Vergleich deutscher und österreichischer Städte

  • Wir werden zwar wirklich etwas off-topic, aber ich möchte einige Dinge hinzufügen:

    Das Heilige Römische Reich hatte meiner Ansicht nach eine Doppelrolle: Es war durchaus auf der einen Seite ein supranationales Gebilde, welches über seinen regionalen Bezug hinaus die "Ordnung der Welt" repräsentierte (sein Kaisertum wurde auch als universales Kaisertum verstanden), zugleich aber wuchs es, wie Philon richtig darstellt, in die Rolle eines Reiches der Deutschen hinein, nachdem zahlreiche nichtdeutsche Reichsteile weggefallen waren. Gegen Ende wird ja nicht nur von einem "Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation" gesprochen, sondern wirklich vom "Deutschen Reich" (Goethe verwendet diesen Ausdruck in Dichtung und Wahrheit; der Kaiser in Wien verwendet ihn selbst, als er das Reich 1806 für aufgelöst erklärt). Um die komplexen Verhältnisse des Reiches zu beschreiben, benutzte der dänische Historiker Ludvig Holberg 1745 die Formulierung: "Deutschland wird auf deutsch regiert."

    Letzlich aber halte ich das Gebilde "Heiliges Römisches Reich" gar nicht für wesentlich, wenn es darum geht, die Existenz einer deutschen Identität vor 1871 nachzuweisen. Für Italien beispielsweise fehlte ein solcher Dachverband völlig, und dennoch gab es vor der Entstehung des italienischen Nationalstaates ganz eindeutig eine italienische Identität.

  • Letztlich sei noch angemerkt, daß neben Schlesien und Teilen des heutigen Bayerisch-Schwabens auch das Breisgau mitsamt Freiburg zu Österreich gehörten (unter der Bezeichnung Vorderösterreich). Daß unter der österreichischen Nation heute fast ausschließlich baierisch geprägte Gebiete (ich schreibe das absichtlich mit ai) gehören, ist also letztlich eher Zufall... im 18. Jahrhundert wäre ich aufgrund dieser regionalen Zuordnung (Vorfahren aus Schlesien und Bayerisch-Schwaben) wahrscheinlich selbst Österreicher gewesen :D

    Ich schließe mich daher meinen Vorrednern an - ein eigenständiges Österreich sehe ich eigentlich erst seit der durch Bismarck erzwungenen kleindeutschen Lösung, zuvor hatten ja die Habsburger über Jahrhunderte hinweg die Führungsposition im Hl. Römischen Reich wie auch im Deutschen Bund inne (soweit ich weiß, kämpften die Bundestruppen 1866 unter österreichischer Führung ja unter der schwarz-rot-goldenen Fahne).

    Damit will ich aber überhaupt nicht die Eigenstaatlichkeit Österreichs in Frage stellen - es ist völlig normal, daß Bürger gleicher Sprache und Kultur in verschiedenen Staaten leben. Mich würde es auch überhaupt nicht stören, wenn wir einen separaten süddeutschen oder bayerischen Staat hätten (würde ich als gebürtiger Bayer sogar begrüßen :gg: )

  • @silesianospostato

    Zitat

    Damit will ich aber überhaupt nicht die Eigenstaatlichkeit Österreichs in Frage stellen - es ist völlig normal, daß Bürger gleicher Sprache und Kultur in verschiedenen Staaten leben. Mich würde es auch überhaupt nicht stören, wenn wir einen separaten süddeutschen oder bayerischen Staat hätten (würde ich als gebürtiger Bayer sogar begrüßen )

    Dazu gibt es eine wissenschaftlich hervorragende ORF-Fernsehdokumentation von Hugo Portisch: "Die Zweite Republik - Eine unglaubliche Geschichte"

    Den Siegermächten war lange Zeit noch überhaupt nicht klar, wie die politischen Staatsgrenzen Deutschlands (und Österreichs) aussehen sollten.

    Es gab verschiedene Varianten, die angedacht wurden:

    Eine Variante sah vor, dass Bayern und Österreich in einem Staat zusammen geschlossen werden sollte (laut Hugo Portisch sollte dieser Staat ein Gegengewicht bilden)

    Eine andere Variante sah vor, dass Österreich bei Deutschland verbleiben soll, da sich die Bevölkerung bei der von den Nazi abgehaltenen Abstimmung für einen Anschluss entschieden hat.

    Eine weitere Regelung sah die Bildung von drei Staaten vor (BRD, DDR und Österreich). Diese Variante wurde schließlich auch gewählt.

    Die vierte Variante fällt mir nicht mehr ein.

  • Philon:

    - Der Zusatz "deutscher Nation" hat sich nicht erst im 17. durchgesetzt, sondern war ab dem 16. offiziel.

    - Und dass Reichsgesetze und Reichskammergericht effektiv waren, ist mehr als eine gewagte These! "Da beißt die Maus keinen Faden ab" :zwinkern:

    - Daß nur die Preußen im 18. Jahrhundert die deutsche "Staatlichkeit" des Reiches in Abrede stellen, ist falsch. Die gesamte Reichsgeschichte - vom Beginn an - ist geprägt vom Ringen gegen Desintegration.

    - Daß die Zeitgenossen im Reich eine deutsche Staatlichkeit erblickten, ist auch unzutreffend. Wenn die Landeskinder eine "Staatlichkeit" kannten, dann nur die ihrer Landesherrn. Es ist ein schiefes Beispiel, aber Du kannst Dir das so vorstellen, daß der Kaiser einem Landeskind so relevant und nah war wie Dir heute der EU-Kommisionspräsident. Eher weniger.

    Zitat

    Dein Mißverständnis liegt darin, daß du den Begriff "Königreich" im letzteren Sinn verstehst, während es mir darum ging zu zeigen, welche Institution zu verschiedenen Zeiten der Träger deutscher Staatlichkeit war.


    Aaaaha, es geht also nur darum, daß es irgendwas, irgendeine politische Fassung irgendwie für Deutschland gab. Klar, ab dem Teutonenthing, d'accord.

    Zitat

    Sie wird mit Vorliebe von Historikern vertreten, die heute so zwischen 50 und 75 Jahre alt sind und die jeder Form nationaler Staatlichkeit ablehnend gegenüber stehen. Deshalb stilisieren sie das Reich zu einem nicht-nationalen Staatsverband, der von keinerlei nationalem Bewußtsein geprägt gewesen sei und auch keines geformt habe.

    Nun machst Du aber unter anderem Vorzeichen genau den selben Fehler wie die von Dir gescholtenen: Nationalgeschichte ist abtrennbar von der Geschichte der politischen Institutionen. In Deutschland zwingender als anderswo. Schon im Rom des 12. Jahrhunderts hatten beispielsweise die Pilger nationale Einrichtungen - darunter die der deutschen Nation. Du hast bestimmt Recht mit der Vermutung, daß man von der Geschichte einer deutschen Nation contra facta lange nichts hören mochte. Aber die Antwort kann nicht sein, die Reichsgeschichte nationalstaatlich zu verklären.

    Also Deine "Quellen" interessieren mich wirklich! Den katastrophalen Zustand Berliner Bibliotheken kenne ich ja. Aber schöne, passende Ausstellungen gibt's doch gerade in der Bundeshauptstadt!

  • Zitat

    - Daß nur die Preußen im 18. Jahrhundert die deutsche "Staatlichkeit" des Reiches in Abrede stellen, ist falsch.

    Das habe ich auch nie behauptet. Ich habe darauf hingewiesen, daß Preußen der einzige deutsche Territorialstaat war, der (abgesehen vom 30'jährigen Krieg) je einen Krieg gegen das Reich geführt hat und daß sich in der Folge in Preußen ein gegen das Reich stehendes "Nationalbewußtsein" ausgebildet hat, wie es das sonst in keinem Glied des Reichs gab. Unterstell' mir doch nicht immer was anderes, als ich gesagt habe.

    Zitat

    Es ist ein schiefes Beispiel, aber Du kannst Dir das so vorstellen, daß der Kaiser einem Landeskind so relevant und nah war wie Dir heute der EU-Kommisionspräsident. Eher weniger.


    Das halte ich doch für eine sehr gewagte These. Gerade die religiöse und symbolische Bedeutung des Kaisertums spricht da eindeutig dagegen.

    Zitat


    Aber die Antwort kann nicht sein, die Reichsgeschichte nationalstaatlich zu verklären.


    Auch das tue ich ja nicht. Ich sage nur, daß die Dichotomie, die die anti-nationalen modernen Historiker aufbauen: "entweder etwas ist Nationalstaat oder es ist gar nicht national" falsch ist und gerade das Spezifikum des Reichs, kein Nationalstaat im Sinn des 19. Jahrhunderts, aber dennoch eine Form nationaler Staatlichkeit - wenn auch, worüber wir uns ja völlig einig sind, in nur sehr rudimentärer und vielfach machtloser Weise - zu sein, nicht erfassen kann.

    Zitat

    Also Deine "Quellen" interessieren mich wirklich!


    Restitutor hat schon mehrere genannt. In den Archiven der Reichsstädte wirst du hunderte weiterer finden, die von einem dezidierten deutschen "Reichsbewußtsein" zeugen.

    Zitat

    Den katastrophalen Zustand Berliner Bibliotheken kenne ich ja. Aber schöne, passende Ausstellungen gibt's doch gerade in der Bundeshauptstadt!

    Deinen aggressiven und beleidigenden Ton kannst du dir schenken. Ich brauche keine solche Belehrungen. Mit dem Alten Reich im 17. und 18. Jahrhundert habe ich mich mein ganzes Hauptstudium hindurch beschäftigt.

  • Zitat

    Es ist ein schiefes Beispiel, aber Du kannst Dir das so vorstellen, daß der Kaiser einem Landeskind so relevant und nah war wie Dir heute der EU-Kommisionspräsident. Eher weniger.

    Also, das Beispiel halte ich für mehr als nur schief.

    Nehmen wir mal wieder den guten alten Goethe: Soweit ich mich richtig erinnere, schreibt er irgendwo, dass seine Mutter ihm anlässlich der Auflösung des Reiches in einem Brief mitteilt, sie habe nun zum ersten Mal nicht mehr Kaiser und Reich in ihr Nachtgebet eingeschlossen.

    Wie viele Menschen schließen heute schon den EU-Kommissionspräsidenten in ihr Nachtgebet ein? :zwinkern: Er wird auch nicht, wie der Kaiser, mit Frankfurter Festlichkeiten in sein Amt eingesetzt, die gleichzeitig einen würdevollen wie volksfestartigen Charakter haben. Ganz abgesehen davon, dass der Name des Kaiser bei den Menschen im Reich allgemein bekannt gewesen sein dürfte, während der Name des EU-Kommissionspräsidenten einer breiteren Masse wohl nicht geläufig ist.

    Sicherlich werden Kaiserbegeisterung und Reichspatriotismus in den kleineren Territorien (Reichsstädte und Kleinstfürstentümer) stärker ausgeprägt gewesen sein als bei den größeren (Brandenburg-Preußen, Sachsen, Bayern, etc.), da letztere auch ohne den Dachverband "Reich" politisch lebensfähig waren. Dennoch darf man nicht vergessen, dass die Bedeutung des Kaisertitels weit über die Grenzen des Reiches hinausstrahlte.

  • nochmals zurück zu Archtitektur und Stadtbild. Ich wollte nicht behaupten, dass Ö nach dem 2. WK keine Zuwanderung durch Vertriebene oder Flüchtlinge hatte, sondern dass bedingt durch den Bevölkerungsverlust in den Ö Städten nach dem 1. WK, diese Zuwanderung nicht zu einem so grossen Babauungsdruck in und um den Städten führte, da ausreichend "alte" Bausubstanz vorhanden war.

  • Zitat von "niko"

    nochmals zurück zu Archtitektur und Stadtbild. Ich wollte nicht behaupten, dass Ö nach dem 2. WK keine Zuwanderung durch Vertriebene oder Flüchtlinge hatte, sondern dass bedingt durch den Bevölkerungsverlust in den Ö Städten nach dem 1. WK, diese Zuwanderung nicht zu einem so grossen Babauungsdruck in und um den Städten führte, da ausreichend "alte" Bausubstanz vorhanden war.

    Hallo niko,
    ja das ist eine interesseante Überlegung. Hier mal eine Liste wieviele Einwohner die deutsche und österreichische Städte im Jahre 1910 so
    hatten. Fett, wo die Einwohnerzahl seitdem abgenommen hat. Und
    unterstrichen, wo die Einwohnerzahl sich mehr als verdoppelt hat.
    Wien 2.083.630 (heute 1.651.365)
    Berlin 2.071.257 (3.395.189)
    Hamburg 931.035 (mit Altona und Harburg um 1.200.000) (1.743.627)
    München 596.467 (1.259.677)
    [lexicon='Leipzig'][/lexicon] 589.850 (502.651)
    Köln 516.527 (983.347)
    Dresden 548.308 (495.181)
    Frankfurt 414.576 (651.899)
    Düsseldorf 358.728 (574.514)
    Nürnberg 333.142 (499.237)
    Hannover 302.375 (515.729)
    Essen 294.653 (585.430)
    Chemnitz 287.807 (246.587)
    Stuttgart 286.218 (592.569)
    Magdeburg 279.629 (229.126)
    Bremen 247.437 (546.852)
    Duisburg 229.483 (501.564)
    Dortmund 214.226 (588.168)
    Graz 193.790 (244.537)
    Halle 180.843 (237.513)
    Kassel 153.196 (194.427)
    Braunschweig 143.552 (245.273)
    Bochum 136.931 (377.730)
    Plauen 121.272 (69.160)
    Erfurt 111.463 (202.844)
    Mainz 110.634 (194.372)
    Wiesbaden 109.002 (274.865)
    Lübeck 98.656 (211.825)
    Linz 97.852 (188.407)
    Münster 90.254 (270.868)
    Bonn 87.978 (312.818)
    Görlitz 85.806 (57.942)
    Freiburg 83.324 (215.966)
    Zwickau 73.542 (97.832)
    Rostock 65.383 (199.288)
    Innsbruck 65.221 (116.881)
    Salzburg 56.423 (148.549)
    Ulm 56.109 (120.625)
    Jena 38.487 (102.532)

    alle Werte von wikipedia

    Interessant, daß gerade die weniger schönen Städte meistens einen
    enormen Wachstum an Bevölkerung hatten. Und dort, wo die Zahl
    gesunken ist, meist schöne Bebauung vorherrscht. Natürlich fälscht
    der Ulbricht-Faktor dieses Bild. :aufdenkopf: Ein Zusammenhang
    von Schönheit einer Stadt mit der Veränderung der Einwohnerzahl scheint
    aber wohl gegeben zu sein. :lehrer:

  • Die Situation 1910 -heute lässt schon Tendenzen sehen das die Bevölkerung der Westdeutsche Städte seit 1910 gewachsen ist und die der Mitteldeutsche Städte (dramatisch) gesunken ist (ausserhalb Berlin).
    [lexicon='Leipzig'][/lexicon]: fast 800.000 Einwohenr in 1939 (und geplannt 1 million vor 1945) bis heute 490.000. Also fast halbiert!!!

    Die Wachstum der W. Deutsche Städten hat 2 Ursachen: weitere Industriualisierung (Wachstum Städte, Abnahme Bauernbevölkerung, Dörfer) und die Umsiedlung/ Vertreibung von 15 Millionen Deutschen (der 19 Millionen) nach der DDR (+ 4 million und BRD: + 11 million). 2 millionen blieben zurück und 2 millionen kamen um (Angaben DRK, Kirchliche Suchdiensten usw). Daneben entflohen millionen der DDR zur günste der BRD.
    Die Mehrzahl der Städte in der BRD erreichten das grösste Einwohnerzahl in der Mitte der 60-er Jahren (vorigen Jahrhunderts). Nur München, Frankfurt und Köln wuchsen weiter.
    In der Mitte Deutschland sanken die Zahlen und halbierten fast die Vorkriegseinwohnerzahlen. Ursache: Politische & Ekonömische Flucht aus der DDR. Auch nach der Wiedervereinigung wurde diesen Proces nicht gehaltet bis heute die sich verbesserende Ekonomie in der Ehemalige DDR endlich schluss macht mit das Herabsinken.

    Rob

  • Richtig - Vertreibung/Flucht waren die größten Wachstumsfaktoren. Ich habe mal gelesen, daß auf dem Gebiet der ehemaligen BRD-West vor dem Krieg ungefähr 40 Millionen Menschen lebten, in den sechziger Jahren aber schon 55 Millionen. Manche Bundesländer wie Schleswig-Holstein wuchsen in der Nachkriegszeit um 40 % - in diesem Fall durch den Zuzug von Menschen insbesondere aus Ostpreußen und Pommern.

    Dies erklärt zusammen mit den Kriegszerstörungen wohl auch, weshalb sehr schnell sehr viel gebaut werden mußte - einer der vielen Gründe (neben ideologischen Gründen), weshalb viele Städte heute so häßlich sind.

  • Zitat

    Interessant, daß gerade die weniger schönen Städte meistens einen enormen Wachstum an Bevölkerung hatten. Und dort, wo die Zahl gesunken ist, meist schöne Bebauung vorherrscht. Natürlich fälscht der Ulbricht-Faktor dieses Bild. Ein Zusammenhang von Schönheit einer Stadt mit der Veränderung der Einwohnerzahl scheint aber wohl gegeben zu sein.

    Na ja, das ist ungefähr so, als würde man aus der (tatsächlich gegebenen) statistischen Korrelation zwischen hoher Storchenpopulation und Geburtenrate schließen, daß der Storch doch die Kinder bringt.
    Die höchste Wachstumsrate hatten die Städte immer noch, als sie völlig unzerstört erhalten waren, nämlich im 19. Jahrhundert.
    Neben dem erwähnten Zusammenhang mit den Vertreibungen liegt der Zusammenhang von Häßlichkeit/Geschichtslosigkeit und Bevölkerungszahl schlicht daran, daß die britische Luftkriegsführung - Ausnahmen immer zugestanden - ihr Zerstörungsprgramm nach zwei Faktoren "abarbeitete":
    a.) Größe der Stadt: die größeren Städte zuerst, dann die kleineren
    b.) Reichweite der Bomberflotten: daher wurden die nord- und westdeutschen Städte früher, öfter und intensiver bombardiert als die mittel-, süd- und ostdeutschen.

  • Noch einmal kurz zu davilas Frage zu Literatur und Quellen zum sogenannten "Reichspatriotismus", d.h. dem u.a. auf das Alte Reich bezogenen deutschen Nationalbewußtsein des 15. bis 18. Jahrhunderts. Ich habe nochmal in meinen Unterlagen gekramt. Folgende neuere Monographien/Sammelbände bieten exzellente Darstellungen des Reichspatriotismus und enthalten eine erschlagende Fülle von Quellen oder Quellenangaben:


    1.) Wolfgang Burgdorf: Reichskonstitution und Nation. Verfassungsreformprojekte für das Heilige römische Reich Deutscher Nation im politischen Schrifttum von 1648 bis 1806, Mainz 1998 (für die Zeit nach dem Westfälischen Frieden)
    2.) Herfried Münkler/Hans Grünberger/ Kathrin Mayer (Hrsg.): Nationenbildung. Die Nationalisierung Europas im Diskurs humanistischer Intellektueller. Italien und Deutschland, Berlin 1998 (für das 15. und 16. Jhdt.)
    3.) Georg Schmidt: Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495-1806, München 1999 (allgemeiner Überblick mit Schwerpunkt auf der Frage nach dem Nationalbewußtsein und seiner Wechselwirkung mit dem Problem der Staatlichkeit unter den Bedingungen des Alten Reichs)
    4.) Martin Wrede: Das Reich und seine Feinde. Politische Feindbilder in der reichspatriotischen Publizistik zwischen Westfälischem Frieden und Siebenjährigem Krieg, Mainz 2004 (Neue Studie mit zahllosen Quellen)

  • Philon, die Einwohnerzahlen können ja auch nur ein Hilfsmittel zum Verständnis sein, warum wir heute in diesen Betonwüsten leben müssen. Allgemein wird nunmal die Bebauung vor 1910 von den meisten Menschen als schön empfunden und danach eher als nicht schön. Somit ist meine Herausarbeitung der Einwohnerzahlen von 1910 im Vergleich zu 2006 gar nicht mal so uninteressant, denn hier liegen ja gerade eine der Gründe für die Bebauung. Wenn also eine Stadt wie Bochum im Jahre 1910 136.931 Einwohner besaß und heute 377.730, dann müssen also mindestens (man denke hier als zusätzlichen Faktor Kriegszerstörung) für fast 240.000 Menschen neue Wohnungen gebaut worden sein. Das alleine zeigt schon, wieviel Bauhausarchitektur "alleine aus demographischen Gründen" dort gebaut sein müssen. Das zieht sich durch alle großen Städte Westdeutschlands.
    In den Zahlen kann man außerdem auch recht gut erklären, warum gerade [lexicon='Leipzig'][/lexicon] und Wien eine recht große Dichte an schöner Bebauung besitzen. Grund ist hier einfach, daß die Bevölkerung geschrumpft ist und kaum neue Häuser "auf Grund der Demographie" gebaut werden mussten. Natürlich hat der Krieg auch hier einen Effekt, aber möglicherweise ist er doch nicht so groß, wie wir uns das immer gedacht haben. :zwinkern:

  • Zitat

    Natürlich hat der Krieg auch hier einen Effekt, aber möglicherweise ist er doch nicht so groß, wie wir uns das immer gedacht haben.

    Für das Fehlen der Altstädte mit ihrer ganzen Schönheit und Geschichtstiefe in 160 größeren und kleineren deutschen Städten ist er praktisch allein verantwortlich. Diesen "Effekt" kann man gar nicht unterschätzen. Er ist sogar eher größer, als wir gemeinhin denken.

  • Zitat von "Philon"

    Für das Fehlen der Altstädte mit ihrer ganzen Schönheit und Geschichtstiefe in 160 größeren und kleineren deutschen Städten ist er praktisch allein verantwortlich. Diesen "Effekt" kann man gar nicht unterschätzen. Er ist sogar eher größer, als wir gemeinhin denken.

    Nun Philon, nehmen wir Bochum als Beispiel. Wie zuvor geschrieben lebten dort 1910 136000 Menschen, im Mai 1939 305000, 1975 414000 und heute 377000 Menschen. Es hat also schon 1939 mehr als jeder zweite wahrscheinlich in einer "Bauhauskiste" gewohnt. Dann kommen die Bomber und zerstören zu sagen wir 40 % die Stadt. Für knapp 150000 muss neu gebaut werden, wovon ca 60000 zuvor in "schönen Häusern" vor 1910 gewohnt haben. Nach dem Krieg kommt dann nochmal eine zusätzliche Veränderung der Demographie, so daß nochmal für 100000 Leute neue Bauhauswohnungen gebaut werden müssen. Zieht man nun einen Strich unter die Rechnung, so stellt man fest, daß

    377000 Menschen heute in Bochum leben
    ca . für 410000 Menschen Wohnungen existieren
    70000 Menschen noch in Wohnungen von vor 1910 leben
    und 300000 Menschen in Bauhausklötzen

    Weil meine 40% Zerstörung nur eine Schätzung ist, kann diese natürlich stark nach oben und unten schwanken. Wenn man aber die genauen Zahlen hat, so kann man das schon sehr genau ausrechnen.

  • @ Oliver:

    Das ist schon alles richtig, aber worum es mir - und sicher den meisten hier im Forum auch - geht, sind die Altstädte, die als solche Charakter und Seele der Städte ausmachten (schon die Gründerzeitviertel waren demgegenüber, von wenigen Ausnahmen abgesehen, fast so austauschbar und seelenlos wie die Bebauung des 20. Jahrhunderts). Und die wurden nunmal durch den Krieg zerstört. Wären sie noch da, würden mir häßliche Neubauten in den Außenbezirken nicht das geringste ausmachen.
    Außerdem ist Bochum als typische Industriestadt des 19.-20. Jahrhunderts ohnehin nicht unbedingt das beste Beispiel.

  • Zitat von "Philon"

    @ Oliver:

    Das ist schon alles richtig, aber worum es mir - und sicher den meisten hier im Forum auch - geht, sind die Altstädte, die als solche Charakter und Seele der Städte ausmachten (schon die Gründerzeitviertel waren demgegenüber, von wenigen Ausnahmen abgesehen, fast so austauschbar und seelenlos wie die Bebauung des 20. Jahrhunderts). Und die wurden nunmal durch den Krieg zerstört. Wären sie noch da, würden mir häßliche Neubauten in den Außenbezirken nicht das geringste ausmachen.
    Außerdem ist Bochum als typische Industriestadt des 19.-20. Jahrhunderts ohnehin nicht unbedingt das beste Beispiel.

    Hallo Philon,
    mir fehlen die vielen schönen Altstädte ja auch ! Derzeit wohne ich wieder in meiner Geburtsstadt Dorsten und Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie traurig ich es finde, daß die britischen Bomber das lichterloh brennende Dorsten als "Brandmarke" nutzten, um den Weg nach Essen zu finden. Diese Stadt sah früher aus wie das heutige Rothenburg ob der Tauber - gerade einmal 2 Häuser haben diesen Zerstörungswahn überstanden.... :weinenstroemen:

  • Bei dem vergleich der Einwohnerzahlen von 1910 und heute muss man auch die teilweise häufig während dieser Perioden vorgenommenen Eingemeindungen begücksichtigen, sonst können diese Zahlen doch sehr arg verzerrt werden.

  • Man muss aber auch bedenken, dass in den 20er-Jahren sowie den 50er bis 70er Jahren sehr viele Städte eingemeindet wurden. So hat Dortmund sich z.B. die mittelgroßen Städte Hörde und Aplerbeck einverleibt, die auch heute noch einen großen Altbaubestand samt eigenem Stadtzentrum aufweisen, Bochum ist mit Wattenscheid zusammengelegt worden, in Köln wurden sogar (wenn auch etwas früher) zwei Großstädte, Mülheim und Kalk, eingemeindet.
    Das muss man auch bedenken, gerade Industriezentren haben Stadtteile, die weitaus historischer wirken als die Stadt selber. Andrerseits wurden in der Nachkriegszeit auch ganze Stadtviertel hochgezogen wie z.B. Köln-Chorweiler, Stuttgart-Asemwald oder Freiburg-Landwasser.... die das Stadtbild an sich aber nicht stören, da diese Betonburgen weit draußen liegen.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Im Kern hat Oliver schon recht: Städte, die nach 1945 einen Boom und dadurch auch einen rasanten Bevölkerungswachstum erlebten, sind heute mit am meißten verschandelt. Eine Ausnahme mag da München sein, was aber eigentlich auch wieder nicht verwundert, denn der Boom der Bayern-Metropole brach erst gegen Ende der Achtziger aus. Seitdem sieht's dort mit nachhaltigem Städtebau auch nicht mehr so rosig aus (siehe Thread "Münchner Bausituation").

    Beispiel:
    Wäre das einst sehr wirtschaftsstarke [lexicon='Leipzig'][/lexicon] weiterhin im amerikanischen Sektor geblieben und somit an Westdeutschland gefallen (die Grenze zur SBZ verlief anfangs ca. 25 km weiter östlich), stünden heute vermutlich nicht einmal mehr die Hälfte der heutigen Gründerzeitgebäude. Und die, die noch stehen würden, wären in der Nachkriegszeit nach der üblichen westdeutschen Manier verschandelt worden, hätten ergo nicht den Qualitätsstandard gehabt, den sie heute besitzen. Des Weiteren hätten Stadtautobahnen auf riesigen Beton-Pfeilern die Stadtteile zerschnitten, Parkhäuser aus angegrautem Beton stünden en masse in der Innenstadt rum und die jetzigen Plattenbaugebiete am Rande der Stadt wären durch monströse Betonburgen ersetzt worden, wo sich eine gefährliche Masse an Verlierern der Gesellschaft zusammengefunden hätte.

    Hätte, wenn und wäre ... damit kein einseitiges Bild entsteht: Ulbricht und seine Epigonen waren ja auch nicht so ganz untätig in Sachen Stadtzerstörung gewesen (die Pauliner- und Johanniskirche wäre vermutlich der Stadt erhalten geblieben und die Matthäikirche wieder aufgebaut worden) und was Fördermittel böses anrichten können, kann in den entsprechenden Threads nachgelesen werden.

    Zitat von "Philon"

    ...sind die Altstädte, die als solche Charakter und Seele der Städte ausmachten (schon die Gründerzeitviertel waren demgegenüber, von wenigen Ausnahmen abgesehen, fast so austauschbar und seelenlos wie die Bebauung des 20. Jahrhunderts).


    Das sehe ich naturgemäß anders: Gerade in den deutschen Altstädten ist man in der Gründerzeitbebauung sehr bewusst auf regionaltypische Gegebenheiten eingegangen. Die Frankfurter Braubachstraße kann man wohl baulich nicht mit der Leipziger Hainstraße vergleichen (ist das beste Beispiel, was mir dazu jetzt einfällt). Freilich anders sah es in den Vorstädten aus, wobei es auch da regionale Unterschiede gab.