• Aha, und ich dachte, dass ab dem 1. Mai 1937 irgend etwas war, und der Eintritt Schmeißners in die Partei mit vielen andern Eintritten zusammen fiel. Manchmal sucht man halt zu weit... :smile:

    Ich muss mich korrigieren, da war doch was. Ich habe gerade nachgelesen: Im April 1937 hatte die NSDAP die seit 1933 geltende Aufnahmesperre für "Neumitglieder" gelockert. Damit durften nun auch Leute eintreten, die Mitglieder von NSDAP-Organisationen waren, aber wegen der Aufnahmesperre von 1933 nicht Mitglieder der Partei hatten werden können.


    Außerdem wurde - für alle anderen - der neue Status eines "Parteianwärters" eingeführt, und da wird jetzt der 1. Mai 1937 interessant: Denn dieser Status wurde pauschal zum 1. Mai 1937 verliehen, egal wann der Antrag auf Verleihung dieses Status gestellt wurde. Allerdings handelte es sich bei den "Parteianwärtern" eben nicht um Mitglieder und bei der Verleihung des "Anwärterstatus" nicht um einen Eintritt im rechtlichen Sinn. Das war wohl so eine Art "Mitgliedschaft light".


    Von daher hatte ich das (trotz einer dunklen Erinnerung aus dem Geschichtsstudium) nicht mit der Angabe zu Schmeißners Eintritt in Verbindung gebracht. Außerdem hat mir der 1. Mai nichts gesagt, weil die o.g. Lockerung schon seit April in Kraft war. Schmeißner muss also schon vor 1937 irgendeiner Parteiorganisation angehört haben, oder der besagte "Eintritt" am 1. Mai 1937 war eigentlich kein Eintritt, sondern "nur" die Verleihung des Anwärterstatus.

  • Ich frage mich wirklich, wie jemand sich herausnehmen kann, so etwas einfach zu dekretieren und damit allen künftigen Generationen die Verbindung zu ihrer Vergangenheit und Geschichte abzuschneiden?

    Philon, würdest du dir zutrauen, einen kurzen Essay dazu zu schreiben? Den könnten wir dann auf der HP posten und den Altstadtfreunden zur Verfügung stellen. Von den Politikern wird es sicher keinen interessieren, aber wer weiß? Auch die Verwendung als Unterrichtsmaterial für Schüler könnte ich mir vorstellen.

  • Philon, würdest du dir zutrauen, einen kurzen Essay dazu zu schreiben? Den könnten wir dann auf der HP posten und den Altstadtfreunden zur Verfügung stellen. Von den Politikern wird es sicher keinen interessieren, aber wer weiß? Auch die Verwendung als Unterrichtsmaterial für Schüler könnte ich mir vorstellen.

    Ab Mitte März hätte ich wohl Zeit. Das kann ich dann mal machen.

  • Die Kritik an der Öffentlichkeitsarbeit der Altstadtfreunde kann ich zwar irgendwie nachvollziehen, finde sie aber dennoch unfair.

    Ich wage mal die These, dass die Altstadtfreunde als etablierter Verein sich im Laufe der Jahre auf die Verwaltungskultur und Politik in Nürnberg so eingestellt haben, dass man eben öffentlich vieles nicht mitbekommt.

    Ich habe im Rheinland studiert, und da ist mir der Begriff "Klüngel" das erste mal begegnet: Hinterzimmerpolitik, Absprachen bei einem Bier in der Wirtschaft, eine Hand wäscht die Andere... und das ist auch hier in Nürnberg so, Wettbewerbe und irgendwelche Verfahren werden so gesteuert, dass man ein bestimmtes Ergebnis bekommt. Die Lokalpolitik ist viel zu eng verbandelt mit dem Nürnberger Geldadel, die alle ihr Geschäft machen wollen, das hatten wir ja bereits, die mit einem Baulöwen verheiratete zweite Bürgermeisterin und so.

    In dieser Gemengelage ist es besonders schwierig, wenn man Veränderungen anstoßen möchte. Und bei dem, was die Altstadtfreunde wollen, wird nur die Stadt als Ganze reich, aber keine Einzelpersonen. Die Politik liebt deswegen alles neue und verachtet alles historische, solange sie nicht per (Denkmalschutz-)Gesetz zur Wertschätzung gezwungen wird. Dass die Altstadtfreunde trotzdem eine Stimme haben, Gewicht und teils ganzseitige Interviews in der Lokalzeitung abgedruckt werden, dass sie Podiumsveranstaltungen durchführen können, dass sie bei Entscheidungsprozessen gehört werden, das ist in so einer Klüngelpolitik nicht selbstverständlich und eher hart erkämpft.

    Denn die Nürnberger Klüngelpolitik kann eines ganz besonders gut: Alles was von außen kommt ignorieren. Es kommt immer wieder "Unser Nemberch is a so scheee" und man verweist auf alles was noch da ist, wobei das beinah auch für ein paar Parkplätze, eine Altstadtautobahn oder sonstwelche Hirngespinste geopfert worden wäre.

    Ich persönlich glaube manchmal, als Zugereister, dass in Nürnberg noch ein gewisser Untertänigkeitsgeist da ist, der aus dem Minderwertigkeitskomplex heraus entstand, dass man eben keine Residenzstadt, keine Universitätsstadt, keine Weltmetropole war. Daraus resultiert dann dass man den jeweiligen Zeitgeist übererfüllen wollte. Deswegen wurde Nürnberg nur zu gerne Stadt der Reichsparteitage, oder hat direkt nach dem Krieg extrem ehrgeizige Wiederaufbaupläne betrieben, die dann rasch von ebenso extrem radikalen Planungen zur autofreundlichen Stadt abgelöst wurden. Das ist auch heute noch so, wenn man sich die Bemühungen z.B. zur Kulturhauptstadt oder zur Fahrradfreundlichen Stadt ansieht. Man will immer das beste, schafft davon aber nur Bruchteile. Und das, was man eigentlich am Besten kann, zählt nicht. Nur mal meine ganz eigenen Gedanken, weil ich mir dieses ständige Verrennen der Stadtplanung, auf jeden Trend aufzuspringen, aber nichts davon in beeindruckender Weise umzusetzen, nicht anders erklären kann.

  • Nürnbergs Wiederaufbau kann man m.M. nach nur unter Berücksichtigung des damaligen Zeitgeists und der damaligen Verhältnisse beurteilen. Er hätte vermutlich besser (in unserem Sinne) sein können. Dennoch würde ich ihn bestimmt nicht als misslungen bezeichnen. Man muss halt auch darauf achten, wo und wie man sich durch die Stadt bewegt. Wer sich einfach treiben lässt, landet vielleicht schon in irgendwelchen schlimmen Ecken. Ein Problem, dass Nürnberg ja mit vielen deutschen (und auch anderen) Städten teilt.

    Trotzdem ist Nürnberg für mich, in seiner Gesamtheit gesehen, eine schöne Stadt, die in ihrer Bedeutung und mit ihren Bauwerken sich immer noch weit über viele andere Städte erhebt. Und man spürt einen "Geist der Geschichte", den man nur in uralten, bedeutenden Städten erlebt (ich spüre ihn z.B. auch in Köln).

    Ich erlaube mir, hier nochmal auf meinen letzten Rundgang dort vom April 2019 zu verweisen: RE: Nürnberg (Galerie)

    "Mens agitat molem!" "Der Geist bewegt die Materie!"

  • 90 von 330 Altstadthäuser abgerissen? Stimmt das wirklich? Wo standen diese Häuser?

    Ansonsten zeigt die Diskussion der letzten Seiten, dass der Wiederaufbau Nürnbergs immer ein heisses Thema ist. Was mich frustriert, ist die Tatsache, dass man eigentlich viele gute Entscheidungen getroffen hat: Wiederherstellung der Dachlandschaft, kleinteilige Parzellierung, Wiederaufbau der wichtigsten Grossbauten, wenige Strassenverbreitungen usw. Leider werden diese guten Ansätze durch die Gestaltung der Fassaden zerstört. Da hat Ursus völlig recht, und es ist einfach kaum auszuhalten darüber nachzudenken, wie einfach man sehr grosse Verbesserungen erreichen könnte, wenn man wollte. Denn die Ausgangssituation ist viel besser als in Hannover, Frankfurt, Kassel, Magdeburg oder Bremen. Ich finde es deshalb nicht fair zu sagen, dass der Wiederaufbau völlig versagt hat. Aber ohne eine Neugestaltung der Fassaden, sei es nur passender Putz oder Sprossenfenster, bleibt der Wiederaufbau auf halber Strecke stecken.

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Wurde eigentlich ganz gut von Baukunst zusammengefasst.

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Trotzdem ist Nürnberg für mich, in seiner Gesamtheit gesehen, eine schöne Stadt, die in ihrer Bedeutung und mit ihren Bauwerken sich immer noch weit über viele andere Städte erhebt. Und man spürt einen "Geist der Geschichte", den man nur in uralten, bedeutenden Städten erlebt (ich spüre ihn z.B. auch in Köln).

    Ich erlaube mir, hier nochmal auf meinen letzten Rundgang dort vom April 2019 zu verweisen: RE: Nürnberg (Galerie)

    Die Galerie ist wirklich sehr schön, die Du eingestellt hast. Ja, man kann sich daran erfreuen. Die gleiche "Masse" an Bildern bekomme ich aber auch, wenn ich durch Weißenburg spaziere oder durch Spalt.

    Man darf nicht vergessen, dass bis zur Zerstörung 1945 die Altstadt von Nürnberg die besterhaltene mittelalterliche deutsche Großstadt war mit dem riesigen Areal von 160 Hektar. Nürnberg hat anderthalb Jahrhunderte lang geradezu als Verkörperung der alten deutschen Stadt gegolten. Das Wort "Alt-Nürnberg" war ein Begriff für Generationen von Bildungreisenden - nicht anders als Florenz für Italien steht, als Variante der europäischen Kultur.

    Beauty matters!

  • (1) Wiederherstellung der Dachlandschaft, (2) kleinteilige Parzellierung, (3) Wiederaufbau der wichtigsten Grossbauten,

    ad 1) trifft ohne Frage zu. Diese "Errungenschaft" wird aber auch von Däne relativiert - sind Fassaden nicht wichtiger? Man muss auch dazu sagen, dass die fränkischen Winter damals noch Zähne hatten und dass Flachdächer keine gute Idee gewesen wären.

    2) wurde nicht immer durchgezogen. Natürlich führte der Wiederaufbau mitunter zu einer drastischen Vergröberung und Vereinfachung der Parzellenstruktur. Aber natürlich kein Vergleich mit dem "Ostblock".

    3) Klar. Und auch gleich zu relativieren: eine ex nihilo Reko hat in N niemals stattgefunden. Keiner konnte mir dafür auch nur ein Beispiel nennen. Alle Großbauten sind von den Umfassungsmauern her über weite, entscheidende Teile "gestanden". Ein Abriss der St Sebaldusruine wäre denn doch ein Frevel gewesen. Dergleichen gab es in dieser Drastik allenfalls in der DDR.

    Sehr interessant auch dieses:

    Zitat von BKN nach Däne

    a) Als kleinsten Nenner kann man wohl sagen, daß Nürnbergs Altstadt heute kein häßliches Stadtbild hat.

    b) Nürnberg - die Metropole der Mittelmäßigkeit. Paßt gut zu diversen Klischees, die die Franken über sich selber haben, und die Nürnberg aufgrund der perfekten Durchschnittsbevölkerung zum Mekka der Meinungsforscher machen.

    Zunächst: b) trifft völlig zu. Aber angesichts des norimbergischen Nimbus ist das alles andere als eine große Leistung. Eigentlich ist es niederschmetternd.

    zu a).

    Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Grundsätzlich könnte man es sich leicht machen: was ist zB die Steppe anderes als "hässlich"? Natürlich finden sich in der heutigen Nürnberger "Altstadt" Partien, die so "hässlich" sind wie nur irgendwo anders auch.

    Aber das ist nicht der Punkt. N. hat noch etwas wie einen Rest des Genius loci. Die vielen Türme und erhaltenen Einzelbauten bewahren einen Rest des kostbaren gotischen Stadtbildes, keine Frage. Meine Empfindung war jedoch, dass "das alles nur umso schlimmer macht". Das Auseinanderdriften zwischen dem noch ansatzweise zu erkennenden Anspruch und der trostlosen Realität schafft ein omnipräsentes Spannungsfeld, das sich regelmäßig in wüste Dissonanz auflöst. Nürnberg wird einem nicht so gleichgültig wie andere durch Geschichte und Nachlässigkeit heruntergekommene Städte.

    Hier hab ich mal ein Bild von Franka geklaut:

    4394-blick-auf-die-burg-jpg

    Ist das jetzt ein "schönes" oder "hässliches" Stadtbild?

    Feststeht: ohne Hintergrund könnte es einem gleichgültig sein. So ist es, gelinde gesagt, ein Ärgernis.

    Ich finde, die folgenden Zitate bringen es auf den Punkt, Gottseidank hat das jemand anderer geschrieben als ich. Vielleicht findet sich wer, der das als "abstoßend" oder "fanatisch" brandmarken will- und sich traut:

    Und nur dann kannst du das Unverständnis nachvollziehen, das wir hier haben, wenn jemand sagt, der Wiederaufbau von Nürnberg sei erfolgreich gewesen.
    Wenn man sich durch diese Galerie geklickt hat, begreift man erst, wie grotesk diese Behauptung ist; ja man meint danach förmlich, nur ein Wahnsinniger könne so etwas allen Ernstes äußern.

    Zitat von demselben

    Von ungefähr 70% der Nürnberger Altstadt kann man gar keine schönen Fotos machen, weil sie zu 70% einfach abgrundtief häßlich ist.

    Und ich wiederhole gerne diesen "Käse", wie es ein Nürnbergkenner formuliert hat, der 2019 noch keinen Anstoß erregt hat:

    Überdies hat man die Ruinen der Sebaldusstadt großflächig zur Aufschüttung verwendet, wodurch irrsinnig viel Steinmaterial, aus dem man viele neue alte Fassaden wiedergewinnen hätte können, verloren gegangen ist. Wieviele Häuser hätte man auf diese Weise wiederrichten können, die damit sogar tatsächlich den Anspruch auf "Mittelalterlichkeit" erheben hätten können? N. war eben nicht nur Fachwerkstadt.

    Im übrigen kommt mir Nothors Erklärungsversuch sehr stringent vor, sofern das aus der Distanz beurteilbar erscheint.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • ursus carpaticus: Natürlich darfst du Nürnberg so häßlich finden, wie du willst, diesbezüglich diskutiere ich da auch gar nicht mehr. Ich frage mich nur, was triggert dich an "Nürnberg" so, daß du jedes Mal, mehrmals im und seit vielen Jahr(en), einen ellenlangen Sermon (das dauert doch mindestens eine halbe Stunde, einen solchen Text zu verfassen) wie auf S. 98 schreibst?

    Nicht der Inhalt, sondern die Art und Weise deines Verhaltens wirkt eigenartig fanatisch. Ich habe da eine Hypothese, aber die äußere ich jetzt mal nicht ...

    Zum Inhaltlichen: Natürlich ist es kein Trost, daß andere Städte noch viel häßlicher sind. Aber es ist dann doch zu berücksichtigen, daß es relativ (!) besser als woanders gelaufen ist. Den Idealzustand - komplette Rekonstruktion - gab es nach meinem Wissen in keiner schwer zerstörten Großstadt. Dennoch bleiben natürlich Verbesserungen erwünscht und notwendig. Z. B. einzelne Plätze umzugestalten und vor allem die Autos aus der Innenstadt weiter zu verbannen, halte ich für einen richtigen Weg.

    Die sehr große Nürnberger Innenstadt wirkt zum Glück noch sehr urban und fußgängerfreundlich, das ist ja auch schon mal etwas Positives!

  • Was soll das? Von welcher Welt ist hier die Rede?

    Zitat

    Idealzustand totale Rekonstruktion

    Was hat das mit Nürnberg zu tun?

    Gibt es dort eine einzige (ex nihilo?)

    einen ellenlangen Sermon (das dauert doch mindestens eine halbe Stunde, einen solchen Text zu verfassen

    Ach, das schüttle ich mit Textbausteinen aus dem Ärmel.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Du hast wohl wenig Ahnung, wie die Schuttberäumung vor sich gegangen ist... Denkst du, man hat einfach die Ruinen noch ganz abgetragen und dann deren Schutt in Richtung Pegnitzufer verfrachtet? Mit allen unverbrannten Holzbalken und Eisenteilen drin? Und das bei allgemeiner Materialknappheit?? Und nebenan hat man bereits wieder Kirchen und Türme mit neuem Sandstein wiederaufgebaut?? Nach dem Aussortieren von brauchbaren Materialien blieb genug unverwertbarer Schutt übrig, mit dem der Uferbereich erhöht werden konnte.

  • ursus carpaticus: Ich frage mich nur, was triggert dich an "Nürnberg" so, daß du jedes Mal, mehrmals im und seit vielen Jahr(en), einen ellenlangen Sermon (das dauert doch mindestens eine halbe Stunde, einen solchen Text zu verfassen) wie auf S. 98 schreibst?

    Nicht der Inhalt, sondern die Art und Weise deines Verhaltens wirkt eigenartig fanatisch. Ich habe da eine Hypothese, aber die äußere ich jetzt mal nicht ...

    Mich triggert das Thema auch, aber ich reagiere anders. Bei mir sind es die Leserbriefe in der Lokalpresse oder in Social Media, wenn reflexartig auf bestimmte Motive, die oft auch geschickt gewählt wurden um Schokoladenseiten zu zeigen, das fränkische "Unser Nemberch is ja so schee" kommt. Da frag ich mich immer ob die Tomaten auf den Augen haben. Es ist nämlich nicht fertig, nicht gelungen, nicht perfekt. Für Lob also zu früh, oder zu spät, aber immer irgendwie unangebracht.

    Es ist dieses Selbstzufriedene, dieses Gefühl, wir haben in der Nachkriegszeit alles, naja das allermeiste richtig gemacht, davon können wir noch lange zehren, aber jetzt auf zu neuen Ufern, mit Volldampf in die Moderne. Dabei bekommen die meisten Besucher eher den Eindruck, dass der Wiederaufbau nicht ganz fertig geworden ist, viel schlimmer noch, die Dinge verfallen bereits durch energetische Modernisierung und sonstwelche Sanierungen schonwieder. Mir ist diese Nürnberger Haltung irgendwie fremd, ich wundere mich darüber und frage mich, ob man denn nicht mitbekommt was in anderen deutschen Städten passiert, und das erschwert mir die Identifikation mit dem Nürnberger Stadtbild erheblich.

    Und nochmal die Altstadtfreunde: Auf mein Architekturherz haben sie eine extrem versöhnliche Wirkung, klar können sie niemals die ganze Stadt retten - obwohl sie das wollten wenn sie dürften und könnten - aber Politik und auch Teile der Bevölkerung wollen das eben nunmal nicht. Nicht unwesentliche Teile der Nürnberger Bevölkerung will um keinen Preis ein mittelalterliches Stadtbild zurück, sondern man möchte gerne irgendwas, am Besten alles, was der Noris das Antlitz einer Weltstadt verpassen würde. Damit komme ich wieder zu meiner These: Ich denke dass es auch was mit Minderwertigkeitskomplexen und Kompensation zu tun hat, dass in Nürnberg der zweithöchste Fernsehturm Deutschlands steht, dass Nürnberg die kleinste Stadt mit vollwertigen U-Bahnsystem ist (das bis heute umstritten ist weil vielen zu groß, zu teuer), dass Nürnberg einen eigenen Airport betreibt, sich mit dem FSW auch eine Stadtautobahn zugelegt hat, die größte zusammenhängende Fußgängerzone Deutschlands hat, Tiergarten, Eissportstadien, usw. usf.... Die Diskussionen, die die Altstadtfreunde anstrengen, laufen hier regelmäßig heiß, und sie nehmen dabei oft die Rolle eines "Enfant terrible" ein, nein, die Altstadtfreunde verdienen wirklich keine Kritik, sondern ihre Widersacher in Politik, Verwaltung und v.a. fragwürdige Denkmalwissenschaftler.

  • ^Das erinnert mich an die Aussage eines Nürnbergers, die ich vor Jahren hörte: "Die Stadt muss endlich mal weg von ihrem Lebkuchen- und Butzenscheibenimage."

    @"Eduard". Ich errege mich ja auch gelegentlich über Kassel, wenngleich aus etwas anderen Gründen. Bei "ursus" glaube ich, dass es eine große Liebe ist. Eine große Liebe kann auch zu großer Verzweiflung und großem Hass führen.

  • ^Das erinnert mich an die Aussage eines Nürnbergers, die ich vor Jahren hörte: "Die Stadt muss endlich mal weg von ihrem Lebkuchen- und Butzenscheibenimage."

    Das bringt das Problem Nürnbergs gut auf den Punkt (Dank auch an Nothor für seine entsprechenden Ausführungen, die sich mit meinen Beobachtungen absolut decken und an die ich hier auch anschließe):
    Wenn Nürnberg nicht zerstört worden wäre, dann wäre eine solche Aussage nicht möglich. Denn dann wäre Nürnberg das, was für Italien Florenz oder Siena sind. Da würde ja keiner sagen: "Siena muss endlich weg von seinem Spätgotik-Image", denn Siena ist eben eine spätgotische Stadt und lebt auch davon.


    Nürnberg ist demgegenüber irgendwie "nicht Fisch und nicht Fleisch": eine ehemals bedeutende spätgotische Stadt, die auch bei vielen immer noch dieses "Image" hat, aber es nicht mehr ist bzw. die nur noch eine Erinnerung an die bedeutende spätgotische Stadt ist, die sie einmal war.

    Und das führt zu solchen Identitätskrisen, wie sie in der von Heimdall zitierten Aussage zum Ausdruck kommen: Man ist irgendwie noch Alt-Nürnberg und ist es gleichzeitig (auf eine sehr radikale Weise) nicht mehr, wird die Erinnerung daran, dass man es einmal war, auch nicht los. Und weiß deshalb auch nicht, wo man eigentlich hin will.

  • ^Das erinnert mich an die Aussage eines Nürnbergers, die ich vor Jahren hörte: "Die Stadt muss endlich mal weg von ihrem Lebkuchen- und Butzenscheibenimage."

    Und für Außenstehende bzw. Hinzugezogene ist diese Aussage vollkommen paradox. Denn das "Bratwurst- und Butzenscheiben-Image" , als Synonym für die spätmittelalterliche Großstadt ist doch das, was Nürnberg am Besten kann und was es absolut einzigartig macht. Das ist als würde ein Dresdner sagen "wir müssen endlich Schluss machen mit Semperoper und August-dem-Starken-Kult", oder ein Berliner, der sagt "Schluss mit Museumsinsel und Club-Kultur".

    Aber wenn man sich unterbewusst für die Mittelmäßig seiner Heimat schämt, dann wird das plötzlich nachvollziehbar. Ein Wiederaufbau, der sich unvollständig anfühlt und Besucher oft nicht überzeugt, aber tolle Hochhäuser wie in Frankfurt haben wir auch nicht, auch keine berühmte Club-Kultur, kein Oktoberfest, ach es ist zum verzweifeln... Als Zugereister habe ich einen ganz anderen Blick auf die Stadt und ihr gewaltiges Potenzial, und wundere mich dann das man es einfach liegen lässt, so nach dem Motto "naja, muss ja jetzt nun auch nicht sein", "zu teuer", "brauchen wir jetzt gerade nicht"...

  • Aus der Architektonischen Rundschau 1897, Wohnhaus Untere Wöhrdstraße 22 in Nürnberg (aus "Nürnberger Neubauten"). Mit dem "Chörlein" hat man ein vertrautes, lokaltypisches Nürnberger Motiv aufgegriffen. Im Übrigen wurde ohne allzuviel Aufwand ein charktervolles Gebäude geschaffen. Dieses Haus bildete mit seiner Umgebung ein gelungenes Ensemble. Warum bringt unsere Zeit so etwas nicht mehr zuwege? Vermutlich hat das Haus den Bombenterror des II. Weltkriegs nicht überstanden.


  • Zitat

    Das ist als würde ein Dresdner sagen "wir müssen endlich Schluss machen mit Semperoper und August-dem-Starken-Kult", oder ein Berliner, der sagt "Schluss mit Museumsinsel und Club-Kultur".

    Bei der Bewerbung Dresdens zur Kulturhauptstadt 2025 haben Dresdens Kulturbürgermeisterin und Mitwirkende genau das versucht und sind krachend in der innerdeutschen Vorauswahl rausgeflogen. Diese Selbstverleugnung kann nur scheitern.

    "We live in the dreamtime-Nothing seems to last. Can you really plan a future, when you no longer have a past." Dead Can Dance - Amnesia

  • Gerade wegen dem „Bratwurst-Image“ würde ich lieber in Nürnberg leben als in Frankfurt mit dem „Bankenturm-Image“. Nürnberg hat sich seine lokale Eigenart bewahrt und nie versucht, eine ganz andere Stadt* zu werden. Das ist viel wert.

    *im Sinne eines „globalisierten“ Stadtbilds.

    In dubio pro reko

  • ...und nie versucht, eine ganz andere Stadt zu werden.

    Tja, es gibt aber einige, die sich das wünschen. Genau dem muss man selbstwusst und mit Heimatliebe entgegentreten. Wenn man echt mal genug hat von Bratwurst, Bierfest und Krautsalat, dann ist man einfach mal Urlaubsreif, danach gehts aber auch wieder.