Berlin-Charlottenburg

  • Nun, aber das war beispielsweise im Historismus ja auch so, da wurde gebaut was gerade angesagt war, mal Neogotik, mal Neorenaissance. Ich sehe das Problem weniger in wechselnden Moden, sondern in der Penetranz einer Moderne, deren naturgemäße Bilderarmut und Ausdruckslosigkeit die allesamt hilflosen Effekthaschereien hervorbringt, mit denen man diesen Mangel zu überspielen versucht.

    In dubio pro reko

    2 Mal editiert, zuletzt von reklov2708 (5. Januar 2015 um 18:05)

  • Strenggenommen war der Historismus auch Effekthascherei. Erst im Späthistorismus wurden Gebäude konsequent durchplant und komponiert. Die typischen Mietskasernenstraßen der Gründerzeit bestehen ja auch meist nur aus vorgeblendeten Fassaden. Das große Plus beim Historismus ist, dass sich alle Fassaden so unterschiedlich sie stilistisch auch sein mögen, zu einem Gesamtensemble zusammenfügen, weil dem Ganzen ein bekannter gewachsener Formenkanon sowie ein Gefühl für die Proportionen zugrunde liegt, der heute anscheinend abhanden gekommen ist. Darüber hinaus war der Historismus, was Materialität und ausführungsqualität des Fassadenschmucks anbelangt, allem was heute in Massen gebaut wird, haushoch überlegen. Schmiedeeisen statt Blech, Naturstein statt Beton. Allein die Rückkehr zu edleren Materialien würde so manch ein zeitgenössisches Bauprojekt aufwerten ohne gleich zum Historismus zurückzukehren.

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.

  • Hier möchte ich das Endergebnis auch einmal vorstellen.

    Ich finde gerad ältere Beiträge dazu von mir hier nicht, ich dachte, ich hätte dazu hier schon einmal etwas gepostet.

    Vorher

    Ergebnis (Balkonverkleidung fehlt noch, hoffentlich kein Glas oder andere Geschmacksverirrungen):



    Bilder von mir, ©Ludolf

    Lob an den Eigentümer und an die Architekten (Architekt Heinrich ) von mir. :thumbup:

  • Ja Lob für die Rekonstruktion der Giebelaufbau und das typische Berliner Dach (mit erhoben Mittelteil). Wiederbestuckung aber sehr minimalistisch. Die quasi Adler lockern die geputzten Fassade etwas auf. Originale Gebäude war aber wesentlich (viel) schwerer bestuckt. Am Erker meistens Eck Sandsteinen und die Umrahmung der Fenster war früher auch viel massiver. Ornamenten (unter Erker, Dachgesimmsen) fehlen.......

    Also etwas aufgewertet und bestimmt besser dann die "Aufwertung" der halbrunde Eckbau am Prager Platz wo die quasi Pilaster sehr kitscherig aussehen und ein schräges Dach total fehlt. Dieses Gebäude am Prager Platz hälte ich für misslungen, weil dieses Gebäude bescheiden gelungen ist, genau wie die sehr beschränkte Wiederbestuckung am Savigny Platz nr 5.

    Fält mich auf das was unter "Wiederbestuckung" versprochen wird auf Plakaten im wirklichkeit sehr minimal auspackt. Eine Art Wiederbestucking der 21. Jahrhundert. eye:)

  • Ja, insgesamt noch zu flach geraten und im Grunde tatsächlich sowas wie "Pseudostuck" aber Wille und Kreativität muss man den Ausführenden auf jeden Fall schon attestieren. Besonders die in mehrere Panele aufgeteilte Adler sind meiner Meinung nach gewitzt und wirklich gut gelungen. :)

  • Ganz streng betrachtet wirkt die Ausführung recht primitiv im Detail. die Fensterverdachungen sind die Katastrophe schlechthin, viel zu flach und klein. Aber das Gebäude in seiner Straßenwirkung ist sicherlich eine Bereicherung.

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  • Ganz ehrlich: Besser geht immer, schlechter aber auch - schaut Euch mal das im Strang "Berlin - vorher, nachher, heute " diskutierte Haus am Prager Platz an, dann kann man hier eigentlich nur dankbar sein! An dieser nicht gerade prominenten und ziemlich geschundenen Ecke Berlins stellt diese Fassadengesaltung jedenfalls eine enorme Aufwertung dar.

  • Klar gehts immer besser oder schlechter! Hier wäre jedoch bei besserer Ausführung eine Wiederbestuckung möglich gewesen, die 1 zu 1 dem Vorkriegszustand entsprochen hätte. Beim heiß diskutierten Haus am Prager Platz verhält es sich völlig anders, da war ausser der groben Kubatur nichts mehr da. In der Lietzenburger Straße fehlte nur der Stuck.

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  • Eine traurige Berliner Besonderheit... Stadtviertel wie in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] oder Hamburg, in Hamburg namentlich Eppendorf, Karo- und Schanzenviertel, wo es praktisch nur bestuckte Altbauten gibt, findet man in Berlin einfach nicht.

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  • Eine traurige Berliner Besonderheit...


    Kann aber auch künftig eine gewisse Stärke sein, weil man entspannter und offenherziger mit den entstuckten Altbauten umgehen kann.

    Ich finde erhaltene Altbauviertel zwar klasse, aber das ziemlich (w)irre und durchlöcherte heutige Berlin lässt eben auch viel Raum für Kreativität. Gerade auf entstuckten Fassaden. Hier kann man mal was in voller Pracht wiederbestucken, dort etwas Kreatives hinzufügen, hier eine Fassadenmalerei anlegen, dort etwas völlig Unerwartetes kreieren... Ich finde das irgendwie auch spannend. Weitgehend erhaltene Historismusviertel gibts eben in fast jeder europäischen Großstadt.

    Die Berliner Situation, ja Berliner Freiheit hingegen ist einmalig. Die sollte klug genutzt werden, gern auch für eine Art "Neo-Jugendstil/Neo-Expressionismus/Neo Art Deco"! :thumbup: Das Ornament bahnt sich seinen Weg zurück in die Stadt.

  • Hier kann man mal was in voller Pracht wiederbestucken, dort etwas Kreatives hinzufügen, hier eine Fassadenmalerei anlegen, dort etwas völlig Unerwartetes kreieren... Ich finde das irgendwie auch spannend. Weitgehend erhaltene Historismusviertel gibts eben in fast jeder europäischen Großstadt.

    Das sollte aber keine Entschuldigung sein. Das "kreative Chaos" erschöpft sich auch irgendwann, weil eben auch beim Verrücktesten, wenn man es zu oft sieht, ein Gewöhnungseffekt eintritt. Spannend ja, aber ein gelungen gestaltetes Quartier sieht für mich anders aus. Der Verzicht auf konsequente Stadtreparatur ist gewissermaßen auch eine Kapitulation vor der "Kratzputzwüste".

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  • An der Ecke Mommsenstraße N°15/Leibnizstraße ist die Tankstelle passé.

    Mal sehen, was dort gebaut werden wird - bitte nicht so ein Schlag ins Gesicht wie Mommsenstraße/Bleibtreustraße.

    Vielleicht könnte man sich gestalterisch an das südlich gegenüberliegende Haus anlehnen? :lockerrot:

    Das Haus Knesebeckstraße N°15 (war wohl ein 60er-Jahre-Bau) wird aktuell abgerissen.

    Der dort entstehende Neubau ('Stadthaus Hugo') wird eine klare Verschönerung bewirken; darüber hinaus wird die alte Baukante wieder aufgenommen werden.

    Beauftrages Architektbüro ist die Berliner Gesellschaft Wiegand und Hoffmann Architekten, von denen hier schon einiges vorgestellt wurde.

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Der Westen mausert sich. :applaus: Charlottenburg-Wilmersdorf ist auch mein Lieblingsbezirk, weil er streckenweise noch sowas "gutbürgerliches" ausstrahlt, was man von anderen Gegenden Berlins ja nicht sagen kann.

    In dubio pro reko

  • Ja, es funktioniert und wirkt hochwertig klassisch-modern, weil der Entwurf bestimmte Akzente aufweist die so ein Haus verschönern. Die geschwungenen Balkone, Gesimsbänder und Sprossenfenster sind es in diesem Fall, die das Ganze aufwerten, ließe man das weg wäre das Gebäude nicht der Rede wert. Erfreulich, daß sich Architekten endlich wieder solchen lange vernachlässigten Gestaltungsfinessen zuwenden.

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