• Zitat von "Johan"

    Aber Philon hat im Prinzip recht: Nürnberg waren halt weniger zerstört als andere Städte.

    Wenn ich die Aussage richtig deute, meint "Johan" damit, daß man beim Wiederaufbau mehr Rücksicht auf die historische städtebauliche Struktur genommen hat, also keine "zweite Zerstörung" eingeleitet hat.

    Denn: Nürnberg wurde im Weltkrieg schon stark zerstört - 50% der Wohngebäude und zwei Drittel der öffentlichen Gebäude waren total bzw. weitgehend zerstört. Ein Großteil des Rests wurde immerhin noch beschädigt.

    Gleichwohl würden der Stadt einige Verfeinerungen der bestehenden Fassaden (wie von "Philon" vorgeschlagen) und ein paar kleine Rekonstruktionen noch gut tun. Ich denke da z.B. an die Moritzkapelle mit dem Bratwurstglöcklein, die Stadtwaage, das Waizenbräuhaus, das Gesellschaftshaus des Industrie- und Kulturvereins, das Toplerhaus und den Welserhof...

  • Ich sehe das auch so wie Johan. Sicher sind etliche Teile der damaligen Altstadt nicht wirklich gut wieder aufgebaut, aber was mir auffiel ist, dass das große Plus von Nürnberg ist: es wurde nicht so mit der Tradition gebrochen. D.h. die Parzellierung wurde weitestgehend erhalten. wenig beschädigte Gebäude wurden eher aufgebaut als, wie andernorts, dem Erdboden gleichgemacht. "Richtige" Dächer und die Verwendung des regionaltypischen Sandstein aus dem Buntsandstein fallen sehr positiv auf. Aus dieser Warte hat die Dame nicht unrecht: bevor man über Rekonstruktionen nachdenkt sollte man sich lieber um die gefährdeten wirklichen alten Gemäuer kümmern und die Energie dazu verwenden, neuerlich wirklich stadtbildzerstörende Auswüchse zu verhindern.

  • Zitat von "Heimdall"

    Denn: Nürnberg wurde im Weltkrieg schon stark zerstört - 50% der Wohngebäude und zwei Drittel der öffentlichen Gebäude waren total bzw. weitgehend zerstört. Ein Großteil des Rests wurde immerhin noch beschädigt.


    Ein erheblicher Teil der nicht völlig zerstörten Gebäude dürfte wirklich sehr stark beschädigt gewesen sein; man betrachte Luftbilder der Altstadt vom Frühjahr 1945 oder die offizielle Schadensberichtskarte der Stadt Nürnberg (beispielsweise im Stadtatlas Nürnberg).

    Zitat von "Kindvon2dresdnern"

    [...] und die Verwendung des regionaltypischen Sandstein aus dem Buntsandstein fallen sehr positiv auf.


    Wobei dieser fast nur bei Repräsentationsbauten des Wiederaufbaus verwendet wurde (dazu zähle ich auch zahlreiche nichtöffentliche Bauten, beispielweise die Niederlassungen wichtiger Banken). Der Großteil der Wohngebäude (hierzu zähle ich auch Häuser, die im Erdgeschloß gewerblich genutzt werden, in den Obergeschossen aber Wohnungen haben), die ja den größten Teil der wiederaufgebauten Häuser, zumindest in der Sebalder Altstadt, ausmachen, wurde aus Ziegel- oder sonstigen Steinen gebaut und verputzt, aber eben meist in rötlichen Farbtönen, teilweise auch mehr ins gelbliche oder in Richtung braun gehend, aber der Sandstein hat bei der Putzfarbe in aller Regel Pate gestanden. Teilweise haben die Fenster eine sichtbare Sandsteinumrandung, der Rest des Hauses ist verputzt (z. B. die Häusergruppe Bergstraße 2/Albrecht-Dürer-Platz 14+16), wofür es auch historische Vorbilder gibt, beispielsweise Weinmarkt 1. Bisweilen (beispielsweise das Wohnhaus des Architekten Kurt Engelhardt, Am Ölberg 11) wurden Ziegel auch als sichtbares Fassadenmaterial verwendet; Ziegelmauern waren im alten Nürnberg zwar nicht sehr häufig, sind aber durchaus vorgekommen, z. B. bei der Moritzkapelle.
    In gewissen Bereichen der Lorenzer Altstadt wurde aber tatsächlich sehr viel Sandstein verwendet, beispielsweise rund um die Lorenzkirche - eher traditionelle Häuser wie die Mohren-Apotheke, die ans Nassauerhaus anschließenden Gebäude oder die Häuser südlich des Admiral-Kinos, aber auch in ihrer sonstigen Gestaltung dem Zeitgeist sehr stark verhaftete Gebäude wie das frühere DUDA-Eck (heute Drogeriemarkt Müller) oder die heutige Raiffeisenbank (ursprünglich Bayerische Staatsbank?) von Sep Ruf. Ruf hat auch beim Germanischen Nationalmuseum viel Sandstein verwendet, beispielsweise bei der Mittelalterhalle oder die gesamte zur Stadtmauer hin gelegene Südfassade des Südbaus - das macht die Gebäude noch lange nicht altstadttauglich, aber zumindest ein kleines bißchen weniger schlimm. Bezeichnenderweise ist das einzige Wohnhaus, das Ruf in der Altstadt gebaut hat (Hirschelgasse/Äußerer Laufer Platz/Äußere Laufer Gasse), verputzt.

  • Die stehengebliebenen Substanzen waren schwerst beschaedigt (hier z. B. an der Adlerstrasse) Wenn man das mitrechnet und die Schadenskarte in der Stadtatlas Nuernberg ansieht, dann duerfte die Zerstoerung der Altstadt einfach 100%-ig gewesen sein.

    Beim Wiederaufbau wurde wirklich fast jeder stehengebliebenen Mauer gesichert und wiederverwendet. Leider fand der Wiederaufbau aber unter dem Gesichtspunkt des Substanzfetischismus statt; was ganz zerstoert war, durfte nicht wiedererstehen. Rekonstruktionen hat es bei Buergerhaeusern nicht gegeben, auch nicht bei den allerwichtigsten. Das Fembohaus wurde wiederaufgebaut, weil die ausgebrannten Mauern noch standen. Der Giebel des viel wichtigeren Pellerhauses wurde nicht rekonstruiert, weil er nicht mehr stand.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • @ Kindvon2dresdnern

    Achtung! In Nürnberg wurden keine Sandsteine aus dem Buntsandstein verbaut, weil es die in der Region gar nicht gibt. Die regionaltypische Bauweise hat hier keine Gebäude mit rotem Sandstein hervorgebracht. Vielmehr ist das was man an den Häusern und Kirchen sieht hell, gräulich oder gelblich grau, ein Hinweis, dass in Nürnberg eher die Gesteine der nahe gelegenen Fränkischen Alb und der Fränkischen Schweiz Verwendung fanden, und das sind Sandsteine bzw. Kalksteine des Jura.

  • Zitat von "jörg"

    [...] Vielmehr ist das was man an den Häusern und Kirchen sieht hell, gräulich oder gelblich grau [...]


    Naja, vieles ist schon auch rötlich, wenngleich nicht kräftig rot; zumindest bin ich der Meinung, daß beispielsweise auf folgendem Foto der Sandstein des Hauses Weinmarkt 1 (ganz links - schönes Beispiel für eine Fassade, die teilweise verputzt ist und teilweise aus sichtbarem Sandstein besteht) erwähnenswerte Rotanteile hat, ebenso die Mauer des Gartens vor dem Sebalder Pfarrhof (unten rechts, im Anschluß an das Haus Weinmarkt 2 - mit wunderbarem Ziergiebel aus Ziegelsteinen) - ich nehme jetzt einfach mal an, daß diese Mauer historisch ist und nicht nach dem Krieg mit ortsfremden Steinen wiederaufgebaut wurde:

    (Bild ist von mir)
    Und ähnliche Farbtöne gibt es häufiger in Nürnberg zu sehen, und zwar nicht nur bei Bauten des Historismus (damals wurden vielleicht schon Steine von weiter her gebracht; ich weiß es nicht, halte es aber für möglich), sondern durchaus auch bei vielen historischen Gebäuden (die Mauthalle wirkt auf mich beispeilsweise auch rötlich, ebenso das Unschlitthaus).
    Allerdings wird die Beurteilung von Farben wohl immer einen gewissen Spielraum lassen; es ist auch gut möglich, daß man Bilder findet, auf denen die von mir genannten Beispiele überhaupt nicht rötlich wirken - dies entspricht aber nicht meiner eigenen Erfahrung.

    Aus der Diskussion, welche Sandsteine das genau sind, halte ich mich aber raus, da ich davon keine Ahnung habe; ich wollte nur was zur Farbe anmerken.

  • Zitat von "Kindvon2dresdnern"

    Ich sehe das auch so wie Johan. Sicher sind etliche Teile der damaligen Altstadt nicht wirklich gut wieder aufgebaut, aber was mir auffiel ist, dass das große Plus von Nürnberg ist: es wurde nicht so mit der Tradition gebrochen. D.h. die Parzellierung wurde weitestgehend erhalten. wenig beschädigte Gebäude wurden eher aufgebaut als, wie andernorts, dem Erdboden gleichgemacht. "Richtige" Dächer und die Verwendung des regionaltypischen Sandstein aus dem Buntsandstein fallen sehr positiv auf. Aus dieser Warte hat die Dame nicht unrecht: bevor man über Rekonstruktionen nachdenkt sollte man sich lieber um die gefährdeten wirklichen alten Gemäuer kümmern und die Energie dazu verwenden, neuerlich wirklich stadtbildzerstörende Auswüchse zu verhindern.

    Das sehe ich nicht so:

    1.) Die Parzellierung wurde nur dort beibehalten, wo noch einiges stand, sprich im westlichen Drittel von St. Lorenz und St. Sebald. Je stärker der Zerstörungsgrad eines Viertel war, umso weniger wurde auch die Parzellierung beibehalten. In der "Sebalder Steppe" wurde, so weit ich das anhand der Pläne und nun auch persönlicher Eindrücke sagen kann, allenfalls der Grundriß der großen Straßen beibehalten.
    Dutzende kleine Gassen im Viertel sind dagegen verschwunden, ebenso die Höfe, Winkel, kleinen Plätze. Außerdem wurden wie anderswo auch, meistens mehrere Parzellen zusammengelegt, so daß heute ein langezogenes Haus steht, wo früher drei bis sechs individuell gestaltete standen. Das Ergebnis ist eine Art "Zeilenbauweise mit ein paar Knicks" drin, aber alles andere als ein Bauen auf den alten Parzellen.

    2.) Dementsprechend können mich auch die Satteldächer kaum trösten. Sie stellen häufig genug den einzigen echten Unterschied zu Kassel, Frankfurt, Hannover oder Bochum dar, sozusagen ein "Frankfurt mit Satteldächern". Genügt euch das wirklich?!

    3.) Zum Thema Sandstein ist bereits das wesentliche gesagt: zumindest in den ältesten Teilen der Stadt, dem östlichen Sebald und dem Burgviertel wurde - nicht anders als in Frankfurt, Kassel oder sonstwo - fast durchgängig mit Ziegeln wiederaufgebaut und mit Betonputz verputzt.

    Mein Fazit ist: das einzige, was den "gelungenen" Nürnberg Wiederaufbau vom "misslungenen" Wiederaufbau in Bochum, Hannover, Kassel, Frankfurt o.ä. unterscheidet sind

    a.) die erhaltenen Ecken im westlichen Drittel der Altstadt (die Altstadt wurde eben doch nur zu 90% und nicht wie Frankfurt zu 100% zerstört)
    b.) die Satteldächer
    c.) die durch nichts zu erschütternde Überzeugung der meisten Nürnberger, es um Lichtjahre besser gemacht zu haben als alle anderen

  • @ Norimbergus

    Gut, du hast recht, die Sandsteine sind rötlicher als von mir vermutet. Aber es sind trotzdem keine Sandsteine aus dem Buntsandstein, denn dieser ist tiefrot, wie man z.B. in youngwoerths Freiburg-Galerie sehen kann, z.B. beim Freiburger Münster oder bei gründerzeitlichen Gebäuden. In dieser Galerie habe ich auch schon einiges zu Buntsandstein und seinem Verbreitungsgebiet geschrieben (bei Interesse dort einfach nachlesen). Da früher immer nur Gesteine verbaut wurden, die in der Nähe vorkommen, muss in Nürnberg der Sanstein bzw. Kalkstein des Jura zu sehen sein, weil dieser in der Fränkischen Schweiz und der Fränkischen Alb ansteht. Und wenn man durch diese Landschaften fährt, sieht man unter Garantie die selben Gesteine wie an St. Sebald oder St. Lorenz (oder weiteren Gebäuden der Stadt). Auch nach dem Krieg wurde mit diesem Material noch gebaut, wie zahlreiche Bilder von Nachkriegsgebäuden in Nürnberg aus diesem Forum beweisen. Ich glaube, ich schreib mal bei Gelegenheit eine längere geologische Abhandlung über die Entstehung Mitteleuropas, aus der hervorgeht, welche Gesteine wo anstehen, und mit was man dann in den nahegelegenen Städten zu rechnen hat, natürlich unterlegt mit entsprechenden Karten. Das kann ich offen machen oder in Auerbachs Keller, je nach dem wie es euch interessiert.

  • jörg: natürlich haben die den Sandstein aus der Umgebung benutzt und nicht euren knallroten aus Hessen geholt. Daher ist die Bezeichnung Buntsandstein wohl auch nicht wissenschaftlich gemeint gewesen. Die Farben hier sind teils sehr unterschiedlich, je nachdem aus welchem Bruch die Blöcke kommen. Aber meistens sind es warme Töne, und öfters auch mal ein bißchen rosa oder rötlich.

    @Kv2D, Philon, Brandmauer, Norimbergus etc.

    Meine, im Ergebnis eher positive, Bewertung zum Wiederaufbau Nürnbergs:
    Ich kenne die Stadt jetzt doch schon ziemlich lange. Wie schon mal geschrieben, war es für mich als Kind ein fast schon traumatisches Erlebnis, als ich (nein, nicht "realisierte") begriff, daß das, was ich sah, alles neu und wiederaufgebaut ist und es das nicht mehr gibt, was ich in den alten Büchern angesehen hatte.

    Als kleinsten Nenner kann man wohl sagen, daß Nürnbergs Altstadt heute kein häßliches Stadtbild hat. Ebenso bezweifelt niemand, daß Nürnbergs alles andere hat als eine gut erhaltene Altstadt.

    Nürnberg - die Metropole der Mittelmäßigkeit. Paßt gut zu diversen Klischees, die die Franken über sich selber haben, und die Nürnberg aufgrund der perfekten Durchschnittsbevölkerung zum Mekka der Meinungsforscher machen.

    Ich denke, meine wohlwollende Tendenz kommt daher, daß es wohl kaum einen Wiederaufbau einer so stark zerstörten Großstadt gegeben hat, bei dem man versucht hat, dem bequemen Weg zu widerstehen und im großen Stil die neue Zeit zu feiern. Gut, in Franken macht man alles im kleinen Stil ... Allerdings sind natürlich auch viele, viele Fehler gemacht worden beim Wiederaufbau der Altstadt.

    Für eine positive Bewertung des Wiederaufbaus spricht:
    - Abzielen auf den Erhalt des Stadtbildes trotz Flächenzerstörung
    - Gesamtwirkung der Altstadt durch prägende Großdenkmäler Burg, Kirchen, Mauer usw. kaum durch Neubauten beeinträchtigt
    - Vergleichsweise starke Orientierung am ursprünglichen Stadtgrundriß
    - Beibehaltung traditioneller Bauformen (Satteldächer, Traufständigkeit, Bauhöhen) mehr oder weniger bis heute
    - Beibehaltung des Stadtgrundrisses und der Straßenzüge im ganz wesentlichen Teil
    - Schneller Wiederaufbau bzw. Rekonstruktion der größten historischen Gebäude (Burg, Sebaldus-, Lorenz-, Frauenkirche; Mauthalle, Rathaus, bestimmte Stadtmauerelemente) hat Entwicklung begünstigt

    Kritik am Wiederaufbau :
    - Autogerechte Verbreiterung, Anlage neuer Schneisen: sind heute die am wenigsten ansehnlichen Ecken der Stadt (Spitalgasse/Bischof-Meiser-Str., Waaggasse, Tetzelgasse, Grasersgasse.
    Daß die autogerechte Verbreiterung ein Fehler und ziemlich kurzsichtig war, zeigt die heutige Nutzlosigkeit der Pisten. Auch wenn ich gerne Auto fahre und mich nicht für einen Öko halte, meine ich doch, daß die Schaffung der Verkehrswege es oft nicht wert war, städtebauliche Werte zu opfern. Aber da war halt die Gewichtung früher anders.
    - Beibehaltung traditioneller Bauformen leider ab ca. 1960 extrem aufgeweicht mit grausamen Ergebnissen (v. a. Lorenzer Seite, aber auch Dresdner Bank, Plobenhof, Johannes-Scharrer-Gymnasium, Parkhaus Hauptmarkt, ...
    - Parzellierung: Da hat Philon natürlich recht, aber nur zum Teil. Es ist auch hier wieder eine Frage des Maßes. Gottseidank gab es keine Enteignungen im großen Stil. Und die "Zeilenbauten" sind ja nicht auf einer grünen Birkenwiese schräg gestaffelt, sondern an den Straßen entlang. Sie sehen nur ziemlich gleichförmig aus. Das war im Vorkriegsstadtbild anders, aber ich unterstelle mal, daß innerhalb von 10 Jahren gebaute Häuser auch im 15. oder 16. Jahrhundert sich ziemlich stark geähnelt haben. Man hätte jedenfalls wohl kaum erhoffen können, daß jemand nach dem Krieg ein handtuchbreites Haus auf seinem Grundstück wieder neu baut. Aber die Parzellierung hat viel mit dem Pragmatismus im Wiederaufbau zu tun gehabt.
    - Die Überzeugung, alles richtig gemacht zu haben, ist natürlich ein Problem. Der Franke ist da ziemlich störrisch.
    Allerdings unterstelle ich auch mal, daß dieses Beschwören des "Richtig-gemacht-Habens" eine Übersprungshandlung ist, um das Verlusttrauma zu verdrängen. Dabei müßte man dem Wiederaufbautrieb doch nur nachgeben :)

    Fortsetzung folgt

  • jörg: Du warst schneller und hast geantwortet, während ich noch getippt habe ...

    Zu den Fehlern beim Wiederaufbau in Nürnberg zählen m. E. noch, daß man sich in seinem Rahmen viel zu wenig um Bürgerhäuser gekümmert hat. Das ist wirklich schlimm und unverzeihlich. Da sind noch Dutzende abgerissen worden, die noch intakt waren bzw. sind einer Art "Flurbereinigung" zum Opfer gefallen.

    Auf der anderen Seite ist es m. E. wirklich unprofessionell und bestätigt das Klischee vom dummen Rekobefürworter, wenn man wirklich ausblendet, welche Leistungen der Wiederaufbau erbringen sollte und erbracht hat - außerhalb von der Wiederherstellung eines Stadtbildes. Natürlich können wir uns aus heutiger Sicht den Luxus erlauben, ein fehlendes Stadtbild zu bemängeln, weil wir sonst alles haben. Damals war das ganz anders.

    Zum Verhältnis der Nürnberger zu ihrer Stadt: Ich glaube, es gibt viele, denen die Altstadt wirklich gut gefällt. Die hätten überhaupt kein Auge für "alte" Straßenzüge. Und wieder andere meinen, Kirchen und Burg sind schön und gut, aber der Rest kann ruhig modern sein, wenn es nicht stört, so wie halt in Nürnberg. Viele kennen auch keine historische Großstadt. Vor allem gibt es kaum eine historische Großstadt mit mittelalterlichem Kern, also woher sollte man eine denn auch kennen?

    Aber wie gesagt, ich finde es auch nicht unangenehm in Nürnberg, wenn auch mir ständig das Herz blutet.

    Was die Position von Frau Lauterbach betrifft, so teile ich ihre Meinung nicht. Die Position ist geprägt von der (vermeintlichen) Mittelknappheit und Frau Lauterbachs Interessenvertretung, möglichst viele Mittel für die Altstadtfreunde zu gewinnen.

    Ich meine auch, daß die Altstadtfreunde mit ihren Maßnahmen schon den richtigen Weg gehen. Rekonstruktionen sind da eher nachrangig. Es gibt so viele bedrohte Denkmäler, deren Restaurierung noch aussteht, daß eine wirkliche finanzielle und arbeitsmäßige Auslastung für die Altstadtfreunde besteht.

    Mangels konkreter Rekonstruktionsprojekte, die Geld kosten könnten, ist die rekonstruktionskritische Position von Frau Lauterbach aber eher unter diplomatischen Gesichtspunkten zu sehen. Sie hat das Amt von Mulzer übernommen, der eine sehr stark polarisierende Persönlichkeit war, und war damit sicher auch gewissem Druck ausgesetzt. Diesen hat sie durch eine Art Entspannungspolitik abgemildert - so meine Spekulation. Auch steht ihr Frau Lauterbach natürlich persönlich frei, eine vermittelnde Haltung einzunehmen.

    Allerdings harmoniert das m. E. nicht so gut mit dem anderen großen Aufgabenfeld der Altstadtfreunde, nämlich der Interessenvertretung für den Schutz der Altstadt vor Bausünden und ensemblewidrigen Entwicklungen. Zwar ist es immer, wie Philon festgestellt hat, eine Gratwanderung, sich gegen Neubaumaßnahmen zu wenden, besonders wenn der Baukunstbeirat etc. dafür sind. Aber es muß auch eine Stimme geben, die immer die bestmögliche Entscheidung im Sinne der historischen Altstadt fordert. Und zwar klar und profiliert. Und dazu gehört auch, sich zu trauen, bei einer Diskussion auch eine Rekonstruktion zu fordern.

    Damit ist aber klar, daß es sich für die Altstadtfreunde nicht widerspricht, Rekonstruktionen zu fordern, auch wenn sie selbst weder Zeit noch Geld dafür haben und ihre übrigen Arbeiten überhaupt nicht weniger wertvoll sind als Rekonstruktionen.

  • Zitat

    Vor allem gibt es kaum eine historische Großstadt mit mittelalterlichem Kern, also woher sollte man sie denn noch kennen?

    Hm... 500 km weiter südlich in Italien, 400 km weiter westlich in Frankreich, 300 km weiter östlich in Tschechien?!

    Ich kann leider im Moment nicht auf alle Punkte eingehen, die baukunst-nürnberg angeführt hat und von denen ich vielen ja durchaus zustimmen würde

    Stattdessen versuche ich mal aus dem Gedächtnis eine Denkschrift aus der Zeit um 1948 zum Wiederaufbau von Münster wiederzugeben, die ich vor über 10 Jahren mal zufällig gefunden hatte. Dort wurden verschiedene Wiederaufbaumodelle im Hinblick auf den anstehenden Wiederaufbau Münsters diskutiert und charakterisiert:

    I. das Modell "Goethehaus": originalgetreue Rekonstruktion

    II. das Modell "Moderne Stadt": Verzicht auf Wiederaufbau und stattdessen Errichtung einer "modernen Stadt" auf neuem autogerechtem Grundriss

    III. das Modell "Nürnberg":
    1.) Rekonstruktion bedeutender sakraler und profaner Bauten, aber nur, wenn noch mehr als 10-20% Bausubstanz erhalten sind.
    2.) Verbot der Rekonstruktion von totalzerstörten Bauwerken, unabhängig von der Bedeutung des Bauwerks
    3.) ungefähre, aber sehr vereinfachende Annäherung an den alten Stadtgrundriß, wobei Parzellen zusammengelegt werden können
    4.) Benutzung regionaltypischer Materialien (Sandstein) ist nicht erforderlich
    5.) für die profanen Einzelbauten: Satteldach, Traufständigkeit, vereinfachtes Aufgreifen der Kubatur, aber keine Rekonstruktion (auch nicht Fassadenrekonstruktion)

    Das "Nürnberger Modell" wurde denn auch in Nürnberg offensichtlich Punkt für Punkt umgesetzt. Möge sich dementsprechend jeder selbst ein Bild machen, was er davon hält.

    Der Verfasser, dessen Name mir leider entfallen ist, schlägt für Münster einen Mittelweg zwischen den Modell "Goethehaus" und dem Modell "Nürnberg" vor, indem er vor allem die Punkte 2.), 4.) und 5.) modifiziert.
    Danach sollen bedeutende Einzelbauten, wenn sie von historischer oder künstlerischer Bedeutung waren, auch bei Totalzerstörung originalgetreu rekonstruiert werden dürfen. Für sonstige Bauten soll es zumindest vereinfachende Fassadenrekonstruktionen geben bzw. geben dürfen. Außerdem sollen regionaltypische Materialien verwendet werden.

    Genau diese Punkte sind es - neben der Vereinfachung des Grundrisses - die ich auch Nürnberg gewünscht hätte und deren "Nürnberger Version" ich eben für die schlimmsten Fehler des Nürnberger Wiederaufbaus halte, weshalb ich diesen eben wirklich nicht so wahnsinnig positiv sehen kann.

    Allerdings funktioniert das Modell, wie ich zugeben muss, noch recht gut da, wo noch einiges erhalten war, wie im Westen der Altstadt. Da wirken die nach dem Konzept von Punkt 5.) wiederaufgebauten 50'iger Jahre-Häuser eben einfach wie einigermaßen gute Füllbauten und werden von den erhaltenen Bauten sozusagen "hochgezogen". Daher hat man trotz Erhaltungsgraden von im Schnitt vielleicht 30% pro Straßenzug erstaunlicherweise doch oft den Eindruck geschlossener Ensembles.
    Genau diese Ecken dürften es auch sein, die den guten Ruf des Nürnberger Wiederaufbaus auch hier Forum begründet haben, sie sind aber eben nicht unbedingt repräsentativ.

    Denn das Modell funktioniert eben gar nicht wo es, wie im östlichen Sebald und im östlichen Lorenz praktisch keine erhaltenen Bauten gibt. Da wirkt sich dann das Rekoverbot der frühen Jahre absolut fatal aus.
    Auf der anderen Seite zeigt dieser Vergleich eben auch, mit wie wenig Mitteln man in Nürnberg Stadtreparatur betreiben könnte: mit wenigen vereinfachenden Fassadenrekos und zwei bis drei Totalrekos pro Straßenzug ließe sich auch im östlichen Sebald und Lorenz zumindest das erreichen, was im westlichen Drittel der Altstadt gegeben ist.

    Wer übrigens Münster kennt, wird festellen, daß das in der Denkschrift entwickelte Konzept dann auch mehr oder weniger umgesetzt wurde.

  • Man hätte sicher vieles anders machen können, dennoch sollte man sich folgenes vor Augen halten:

    1) Die Altstadt war wirklich unglaublich schwer zerstört (siehe Schadenskarte)
    2) Es ist zumindest gelungen eine Ahnung der einstigen Schönheit zu vermitteln
    3) Es wäre mit ganz wenigen Mitteln möglich, das Stadtbild erheblich zu verbessern (Sprossenfenster, Kalkputz). Ich bin mir sicher, dass es irgendwann passieren wird.

    [/url]

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Zitat

    Vor allem gibt es kaum eine historische Großstadt mit mittelalterlichem Kern, also woher sollte man sie denn noch kennen?

    Man nimmt die näschte Zug und fährt nach Regensburg....

    Was ich finde komisch ist, dass es fehlt ein wiederaufgebaute Kernzelle in die Stadt. Ein Mittelpunkt wie ein Marktplatz. In dieser Art und Weise merkt man dass die Neumarkt wird ein form Zentrum mit die Frauenkirche in die Mitte. Die Nürnbergerplatz ist eher öde. Warum will niemand diese Platz wiederaufbauben?

  • Zitat von "Johan"

    Man nimmt die näschte Zug und fährt nach Regensburg....

    Meine feine Ironie ist anscheinend nicht so angekommen :?

    Zitat

    Was ich finde komisch ist, dass es fehlt ein wiederaufgebaute Kernzelle in die Stadt. Ein Mittelpunkt wie ein Marktplatz. In dieser Art und Weise merkt man dass die Neumarkt wird ein form Zentrum mit die Frauenkirche in die Mitte. Die Nürnbergerplatz ist eher öde. Warum will niemand diese Platz wiederaufbauben?

    Manche meinen, es sei jetzt eine homogene geschlossene Bebauung, in der eine Rekonstruktion stören würde.

  • @ Baukunst-Nbg

    1) Wie hat der Denkmalschutz eigentlich reagiert, als das rosa Haus am Markt renoviert wurde? Das ist ja gerade ein Paradebeispiel dafür, wie einfach man ein 50er Jahre Bau in einem "Alt-Nürnberger"-Haus verwandeln kann.

    2) Wie kann man erklären, dass ausgerechnet die nazi-belastete nürnberger Altstadt historisierend wiederaufgebaut wurde? Gerade hier hätte man wegen der Vergangenheit im Dritten Reich einen modernen Wiederaufbau durchsetzen können.

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Morgen !!!,
    ich denke Nürnberg wurde wegen seiner historischen bedeutung wieder halbwegs hergestellt. Wegen dieser bedeutugn wurde es ja ach von den nazis benutzt ( Reichsparteitag gleich Reichtsag, wie in der Goldenen Bulle )

  • Zitat

    2) Wie kann man erklären, dass ausgerechnet die nazi-belastete nürnberger Altstadt historisierend wiederaufgebaut wurde? Gerade hier hätte man wegen der Vergangenheit im Dritten Reich einen modernen Wiederaufbau durchsetzen können.


    Liegt vielleicht auch daran, daß sich der Gedanke, daß die Nazibarbarei natürliche Tochter der deutschen Geschichte sei, erst in den 60ern virulent wird. In den 40ern und 50ern steht nicht ein - erst später und oft bis heute betriebener - baulicher Exorzismus im Vordergrund, sondern die Verlusterfahrung und eine Umgestaltung aus baulichen Gründen (Durchlüftung, Verkehrstauglichkeit, etc.)


    Philon: Kennst Du noch den Namen oder Funktion des Autors? 1947 mußte sich Münster ja bereots die erste Maskerade-Kritik anhören, während in Nürnberg 1947 der Altstadt-Wettbewerb veranstaltet wurde, also ein "Modell Nürnberg" eigentlich noch nicht bestand.


    Ein der Wettbewerbsgewinner 1947 war ja übrigens auch der Vorschlag, nur einen schmalen Streifen von Burg zum Bahnhof (via historica) wiederherzustellen. Nur mal so als Beispiel, was auch "drin" gewesen wäre und was man doch geleistet hat.

  • @ davila:
    Ich erinnere mich leider nicht mehr an den Namen. Ich hatte das Teil mal vor fast 15 Jahren in der Bibliothek des Historischen Seminars in Tübingen in der Hand, wo ich zu der Zeit im Rahmen eines Seminar über Reichsstädte in der Frühen Neuzeit ein Referat über die Stadtsoziologie und -geographie Nürnbergs (!) im 16. Jahrhundert gehalten habe. Das war überhaupt vielleicht die Initialzündung für meine Beschäftigung mit dem Thema Rekonstruktionen (so schließen sich die Kreise ...)

    Dein Einwand gegen meine Datierung scheint mir sinnvoll zu sein. Mir ist nur noch die detaillierte Gegenüberstellung der vier Modelle in Erinnerung geblieben.
    Wahrscheinlich handelte es sich eher um eine spätere Denkschrift (1949/1950), in der nicht ein Vorschlag für Münster gemacht wurde, sondern sozusagen das bereits in der Realisierung befindliche "Modell Münster" durch den Vergleich mit den anderen Modellen gegen die anbrandende Kritik verteidigt wird. Das scheint mir jetzt die plausiblere Einordnung; ich hatte das wohl falsch in Erinnerung (oder schon falsch verstanden, weil ich damals die ganze Vorgeschichte der zeitgenössischen Kritik am Münsteraner Wiederaufbau nicht kannte). Der Tenor der Schrift war halt, wenn ich mich recht erinnere: " [...] wird es anderswo gemacht, aber in Münster soll es [...] sein." Das hat vermutlich mein Mißverständnis verursacht, es handele sich um einen Vorschlag statt um eine Apologie, die es offensichtlich war.

  • Zitat

    Zitat:
    Was ich finde komisch ist, dass es fehlt ein wiederaufgebaute Kernzelle in die Stadt. Ein Mittelpunkt wie ein Marktplatz. In dieser Art und Weise merkt man dass die Neumarkt wird ein form Zentrum mit die Frauenkirche in die Mitte. Die Nürnbergerplatz ist eher öde. Warum will niemand diese Platz wiederaufbauben?


    Manche meinen, es sei jetzt eine homogene geschlossene Bebauung, in der eine Rekonstruktion stören würde.

    Schon heute stoeren die Frauenkirche, der Schoene Brunnen und die IHK die homogene geschlossene Bebauung aus 50ern und 60ern, oder? :gehtsnoch:

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Brandmauer. Bauten der 50-er und 60-er Jahren sind im meinen Augen auch die am schlechtesten gelungen Füllbauten, weil alle diese Wiederaufbauten allen zu monotone Fassaden haben. Auch wenn Sandstein im fassaden angewendet wird und/ oder Sprossenfenster dann nützt das noch nicht, wenn die Fassade kein "abwechslung" aufweisst.

    Genau das trift mich so wenn ich die viel bessere gelungen Füllbauten foto's sah von Rostock (quasi Gründerzeithaus!!) oder die gut gelungen Füllbauten in der Friedrichstadt in Dresden. Sehe für beiden Beispielen die Bildergalerie unter "Rostock" oder "Friedrichstadt".

    Dieser Art von Füllbauten können fast überall die geschundenen Gründerzeitviertel gigantisch aufwerten (sogar heilen).

    Stell dich vor das heute in der Münchenerstrasse in Berlin die schreckliche Nachkriegsbauten abgebrochen würden und diese Art von Füllbauten dort ihren Plätze einnehmen könnten: wie gesagt einen enormen Aufwertung.