Frankfurt a. M. virtuell vor 1944

  • Zitat von "jörg"

    @ Pilaster

    Wer ist Nikola Hahn?

    Diese Dame war mir vorher auch kein Begriff, Joerg, aber spacecowboy hat sie uns auf der letzten Seite im 3. post auf sie aufmerksam gemacht. Sie schreibt historische Kriminalromane, deren Handlungsort das Alte Frankfurt ist.

    Ich setze noch einmal den schon von ihm gezeigten Buchdeckel ein in der Hoffnung, dass http://www.amazon.de nichts dagegen hat:

    http://img172.imageshack.us/img172/2751/34…57332850zl8.jpg

  • jörg

    Wahnsinnig was für Arbeit dass du da geleistet. Ich bin begeistert von dein Arbeit aber auch Frankfurts Altstadt. Hoffentlich wird es auch ein Tag in Praxis umgesetut.

    @Alle
    Irgendwie errinnert mich Frankfurt sehr an Limburg. Wie ein Grosstadstversion von Limburg.

  • Oder andersrum. Limburg erinnert an das alte Frankfurt. Ziemlich grotesk, dass man als Frankfurter zur Zeit 70km weit fahren muss, um "seine" Altstadt besichtigen zu können... Na hoffentlich ändert sich das bald

  • Hab das mal übernommen. Die Bilder sind traumhaft:

    jörg hat folgendes geschrieben:

  • Mutig Vitruv :daumenoben:

    Auch wenn ich die Abwehrhaltung der DAF-Moderatoren für vollkommen unverständlich und überzogen halte, kann ich Protector aber verstehen, wenn er nicht gesperrt werden will. Auch ohne angemeldet zu sein konnte ich Jörgs Bilder im DAF übrigens bereits sehen. Sie sind wunderbar und regen zum Träumen darüber an, was in Frankfurt alles möglich sein könnte (aber wohl leider nicht so kommen wird).

  • Bitte hier nur noch Diskussion über das Modell (Diskussion über das Kopieren ist im Keller).

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • So, ich mache dann mal - wie versprochen - weiter:

    SAALGASSE

    Das erste Bild zeigt den östlichen Eingang der Saalgasse am Weckmarkt. Ganz links am Rand sieht man ein Ecktürmchen vom Leinwandhaus (errichtet im Jahre 1399), das nach dem Krieg wiederaufgebaut wurde. Dann folgt das Haus zum Storch mit einem Restaurant, das heute ebenfalls noch existiert, allerdings in einem 50er Jahre Neubau. Das Hauszeichen, der an der Ecke angebrachte Storch hat den Krieg übrigens auch überstanden. Der Blick geht in die Gasse hinein. Rechts außerhalb des Bildes befindet sich der Dom. Nach dem Krieg wurde in den 80er Jahren eine postmoderne kleinteilige Bebauung an der Saalgasse errichtet. Heute durchquert man die Gasse u.a., wenn man das Parkhaus Dom-Römer verlässt. Man biegt dann nach links Richtung Mainkai ab.

    Für das nächste Bild gehen wir geradeaus in die Saalgasse hinein und kommen an einen trichterförmigen Platz, der früher sehr oft fotografiert wurde, weil er zu den schönsten Orten Alt Frankfurts gehörte. Bekannt unter dem Namen Saalgassenplatz trug er im Mittelalter die Bezeichnung "Brotmarkt". Beachtet bitte bei den nachfolgenden Renderings die zahlreichen Details der Randbebauung wie Fensterläden, Durchfahrsperren u.a. und schaut nicht nur auf den Domturm, auch wenn er noch so beeindruckend ist! Das grell gelbe Haus (es war wirklich so intensiv angestrichen) trug den Namen Hl. Geist-Eck und hatte seine Bezeichnung vom daneben liegenden Hl. Geist-Hospital, das zu Beginn des 19. Jhds. abgebrochen wurde. Auch der Name der Gasse "Am Geistpförtchen" kommt davon. Links die Durchgangshäuser Zum Scharnhaus (außen) und Zum Häringshock (daneben). Dann die Einmündung der Langen Schirn und das blau angestrichene Haus Zu den drei Fischen.

    Das folgende Bild zeigt die andere Blickrichtung (um 180° gedreht). Zu sehen ist der trichterförimge Zuschnitt des Plätzchens, bevor am Knick hinten die Saalgasse als Gasse weitergeht. Der Brunnen ist - wie alle anderen Brunnen auch, barock und ersetzte einen alten Ziehbrunnen. Er befindet sich heute an der Ecke Hasengasse/Töngesgasse und ist vollständig erhalten.

    Zwischen Saal- und Bendergasse befand sich bis 1944 ein etwa 20 Meter breiter und dicht bebauter Hausstreifen. Die beiden Bilder, die nun folgen stellen die Häuser Zum Scharnhaus und Zum Häringshock vor, die mit ihren jeweiligen Hinterhäusern bis zur Bendergasse reichten und im Erdgeschoss Durchgänge besaßen, in denen sich vom Mittelalter an bis zur Aufhebung des Zunftzwangs im 19. Jhd. Metzgerschirnen befanden. Die Lange Schirn, in denen alle Metzger ihr Fleisch verkaufen mussten, lag ja direkt neben diesen beiden Häusern.

    Nachdem er in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] Jura studiert hatte, führte der junge Johann Wolfgang Goethe seinen ersten und einzigen Prozeß um das Haus Zum Häringshock (Saalgasse 20/Bendergasse 11). Danach durfte er sich ja in Thüringen schriftstellerisch betätigen. Der Höhenunterschied zwischen Saal- und Bendergasse betrug an dieser Stelle etwa 1,10 m, wodurch in den Durchgängen Stufen notwendig wurden. Beide Gebäude wurden barockisiert, sind aber eigentlich gotisch, wie man an den Auskragungen und den Bereichen an der Langen Schirn bzw. der Bendergasse sehen konnte (dazu später) Rechts die Lange Schirn.

    Stilmischmasch an der Einmündung der Metzgergasse in das Saalgassenplätzchen. Die klassizistischen Steingebäude auf der rechten Gassenseite standen auf dem Bereich des abgebrochenen Hl. Geist-Hospitals. Der unregelmäßige Gassenverlauf links resultiert aus Erschließungswegen für die großen Häuser an der Saalgasse, die hier mündeten. Ein Tor ist auf dem Bild auch zu sehen, es gehörte zu Saalgasse 9.

    Das nächste Bild zeigt die Gasse "Am Geistpförtchen" mit Blick Richtung Main. Das klassizistische Torhaus mit einem Belvederchen auf dem Dach ersetzte einen alten Torturm. Die Aussicht vom Belvederchen muss traumhaft gewesen sein, denn von hier aus konnte man den gesamten städtischen Mainbereich überblicken. Heute befindet sich an dieser Stelle erneut ein Torhaus - aus den 50er Jahren und ohne Belvederchen.

    Dieser Blick zeigt die Gassensituation westlich des Saalgassenplatzes. Auf dem Bild ist der langgestreckte gotische Marstall zu sehen, der zum Saalhofkomplex gehörte. Links davor das Doppelhaus "Im Saal". Heute hat der hässliche Erweiterungsbau des Historischen Museums dieses Areal komplett überdeckt. Die Saalgasse mündet aus diesem Grund heute dort, wo einst die Bendergasse auf den [lexicon='Römerberg'][/lexicon] traf. Die Kamera steht etwa im Bereich der Tiefgaragenausfahrt.

    Das nachfolgende Bild zeigt den westlichen Eingang der Saalgasse am [lexicon='Römerberg'][/lexicon]. Links das mächtige Haus Landeck, [lexicon='Römerberg'][/lexicon] 2 (danach, außerhalb des Bildes, die Einmündung der Bendergasse). Das klassizistische Haus rechts befand sich am Fahrtor (Nr. 6), hatte den Krieg unversehrt überstanden und wurde dann zugunsten des Erweiterungsbaus des Historischen Musems abgerissen. :kopfschuetteln: In der Saalgasse befinden sich der Marstall und das Haus "Im Saal".

    MAINKAI UND FAHRTOR

    Angesichts des großen Verlustes im 2. Weltkrieg tut es gut, wenigstens noch ein wertvolles Fachwerkhaus in der Altstadt zu besitzen, nämlich das Haus Wertheym am Fahrtor 1. Links kommt man zum Eisernen Steg, rechts geht es in die Alte Mainzer Gasse

    Gut, zum folgenden Bild brauch ich wirklich nichts zu sagen, das dürften die meisten von euch trotz nachkriegsbedingter Veränderungen erkennen. Das Bild ist vom Eisernen Steg gemacht und man kann nur jedem empfehlen, es sich auszudrucken und übers Bett zu hängen. :lachen:

    Die nächsten drei Grafiken zeigen dem mittleren Mainkai. Die Bebauung ist mit wenigen Ausnahmen klassizistisch und hat keine erwähnenswerten Geschichten zu bieten. Die Kamera befindet sich an der Einmündung der Gasse "Am Geistpförtchen".

    BENDERGASSE

    Na, ist das ein Bild?! Da bekommt man richtig Wehmut beim Anblick der schönsten Frankfurter Altstadtgasse! Die durchgängig fünf- bis sechsgeschossigen gotischen Häuser beherbergten im Mittelalter die Fassbinder, daher der Name Bendergasse. Hinter den Häusern rechts liegt die Saalgasse, auf der linken Seite befanden sich Fünffingerplatz und Handwerkerhöfchen. Heute ist die Bendergasse mit der Kulturschirn restlos überbaut.

    Hier der entgegengesetzte Blick nach Westen Richtung Nikolaikirche, die aber selbst kaum zu sehen ist.

    Die Rückgebäude von Häringshock und Scharnhaus (siehe hierzu Abschnitt Saalgasse) in der Bendergasse, die hier nach links weitergeht und von der man einen Großteil der südlichen Randbebauung sehen kann. Rechts die Lange Schirn.

    Die nördliche Bebauung der Bendergasse (dahinter - wie bereits erwähnt - Fünffingerplätzchen und Handwerkerhöfchen.

    LANGE SCHIRN UND METZGERHÖFCHEN

    Dieser Blick geht die Lange Schirn hinunter Richtung Bendergasse und weiter zum Saalgassenplatz. Die Häuser, in denen die Metzger ihr Fleisch verkauften, waren besonders schmal. Mehrere "Hackklötze" sind auf dem Bild zu sehen. Diese Steine symbolisierten im Mittelalter die wirtschaftliche Selbständigkeit eines Metzgers, auf dem er sein eigenes Fleisch zuschlagen konnte. Da der Metzgereiberuf eine hohe Gewinnspanne hatte, waren die Hackklötze auch eine Menge wert, wenn z.B. Kredite aufgenommen werden mussten. Meist gehörten nur die Schirnen den Metzgern, nicht aber die darüberliegenden Häuser. Die Metzger selbst wohnten nämlich in der Metzger- und Schlachthausgasse, die südlich der Saalgasse lagen und wo sich auch der Schlachthof befand. Nachdem die Metzger sich ab dem 19. Jhd. überall in der Stadt niederlassen durften, verlor die Lange Schirn ihre wichtige Bedeutung. Die unter den Erdgeschossfenstern stehenden Hackklötze (z.B. an dem Roten Haus mit dem Fachwerkgiebel links) dienten bis zur Zerstörung 1944 nur noch touristischen Zwecken, denn in der Langen Schirn gab es keine Metzgerei mehr (außer unter dem Roten Haus, das aber am Markt lag).

    Die nächsten beiden Bilder zeigen das Metzgerhöfchen, und zwar zunächst mit Blick nach Süden und dann mit Blick nach Norden. Es ist eine Nachreichung zum Technischen Rathaus-Areal, weil das Metzgerhöfchen im Zuge dieser Neugestaltung wieder aufgebaut werden könnte. Es befand sich hinter dem Roten Haus.

    FÜNFFINGERPLÄTZCHEN

    Hinter dem [lexicon='Römerberg'][/lexicon] liefen fünf kurze Gässchen zu einem kleinen Platz zusammen, der aus der Luft betrachtet die Gestalt einer Hand mit gespreizten Fingern hatte und so zu seinem Namen kam. Die Häuser zählten zur Goldhutgasse. Das auf zahlreichen Fotos verewigte trapezförmige Haus zum Widder (Nr. 16) ist sicherlich der spektakulärste Bau. Es folgten dahinter das Haus Haderkatze (Nr. 18) und das Haus Hörhorn (Nr. 20). Daneben in grün die "Wilde Frau" (Nr. 7) und hinter dem Baum schaut noch das Haus Goldenes Unterhähnchen (Nr. 5) mit seinem freigelegten Fachwerk heraus. Rechts geht es ins Handwerkerhöfchen, das erst 1938 durch eine Auskernungsmaßnahme entstand.

    Das folgende Bild ist aus der Drachengasse gerendert und zeigt das Haus Zum Widder (links) vor den Rückfronten der Häuser an der Bendergasse, zunächst (in der Mitte) das Haus "Zum Hasen unter den Bendern" (Bendergasse Nr. 24) und daneben - mit einem Durchgang zur Bendergasse - das Pesthaus (freigelegtes Fachwerk, Nr. 26). Hier soll einer Legende zufolge das erste Mal in Frankfurt die Pest ausgebrochen sein. Belegt ist die Geschichte indes nicht. Auf dem Plätzchen standen ein Brunnen und der einzige Baum im Bereich zwischen Dom und Römer.

    Zuletzt auf Wunsch noch ein Luftbild des Areals zwischen Dom und Römer. Die Kamera steht in etwa über dem neuen Haus am Dom in 45 m Höhe (über dem Niveau des Maines). Der Blick geht nach Südwesten. Unten in der Mitte der Hühnermarkt mit dem Roten Haus. Der schräg verlaufende Markt ist noch recht gut zu erkennen. Nach links zieht der Tuchgaden, der unter dem Roten Haus auf den Markt mündet. An dem grüngelben Haus mit den blauen Fenstern beginnt die Lange Schirn ihren Weg nach schräg links oben und wird von der Bendergasse gekreuzt. Oberhalb des grüngelben Hauses mit den blauen Fenstern befinden sich Handwerkerhöfchen und ganz am oberen rechten Bildrand das Fünffingerplätzchen.

    So, mehr gibts dann an Weihnachten ;)
    Bis dahin dürft ihr wieder schreiben und bewerten.

  • @ jörg

    Danke für die Bilder. Du musst unbedingt dafür sorgen, dass die Fankfurter diese Bilder sehen. Wer diese Bilder gesehen hat, kann nicht ernsthaft an einer Rekonstruktion möglichst vieler Gebäude zweifeln. Ein Bild sagt mehr als all die Diskussionen etc. Eine Reko dieses Areals muss einfach gelingen, diese Möglichkeit darf nicht einfach weggeworfen werden. Dies ist eine einmaligen Chance. Bei positivem Resultat könnte es durchaus auch weiter gehen. Es muss einfach klappen.

    APH - am Puls der Zeit

  • Wow... ich hab zwar damals schon viel über die Frankfurter Altstadt gelesen aber deine Renderings sagen mehr als alles was man sonst im Netz so findet... besonders beeindruckend finde ich auch die teilweise sehr bunten Fassaden... soviel zum Thema die Altstadt war schmutzig und dunkel.

    Könnte man eigentlich rein theoretisch auch alle Gebäude auf dem Schirn-Kunsthallen-Areal rekonstruieren? Oder sind diese nicht zur genüge dokumentiert.

    Zum Überzeugen eventueller Reko-Gegner wäre es vielleicht sinnvoll, wenn man das Altstadtmodell in die heutige Zeit transferiert, sprich ein paar Autos in die Straßen stellt und ein paar moderne Schriftzüge an die Häuser klatscht. Mehr machen die Architekten mit Glasklotz-Renderings auch nicht um Stadtleben zu suggerieren.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Absolut fantastische Bilder, insbesondere die Farbigkeit übertrifft (logischerweise) alles, was je außerhalb des Treuner-Modells irgendwo in der Literatur zu sehen war. Eine echte Glanzleistung, Jörg! :applaus:

    Das Metzgerhöfchen zu rekonstruieren ist eigentlich Pflicht. Nachweislich 1280 erbaut ist es ein Kulturdenkmal, das in seiner Bedeutung wohl dem Roten Haus gleichkommt. Allerdings weiß ich nicht, inwiefern es vom Platzbedarf in das frei werdende Areal passen würde?

    Ansonsten kann ich auch nur raten, die Bilder müssten groß auf Leinwand aufgezogen und auf der Zeil zwecks Unterschriftensammlung aufgestellt werden - ich bin sicher, da kämen binnen weniger Tage tausende zusammen.

  • :applaus:

    Wahnsinn! Wirklich tolle Bilder! :)
    Danke dafür und für die schönen Erklärungen.

    Zitat

    Du musst unbedingt dafür sorgen, dass die Fankfurter diese Bilder sehen. Wer diese Bilder gesehen hat, kann nicht ernsthaft an einer Rekonstruktion möglichst vieler Gebäude zweifeln.

    Sehe ich auch so. Die Bilder sind absolut überzeugend. Als kleiner Beitrag hierzu setze ich das Thema jetzt mal auf wichtig. So bleibt es immer oben und vielleicht schaut es dann der eine oder andere mehr an.
    Da fällt mir gerade noch eine Möglichkeit ein, die werde ich aber erst Jörg als PN schicken. ;)

    Zitat

    besonders beeindruckend finde ich auch die teilweise sehr bunten Fassaden... soviel zum Thema die Altstadt war schmutzig und dunkel.

    In der Tat ist die Farbigkeit beeindruckend - man stelle sich zum Vergleich nur mal das TR vor (das zumindest beim Bau als so modern-menschenfreundlich gesehen wurde).
    Diese ganze Mischung aus Farben, Formen, Ecken und Rundungen, so ergeben sich lebendige Städte, und das ohne das Beliebige und Infantile eines Hundertwassers.
    Allerdings: Die Farben auf den Bildern sind wohl - korrigiere mich, Jörg, wenn ich falsch liege - Vereinfachungen i.S.v. "wenn es ein beliebiger bestimmter Farbton war, dann nehme ich davon die reinere, grellere Variante".

    Was sind das denn für Poller? Sahen die so aus?

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • jörg: auch wenn ich nur das wiederholen kann was alle anderen schon getan haben, will ich es trotzdem tun: Phantastisch :applaus:

    Am alten Frankfurt wie du es darstellst gefallen mir vor allem auch die verschlungenen Wege und ungleichmäßigen Fassadenverläufe. Das Fünffingerplätzchen hats mir besonders angetan :daumenoben:

  • @ alle: Zunächst einmal danke für euer Lob.

    @ booni: Was die Datengrundlage zu den Häusern auf dem Areal der Kulturschirn anbelangt, ist es so wie in der übrigen Altstadt, z.B. auch im Bereich des Technischen Rathauses: Die Häuser sind unterschiedlich gut, aber vollständig belegt. Treuner-Skizzen gibt es zu allen Gebäuden, im Handwerkerhöfchen, das erst nach der Kartierung durch die Gebrüder Treuner ausgekernt wurde, existieren Nachträge in den Skizzenbüchern. Gerade für das Handwerkerhöfchen gibt es auch städtische Risszeichnungen, da die Auskernungsmaßnahme 1936-38 von der Stadt durchgeführt wurde und man tlw. umfangreiche Veränderungen an den Gebäuden vorgenommen hat. So was wird in der Regel dokumentiert.
    Was Menschen in den Szenen anbelangt, so wurden in der Presse schon Renderings von mir veröffentlicht, die Menschen zeigten. Diese wurden von der Werbeagentur Equipe (Jürgen Aha, Moderator des Altstadtforums) nachträglich eingefügt, um die Umgebung realistischer wirken zu lassen. Dem habe ich zugestimmt, weil die Renderings einen Bereich zeigten, der rekonstruiert werden soll/kann. Das geht aber in anderen Bereichen der Altstadt nicht. Ich kann z.B. keine Frau im Minirock und auch keinen Skaterboy in die Renderings der Bendergasse setzen, wenn die zur Zeit nicht zur Debatte steht, weil die Schirn drauf sitzt. Die Renderings geben ja auch eigentlich den Zustand der Stadt Ende der 30er Jahre des letzten Jhds. wieder. Und wenn ich Personen im Stil der damaligen Zeit reinsetzen würde, wäre das eher abschreckend.
    Ähnlich verhält es sich mit Geschäftsnamen. Die Geschäfte und ihre Inhaber wechselten schnell in der Altstadt. Es wäre zeitlich ein riesiger Aufwand, diese zu einem bestimmten Zeitpunkt ausfindig zu machen und die Logos bzw. Schaufensterdeko für jedes einzelne Gebäude abzuzeichnen. Und auch hier hätte das ganze eher eine abschreckende Wirkung, wenn man bedenkt, wie sehr sich unsere Zeit mit ihren Möglichkeiten von der damaligen unterscheidet.

    @ Antiquitus: Über das Farbproblem habe ich mir am Anfang des Modellbaus und auch zwischendurch immer wieder intensiv Gedanken gemacht. Die Materie ist recht kompliziert. Es gibt flächenhafte Hausbeschreibungen der Gebrüder Treuner, in denen u.a. auch die Farbe des Anstriches vermerkt ist. Dort findet sich bspw. der Hinweis „Erdgeschoss: rotbraun“. Das ist auf den ersten Blick aufschlussreich, nützt einem aber bei näherer Betrachtung nur bedingt. Das Problem: Man weiß nicht, welchen Farbton genau die Treuners unter „rotbraun“ verstanden haben. Und man weiß auch nicht, wo der Unterschied zu ähnlichen, ebenfalls in den Beschreibungen auftauchenden Farbtönen liegt, z.B. „braunrot“ oder „rötlich braun“ oder „rotbraun, alt“ oder „rotbraun, etwas heller“, von den ganzen Ockertönen, bei denen die Treuners sage und schreibe über 30 Abwandlungen kennen, ganz zu schweigen. Aufschluss hierüber gibt der Blick auf das Treuner-Modell, jedoch nur am Rand, denn die im Inneren liegenden Gassen sind leider nur sehr schwer einsehbar, insb. die Erdgeschosse, die von den darüber liegenden Auskragungen verdeckt werden. Und dann gibt es noch das Problem, dass das Treuner-Modell auch schon 60-70 Jahre auf dem Buckel hat und sich in dieser Zeit die Farbgebung u.U. verändert haben kann (Verblassen). Dies gilt in ähnlicher Weise auch für Farbfotos bzw. farbige Filmaufnahmen aus der Altstadt. Viele Farbfotos wirken z.B. ausgebleicht. Wie man es also dreht und wendet, die genaue Farbgebung der Gebäude bleibt im Dunkeln. Man kommt um eine eigene Entscheidung nicht herum. Und die habe ich folgendermaßen getroffen: Sämtliche von den Treuners angegebenen Farben wurden aufgeschrieben und dann in Gruppen eingeteilt. Jeder dieser Gruppen wurde dann eine bestimmte Farbe zugewiesen, es gibt also in meinem Modell bspw. keinen Unterschied mehr zwischen „rotbraun“, „rotbraun, alt“ und „rotbraun, etwas heller“. Meistens habe ich einen intensiveren Ton gewählt, da ja in der Altstadt Ende der 30er Jahre gerade umfangreiche Sanierungs- und Aufwertungsmaßnahmen liefen und ich so die frische Farbe darstellen wollte. Ich komme übrigens nur mit etwa 40 verschiedenen Hausfarben aus. Die meisten sind Rot-, Braun-, Gelb-, Grau- und Ockertöne. Aber durch die Tatsache, dass die Häuser unterschiedlich zusammenstehen und durch direktes bzw. indirektes Licht, sowie Schattenwürfe entstehen beim Rendern viel, viel mehr Farben. Eine weitere Schwierigkeit ist die zunehmende Größe des Modells. Ich habe in meine Hauptdatei einen großen Leuchtkörper gesetzt (Sonne) und ihm einen Ring indirekter Beleuchtungskörper gegenübergestellt, damit auch die der Sonne abgewandten Seiten der Gebäude nicht dunkel erscheinen. Da das Modell aber – wie gesagt – immer größer wird, muss ich die indirekten Beleuchtungskörper immer weiter nach außen schieben. Dadurch bekommen sie aber untereinander eine größere Distanz, sodass an den Rändern die Gefahr von dunklen Ecken entsteht. Deswegen habe ich mich für eine größere Anzahl indirekter Beleuchtungskörper entschieden. Jetzt habe ich zwar an den Rändern keine dunklen Ecken mehr, aber im Zentrum des Modells, wo alle Lichtkegel zusammentreffen, entsteht eine größere Helligkeit. Dafür habe ich noch keine Lösung gefunden. Das sind so die Schwierigkeiten, mit denen man sich herumschlägt, wenn man eine kriegszerstörte Altstadt virtuell wiederaufbaut. Und das ist ja nur eines von vielen Problemen.
    Zu den Pollern in den Durchgängen der Saal- und Bendergasse, siehe u.a. folgendes Bild

    http://www.altfrankfurt.com/Altstadt/DomWe…/Saalgasse1.htm

    Ob sie farblich so aussahen wie von mir dargestellt, weiß ich nicht, aber es gab sie wohl.

  • Brillant, genial, perfekt - bravo!!!! :applaus:

    Eine Menge Wehmut und etwas Wut sind aber beim Betrachten immer mit dabei (erstens wegen der Zerstörung im Krieg, zweitens wegen der Betonköpfe im Römer sowohl in der 50er Jahren als auch heute... :augenrollen: )

    Wie gesagt, das müssen viel mehr Leute sehen, und zwar vor allem Grüne und schwarze Leute im Römer! Vielleicht lässt es ja doch manch einen nicht kalt. Fast noch wichtiger wäre, daß potentielle Investoren mit solchen Bildern konfrontiert werden. Es war ja vor einigen Wochen schon verlautbart, daß ein Investor, der unbedingt mehr als die 4 verlangten Rekos bauen will, das in Gottes Namen halt auch tun könnte. Wer diese Bilder sieht, kommt vielleicht wirklich auf den Geschmack.

  • Das Bild mit den Pollern auf Altfrankfurt.com stammt übrigens aus Lübbecke's Standardwerk "Alt-Frankfurt. Ein Vermächtnis." - und man sieht sie dort auf mehreren Bildern verschiedener Orte. Ganz offensichtlich war der Autoverkehr schon in den frühen 40ern ein solches Problem geworden, dass man einige Bereiche damit unbefahrbar machen musste (meines Wissen z. B. auch die westliche Einfahrt von "Hinter dem Lämmchen"), damit die Autofahrer nicht alles damit zustellen.

    Wie das nämlich aussieht, kann man gut heute in Höchst mit seiner intakten Altstadt sehen - die eigentlich pittoresken Straßenzüge (v. a. untere Bolongarostraße) sind durch die Tatsache, dass die Bürgersteige faktisch nahtlos mit Blech zugestellt sind, alles andere als ansehnlich.

  • Auf Stadtbild Deutschland gibt es jetzt einen Artikel, der die bisherigen Bilder kompakt zusammenfasst. Sollte einer von euch die Gelegenheit haben, in einem Gästebuch, einem anderen Forum, etc. darauf einen Link zu setzen, dann nehmt sie wahr.
    Ich bin davon überzeugt, dass je mehr Leute sich diese Bilder anschauen, desto mehr für die Reko sind!

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Zitat von "Antiquitus"

    Auf Stadtbild Deutschland gibt es jetzt einen Artikel, der die bisherigen Bilder kompakt zusammenfasst. Sollte einer von euch die Gelegenheit haben, in einem Gästebuch, einem anderen Forum, etc. darauf einen Link zu setzen, dann nehmt sie wahr.
    Ich bin davon überzeugt, dass je mehr Leute sich diese Bilder anschauen, desto mehr für die Reko sind!

    Sehr gute Idee. Die Bilder sind allerdings (topographisch betrachtet) noch etwas ungeordnet, und im oberen Teil könnte man zu vielen Gebäuden noch etwas schreiben. Ich bin leider im Moment beruflich so im Jahresendstress, dass ich kaum zu etwas komme (inkl. Wikipedia), aber bei Gelegenheit könnte ich die Bilder mal topographisch in einen Rundgang ordnen (evtl. mit Querverweisen auf den Stadtplan?) und noch mit geschichtlichen Informationen spicken.

  • Mal flink zwei Beispiele, wie man so einen Rundgang beginnen könnte...

    Wir beginnen unseren Stadtrundgang mit einer für den modernen Frankfurter sofort zuordenbaren Ansicht. Von links nach rechts sehen wir die Häuser Alt-Limpurg, Römer, Löwenstein, Frauenstein und das Salzhaus.

    In der hier gezeigten Form haben nur die ersten drei Häuser den Krieg bzw. Wiederaufbau überstanden, Haus Frauenstein und das Salzhaus wurden nach völliger Zerstörung auf den erhaltenen steinernen Untergeschossen modern wieder aufgebaut, was noch heute umstritten ist. Sie zählten zuvor zu den prächtigsten Patrizierhäusern der Frankfurter Altstadt, das Salzhaus war gar ein Unikum von überregionaler Bedeutung. Im Kern mittelalterliche Fachwerkhäuser wurden die Bauten im Laufe der Zeit von ihren Besitzern repräsentativ umgestaltet: das Salzhaus erhielt 1605 eine vollständige Schnitzfassade in Eichenholz, von deren Qualität man sich noch heute anhand der im Nachkriegsbau integrierten Tafeln des einstigen Untergeschosses überzeugen kann. Die Fassade von Haus Frauenstein wurde im 18. Jahrhundert mit antikisierenden Fresken bemalt. Beide Gebäude wurden im 19. Jahrhundert von der Stadt erworben, die damit ihr Eigentum am [lexicon='Römerberg'][/lexicon]-Ensemble vervollständigte, und aufwändig restauriert.

    Ein Blick nach links zeigt uns, durch die ehemalige wie heutige Limpurgergasse getrennt, die Häuser Klein-Limpurg, Zur Jungfrau, Zum Schrothaus und Lichtenstein.

    Auch diese Gebäude wurden, wie man ihren mittelalterlichen Überhängen und zugleich barocken Giebeln erkennen kann, über die Jahrhunderte mehrfach umgestaltet. Haus Lichtenstein war im Kern ein gotisches Steinhaus, wovon die Stufengiebel zeugen, wurde jedoch aufwändig barockisiert und besaß u. a. prächtige Stuckdecken im Stil dieser Zeit. Bereits an diesem Bild zeigen sich die Folgen des Krieges schon sehr deutlich - kein einziges dieser südlich des Römers stehenden Gebäude hat die Wiederaufbauphase überstanden. Sehr bedauerlich ist in diesem Zusammenhang auch der Abriß der durchaus noch regenerationsfähigen Ruine von Haus Lichtenstein. Den zugehörigen Gebäudeblock, der noch heute vollständig von gesichtsloser Nachkriegsarchitektur geprägt ist, hätte das Gebäude, selbst wenn es nur äußerlich wiederhergestellt worden wäre, erheblich aufgewertet.

  • Wenn du das machen könntest, wäre das natürlich spitzenmäßig.
    Aber da richtige Artikel (zwar fluchs angedacht sind aber) immer sehr lange brauchen, bis sie fertig sind, war es wohl besser, den Artikel erstmal (fast) 1:1 aus den Forenbeiträgen zu machen, damit er da ist.
    Solltest du irgendwann die Zeit finden, die Taube auf dem Dach zu fangen, wäre das natürlich klasse. :)

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.