Frankfurt a. M. virtuell vor 1944

  • Wir hatten ja auf der Mitgliederversammlung schon mit Jörg gesprochen, und ihn u.a. gefragt, warum seine tollen Bilder nicht mit Leben gefüllt worden sind (also in erster Linie mit Menschen). Daraufhin sagte Jörg, dass es ihm um den rein wissenschaftlichen Aspekt geht. Und ja, die Bilder veranschaulichen so auch besser Gebäude, Straßen- und Platzstrukturen.

    Auch von mir noch einmal ganz herzlichen Dank.

  • Großartige Arbeit, Jörg! Absolut überwältigend! Und dabei handelt es sich ausschließlich um Ansichten innerhalb des TR-Areals?

  • Da ich das jetzt schon mehrfach gefragt wurde: Das Modell ist mit 3d studio max gebaut worden. Für ein Haus braucht man etwa einen Tag. Das ist aber nur ein grober Richtwert, denn einige Gebäude sind recht einfach, so dass ich im Fischerviertel schon mal sieben Stück an einem Tag erstellt hab (das war Rekord!), andererseits gibt es auch Gebäude die so komplex sind, dass man an ihnen viele Tage verlieren kann (z.B. Kirchen). Die Goldene Waage hat mich 5 Tage gekostet, das Rote Haus immerhin 3! Und es gibt noch ein Problem: Ich hasse Kirchen! Sie sind nämlich sehr komplex und ihr Nachbau dauert ewig. So ist z.B. nur der Domturm und ein kleiner Teil des Domschiffs fertig, die Nikolaikirche fehlt als einziges Gebäude am [lexicon='Römerberg'][/lexicon] schon seit 2 Jahren (weswegen ich bis heute keinen Rundblick über den Platz rendern kann) und auch die Paulskirche wollte ich eigentlich schon seit längerer Zeit fertig haben (ich hab aber noch nicht einmal angefangen). Falls sich unter euch jemand mit Interesse an Kirchen findet und er außerdem noch mit 3d studio max umgehen kann und das ganze unentgeldlich bauen möchte, ich bin auf jeden Fall interessiert!

  • @ Antiquitus

    Na ja, das Problem mit dem verputzten Fachwerk tangiert mein Modell ja nicht wirklich. Da ist es ja egal. Es wird nur dann schwierig, wenn man die Gebäude in der Realität wieder aufbauen möchte. Ich favorisiere da eine Linie die auch bei der Ostzeile (Samstagsberg) umgesetzt wurde: Die Häuser bekommen das Fachwerk, das sie laut Erbauungszeit und noch bestehenden Vergleichsgebäuden in der Umgebung wohl gehabt hatten. Ansonsten könnte man nämlich auch mit Beton bauen, und da bin ich kein Freund von!

  • Jetzt kommt noch ein Schwall Bilder aus dem Gebiet zwischen Dom und Römer und vom [lexicon='Römerberg'][/lexicon]:

    Blick auf die Goldene Waage mit Belvederchen, rechts im Vordergrund der Domturm

    Blick vom Belvederchen der Goldenen Waage auf den Domturm. Auf diesem Bild ist auch der Brunnen zu erkennen

    Die Goldene Waage von der Seite. Vorne verläuft der markt von links nach rechts

    Nochmal Goldene Waage

    Der Hühnermarkt (Totale)

    Das Rote Haus mit den Schirnen im Erdgeschoss

    Fünffingerplätzchen

    Der Samstagsberg (heute auch als "Ostzeile" bekannt) in seiner Vorkriegsversion

    Der Römer mit dem Salzhaus (rechts)

    Die Westseite des Römerbergs mit dem ursprünglich gotischen Haus Lichtenstein (später barockisiert), heute Neubauten aus den 1950er Jahren

    Als nächstes mache ich den Bereich zwischen Bender- und Saalgasse zugänglich. Dabei handelt es sich jedoch um besonders alte Gebäude von Anfang 2004, die ich nicht ohne weiteres einbauen kann. Ich bräuchte mal so ca. 2-3 Wochen, in denen ich mich nur diesem Viertel widmen könnte. Aber die Zeit hab ich im Moment leider nicht. Daher wirds wohl etwas dauern :( :?

  • Bis auf die letzten 3 Bilder kommen fast alle gezeigten Gebäude für eine mögliche Reko nach dem Abriss des T.R. in Betracht. Gerade beim Hühnermarkt hätte man mal ein Vergleichsbild des heutigen Zustands mit einfügen können. Waschbeton-Tristesse vom Feinsten :gg:

  • Vielleicht könnte man einen Artikel mit Vergleichbildern Modell/Jetzt machen. Jörg, was hälst du denn von sowas?

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Viele Vergleichsbilder sind gar nicht mehr möglich, da in weiten Teilen der Altstadt der ursprüngliche Straßengrundriss überhaupt nicht mehr stimmt. Wir sehen hier ja u. a. rund ein Dutzend Ansichten, die sich auf der vergleichsweise winzigen Fläche alleine zwischen Dom - Römer (dem Herzen der Altstadt) bewegen. Dort ist heute im Prinzip nichts mehr, was man irgendwie vergleichen könnte. In der östlichen Altstadt sieht's genauso düster aus. :augenrollen:

    Zwei Beispiele (schlechte Bildqualität bitte ich zu entschuldigen - es war bedeckt):

    Markt & Dom-Römer-Areal

    Hinter der Samstagsberg-Reko befindet sich ein postmoderner Bau, der das Fünffingerplätzchen zitieren soll, links sieht man das Türmchen des Steinernen Hauses, dahinter das Technische Rathaus, hinter der zu sehenden Treppe befindet sich der Archäologische Garten, dahinter folgt dann auch schon der Dom. Einst bedeutende Straßen und Gassen wie Markt, Bendergasse, Tuchgaden oder Lange Schirn und die gesamten Häuserblöcke, die sie umschlossen, gibt es nicht einmal mehr als Nachkriegsbau oder -straße.

    [lexicon='Römerberg'][/lexicon]

    Nicht einmal der Römer ist mit den Nachkriegsbauten seiner ausgerechnet einst prächtigsten Bauteile, Haus Frauenstein (ursprünglich mit sehr farbiger Rokoko-Bemalung) und dem Salzhaus (eines der schönsten Fachwerkhäuser der deutschen Renaissance mit kompletter Schnitzfassade) von der Moderne verschont - auch die den Südwesten des Ensembles bildenden Fassaden sind primitivster Kubismus, die nicht einmal ansatzweise den barocken Charakter ihrer Vorgangsbauten zitieren; darunter auch das prächtige Haus Lichtenstein (das übrigens auch eine aufwändige, dem Barock entstammende Inneneinrichtung besaß).

  • Wobei diese Römerbergbebauung noch mit das Erträglichste sind, was in jener Zeit überhaupt zu Stande gebracht wurde. Trotzdem, allein schon im Hinblick auf die Vorkriegsbebauung absolut nicht erhaltenswert, sondern zumindest im Fall Kranich und Lichtenstein, vor allem aber bei Salzhaus und Frauenstein eindeutig Reko-Kandidaten.


  • Quelle: http://www.amazon.de">http://www.amazon.de

    Als ich gestern meiner Frau die Bilder von Jörg zeigte, kannte sie, obwohl an historischer Architektur weniger interessiert, dieses und jenes Haus sowie diese und jene Situation. Es stellte sich heraus, dass meine kleine Leseratte historische Kriminalromane von Nikola Hahn gelesen hat, in der die Autorin zum Teil haargenau die Altstadtsituation des ausgehenden 19. Jhd. beschreibt - inklusive Bildern.

    Wer auf historische Kriminalromane aus Frankfurt steht, hier zwei Links:

    http://www.amazon.de/Die-Farbe-Kristall-Nikola-Hahn/dp/3453873734\r
    http://www.amazon.de/Die-Farbe-Kristall ... 3453873734

    http://www.amazon.de/Die-Detektivin-Nikola-Hahn/dp/3548261698\r
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    @ Antiquitus: Gut zu sehen auf dem Bild, dass der Dom auch damals nur einen Stummel als Spitze besaß.

  • Ich habe mal gehört, dass der Dom bis ins 19. Jh eine Glaskuppel auf der Spitze hatte unter der angeblich sogar rauschende Feste gefeiert wurden. Leider weiß ich nicht mehr woher diese Information stammt.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Zitat von "Booni"

    Ich habe mal gehört, dass der Dom bis ins 19. Jh eine Glaskuppel auf der Spitze hatte unter der angeblich sogar rauschende Feste gefeiert wurden. Leider weiß ich nicht mehr woher diese Information stammt.

    F. Lerner, Dr. Bingemer: Führer durch die Goldene Wage. Presse- und Werbestelle der Stadt [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon], [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon] 1935:

    "Wenn man will, trug bis zum Dombrande im Jahre 1867 selbst der Pfarrturm eine Art Dachgarten; denn anstelle der heutigen Spitze endigte die Kuppel in einem gläsernen Häuschen, der sogenannten "Reichslaterne". Zwar hielt hier gewöhnlich nur der Turmwächter Ausguck nach Bränden und Messezügen; aber öfters wurden auch hoch oben über dem Getriebe der Stadt fröhliche Feste gefeiert und manch lustige Geschichte ist noch heute davon im Umlauf."

  • Das Buch habe ich zwar nie gelesen, aber vom Wortlaut her passt es. Dankeschön.
    Scheint aber wirklich gemütlich gewesen zu sein über den Dächern von Frankfurt... ob im Domturm oder in den Belvederchen...
    ... dagegen ist es oben in den Wolkenkratzern eher zugig... gut, die Aussicht ist grandios (wenn grad kein anderer die Sicht versperrt)... aber Leuten mit Höhenangst wie mir wird dort eher schlecht.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Ja klar.. aber die Dachterassen... bei geschlossenen Fenstern natürlich nicht.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • @ spacecowboy

    Also das mit dem historischen Roman ist wirklich interessant. Bisher wusste ich nur, dass die Leute die Häuser wiedererkennen, wenn sie sie in meinem Modell sehen. Jetzt könnte man sagen, na gut, das ist nichts besonderes, aber so einfach ist es nicht. Dass der Wiederkennungswert so hoch ist, ist ein wichtiger Erfolg dieses Modells, und das trotz der Verfremdung, die ich eingebaut habe (fehlende Fassadentexturen). Ich hab mein Modell schon einigen Frankfurtern gezeigt, die die Altstadt noch persönlich gekannt haben, und die Reaktionen waren immer sehr bewegend. Man merkte wie der Anblick der unzerstörten Stadt den Leuten die Zunge löste und sie anfingen zu erzählen. Es waren ganz verschiedene Stories, und vieles war ganz banal („Da bin ich immer zur Schule gegangen“, „In dem Haus wohnte ein guter Freund von mir“, „Da hab ich immer meine warme Fleischwurst gegessen“ usw.), aber diese Geschichten hatten sie schon seit Jahren niemandem mehr erzählt. Manchmal fielen sie den Leuten sogar ganz spontan wieder ein, als sie das gerenderte Foto von einem Ensemble gesehen haben. Manche hatten feuchte Augen vor Freude, je mehr sie vom Modell sahen. Dann kamen natürlich auch die Geschichten vom Krieg und der Zerstörung, von all dem Leid, das diese Generation erfahren musste. Und die meisten haben ja ihr ganzes Leben lang dazu geschwiegen! Ich finde das selbst auch immer sehr bewegend, es lässt einen nicht kalt, wenn jemand neben einem sitzt, der 80 oder 90 Jahre ist und aus einer Zeit erzählt, als er genau so alt war wie ich heute bin. Man merkt an den Reaktionen auch was die Leute wirklich in den Bombennächten verloren haben: Ihre Jugend, die Erinnerung an die schönste Zeit im Leben...
    Bei der Mitgliederversammlung zur Vereinsgründung von Pro Altstadt hab ich auch referiert und Bilder gezeigt und dabei mit dem Publikum ein kleines Spiel gespielt: Ich hab die Leute raten lassen was auf den Bildern zu sehen war. Frage von mir: „Was ist das?“ Antwort aus etwa 50 Kehlen: „Der Garküchenplatz!“ oder „Und das ist das...?“ – „Roseneck!“ Mein Modell scheint den Zweck zu erfüllen, und jetzt erkennen schon Leser Ensembles wieder, die in Romanen nur in Worten beschrieben sind – das finde ich bemerkenswert und cool! :D

  • jörg

    Zitat

    Ich finde das selbst auch immer sehr bewegend, es lässt einen nicht kalt, wenn jemand neben einem sitzt, der 80 oder 90 Jahre ist und aus einer Zeit erzählt, als er genau so alt war wie ich heute bin. Man merkt an den Reaktionen auch was die Leute wirklich in den Bombennächten verloren haben: Ihre Jugend, die Erinnerung an die schönste Zeit im Leben...

    Ich glaube, Du sprichst damit einen ganz wichtigen Punkt an!

    Auch ich habe schon öfters diese Erfahrung gemacht. Es wäre wohl eines der schönsten Geschenke für diese Menschen, wenn man Ihnen diese verloren geglaubten, aber für die Identität so wichtigen Plätze wieder zurück geben könnnte. Machbar ist es , keine Frage und nur eine Frage des Wollens. Das größte Problem sehe man momentan noch in der Generation der Nachkriegskinder, um nicht ständig 68er sagen zu müssen, da diesen bis ins die kleine Zehe eingetrichtert wurde, dass alles vorher dagewesene a priori schlecht war. Ich denke, dass man mit Beharrlichkeit und dem Wissen (und Unwissen derer a la Dreysse), die Kartenblätter der Reko-Befürworter besser sind, als die der Gegner.

    Ich denke, der wichtigste Weg dieses Ziel zu erreichen ist nach wie vor auch die Einbeziehung eines großen Teils der Frankfurter Bürger, da die, vielleicht irre ich mich jetzt, wie ich glaube, noch nicht so viel über die Rekonstruktionsvorhaben in F weiß.

    Ich kann hier nur für mich sprechen, aber jeder Mensch hat doch eigentlich von Geburt an auch einen Schönheitsinstinkt, und wenn man ihn zwischen einem Wiederaufbau der Altstadt oder eines weitern Zubetonierens der Innenstadt entscheiden lassen ließe, würde die Mehrzahl ohne Zweifel für ersteres votieren.