Frankfurt a. M. in alten Ansichten

  • Aber nicht 3 Jahre nach dem Krieg. Da muss man auch mal realistisch bleiben.

    Wobei man aber sicher die neuerlichen Um-/Wiederaufbauten in jüngerer Zeit kritisieren muss. Da hätte der Originalzustand komplett wiederhergestellt werden müssen.

    Stimme auch zu, dass der Innenraum sehr wichtig wäre (für das Stadtbild ist das Originaldach aber sicher auch nicht unerheblich gewesen). Nicht nur, weil es die Inkarnation deutscher Demokratie ist/war, sondern auch, weil es eine der wenigen Beispiele klassizistischer Kirchenausstattung in D wär.

  • Die Deutsch-reformierte und Französisch-reformierte Kirche in Frankfurt hatten noch weit bedeutendere, da noch aus dem 18. Jahrhundert stammende Ausstattungen im Stil Louis-Seize, die zweifelsfrei zu den schönsten ihrer Art in Deutschland zu zählen waren. Beide Kirchen wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört und nicht wieder aufgebaut. Ich habe eine umfangreiche Lichtdruckmappe über beide Kirchen, leider kann ich die Bilder nicht scannen, weil diese gigantisch sind.

    Neben den paar Bildern, die ich bereits für die beiden Wikipedia-Artikel abfotografiert habe (daher miese Qualität):

    http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsch-reformierte_Kirche_%28Frankfurt%29\r
    de.wikipedia.org/wiki/Deutsch-re ... ankfurt%29

    http://de.wikipedia.org/wiki/Franz%C3%B6sisch-reformierte_Kirche_%28Frankfurt%29\r
    de.wikipedia.org/wiki/Franz%C3%B ... ankfurt%29

    ...verweise ich noch auf dieses herrliche Foto des Innenraums der Französisch-reformierten Kirche, das ich bisher noch nicht bearbeitet habe:


    (Klicken zum Vergrößern)

    Bei Interesse könnte ich in nächster Zeit mal noch mehr der Bilder abfotografieren.

  • Zitat

    Bis 1916 wurden die Gottesdienste der Gemeinde in französischer Sprache gehalten.


    Quelle: aus dem Wikipedia-Artikel zur franzoesisch-reformierten Kirche in [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon]

    Wie in Berlin (franzoesischer Dom) und wahrscheinlich ueberall in Deutschland ist die franzoesische Sprache in der franzoesisch-reformierten Kirche dann wegen der Feindschaft zu Frankreich im 1. Weltkrieg abgeschafft worden.
    In Leiden (Niederlande) gab es ende des 17. Jh. eine franzoesisch-reformierte Gemeinde mit etwa 6000 Mitgliedern. Noch immer wird in der franzoesisch-reformierten Kirche dort der Gottesdienst vollstaendig in franzoesischer Sprache gehalten. Der Anzahl der Mitglieder ist inzwischen auf etwa 60 geschrumpft.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Zitat von "erbsenzaehler"

    Aber nicht 3 Jahre nach dem Krieg. Da muss man auch mal realistisch bleiben.

    Ich meinte ja auch weniger den (durchaus entschuldbaren) provisorischen Wiederaufbau gleich nach dem Krieg, sondern dass dieser provisorische Zustand eben bis heute so geblieben ist. Hätten nicht die "Paulskirchenjubiläen" 1973 und 1998 die Gelegenheit geboten, über eine Komplettrekonstruktion zumindestens nachzudenken?
    Vielleicht hat sich die Stimmungslage bis zum nächsten Jubiläum Anno 2023 ja ein wenig verändert. :zwinkern:

  • Die Innenräume dieser reformierten Kirchen waren schlicht, aber von hoher Qualität, die den Reichtum der Gemeinden widerspiegelte. Übrigens gibt es in Deutschland (wieder) französischsprachiges refomiertes Gemeindeleben in alten Hugenottenkirchen. In Berlin wuchs 1994 nach dem Abzug der französischen Militärseelsorge eine französischsprachige Kirchengemeinde mit der traditionsreichen, auf die 1672 ausgewanderten Hugenotten zurückgehenden Gemeinde der Französischen Kirche zusammen, jetzt "Communaute protestante francophone de Berlin et environs".

    http://www.franzoesische-kirche.de/haus/rundgang/index.html\r
    http://www.franzoesische-kirche.de/haus ... index.html

    Faszinierend ist auch, dass die Hugenotten für ihre Kirchenneubauten im deutschen Exil einzelne Kirchen ("temples") ihrer französischen Heimat kopierten, vor allem den Tempel von Charenton bei Paris.
    Der wirtschaftliche und kulturelle Einfluss dieser Einwanderer war außerordentlich, z. B. für die Offenbacher Lederwarenindustrie, die Pforzheimer Schmuckindustrie und die Aufklärung im Berlin des 18. Jahrhunderts.
    Frankfurt spielte übrigens eine wichtige Rolle als Drehscheibe der Auswanderung der Hugenotten, die von dort aus vor allem nach Preußen weiterzogen.

    http://www.familie-loyal.de/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=45\r
    http://www.familie-loyal.de/modules.php ... cle&sid=45

  • Die Komplimente gebe ich gern zurück für viele spannende Beiträge, die ich gern lese, auch wenn ich nur selten kommentiere. An Fotos der reformierten Kircheninnenräume wäre ich übrigens sehr interessiert! :)

  • Auf dem Bild "Gutenbergdenkmal und Kaiserstraße" sieht man sehr schön die Dächer der noch erhaltenen Häuser in der Kaiserstraße. Da würde sich ja auch einmal eine Rekonstruktion anbieten, zumal die Plätze derzeit ja gewltig aufpoliert werden - allerdings hoffentlich nicht so postmodern häßliche Dächer wie mehrere Häuser am benachbarten Goetheplatz!

  • Ein weiteres sehr schönes Beispiel für das meist im Schatten der gotischen Altstadt stehende, aber dennoch bis 1944 noch so reiche bauliche Erbe des 18. Jahrhunderts war das "Haus zum Wolf", Fahrgasse 16. Es wurde wahrscheinlich 1729 von dem Arzt Johann Friedrich Ochs in einer Mischung aus süddeutschen Barock und französischen Régence erbaut. Das nachfolgende Bild stammt von einem leider recht kleinen Lichtdruck, dessen Vorlage wohl kurz nach 1900 entstanden sein dürfte.


    (Klicken zum Vergrößern)

    Aufgrund der vergleichsweise reichen Behandlung des Gebäudes in der Literatur ist es gut dokumentiert und wäre nach Haus Fürsteneck, dem es aus der Ostseite der Fahrgasse praktisch gegenüber stand, einer meiner Favoriten für eine Rekonstruktion in dieser Ecke, sollte es langfristig mal dazu kommen.

  • Heute gibt es einen besonderen Bilder-Leckerbissen von Peter Becker - zwei Aquarelle, die wie keine anderen seines zumindest mir bekannten Œuvre seinen Titel als "Merian des 19. Jahrhunderts" bezeugen.

    Die zwei Bilder, die er 1887 und 1889 für das "Aquarellzimmer" des kunstbegeisterten Frankfurter Braubereibesitzers und Stadtrats Conrad Binding (ja, genau der!) anfertigte, sind ganz unzweifelhaft zu den schönsten Frankfurt-Ansichten zu zählen, die ein Künstler jemals geschaffen hat!

    Und das, obwohl sie historisieren und die Stadt in ihrer endmittelalterlichen Form um 1600 zeigen - ein Meer aus Türmen und Toren, das schon im 18. Jahrhundert längst nicht mehr bestanden hatte. Da will ich trotz aller Probleme dieser Zeit nochmal etwas vom "finsteren Mittelalter" hören - das Verständnis für städtebauliche Ästhetik dieser Geschichtsepoche ist meines Erachtens unerreicht.

    Ich erspare mir eine weitere Kommentierung der zahllosen Details, über die man ein Lexikon schreiben könnte, und lasse nun stattdessen die Bilder sprechen:

    [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon] zu Anfang des 17. Jahrhunderts

    (Klicken zum Vergrößern)

    Frankfurts Vorstadt Sachsenhausen zu Anfang des 17. Jahrhunderts

    (Klicken zum Vergrößern)

  • Ein hochinteressantes wie schmerzliches Luftbild, das die Zerstörungen der Innenstadt 1945 in einer Totale zeigt (verlinkt, da nicht gemeinfrei):

    http://www.usarmygermany.com/Communities/Frankfurt/Aerials_Frankfurt%201945.htm\r
    http://www.usarmygermany.com/Communitie ... 201945.htm

    Erschreckend aber auch, wie viele zumindest halbwegs intakte Strukturen da noch entlang der heutigen Zeil zu sehen sind. Da platzt einem echt der Kragen, wenn man sieht, was aus dieser zumindest halbwegs wiederaufbaufähigen Prachtstraße geworden ist, der Schandfleck der Innenstadt schlechthin.

    Nochmal zum Vergleich eine Neuerwerbung von mir, die den Bereich der Hauptwache wohl um 1930 zeigt:


    (Klicken zum Vergrößern)

    Spannend vor allem die bei genauem Hinsehen an ihren steilen Dächern erkennbaren, auf winzigen mittelalterlichen Parzellen errichteten Fachwerkbauten, die sich in der Kleinen Eschenheimer Gasse nördlich des Palais Thurn & Taxis mitten im Großstadtgetümmel erhalten hatten. Bezeichnend, dass man hier außer Hauptwache und Katharinenkirche kein einziges Gebäude mehr wiedererkennt! Eine ähnliche Perspektive heute:

    http://maps.live.de/LiveSearch.LocalLive?cp=50.11403525392873~8.678839271164378&scene=29590233&style=o&lvl=1\r
    maps.live.de/LiveSearch.LocalLiv ... le=o&lvl=1

    P. S.: Auf der o. g. Seite finden sich noch einige weitere Bilder aus der direkten Nachkriegszeit:

    http://www.usarmygermany.com/USAREUR_City_Frankfurt.htm\r
    http://www.usarmygermany.com/USAREUR_City_Frankfurt.htm

  • Vielen Dank für die Bilder....Auch wenns mir wieder mal einen Seufzer entlockt hat... :(

    Bilder der US-Streitkräfte sind doch in der Regel automatisch gemeinfrei, von daher sollte es mit der Verwendung doch keine Probleme geben?

    Was sagt sie uns für Unsinn vor?
    Es wird mir gleich der Kopf zerbrechen.
    Mich dünkt, ich hör’ ein ganzes Chor
    Von hundert tausend Narren sprechen.
    Goethe, Faust I

  • Zitat von "RMA"

    Nochmal zum Vergleich eine Neuerwerbung von mir, die den Bereich der Hauptwache wohl um 1930 zeigt:


    (Klicken zum Vergrößern)

    Bezeichnend, dass man hier außer Hauptwache und Katharinenkirche kein einziges Gebäude mehr wiedererkennt!

    Die Situation ist in der Tat desolat, aber "kein einziges" stimmt zum Glück nicht - ich erkenne auf der Postkarte bislang immerhin 13 Gebäude wieder, die heute noch stehen und die man auch auf dem "Live search maps"-Bild sieht (in der Schillerstraße, an der Ecke Schillerstr./Börsenplatz und im Steinweg), darunter auch die Börse. :zwinkern:

    Es schmerzt schon ziemlich, wenn man sieht, was für ein Prachtplatz die Hauptwache (bzw. damals der "Schillerplatz" mal war. Für viele Leute nur wertlose Kaiserzeit-Protzarchitektur, aber was danach kam, war eben besonders schäbig.

  • @Schosgespenst: "nur wertlose Kaiserzeit-Protzarchitektur" ?

    Nicht alle Gebäude im Bild sind mit Kaiserzeit-Protzarchitektur zu bezeichnen. Zumindestens die Hälfte der Gebäude war älter oder von nach 1918.

    Solche Bilder schmerzen, wenn sie verglichen werden mit der heutige Situation. Alles wurde grösser, weniger detailiert, weniger auf einander abgestimmt, wesentlich weniger "Menschlich". Die Masstab ging verloren.
    Alles wurde mehr "Funktionel".

    Übrigens sehe ich mehr romantik in der Fassaden, mehr Steildächer.

    Diese Bilder waren auch einmal von Dresden, Magdeburg u. Berlin, was alles sehr harmonisch und abgestimmt aussah. Besonders die Detaiilierung und Dachlandschaften waren früher sehr schön.

  • Passend zum neuen Avatar das Bild nochmal in groß:


    (Klicken zum Vergrößern)

    Es handelt sich um das bereits in Fachwerkbauten in Frankfurt angesprochene Haus Grünau (Kleiner Kornmarkt 19, heute eine typische Altstadt-Siffecke). Das 1452 erstmals erwähnte Haus könnte tatsächlich in diesem Jahr gebaut worden sein, zeigt es doch den typischen Übergangstil, der in dieser Zeit gerade einsetzt. Die reiche Verwendung gebogener Streben ohne geschnitzte Ornamentik ergab alleine in der Konstruktion ein faszinierendes Fachwerkbild von einer organischen Wirkung, die mich schon öfter an Jugendstil denken liess. Vor allem die konsequente Durchbildung der Konstruktion bis hinauf in den Dachstuhl ist meiner persönlichen Meinung nach der Gipfel der Zimmermannskunst - jedes verwendete Stück Holz ist hier gleichzeitig konstruktives Element und Schmuckstück. Ehrlicher geht's nicht. ;)

    Wegen der kurzen Phase des Übergangsstils, der ab 1550 in die reiche "Hochzeit" mündete, wo die Konstruktion gegenüber der Ornamentik zunehmend zurücktrat, haben sich Häuser dieses Typs bis heute nur ganz wenige (vor allem ungestört durch moderne Fenstereinbauten!) erhalten. Das bedeutendste dürfte neben der Löwenapotheke in Aschaffenburg (bekanntlich Reko) wohl das gewaltige "Hohe Haus" am Schnatterloch in Miltenberg sein.

    Haus Grünau dagegen verbrannte am 22. März 1944 mit der gesamten Altstadt, die unter den hunderten immer noch unter Putz liegenden Häusern wohl manches Juwel solch außerordentlicher Qualität unentdeckt für immer mit ins Grab genommen hat. Zahlreiche Fachwerkfreilegungen in den 1930ern (Haus Grünau wurde 1938 freigelegt) deuteten nämlich darauf hin, dass es zahlreiche Bauten dieses Typs überall in der Frankfurter Altstadt gab, was die bis dato nur romantisch entwickelte These von der "spätgotischen Altstadt" auch wissenschaftlich unterfüttert hat.

  • Leider sind schon wieder die Verlinkungen aller meiner Bilder hier zerschossen, ich werde das nach und nach reparieren. *Seufz*