München - Lehel

  • Mal kurz ein anderes Thema und bitte haut mich, wenn es hier schon vorkam (die Suchfunktion hat mir nichts gezeigt): Ist euch bewusst, was mit der großen Kirche St. Lukas in München im Innenraum geschehen soll? Es ist die einzige vollständig erhaltene historistische Kirche in München, bis auf bestimmte Glasfenster ist der Innenraum komplett im Zustand der Erbauung. Jetzt soll tief in die Wirkung dieses Innenraums eingegriffen werden, um einen "Multifunktionsraum" zu erhalten. Dafür wird ein Großteil der Kirchenbänke (mit akuraten Schnitzereien) entfernt, sogar Türen ausgetauscht, große Rampen aufgestellt und allerlei anderes.

    Zur Kirche: https://de.wikipedia.org/wiki/St._Lukas_(M%C3%BCnchen)
    Zum Wettbewerb für den Umbau: https://www.competitionline.com/de/ergebnisse/…d/296208/?print


    Ich will nicht ausschließen, dass ein Teil der Umbaumaßnahmen wirkliche Probleme löst und das Gemeindeleben verbessert; der Eingriff in den Kirchrraum als solcher ist jedoch entsetzlich und mir fehlt der mediale, gesellschaftliche Aufschrei. Oder wenigstens eine Informationspolitik der Gemeinde. Die Zeichnungen des Architekturbüros, das den Wettbewerb gewonnen hat und in sehr abstrakten, blassen Farben daherkommt (so viel zur Sensibilität beim Eingriff in den Kirchenraum) spricht für sich.

    Laut Zeitung soll es im August losgehen.

    "Die Qualität städtischen Bauens resultiert aus einer Generationen währenden, kollektiven Leistung." Hans Kollhoff

  • Der massivste Eingriff ist (neben den fremdkörperartigen Akustikpaneelen) wohl der Hinauswurf von ca. 3/4 der historischen Sitzbänke (die anderen Entwürfe sahen gar eine komplette Entfernung des historischen Gestühls vor, Pfui Teufel!).
    Und das von einer Gemeinde, die sich auf ihrer Website folgendermaßen rühmt:

    Zitat

    Das Kircheninnere wird von der reichen bauzeitlichen historistischen Architektur bestimmt, die sich am Übergangsstil von Romanik zur Gotik orientierte. Bemerkenswert ist auch wohlerhaltene Innenausstattung [...]

    Was für ein Jammer. Man möchte meinen, die 70er seien zurück. Dabei haben sich die damaligen Kahlschläge (so zB geschehen und Jahre später mühevoll und nur teilweise revidiert in der benachbarten Kirche St. Anna im Lehel) wenig rentiert, die gewonnene Leere existiert vielmehr als Selbstzweck. Mir ist unverständlich, wie die zuständigen Behörden so etwas anstandslos hinnehmen können.

  • Danke für die Information, das wusste ich nicht! Dieser Umbau ist anscheinend nicht an die große Glocke gehängt worden (hihi ;) ), deswegen hat es wahrscheinlich auch bisher keinen Protest gegeben. Ich verstehe allerdings nicht ganz, was dort genau gemacht werden soll, aus den verfügbaren Informationen werd ich nicht ganz schlau.
    Wenn der erstplatzierte Entwurf von Lederer, Ragnarsdóttir und Oei zur Ausführung kommt, dann sollen als den großen Hauptraum betreffend anscheinend die seitlichen Kirchenbänke entfernt und der darunter liegende Holzboden durch Terrazzo ersetzt werden, im hinteren Bereich eine Holzdecke entfernt und durch Akustikputz ersetzt werden, die zentralen Sitzbänke gekürzt, einzelne Türen ersetzt bzw. "reaktiviert" werden (heißt das, dass an den Stellen bislang geschlossen war?), die alten Seiteneingänge ebenfalls reaktiviert, ein mobiler Altar in die Mitte gestellt, drei Kronleuchter sowie vor allem Akustikpanels in der Vierung aufgehängt werden.
    Pläne hier: https://www.competitionline.com/upload/images/…ab106e3a6_1.jpg
    https://www.competitionline.com/upload/images/…18ab618bc_1.jpg

    Der Vorplatz vor einem der Seiteneingänge soll anscheinend auch umgestaltet werden, es sind z.B. so komische Treppenabgänge sichtbar, aber ich kapier das Projekt nicht ganz genau:
    https://www.competitionline.com/upload/images/…c7e91b3cf_1.jpg

    Die anderen Zeichnungen sind total kindisch und nichtssagend; wie man mit so einem Präsentationsmaterial eine Ausschreibung gewinnen kann, ist mir schleierhaft.

    Ansonsten soll die Kirche innen restauriert werden und die restliche Originalausstattung drin bleiben, was ja schon mal etwas beruhigend ist. Die in der Luft hängenden Akustikelemente stelle ich mir aber total schlimm vor (die "Kronleuchter" wahrscheinlich auch...), sowas sollte in einer historischen Kirche tabu sein. Das ganze erweckt den Eindruck, dass die Kirche in Zukunft mehr als "Eventraum" dienen soll - ach ja, ich hab oben vergessen zu schreiben, dass in einem Seitenraum eine "Kitchenette", also eine Miniküche eingebaut werden soll. Als Katholik denke ich mir da schon, dass das mal wieder typisch protestantisch-progressiv ist, wie die mit ihren Kirchen umspringen...
    Eine Sache muss man allerdings zugeben: die Kirche hat eine miserable Akustik, ich war dort schon öfter in Konzerten und es ist wirklich ein einziger Brei. Aber für den Gottesdienst hat es bisher auch immer funktioniert, das ist kein Grund, deswegen Akustiksegel aufzuhängen wie in einem Konzertsaal!

    Ich werde mal versuchen, im Pfarrbüro etwas mehr über den bisher sehr obskuren Umbau herauszufinden.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus


  • Als Katholik denke ich mir da schon, dass das mal wieder typisch protestantisch-progressiv ist, wie die mit ihren Kirchen umspringen...

    Leider ist das ja auch in katholischen Kirchen keine Seltenheit mehr, solche modernistischen Verschlimmbesserungen... Das sowas genemigt wird wundert mich nicht. Soweit ich weiß haben da Kirchen ziemliche Freiheiten wenn es neue "liturgische Bedürfnisse" erfordern :S Man sollte sich ein Beispiel an der Heilig-Kreuz-Kirche nehmen. Die wurde aufwendig saniert und tendenziell eher in Richtung ursprüngliche Architektenintention (lässt man mal die praktischen aber hässlichen Strahler außer Acht) und einige Fehler der vergangenen Jahrzehnte revidiert (auch heute noch eher eine Seltenheit in einer historistischen Kirche).

  • Anbei ein paar Fotos der wunderschönen, aber zu entfernenden Bänke, sowie der räumlichen Gesamtsituation in St. Lukas:


    Nach dem Plan der Gemeinde werden ersatzlos entfernt: die Bänke auf der linken...
    (man beachte nicht nur die kunstvoll gefertigten Armlehnen, sondern auch den ebenfalls zu entfernenden Holzsockel mit fein gearbeiteten Lüftungsgittern)

    ...sowie auf der rechten Seite der Kirche:


    Hier ein Gesamtraumeindruck der mittleren und (wieso eigentlich??) zur Seite zu kürzenden bzw vor dem Altar ebenfalls großflächig zu entfernenden Bankreihen:

    Diese Kuppel würde durch die Akustikpaneele verhängt:


    Die Balustrade rechts des Altars (links spiegelbildlich ebenso) soll ebenfalls ersatzlos entfernt werden und "runden Stufen" weichen:

    Und abschließend noch ein Schmankerl: der atmosphärische Gegensatz der Original- im Vergleich zu den schmucklosen Nachkriegsfenstern im Altarbereich:

  • Anbei ein paar Fotos der wunderschönen, aber zu entfernenden Bänke, sowie der räumlichen Gesamtsituation in St. Lukas:

    Warum tut man so etwas? Und wer sind die Auftraggeber? Ist hierfür nicht die Erzdiözese München/ Freising zuständig?

  • Da es sich um eine evangelische Kirche handelt,

    Danke. Ich hatte bisher angenommen daß es sich dabei um ein katholisches Gebäude handel, da "sankt" für die Protestanten eher unüblich ist. Zwar beruhigt es mich nun daß es kein katholisches Gotteshaus getroffen hat bin aber anderweitig immer wieder sprachlos wie die Protestantische Kirche teilweise mit ihrem historischen Erbe umgeht.

  • Danke. Ich hatte bisher angenommen daß es sich dabei um ein katholisches Gebäude handel, da "sankt" für die Protestanten eher unüblich ist. Zwar beruhigt es mich nun daß es kein katholisches Gotteshaus getroffen hat bin aber anderweitig immer wieder sprachlos wie die Protestantische Kirche teilweise mit ihrem historischen Erbe umgeht.

    Es ist wirklich tragisch, was hier passiert.

    Zumal St. Lukas in München in mehrfacher Hinsicht ein Alleinstellungsmerkmal besitzt. Es ist ja nicht nur einer der wenigen, nahezu im Ursprungszustand erhaltenen Kirchenbauten des Historismus im Zentrum, sondern es ist auch - wie man auch an Henrys Irritation sehen kann - eine Besonderheit in religiöser Hinsicht: Im katholischen München ist diese evangelische Kirche eine Demonstration des protestantischen Selbstbewusstseins gewesen. Sie versteckt sich in keiner Weise hinter den katholischen Kirchen, sondern arbeitet mit den Mitteln einer protestantischen Ästhetik auf einem Niveau mit den übrigen Kirchen Münchens. Dieses Gesamtkunstwerk jetzt zu zerstören, ist geradezu krank.

  • Danke für die zustimmenden Bemerkungen. Ich hatte schon Sorge, ihr hier im Münchner Strang ignoriert den Bau vielleicht oder habt ihn schon ageschrieben. Ich bin Ostern in München und wollte mir eine schöne evangelische Kirche für die Osternacht suchen und musste erst entsetzt feststellen, dass die Ostern NICHTS mit diesem wunderbaren Kirchraum anfangen (zum Vergleich: Berliner Dom in der Osternacht, selbst meine nicht religiöse bessere Hälfte war tief bewegt) und dann noch das, was nun architektonisch bevorsteht..

    Übrigens: Auf den innenarchitektonischen Frevel brachte mich der Wikipedia-Artikel. Der sagt nämlich deutlich, was da Übles droht.

    "Die Qualität städtischen Bauens resultiert aus einer Generationen währenden, kollektiven Leistung." Hans Kollhoff

  • Ja, da gebe ich Dir recht @Chalco , diese Kirche wäre für die Osternacht wirklich prädesteniert gewesen. Ich bin selbst jetzt etwas überfragt ob die Protestanten in München die Osternacht begehen, in Berlin ist dies ja wohl häufiger der Fall. Aber vielleicht wäre es für Dich auch interessant die Osternacht in einer katholischen Kirche Münchens zu begehen? Da gibt es gerade in der Innenstadt sehr schöne Messen.

    LG
    Henry

  • Kann zeitgenössische Architektur sich selber noch unterbieten? Sie kann, wie der geplante Neubau des "Forums der Physik" am Englischen Garten zeigt. Erschreckend wie die Entwürfe alle gleich aussehen.


    Zitat

    Bis vor wenigen Jahren noch stand das Gesamtbauvorhaben an diesem Standort unter etwas brisanteren Vorzeichen. Das Gelände besetzt ein historisch gewachsenes Ensemble von Institutsgebäuden der Tierärztlichen Fakultät der LMU, die nach Oberschleißheim in den Norden von München zieht. Die Bestandsgebäude sind nun dem Abriss geweiht, was nicht überall auf Wohlwollen stieß. Mit einer Petition und Gesuchen beim Landesamt für Denkmalpflege versuchte vor allem die Initiative Altstadtfreunde München das großformatige Neubauvorhaben zu verhindern. High-Tech-Forschung brauche jedoch moderne Gebäude, lautete 2016 die Forderung des damaligen Wissenschaftsministers Ludwig Spaenle und des amtierenden LMU-Präsidenten Bernd Huber.

    Forum der Physik am Englischen Garten - Wettbewerbsentscheidung für Neubau der LMU München

    In der Altstadt die Macht, im Kneiphof die Pracht, im Löbenicht der Acker, auf dem Sackheim der Racker.

    Hätt' ich Venedigs Macht und Augsburgs Pracht, Nürnberger Witz und Straßburger G'schütz und Ulmer Geld, so wär ich der Reichste in der Welt.

  • Alle Entwürfe sind in meinen Augen unterirdisch. Allerdings war das absehbar, da bereits der benachbarte Bau des Nano-Instituts eine minimalistische, kalte, abweisende Funktionsarchitektur verfolgt (der ist sogar noch weitaus schlimmer wie ich finde). Alle Gebäude dieses Campus werden wohl in diese Richtung gehen, allein die vorgesehen Kubaturen des Masterplans / B-Plans sind für diese Lage am Englischen Garten eine Zumutung. Mir ist klar, dass ein Physik-Campus heute nicht mehr mit Mansarddach und Sprossenfenstern daherkommen kann, aber mehr als ein paar lieblos hingeklotzte Quader mit Rasterfassade kann man doch sicher erwarten.

    Zu verdanken ist das u.a. Ludwig Spaenle, der hier in bester CSU-Manier einen Hightech-Physik-Campus schaffen wollte. Als Kultusminister in mehrfacher Hinsicht eine unglückliche Fehlbesetzung und gut, dass der Mann endlich weg ist, sein "Erbe" müssen alle Verfechter ästhetischer Baukultur leider noch lange Zeit erleiden.

  • Grauenvoll. Und die Süddeutsche titelt kriecherisch:

    Insgesamt acht neue Bauten werden den Physik-Campus mit seinen Grünzonen prägen.

    Als wären die Grünzonen des Englischen Gartens ein Verdienst dieser geplanten Bausünden.

    Details zur Planung: https://www.ris-muenchen.de/RII/RII/DOK/SI…AGE/4696994.pdf

    Weitere Infos vom Denkmalnetz Bayern: https://www.denkmalnetzbayern.de/index.php/menu…7/seite_id/1668

    Abzureißender, historischer Bestand:

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  • DAS soll abgerissen werden???? Nicht deren Ernst! Das kann nicht wahr sein!

  • Ich denke wenn das alles mit Abrissen von intakten hist. Gebäuden so unvermindert weitergeht,werden in München wie auch in Wien in 70-100 Jahren nur noch einige wenige hist Traditionsinseln übrig bleiben,also kein weitestgehend geschlossenes hist.Stadtbild mehr wie wir es bis jetzt NOCH von diesen Städten kennen.Und an den wenigen Traditionsinseln wird man dann wenigstens gerade noch erkennen können,in welcher Stadt man sich gerade befindet,von den bis dahin städtebaulich/architektonisch einheitlich verwechselbaren Deutschen Städten.