• Mit entscheidend für die Bürger, ob der Wiederaufbau der Altstadt funktional/altstadtgerecht (wie ausgeführt) oder als aufwändige Rekonstruktion mit modernen Wohnungsgrundrissen erfolgen sollte, dürfte gewesen sein, dass man bei der ersten Variante schneller den dringend benötigten Wohnraum zurückerlangte, und auch mehr Wohnkomfort erhielt:

    vorher unbelichtete, unbelüftete Treppenhäuser, auf die zudem meist auch die im Innern liegende Küche folgte - nachher belüftete Treppenhäuser und Wohnungen mit belichteten Küchen,
    vorher vereinzelt Dach- und Hofterassen - nachher für jede Wohnung ein eigener Balkon,
    vorher schmale und verschachtelte Grundrisse - nachher grosszügige Familienwohnungen auf einer Geschossebene, vorher schmale, dunkle Lichthöfe - nachher grosszügige, gartenähnliche Innenhöfe.

    Das sind alles Kriterien, die bei einer rekonstruierten Altstadt schwieriger zu erreichen gewesen wären. Für die Hausbesitzer und künftigen Bewohner kann man sich vorstellen, zu was sich diese entschlossen haben. Ich habe hierzu die Statpläne vor/nach 1945 x-mal verglichen, und dabei immer wieder einen Blick auf die Google-Flugaufnahmen geworfen und versucht, mich in die damalige Situation hinein zu versetzen.

    Was mir auch noch auffällt, ist das beinah durchgängige Fehlen vom Burgsandstein an den Fassaden. Vereinzelt gibt es markante Eckgebäude, wo man zu Plattenverkleidungen aus diesem Stein gegriffen hat. Aber genau diese Sandsteinfassaden hatten doch das Wesentliche an der alten Altstadt ausgemacht. Innert kurzer Zeit so viel Sandstein anschaffen zu können, dürfte ein Ding der Unmöglichkeit gewesen sein. Ich habe mich schon ein paar mal gefragt, woher der in grossen Mengen benötigte Sandstein nur schon für die Rekonstruktion der Burg und gesamten Stadtmauer kam. Da mussten ganz sicher auch wiederaufbaufähige Ruinen herhalten und als Materiallieferant dienen.

  • Ich denke, es hilft auch nichts, immer noch verpassten Chancen der 50er Jahre hinterher zu trauern. Es geht um die Gestaltung der Zukunft, und diesbezüglich könnte in Nürnberg einiges zum besseren verändert werden. Wille und Möglichkeiten vorausgesetzt.

  • Der wichtigste Grund, an dem eine Rekonstruktion in Nürnberg scheitert, ist der mangelnde Wille - insbesondere bei der herrschenden Politikerkaste, die sich hier sehr gut eingerichtet hat, aber auch bei den Einwohnern von Nürnberg.

    Natürlich gibt es viele andere Faktoren. Da ist zum einen das Geld, denn Nürnberg gehört zu den ärmeren Städten zumindest in Süddeutschland. Des weiteren haben sich die Besitzverhältnisse in der Altstadt stark verändert; so existieren viele Parzellen nicht mehr so, wie sie früher bestanden haben, sondern erstrecken sich über alte Parzellenbegrenzungen hinweg. Es gibt auch rechtliche Hemmnisse, nicht nur von Seiten der Denkmalpflege, sondern auch was rechtliche Bestimmungen für Neubauten (Brandschutz, Dämmung etc.) angeht - und rekonstruierte Altbauten wären eben zunächst einmal Neubauten. Schließlich haben sich die Anforderungen an Häuser verändert; so wünschen viele Bewohner z.B. Balkone, bodentiefe Fenster, Aufzüge, Tiefgaragen und andere Dinge, die nur schwer mit Rekonstruktionen vereinbar sind. Was Handelsketten oder Firmen wünschen, sind Kaufhäuser, die sie über ganz Deutschland hinweg ähnlich und kostengünstig und mit großen Verkaufsflächen planen können, oder moderne Bürogebäude mit großzügigen, offenen Etagen, die in Pittsburg, Peking oder Nürnberg am besten gleich aussehen.

    Die Gesellschaft hat sich verändert, und die gebaute Welt ist Ausdruck dieser Gesellschaft. Früher gab es einen Bedarf für beeindruckende, reich geschmückte Bürgerhäuser im Stadtkern, denn die Nürnberger Bürger wollten repräsentieren. Es gab eine große soziale Kontrolle und verbindliche Regeln, die in der Stadt galten, u.a. dafür, wie lokal zu bauen war. Heute bauen reiche Bürger lieber ein Haus im Grünen, weit draußen und möglichst sichtgeschützt. Und während Handwerker und Kleinunternehmer früher in der Stadt ihre Werkstatt hatten, haben sie diese heute in locker bebauten Gewerbegebieten, die rein funktional ausgerichtet sind.

    Wozu soll also eine rekonstruierte Altstadt dienen?

    Denkbar wären Wohnungen, aber eben nur für Leute, die es sich leisten können und in einer dicht bebauten Altstadt wohnen möchten, teilweise in verwinkelten, nicht immer lichtdurchfluteten Wohnungen, die auch nicht immer nach modernen, funktionalen Gesichtspunkten geplant ist. Allerdings ist die heutige Nürnberger Altstadt eher kein bevorzugtes Wohngebiet; das Bürgertum wohnt in den nördlichen oder östlichen Außenbezirken oder gleich ganz außerhalb der Stadt.

    Denkbar wären auch kleine Läden und Geschäfte, Restaurants, Kaffeehäuser - wenn man davon ausgeht, dass sich all dies durch einen gesteigerten Tourismus lohnen würde. Allerdings ist dazu zu sagen, dass auch schon jetzt immer mehr Touristen nach Nürnberg kommen (warum auch immer, vielleicht halten die ja wirklich die Fünfzigerjahre-Notbauten für originale mittelalterliche Bauten); so gab es im Jahr 2018 ein Rekordergebnis von 3,6 Millionen Übernachtungen und 2 Millionen touristischer Ankünfte. Und viele wollen gar nicht, dass es noch mehr Touristen gibt.

    https://www.infranken.de/regional/nuern…t170470,4069597

    Ich bin der Meinung, dass wir ungeachtet der anderen Faktoren, und auch ungeachtet eines unmittelbaren Nutzens, unsere Altstädte rekonstruieren müssen. Allerdings gehöre ich damit einer verschwindenden Minderheit an.

    Die meisten sind zufrieden, wie es ist, oder haben andere Probleme. Gerade in Nürnberg ist man überzeugt, dass der Wiederaufbau vorbildlich war. Woran man das festmacht, ist mir vollkommen schleierhaft: Weite Teile wurden in Vorstadt-Bebauung errichtet, die so überhaupt nichts Altstadt-Typisches hat; und es gibt viele hässliche Ecken, die chaotisch geplant sind und Hinterhof-Atmosphäre atmen. Aber: Der Glaube, es gut gemacht zu haben, überwiegt bei denen, die sich damit politisch befassen; selbst hier im Forum hört man ja diese Meinung, wenn auch abgemildert.

    Ich habe auch nie das Gefühl gehabt, dass die Nürnberger ihre Altstadt vermissen; dies ist ganz anders in Dresden, wo es neben der traurigen Realität immer noch eine Idee von der Schönheit der unzerstörten Stadt gegeben hat, und ein Verlangen danach, diese Schönheit wenigsten zu einem kleinen Teil wiederzuerlangen. In Nürnberg gibt es so etwas kaum.

    Mit Willen könnte man viel erreichen. Allein, ich sehe diesen Willen in dieser Stadt nicht, und ich sehe auch nicht, dass solch ein Wille entsteht.

  • Ich habe mich auch schon oft gefragt, wie man am besten strategisch vorgehen sollte - strategisch nicht im Hinblick auf die politische Strategie, sondern im Hinblick auf die Häuser, Straßen und Plätze, die in Nürnberg im Fokus von Rekonstruktionsbemühungen stehen sollten.

    Es gibt da wohl grundsätzlich zwei Herangehensweisen:

    Zum einen kann man sich auf einzelne entstehende Notwendigkeiten oder Gelegenheiten fokussieren. Im Prinzip haben so die Altstadtfreunde immer gearbeitet. Eine Notwendigkeit ist es, wenn einem alten Haus der Verfall droht - dann schreitet man ein, unabhängig davon, wo in der Altstadt sich dieses Haus befindet. Eine Gelegenheit ist es, wenn man meint, es könne sich die Möglichkeit zur Rekonstruktion ergeben. Beispiele für dieses Vorgehen sind die Renovierung des Hauses Hintere Ledergasse 43; hier haben die Altstadtfreunde Vorbildliches geleistet. Ein anderes Beispiel ist das Pellerhaus. Bei beiden Beispielen überwiegt das Interesse an einem einzelnen Haus; es ist nicht zu erwarten, dass hier jeweils ein Ensemble entsteht.

    So befindet sich das Haus Hintere Ledergasse 43 in keiner bevorzugten Gegend, sondern unmittelbar eingezwängt zwischen einem Kaufhaus und einem Parkhaus in einer eher heruntergekommenen Ecke:
    http://www.nordbayern.de/region/nuernbe…g-auf-1.8018433
    Auch das Pellerhaus ist eingezwängt zwischen Hässlichkeiten; wenn es wieder aufgebaut wird, wird es eine Insel in einem Meer von Banalitäten sein.

    Zum anderen kann man eben auf ein bestimmtes Areal fokussieren. Wenn man dafür zugrundelegt, wie viel Aufwand notwendig wäre, ein Viertel komplett zu rekonstruieren, und wie beeindruckend und interessant dieses Viertel wäre, dann ergibt sich das in Nürnberg weitgehend selbst: Es würde sich dann ohne Zweifel um die nordwestliche Sebalder Altstadt handeln.

    Hier, im westlichen Burgviertel gibt es anteilig noch am meisten Häuser, die das Inferno überlebt haben. Hier ist auch die Parzellenstruktur noch am ehesten erhalten. Hier wäre mit vertretbarem Aufwand etwas zu erreichen, was sonst in Nürnberg unmöglich wäre: Einige Straßenzüge komplett so wiederherzustellen, wie sie einst waren. Außerdem kommt hinzu, dass dieses Viertel ohnehin mehr als andere durch Touristen geprägt ist, und einige bedeutende Bauten enthält oder von ihnen flankiert wird, die kein Tourist auslassen würde: Burg, Platz am Tiergärtnertor, Albrecht-Dürer-Haus, Piltatushaus, Sebalduskirche, Fembohaus und Altes Rathaus.

    Hier, und nur hier, könnte man eine unvergleichliche Ensemblewirkung erreichen, die dann möglicherweise ausstrahlen könnte. Das Gebiet könnte man in etwa begrenzen durch Burg und Stadtmauer im Norden und Westen, sowie durch die Burgstraße im Osten, und im Süden durch Sebalduskirche, Weinmarkt und Weißgerbergasse bis zum Hallertor.


    Quelle: OpenStreetMap, eigene Bearbeitung

    Erweiterungen, oder sollen wir sagen: Brückenköpfe, würden sich dann logisch daraus ergeben.

  • 1. Welche Kommune in Deutschland hat private Besitzer dazu angehalten, zerstörte Gebäude zu rekonstruieren? Mir wäre keine bekannt.

    Die in städtischem oder staatlichem Besitz befindlichen Gebäude in Nürnberg wurden ja weitestgehend bereits nach dem Krieg rekonstruiert. Ich vermute auch, das der Anteil des städtischen Haushalts in Nürnberg für Ausgaben des Erhalts altstädtischer Bauten (man denke nur an die laufenden Ausgaben für die Stadtmauer, die hier interessanterweise nie erwähnt wird) weitaus größer ist als z.B. der in FFM, Stuttgart oder Dresden.

    2. Weshalb ist die Ausgangslage in Nürnberg so anders als in Dresden?

    In Dresden herrscht seit 1945 das Grundgefühl des historischen Abstiegs und der "ungerechten Bestrafung". Und makroökonomisch wie auch politisch ist da aus heutiger Sicht auch einiges dran. Noch dazu war die Altstadt über Jahrzehnte tlw. gar nicht bebaut, bzw. wurde im Stile der "neuen Zeit" bewusst total überformt, der Sozialismus setzte schließlich auf den historischen Bruch mit dem Überkommenen. In der Stadtmitte klaffte so über Jahrzehnte eine offene Wunde. Für viele Dresdner ging die Nachkriegszeit erst mit dem Wiederaufbau der Frauenkirche und der Wiederrichtung des Neumarkts so halbwegs zu Ende.

    In Nürnberg herrschte nach 1945 das Gefühl des "mit einem blauen Auge davon gekommenen", insb. durch die Präsenz der US Army und der Nürnberger Prozesse. Anders als in Dresden gerieten die zügig errichten Neubauten schon aus damaliger Sicht sehr sehr konservativ (man Vergleiche mit FFM), eben "altstadtgerecht" und die historischen Leitbauten waren schon in den 1960er Jahren wieder errichtet. So gelang es, eine gewisse Kontinuität bei gleichzeitiger zukunftsorientierter Entwicklung zu suggerieren. Für den Nürnberger war die Nachkriegszeit daher eher eine Phase des insgesamt geglückten Wiederaufstiegs, ein Zeit auf die man heute (zu Recht) Stolz ist. Auch die Nürnberger können mit den drögen Fassaden aus den 1950ern nicht viel Anfangen, auch nicht mit den darin befindlichen Wohnungen. Die meisten werden aber zustimmen, das die damals Handelnden die Weichen beim Wiederaufbau richtig gestellt haben.
    Wer nun in Nürnberg rekonstruieren will, muss genau hier ansetzen und eine positiv wahrgenommene Geschichte auf Höhe der heutigen Zeit weiter erzählen. Daher geht der Blick bei Reko-Debatten wohl eher Richtung FFM als nach Dresden. Motto ist da weniger: "Wie werden wir wieder das was wir mal waren" (Dresden) als eher "wie können wir unsere Stadt attraktiv UND im historischen Kontext weiter entwickeln" (FFM)...

    Wenn in Nürnberg im Stadtbild heute rekonstruiert werden soll (ich persönlich würde das ein oder andere Projekt dazu sehr begrüßen), dann liegen die Aufgaben vor allem in privater Hand. Geld dazu wäre sicherlich vorhanden, den anders als bei den klammen Kommunen gibt es in Mittelfranken heute sehr viel Privatvermögen (auch ein Gegensatz zu Dresden, da ist es eher umgekehrt).

    d.

  • 1. Welche Kommune in Deutschland hat private Besitzer dazu angehalten, zerstörte Gebäude zu rekonstruieren? Mir wäre keine bekannt.

    Meistens war es das Gegenteil: Die Kommunen haben alles dafür getan, dass eben nicht rekonstruiert wurde. Die Ideologen haben die Auflockerung der Städte begrüßt und wollten sich bewusst von der alten, europäischen Stadt abgrenzen, ja, sie mutwillig zerstören.

    Dabei muss man sich die Absurdität und den Aufwand klarmachen: Eigentlich wäre es doch naheliegend gewesen, die Städte unter Respektierung des alten Straßengrundrisses und der alten Parzellen wiederaufzubauen. Denn dies hätte eine Nutzung der nicht oder nur teilzerstörten Häuser sowie auch der durchaus noch vorhandenen Infrastruktur, beispielsweise von Wasserleitungen, ermöglicht. Auch wäre es rechtlich am einfachsten gewesen, weil die alte Eigentümerstruktur beibehalten worden wäre.

    Stattdessen hat man unter großem Planungsaufwand Parzellen verändert und zusammengelegt und teilweise ganze Straßen verlegt, was Enteignungen, den Bau neuer Infrastruktur und den Abriss von teilweise nur leicht oder gar nicht beschädigten Häusern erforderlich machte.

    Es gibt Beispiele, wo die Stadtverwaltung privaten Eigentümern geradezu verboten hat zu rekonstruieren, und ihnen Auflagen gemacht hat, die dazu gedacht waren, den Wiederaufbau eben gerade nicht historisch getreu durchzusetzen.

    Ich glaube auch nicht, um konkret auf Nürnberg zurückzukommen, dass die östliche Sebalder Altstadt in ihrer unvergleichlichen Banalität ein Zufallsprodukt ist, oder Ausdruck des zufällig gleichen Willens vieler verschiedener Eigentümer. Nein, hier wollte man ein Exempel statuieren und hat von oben herab durchgesetzt, wie die Häuser wiederaufzubauen sind, eben in dieser spießigen Banalität in Form einer vorstädtischen Mietskasernensiedlung, wie wir sie heute kennen.

  • Meistens war es das Gegenteil: Die Kommunen haben alles dafür getan, dass eben nicht rekonstruiert wurde. Die Ideologen haben die Auflockerung der Städte begrüßt und wollten sich bewusst von der alten, europäischen Stadt abgrenzen, ja, sie mutwillig zerstören.

    Das mag schon sein, allerdings wollten auch die vormaligen Bewohner häufig nicht mehr in die Strukturen der alten Häuser zurück. Das Interesse am Bau von Mietshäusern in der Altstadt ließ auch in den 1960er Jahren deutlich nach (die Vorstädte wurden dank Auto und Wirtschaftsaufschwung attraktiver) und evtl. wollte man durch Zugeständnisse an Investoren etwas nachhelfen.

    Es wurde hier schon erwähnt, aber auch ich kenne die Geschichten von älteren Nürnbergern. Gut kann ich mich an ein langes Gespräch mit einer alten Frau erinnern, die die Bombardierungen der Altstadt miterlebt hat und die damals etwa Anfang 20 war.
    Eine meiner Fragen: War es nach dem Krieg nicht furchtbar, das ganze alte Stadtbild verloren zu haben? Ihre Antwort: Nein, den heute sei doch alles noch viel schöner als damals. Es gäbe mehr Licht, viel grün, es wäre sauberer, es gäbe mehr Platz und weniger Ungeziefer. Das Leben wäre so viel komfortabler in den neuen Häusern...
    Das war die Sicht einer Frau die sich nicht für Architektur interessiert hat, sondern lediglich die Lebensqualität vor der Zerstörung mit der des Wiederaufbaus verglich.

    Das soll nun hier nicht verstanden werden als Plädoyer für oder gegen Qualitäten des Wiederaufbaus, sondern nur die Sicht von Menschen darstellen, die diese Zeit erlebt und geprägt haben.

    Bezüglich der räumlichen Eingrenzung in Nürnberg für Rekos, Vorschlag Rothenstein:
    Ja, das ist sicher einer der vielversprechendsten Teile. Politisch wäre da auch so manches drin wenn man gewisse Themen geschickt verknüpfen würde. Zum Beispiel die Erlaubnis zur Bebauung von Garagenhöfen mit Wohnungen bei Einhaltung von strengen Regeln bezüglich Straßenfassaden...

    d.

  • Was den Wiederaufbau der Sebalder Steppe angeht, so hat der Stadtrat diesen natürlich stark beeinflusst. So gab es die Vorgabe seitens des Stadtrates, keine traditionellen Steildächer zu bauen, sondern ahistorisch flache Satteldächer mit einer Neigung von 43°. Ich bin mir sicher, dass es noch zahlreiche andere Vorgaben gab, um zu verhindern, dass die Altstadt traditionsgetreu wieder aufgebaut werden konnte.

    Das Ergebnis, das wir heute sehen, ist gewollt. Es ist kein Produkt des Zufalls, ja, nicht einmal ein Produkt der Not. Es ist Ausfluss einer Ideologie, Ausfluss des Willens, sich bewusst von der traditionellen Stadt abzugrenzen.

    In Rothenburg ob der Tauber muss es genau anders herum gelaufen sein. Die Stadt war zwar weniger schwer als Nürnberg zerstört, trotzdem gab es östlich des Marktplatzes ein großes Gebiet, das fast komplett vernichtet war. Heute merkt man davon an vielen Stellen nichts mehr, wenn man nicht Fachkenntnisse besitzt.

  • Welche Kommune in Deutschland hat private Besitzer dazu angehalten, zerstörte Gebäude zu rekonstruieren? Mir wäre keine bekannt.

    Das von Rothenstein schon erwähnte Rothenburg. Ebenso beispielsweise Freudenstadt, wo allerdings die Bewohner selbst das teilweise gegen den Willen der Lokalpolitiker durchgesetzt haben. Es ist also keineswegs so, dass es die Bewohner gewesen wären, die den Verzicht auf die Rekonstruktion der Altstädte gewollt hätten. In der Regel war es umgekehrt: die Bürger wollten es und die Politik hat sie daran gehindert. So ja auch beispielsweise in Frankfurt.

    Ich glaube auch nicht, um konkret auf Nürnberg zurückzukommen, dass die östliche Sebalder Altstadt in ihrer unvergleichlichen Banalität ein Zufallsprodukt ist, oder Ausdruck des zufällig gleichen Willens vieler verschiedener Eigentümer. Nein, hier wollte man ein Exempel statuieren und hat von oben herab durchgesetzt, wie die Häuser wiederaufzubauen sind, eben in dieser spießigen Banalität in Form einer vorstädtischen Mietskasernensiedlung, wie wir sie heute kennen.

    Wichtiger Punkt. Franka erzählte mir heute, dass es in Nürnberg einige Vorort-Siedlungen aus der NS-Zeit gibt, die genau nach denselben Gestaltungsprinzipien errichtet wurden wie der Wiederaufbau in der Sebalder Steppe und auch mehr oder weniger genauso aussehen. Das war genauso von Schmeißner und Konsorten gewollt, die damit direkt an ihre Bautätigkeit unter den Nazis anknüpften.

    Was den Wiederaufbau der Sebalder Steppe angeht, so hat der Stadtrat diesen natürlich stark beeinflusst. So gab es die Vorgabe seitens des Stadtrates, keine traditionellen Steildächer zu bauen, sondern ahistorisch flache Satteldächer mit einer Neigung von 43°. Ich bin mir sicher, dass es noch zahlreiche andere Vorgaben gab, um zu verhindern, dass die Altstadt traditionsgetreu wieder aufgebaut werden konnte.

    Vermutlich ist das so: es hätten ja simpelste Vorgaben genügt, um eine Rekonstruktion der Altstadt zu bewirken: Einhaltung der Parzellengrenzen, der Kubaturen und der Dachneigungen, keine Außenbalkons etc. Also alles Sachen, wie man sie heute in jeder beliebigen 08/15-Gestaltungssatzung findet und weit davon entfernt, einen dramatischen Eingriff ins Eigentumsrecht darzustellen.
    Man hat ja offenbar in Nürnberg (wie überall in D!) auch Vorgaben gemacht: nur halt Anti-Reko-Vorgaben! Das ist alles nicht das Ergebnis des individuellen Wollens der Bürger, sondern von Vorgaben von oben,

  • Ich hab gar kein Problem damit zu sagen, das waren alles Ideologen und die haben es verbockt. Wenn das aber so ist, dann folgt daraus eigentlich nur eine Erkenntnis: Haltet euch fern von Ideologen (Z.B. von Modernisten- oder Rekofundis) und entwickelt städtebaulich Lösungen für konkrete Probleme.

    In Nürnberg hieße das, das die Stadtplanung in spezifischen Quartieren frühzeitig mit Besitzern von Immobilien auslotet, was hier langfristig geschehen soll und ggf. möglich ist. Häuser die ich hier konkret nennen möchte:

    Weinmarkt 9-11 (Berufsgenossenschaft Holz und Metall) und angrenzende Bebauung in der Karlstraße
    Der Bau stört hier immens die ansonsten ziemlich intakte Stadtbild-Situation, birgt hohes entwicklerisches Potenzial da hier auch die einfache Chance bestünde, den Weinmarkt über eine leicht zu verbergende Tiefgarage für Anwohner zu erschließen (Gelände fallt nach Süden ab), das Quartier so von Stellplätzen zu befreien und durch maßstabsgerechte Bebauung die Ensemblewirkung zur Sebalduskirche wieder herzustellen
    https://goo.gl/maps/BV9szj7Wtb92

    Eckgebäude Karlstraße / Schustergasse
    Seit Jahren wird hier nicht mehr investiert, das Gebäude verkommt mehr und mehr. Ein wirtschaftliche Sanierung ist sicher nicht mehr möglich. Beispielhaft für eine Reihe von Häusern aus den 1950er Jahre, die mittelfristig ersetzt werden (müssen)....
    https://goo.gl/maps/TMX2gjw9fq42

    "Goldenes Posthorn", Glöckleinsgasse 2 (direkt am Sebalder Platz)
    Nimmt exakt die Kubatur der Vorkriegsbaus auf, wird aber in seinem heutigen Erscheinungsbild der umliegenden Bebauung am Platz überhaupt nicht gerecht. Hier wäre eine Reko goldwert.
    https://goo.gl/maps/4KEqBrxKLFS2

    Albrecht-Dürer-Platz 3
    Hier würden schon hochwertige, geteilte Fenster und eine optimierte Gaubensituation viel bewirken, dann wäre der prominent stehende Bau schon sehr viel besser. Wirkt auf mich als wäre der Sockel vom Vorkriegsbau...
    https://goo.gl/maps/JEStZMLscyo

    Der gesamte östliche Abschluss Albrecht-Dürer-Platz (Nr. 6-10)
    Sehr bescheidene Häuser die heutigen Erwartungen weder in Ausstattung noch in Ästhetik genügen. Realistischerweise wäre das was für eine historisierende Neubebauung bei der Flächen besser genutzt werden, attraktivere Grundrisse entstehen und die Nutzungsmischung erhalten bleibt, sofern die Häuser "eins" bilden mit der westlichen Bebauung in der Unteren Krämergasse, diese mitentwickeln
    https://goo.gl/maps/YZLHhwziFE62

    Bergstraße 20
    Fürchterlicher Bau dessen Rückseite auch noch die Obere Schmiedgasse ziemlich verschandelt. Bitte in Anlehnung an Vorkriegssituation neu bebbauen.
    https://goo.gl/maps/fQ35Y8WZNGH2

    Obere Schmidgasse 1
    Total unangemessene Situation die in dieser Toplage nichts zu Suchen hat. Bitte in Anlehnung an Vorkriegssituation und unter Ausnutzung der Lagegunst sowie der Platzverhältnisse altstadtgerecht neu bebauen, ggf. unter Einbeziehung von Nachbargebäuden zur Burgstraße deren wirtschaftliche Sanierung ggf. nicht mehr sinnvoll erscheint.
    https://goo.gl/maps/5iMLAsyqex52

    d.

  • Also ich bin selbst - obwohl "Auswärtiger"- Mitglied der Altstadtfreunde und mag Nürnberg und bin von daher natürlich nicht ganz neutral. Klar fehlen hier ein paar wichtige Rekonstruktionen, aber insgesamt ist die Stadt wirklich nicht schlecht und der Wiederaufbau als eines der besseren Beispiele anzusehen! Ich denke wir sehen die ganze Sache zu sehr aus unserem Blickwinkel.... Tatsache ist nun mal, dass ein Großteil der Leute eben nicht zum Bildungsbürgertum gehört, denen ist die Architektur fast egal... Traurig aber wahr... Letztes Jahr bekam ich zum Geburtstag eine Reise nach Fürth und Erlangen geschenkt, wo ich seit über zwanzig Jahren nicht war. Die beiden Nachbarstädte - obwohl nicht im Krieg zerstört- sind derart heruntergekommen und kaputt saniert (Einscheiben-Verglasung, miese Schaufenster, Sat-Schüsseln, Nachkriegsabbrüche, Leerstand etc.) dass ich/meine Freundin echt froh waren das Nürnberg in der Nähe war und wir wieder viel Zeit dort verbrachten. Was sollen die Leute vermissen, wenn sie es nicht besser kennen.... Traurig aber wahr.... Ich glaube es wird in den nächsten Jahren leider eher noch schlechter....

  • Also ich bin selbst - obwohl "Auswärtiger"- Mitglied der Altstadtfreunde und mag Nürnberg und bin von daher natürlich nicht ganz neutral. Klar fehlen hier ein paar wichtige Rekonstruktionen, aber insgesamt ist die Stadt wirklich nicht schlecht und der Wiederaufbau als eines der besseren Beispiele anzusehen!

    Was konkret findest du denn am Wiederaufbau Nürnbergs besser als in anderen Städten? Was ist an der Stadt insgesamt nicht schlecht, städtebaulich und architektonisch gesehen?

    Mich wundern solche Aussagen immer wieder, und ich möchte verstehen, wie man dazu kommt. Ich empfinde Nürnberg als eine der banalsten, hässlichsten Städte in Deutschland in dieser Größenordnung. Nürnberg spielt meiner Meinung nach in einer Liga mit den Ruhrgebietsstädten, wenn man neben der Altstadt im billigsten Wiederaufbaustil noch die heruntergekommenen, verdreckten Viertel um die Altstadt herum berücksichtigt.

  • @ Rothenstein:

    • Zähle doch mal auf welche Städte "in dieser Größenordnung" (also offenbar nicht das von dir stets erwähnte Rothenburg o.d.T oder eben Freudenstadt) aus deiner Sicht "besser" sind und weshalb genau?
    • Oder erkläre doch mal konkret was du verändern würdest?
    • Und welche "verdreckten Viertel" um die Altstadt meinst du?

    d.

  • Dexter, Du sprichst hier gerade den Wiederaufbau von Rothenburg an, ich war erst letzte Woche wieder da, so gut finde ich den nicht.

    Ich empfehle hierzu das zweibändige Werk vom Verein von Alt-Rothenburg, mit Vorher-Nacher-Bildern zu fast jedem Haus. Phantasiefachwerkhäuser (Gerlach-Schmiede etc.) sind auch nicht jedermanns Ding...

    Also ich komme viel rum, fahr mal nach Pforzheim, Bremerhaven, Ludwigshafen, Essen, Bochum, Duisburg, Dortmund, Offenbach...

    Als - relativ- gelungen würde ich zum Beispiel - neben Nürnberg- den Wiederaufbau in Donauwörth, Münster und Freudenstadt, Freiburg betrachten.

    In Nürnberg gefällt mir die - weitgehende- Wiederherstellung der Strassenführung, relative Kleinteiligkeit, Wiederherstellung der Dachlandschaften, architektonisch äußerst wertvolle Einzeldenkmale, relativ intakter Einzelhandel/Gastronomieszene.

  • Götzenhainer: Findest du am östlichen Sebald wirklich irgendwas gelungen. Ich finde ganz im Ernst manche Ecken des Wiederaufbaus in Bochum oder Essen gelungener.

    Und Gastronomie und Gewerbestruktur haben mit ästhetischer Qualität nun gar nichts zu tun.

  • Man muss die Stadt aber als Gesamtheit betrachten... Klar ist der Wiederaufbau in Teilen grottenschlecht, im ganzen gesehen schlägt die Stadt aber ihre unzerstörten Nachbarn/andere Städte um Längen (heisst trotzdem nicht dass ich mit allem zufrieden bin!).

    Ich kenne - neben dem Essener Münster- in beiden genannten Städten keine Bauten/Ensembles von herausragender Qualität...

    Und die ästhetische Qualität hängt sehr wohl davon ab ob ich an zugenagelten Schaufenstern, Dönerläden mit Plastikbestuhlung und 1-Euro-Läden entlang flaniere...

    Übrigens ist der Wiederaufbau der 50iger Jahre oft im Nachhinein verschandelt worden, siehe zum Beispiel Fenster der Kugel-Apotheke etc. (hierzu gibt es einen interessanten Artikel in den Altstadt
    Berichten)...

  • In der Gesamtheit sieht Nürnberg bei allen Fehlern schon deutlich besser und heimeliger aus als die meisten anderen vergleichbar großen und zerstörten Städte. Ärgerlich ist, daß einfache Verbesserungsmöglichkeiten nicht ergriffen werden.
    Freilich darf auch ein jeder Nürnberg als die häßlichste deutsche Stadt empfinden. Ihm muß dabei nur klar sein, daß er eine absolute Minderheitenmeinung vertritt.

  • Aber wenn man weiß, wie die nürnberger Altstadt vor 1945 genau ausgesehen hat, gehört Nürnberg schließlich doch zum Schlimmsten, was die BRD so zu bieten hat. Dies zusammen mit Braunschweig und Hildesheim (naja, dort wurde zumindest der Marktplatz völlig wiederaufgebaut!), und auch in Frankfurt/Main wurde immer noch zu wenig rekonstruiert!

  • @ Rothenstein:

    • Zähle doch mal auf welche Städte "in dieser Größenordnung" (also offenbar nicht das von dir stets erwähnte Rothenburg o.d.T oder eben Freudenstadt) aus deiner Sicht "besser" sind und weshalb genau?
    • Oder erkläre doch mal konkret was du verändern würdest?
    • Und welche "verdreckten Viertel" um die Altstadt meinst du?

    d.

    In vielen deutschen Städten gibt es noch historische Platzanlagen und Ansichten, die entweder ganz oder teilweise erhalten bzw. rekonstruiert worden sind.

    Dresden hat seine innerste, höfische Altstadt zu großen Teilen rekonstruiert; die Elbsilhouette, aber auch ganze Plätze wie der Theaterplatz sind wunderschön und ohne modernistische Zutaten, die einem alles versalzen, genießbar. Dazu kommen natürlich die unvergleichlichen Villenviertel, die kaum zerstört wurden und Dresden immer noch umgeben. Das Problem ist das Fehlen der bürgerlichen Altstadt, und der Ring von Plattenbauten um die höfische Altstadt.

    Leipzig wollen wir mal gar nicht vergleichen. Hier ist noch so viel erhalten, dass sich ein Vergleich mit dem hässlichen gerupften Entlein verbietet.

    In Stuttgart wird es schwieriger. Aber auch der Schillerplatz ist ganz weitgehend, mit einer kleinen Ausnahme, eine Augenweide, die es so in Nürnberg nicht gibt. Mal ganz abgesehen davon, dass auch der Schlossplatz in Stuttgart trotz der teilweise modernen Bebauung eine gute Figur macht.

    Ähnliches gilt für Bremen, das seinen Marktplatz als gute Stube hat, trotz einiger moderner Einsprengsel, die aber nicht so spießig und banal daherkommen wie in Nürnberg.

    In Frankfurt gibt es den Römerberg, der zwar nicht frei von Bausünden ist, aber durchaus wieder mit seiner Ostzeile Wirkung entfaltet. Und nun gibt es dazu als intimes Pendant ja auch wieder den Hühnermarkt!

    Nürnberg kann da nicht mithalten. Der Hauptmarkt ist vollkommen unwürdig und verhunzt, und selbst bei kleineren Plätzen, an denen viele Häuser gut erhalten waren, hat man es geschafft, die Atmosphäre durch moderne Einsprengsel zu zerstören, siehe Unschlittplatz, Platz am Tiergärtnertor oder Albrecht-Dürer-Platz. Die Partien an der Pegnitz sind entstellt durch spießige, grobschlächtige Fünfzigerjahre-Bauten und unmaßstäbliche spätere Bauten, zu denen sich ja jetzt auch noch das Augustinerareal gesellen wird. Was für ein Armutszeugnis.