren bist und durch welche Straßen, sowie genau, was wir sehen und welche Bereiche vom Abbruch betroffen sind. Als jemand, der sich in Duisburg nicht auskennt, habe ich jetzt keine Lust, mühsam mithilfe irgendwelcher markanter Punkte rauszukriegen zu versuchen, wo wir hier überhaupt sind. Welche Haltestelle "Beeck Denkmal" ist, geht aus dem Video auch nicht hervor.

  • Also mal wieder verkehrte Welt. Das abgrundtief hässliche Nachkriegsviertel der zweiten Hälfte bleibt erhalten, während die Areale mit Potential verschwinden? Bei solchen Ansichten weiß ich wieder, warum ich in Freiburg wohne.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Besten Dank, DortmundWestfalica, für die Bilder und Informationen, damit man sich auch aus der Entfernung eine Vorstellung machen kann.

    Jetzt ist mir auch klar, was Du von der Straßenbahn aus aufgenommen hast:

    Kaiser-Wilhelm-Straße und Friedrich-Ebert-Straße von Hst. Matenastraße bis mindestens Hst. Beeck Denkmal, Fahrtrichtung Süd bzw. Blickrichtung Ost. Zu sehen ist der Bereich von kurz nach der Eilperhofstraße bis fast zur Stockumer Straße.

    Der betroffene Bereich ist der, der 2:05 gezeigt wird; dann wird der Emscherschnellweg gekreuzt und was südlich davon liegt, ist nicht betroffen.

    Das "angestrebte" Rückbaugebiet ist in http://www.duisburg.de/micro/ggn/medi…biet_Jan_08.pdf dargestellt. Das heißt, dass fast alle Häuser, die im Video bis 2:05 zu sehen sind, verschwinden sollen.



    Ab hier wird der Grüngürtel liegen.


    Das ist wohl die bekannteste Ansicht des Ruhrgebietes. Dieses äußerst stadtbildprägende Haus vor der Kulisse der Industrieanlagen liegt freilich außerhalb des Grüngürtels und wird und daher wohl erhalten bleiben.



    Dieses Haus ist im Video bei 1:21 zu sehen.


    Ist denn davon auszugehen, dass alle in Deinen Bildern der letzten Beiträge gezeigten Häusern fallen sollen? Oder sind auch Gebäude außerhalb des Grüngürtels abgebildet?

  • Zwar liegt dieses Gebäude nicht im geplanten Rückbau bereich,doch galt dies auch nicht für diese Bauwerke die sich hinter der Tankstelle befanden.


    Ja, schon klar. Darauf wollte ich heute auch schon hinweisen. Es kann natürlich auch sonst zu Abbrüchen kommen, die nicht durch die Anlage des Grüngürtels veranlasst sind. Man sollte aber bedenken, dass die Häuser zwischen Thyssen und der verkehrsreichen Friedrich-Ebert-Straße standen.

    Bei dem älteren Gebäude, das an die Tankstelle anschloss, kam ja diese bemerkenswerte Werbung ans Tageslicht.
    http://forum.bauforum24.biz/forum/index.ph…imagelayer=.jpg
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    Berichterstattung über den Abbruch mit diesen und weiteren Bildern: Abriss Thyssen Wohnhäuser Duisburg - Bauforum24 - Bau & Baumaschinen - Das Bauforum

    (allgemeiner Diskussionsstrang von) Duisburg - Beitrag 1
    (allgemeiner Diskussionsstrang von) Duisburg - Beitrag 4

  • In der SZ-Wochenend-Beilage vom 24.03.2012 war ein exzellenter Artikel über die Vorgänge in Bruckhausen. Es ging zum einen um die seit den unseligen "Flächensanierungen" der 70er Jahre altbekannte Taktik der Bewohnervertreibung samt vermuteter mutwilliger Sabotage/Beschädigung z.B. der Dächer noch stehender Häuser zur Beschleunigung des Verfalls. Außerdem ging es um die finanzielle Abhängigkeit der bankrotten Stadt von ihrem mit Abstand größten Arbeitgeber ThyssenKrupp und seine kaum zu bestreitende Einflussnahme durch Spenden etc. auf die Politik der Stadt, insbesondere im Hinblick auf den sogenannten Grüngürtel, dem eine erkleckliche Anzahl gründerzeitlicher Wohnhäuser weichen muss, wie weiter oben ja ausführlich dokumentiert wurde.

    Leider ist mir der sehr emotional, aber gut geschriebene Artikel in den Reisewirren abhanden gekommen, auf der Onlineseite der SZ findet man (oder zumindest ich) auch nichts. Somit ist diese Info relativ wertlos, zumindest scheinen der Abriss eines der wenigen weitgehend geschlossen erhaltenen Arbeiterviertel im Ruhrgebiet aber zunehmend in den Fokus der überregionalen Presse zu geraten. Ob´s was hilft, steht auf einem anderen Blatt...