Dresden - der Große Garten

  • Danke an alle für die wertvollen Hinweise! Es lohnt sich, die Argumente der Rekonstruktionsgegner hier so deutlich zu lesen und daraus für die eigene Argumentation zu lernen.
    Ein kleines Beispiel: Im Aufsatz von Tietz ist mir das Motto des Denkmalpflegers Georg Mörsch aus Zürich "Rekonstruktion zerstört" aufgefallen. Das klingt auf den ersten Blick originell, provokant und dabei zugleich widersprüchlich, rätselhaft - also genau die richtige Mischung für das Zeitungsfeuilleton und das schicke Geplauder beim Sektempfang auf der nächsten Vernissage. Dass diese Behauptung in ihrer Absolutheit schlichtweg Unsinn ist, wird ein Publikum kaum interessieren, dem die originelle Formulierung wichtiger ist als deren Inhalt. Genau für dieses Publikum und seine speziellen Vorlieben sind aber offensichtlich viele Texte von Rekogegnern geschrieben. Lange Zeit war deren Strategie der Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland durchaus erfolgreich. Tüchtige Lobbyisten wie Manfred Sack für die ZEIT und Bartetzko für das Feuilleton der FAZ haben mit dieser altbewährten Methode auch versucht, die Frauenkirche zu verhindern - und sind damit glorreich gescheitert. Seitdem versucht man auf andere Weise, die Entwicklung in Dresden zu beeinflussen: Gewandhaus, der stille Richtungswechsel beim Schloss...

  • Zitat von "Mathias"

    Danke an alle für die wertvollen Hinweise! Es lohnt sich, die Argumente der Rekonstruktionsgegner hier so deutlich zu lesen und daraus für die eigene Argumentation zu lernen.
    Ein kleines Beispiel: Im Aufsatz von Tietz ist mir das Motto des Denkmalpflegers Georg Mörsch aus Zürich "Rekonstruktion zerstört" aufgefallen. Das klingt auf den ersten Blick originell, provokant und dabei zugleich widersprüchlich, rätselhaft - also genau die richtige Mischung für das Zeitungsfeuilleton und das schicke Geplauder beim Sektempfang auf der nächsten Vernissage. Dass diese Behauptung in ihrer Absolutheit schlichtweg Unsinn ist, wird ein Publikum kaum interessieren, dem die originelle Formulierung wichtiger ist als deren Inhalt. Genau für dieses Publikum und seine speziellen Vorlieben sind aber offensichtlich viele Texte von Rekogegnern geschrieben. Lange Zeit war deren Strategie der Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland durchaus erfolgreich. Tüchtige Lobbyisten wie Manfred Sack für die ZEIT und Bartetzko für das Feuilleton der FAZ haben mit dieser altbewährten Methode auch versucht, die Frauenkirche zu verhindern - und sind damit glorreich gescheitert. Seitdem versucht man auf andere Weise, die Entwicklung in Dresden zu beeinflussen: Gewandhaus, der stille Richtungswechsel beim Schloss...

    Ich kann da nur noch mal auf diese Quellensammlung verweisen:
    http://www.base-search.net/index.php?BASE…l&refid=dcbasde

    Besonders interessant sind die Rezension zur Tagung der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger aus dem Jahre 2002 von Marie-Luise Buchinger mit dem Thema "Vom Nutzen und Nachteil der Denkmalpflege für das Leben"und der Votrag von Stefan Hertzig zum Thema "Rekonstruktion als Methode der Denkmalpflege".

  • @ Leipziger
    Danke für den Artikel.

    Also wenn ich DAS schon lese:

    Zitat

    Dresden erfindet seine (Bau-)Geschichte derzeit nicht nur rund um den Neumarkt und der Frauenkirche neu.


    :?: Was, wie? Neu erfinden? Wir reparieren die Stadt und lassen Geschichte wieder auferstehen - wir erfinden nichts "Neues", sondern holen das "Alte" zurück, weil ihr Deppen zu blöd seit was Vernünftiges zu bauen :!:
    Schön hier zu sehen warum:http://www.afgh.ch/werkliste.htm
    - Schaut mal in den Strang "Endlich mal ein Haus das sich einfügt!" -

    Oder DAS:

    Zitat

    Jetzt droht(!) die Rekonstruktion eines der bedeutendsten Barockbauten der Stadt: des Palais im Großen Garten.


    Hilfe es droht eine Rekonstruktion - rette sich wer kann, Frauen und Kinder zuerst. Wir werden alle sterben - ahh!
    Früher wurden Gebäude durch Krieg und Feuer bedroht, heutzutage durch Architekten und dem Denkmalschutz - Wahnsinn!

    Und weiter:

    Zitat

    Ganz zu schweigen von der drohenden Übernutzung des einstigen sommerlichen Lusthauses als Veranstaltungsort,


    Ich dachte bisher, daß ein Gebäude zur Nutzung durch Menschen gedacht ist. Wahr wohl ein Irrtum und erklärt auch die Hässlichkeit vieler "moderner" Bauten. Schließlich soll es die Menschen davon abhalten es zu nutzen, sonst würde ja so manch einzigartige Aura verloren gehen, so mit den ganzen Menschen in einem Gebäude.
    Damit wäre auch sowas http://afgh.ch/index241.htm zu erklären. Endlich hab ich ihn verstanden, den Sinn der Moderne.
    Ist wirklich blöd gelaufen, das man nach dem Krieg die Städte wieder aufgebaut hat. Man, was wäre das jetzt für eine einzigartige Aura, wenn man seinen Capuccino in dieser ehrlichen und in ihrem beschädigten, ganz zerbrechlichen Zustand befindlichen, von der wechselvolle Geschichte unserer Städte erzählenden Ruinenlandschaft, schlürfen könnte.

    Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand, das Außergewöhnliche ihren Wert.

    Oscar Wilde (1854-1900)

  • Guten Abend,
    ich möcht mich meinem Vorredner völlig anscließen. ich dann wuinenfeelinmöchte nur hinzufügen, dass man auch die Aura von Strassen und wegen wiederherstellen sollte, mit Bombenkratern, Panzersperren und so hihi, dann wäre doch die Aura perfekt !? hihi

  • Dieses Zitat gefällt mir: "Jetzt droht die Rekonstruktion eines der bedeutendsten Barockbauten der Stadt: des Palais im Großen Garten." "Droht" und "bedeutensten Barckbauten" in einem Satz mit Bezug zueinander ist brillant. Darauf wäre ich niemals gekommen.

    Vielleicht droht uns irgendwann sogar der Weltfrieden.

    --
    Aenos

  • @ Herzog ich meinte natürlich nicht alle Westdeutschen sondern speziell Hr.Tietz und Hr.Will sowie Frau Thalgott. Ein "Ossi-Wessi" Diskussion finde ich mehr als peinlich und führe diese beiden Worte selbst nicht in meinem Sprachgebrauch. Sollte aus meinem Text eine Allgemeingültikeit herauszulesen gewesen sein,handelt es sich um ein Versehen. Er war in der Tat auf die Problematik Rekonstruktion Festsaal Palais im Großen Garten und Gewandhausgrundstück Neumarkt gemünzt.

    Ich hoffe das Mißverständnis ist jetzt aufgeklärt und alle Wogen geglättet. :D

  • Ich habe nachfolgend mal alles zusammengetragen, was die mir zugänglichen Quellen über die Innenarchitektur des Palais verraten, und zwar bezüglich folgender Punkte:
    - Raumgliederung;
    - innenarchitektonische Gestaltung im Vorkriegszustand;
    - Zerstörungsgrad;
    - Dokumentationsquellen zur Innenarchitektur (im Sinne der Voraussetzungen für eine Rekonstruktion);
    - Rekonstruktionsstand.

    Zur Verdeutlichung des Grundflächenprofiles sei einleitend auf dieses Luftbild verwiesen. Wie man sieht, hat der Grundriss die Form eines H:


    Bildquelle: Bildband „Überflug – Die DDR im Luftbild“, 1983
    (Anm. für Genauigkeitsfetischisten: Das Gebäude liegt etwas schräg zu den Haupthimmelsrichtungen, die obigen Eintragungen entsprechen den üblichen Lagezuordnungen in der Literatur)

    Nun kurz zu den wichtigsten Eckdaten der rohbaumäßigen Wiederherstellung des Gebäudes (sinngemäß aus L2 entnommen).
    In den Jahren 1953 bis 1970 erfolgte die schrittweise äußere Sicherung und Wiederherstellung der Fassaden. Hierbei ist unbedingt zu erwähnen, dass insbesondere am Südflügel die Mauern aufgrund des hohen Zerstörungsgrades (statisch stark geschwächt durch Sprengbombeneinwirkung) teilweise bis zum Erdgeschoss abgetragen und im Anschluss daran wieder neu aufgebaut werden mussten.
    1962 bis 1964 erfolgte die Wiedererrichtung der Freitreppenanlagen auf der Ost- und Westseite. Eine neue Stahldachkonstruktion konnte ab 1964 aufgebracht werden, das Richtfest fand am 8. April 1965 statt. 1965 wurden die bis dahin noch erhaltenen originalen Stuckreste gesichert (wie viel mag da wohl nachträglich durch Witterungseinflüsse noch verloren gegangen sein). In die Jahre 1964 – 1970 fällt der Einbau der Fenster in den Obergeschossen.

    Zur Geschossgliederung des Palais schreibt Gurlitt in L1:

    Zitat

    Der Aufriss besteht aus einem Erdgeschoss, einem Obergeschoss und einem darüber befindlichen Halbgeschoss [Anm.: Mezzanin]. Zwischen den Flügelbauten liegen bequeme dreitheilige Freitreppen, die den Verkehr nach dem Hauptgeschoss vermitteln.

    Nachfolgend möchte ich auf die Räume im Erdgeschoss eingehen.
    Zum nachstehenden Grundrissschema dieser Etage ist eine Vorbemerkung erforderlich. Leider konnte ich nicht mit 100%er Gewissheit die Zuordnung der Himmelsrichtungen klären. Richtig ist auf jeden Fall (wie eingetragen), dass sich die beiden Freitreppen auf der Ost- bzw. Westseite befinden. Aber möglicherweise muss man meine Darstellung um eine der beiden Mittelachsen „spiegeln“. Das ist freilich für eine grundsätzliche Betrachtung der Raumgliederung irrelevant, da das Palais in Bezug auf die beiden Mittelachsen (N-S / W-O) praktisch spiegelsymmetrisch aufgebaut ist. Nur in ganz wenigen Details (zum Beispiel die Eckengeometrie in den beiden Seitensälen) gibt es kleinere Unterschiede. Ich hätte also einen stark vereinfachten Grundriss zeichnen und den Rest weglassen müssen. Aus Zeitersparnis habe ich ein solches prinzipielles Schema in Form der dünnen orangefarbigen Linien einfach drüber gelegt. Ich denke, so geht es auch.


    Bildquelle: L1

    Zum Zerstörungsgrad führt Winfried Werner in L2 aus, dass die Gewölbe in der Mittelhalle (in der Literatur auch Vestibül genannt) und in den beiden angrenzenden Seitensälen erhalten geblieben waren. Sie wurden in den ersten Nachkriegsjahren durch eine Notbedachung vor dem Einsturz bewahrt. Über den Erhaltungszustand der Decken in den vier Ecksälen des Erdgeschosses habe ich keine Angaben recherchieren können.
    Zu diesen 4 Eckräumen findet sich aber in L2 die traurige Information:

    Zitat

    Bezüglich des Erdgeschosses kann hinsichtlich der Eckräume keine Aussage getroffen werden, weil hier weder irgendwelche Sachzeugen erhalten noch entsprechende Nachrichten überliefert sind.

    Das heißt: Für diese 4 Räume sind die fachlichen Voraussetzungen für eine Rekonstruktion aufgrund fehlender Dokumentation nicht gegeben. Allerdings führt der Autor in L2 auch aus, dass die Ausschmückung eh auf die Mittelhalle und die beiden länglichen Seitensäle konzentriert war (dies in Bezug auf die Erdgeschossräume, der Festsaal im Obergeschoss war natürlich insgesamt die Krönung), wobei die Stuckaturen in den Seitensälen nochmals reicher ausgefallen sind als im Vestibül. Bei den 4 Ecksälen scheint es sich folglich um deutlich einfacher ausgestattete „Nebenräumlichkeiten“ gehandelt zu haben.

    Über die Einwölbung des Vestibüls, die ja erhalten geblieben war, schreibt Gurlitt in L1:

    Zitat

    Der Mittelsaal des Erdgeschosses ist in Kreuzgewölben überdeckt, und zwar über 4 in der Achse stehenden Pfeilern, so dass den Saal selbst zehn, die zwei [Anm.: östlich und westlich anschließenden) Räume unter den Treppenpodesten je ein Gewölbe überdecken.

    Diese insgesamt zwölf Gewölbeeinzelflächen waren je mit einem runden Spiegelfeld versehen, auf dem sich Fresco-Malereien befanden. Dazu Winfried Werner in L2:

    Zitat

    In den Gewölbespiegeln der Mittelhalle und der beiden als Zugänge dienenden, tonnengewölbten Räume waren die zwölf Gestalten des Tierkreises dargestellt.
    […]
    Von diesen al secco ausgeführten Malereien haben nur die beiden unter den Treppenpodesten befindlichen den Krieg überstanden: das Tierkreiszeichen der Zwillinge im Osten und das des Schützen im Westen [Anm.: zur Lage siehe obiges Grundrissschema]. Trotz starker Beschädigung ist der kühle, kräftige Ton noch zu erkennen.

    Auf der nachstehend verlinkten Seite ist ein (leider nur sehr kleines) Foto enthalten (Bild rechts oben), das eines der beiden erhaltenen Tierkreiszeichen zeigt. Es verdeutlicht auch die im obigen Zitat beschriebene Deckengeometrie:
    „die beiden (baugleich an der Ost- und Westseite befindlichen), als Zugänge dienenden, tonnengewölbten Räume unter den Treppenpodesten“

    http://www.stenzel-taubert.de/index2.htm?refbarock.htm
    Edit: Gerade gemerkt. Der Link führt nicht direkt zum Foto. Ihr müsst auf der Seite, die sich öffnet, auf *Referenzen* klicken und dann noch auf *Palais im Großen Garten*.

    Die Lage eines dieser beiden Zugangsräume ist auf dem folgenden Foto kenntlich gemacht:


    Bildquelle: L1

    In dem weiter vorn stehenden Grundrissbild habe ich die Positionen der 12 Tierkreiszeichen eingetragen. Dabei sind diejenigen Titel unterstrichen (5 Stück), von denen 1943 Farbdias angefertigt worden sind. Genauer gesagt, von denen sind Abbildungen in der betreffenden öffentlich zugänglichen Datenbank vorhanden. Ob weitere Farbaufnahmen existieren, weiß ich nicht. Hier als Beispiel die Aufnahme des Skorpions:

    http://www.zi.fotothek.org/obj/obj1900246…0005/Einzelbild


    Kommen wir nun zu den beiden länglichen Seitensälen im Erdgeschoss. Das folgende Foto zeigt den südlichen Seitensaal im Zustand von 1962, das heißt vor Beginn der Rekonstruktionsarbeiten:


    Bildquelle: bildindex


    Die Rekonstruktion der Stuckaturen in den 3 größeren Räumen des Erdgeschosses ist weitgehend bereits fertig gestellt. Dazu heißt es in L2:

    Zitat

    1983 begann die Rekonstruktion der Stuckaturen im Erdgeschossbereich auf der Grundlage vorhandener Reste und historischer Fotografien. Nach Fertigstellung der Decke in der Mittelhalle wurden diese Arbeiten zunächst im nördlichen Seitensaal und im Anschluss daran auf der Südseite fortgeführt, wo sie im Herbst 1992 zum Abschluss gelangten.

    Harmonica hatte vor etlicher Zeit zwei aktuelle Fotos von einem der beiden Seitensäle gepostet, die ich hier gern noch einmal zeigen möchte (bin jetzt überfragt, ob das der südliche oder der nördliche Saal ist; aber die beiden Längssäle sind sich ja sehr sehr ähnlich):


    Foto von Harmonica


    Foto von Harmonica

    Auf dem letzten von Harmonicas Fotos und auch auf dem nachstehenden historischen Bild sind runde Spiegelfelder an der Decke zu erkennen. Analog wie in der Mittelhalle waren nämlich auch in den beiden Seitensälen Deckengemälde vorhanden (jeweils drei).


    Bildquelle: L1


    Die Bilder im nördlichen Seitensaal hatte man aber irgendwann (vermutlich im 19. Jahrhundert) überstrichen. Damit geht die Chance, dass davon Fotos existieren, logischerweise gegen Null. Die Darstellungen auf den Gemälden im südlichen Seitensaal sind in L1 als „bacchische Gelage“ beschrieben.

    Als weiteres Ausstattungselement existierten in den beiden Seitensälen 2 Skulpturen (in jedem Raum eine). Dazu Gurlitt in L1:

    Zitat

    In der Mitte der inneren Längswand dieser Säle befindet sich je eine Nische [Anm.: siehe Grundrissbild, dort habe ich diese beiden Nischen mit einem grünen Pfeil gekennzeichnet] mit einer Statue in Sandstein, 1,80 m hoch, und zwar
    Im Südsaale: ein alter Mann, mit der Rechten den Mantel haltend, in der Linken eine Fruchtschale, zu Füßen ein Knabe. Die Arbeit steht jenen im Zwinger und der Art des Permoser nahe.
    Im Nordsaale: eine weibliche Gestalt mit halb entblößter Brust, in der Linken Blumen haltend.

    Winfried Werner deutet diese Figuren wie folgt (gemäß L2):
    Alter Mann – eventuell Allegorie des Herbstes
    Weibliche Gestalt – vermutlich Darstellung der Flora
    Der gleiche Autor führt in L2 zu den beiden Skulpturen aus:

    Zitat

    Beide Stücke gelten als Kriegsverlust, wobei es allerdings schwer vorstellbar erscheint, dass sie bei dem verhältnismäßig guten Erhaltungszustand der Räume nach den Luftangriffen (die Deckengewölbe waren ja hier nicht eingestürzt!) vollständig zerstört gewesen sein sollen. Auch ihre Aufstellung in Wandnischen müsste schließlich einen gewissen Schutz bewirkt haben. Insofern könnte es natürlich sein, dass zumindest Teile der Skulpturen möglicherweise doch erhalten sind und eines Tages noch aufgefunden werden.


    L1 - Cornelius Gurlitt "Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen", 1901

    L2 - Winfried Werner "Das Palais im Großen Garten zu Dresden", in
    Mitteilungen des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen, Jahrgangsheft 2002


    Das soll für heute erst mal reichen. Im zweiten Teil folgen dann noch einige Ausführungen zum Obergeschoss.

  • Heute nun der angekündigte Teil 2 zu den Innenräumen des Palais, ihrer ehemaligen Ausstattung und den Grundlagen einer Rekonstruktion (Dokumentationsstand, baulicher Istzustand).
    In Teil 1 wurden schwerpunktmäßig die Erdgeschossräume betrachtet, diesmal geht es um das Obergeschoss. Zunächst eine Darstellung des Grundrisses. Das bereits in Teil 1 angesprochene „Problem“ mit der Zuordnung der Himmelsrichtungen war hierbei einfach zu „lösen“. Die geometrische Gliederung (Raumzuschnitt einschl. Fenster- und Türenanordnung) ist nämlich in Bezug auf beide Mittelachsen spiegelgleich – mit ganz kleinen Ausnahmen:
    1. die innere Gestalt der winzigen „Kämmerchen“ in den Ecken der beiden länglichen Flügelsäle, das waren zum Teil Wendeltreppen;
    2. ein bauliches Detail, im Grundrissbild gelb eingekreist.

    Ich habe nun einfach die inneren Konturen der kleinen Kämmerchen „heraus radiert“ und die betreffenden Flächen zur Verdeutlichung gelb markiert. Jetzt kann man die Himmelsrichtungen zulegen, ohne etwas „falsch“ zu machen, abgesehen in Bezug auf die gelb eingekreiste Stelle – die müsst ihr halt ignorieren.


    Bildquelle: L1

    Im Zentrum des Obergeschosses, durch die beiden Freitreppen direkt erreichbar, lag der prächtig ausgestattete Hauptsaal / Festsaal. Es ist der einzige Raum des Palais, dessen Vertikalerstreckung auch das Mezzaningeschoss erfasste. Dazu folgende Profilzeichnung (N-S-Schnitt durch das Gebäude):


    Bildquelle: bildindex

    Das ist m. E. eine sehr informative Darstellung (vor allem im Hinblick auf die Raumanordnung und –höhe), deshalb auch noch der Link für die vergrößerte Ansicht:
    http://www.bildindex.de/bilder/MI09562d07a.jpg

    Kommen wir nun zur Innenarchitektur des Festsaales. Hier zunächst eine historische Ansicht (Blick auf einen Eckbereich):


    Bildquelle: bildindex

    Zur Beschreibung der Saalarchitektur nachfolgend kurze Textauszüge aus L1 und L2:

    Zitat

    Winfried Werner, L2

    Der fast vollständig vernichtete Hauptsaal [Anm.: =Festsaal] besaß eine überaus reiche und festliche Architektur. Auf hohen Postamenten vorgestellte, korinthische Säulen gliederten die Wände und trugen das schwere, vorgekröpfte Gebälk.

    Zitat

    Cornelius Gurlitt, L1

    Zwischen [den Säulen an den Längsseitenbefinden sich] die Eingangsthüren nach den Treppenpodesten und den Vorbauten über diesen, sowie je zwei seitliche Nischen [Anm.: im Grundrissbild von mir mit grünen Pfeilen markiert] von reicher decorativer Ausstattung (Fig. 328).

    Fig. 328 enthält diese fotografische Aufnahme:


    Bildquelle: L1

    In den insgesamt 4 Nischen standen überlebensgroße aus Gips (Stuck) gefertigte Skulpturen, die Gurlitt als
    „mit reichem Faltenwurf ausgestattete, vorzüglich durchgebildete Gestalten von überraschend vornehmer und klassischer Haltung“
    beschreibt. Eine davon sieht man hier:


    Bildquelle: L1

    Zu diesen Skulpturen schreibt Fritz Löffler (in L3):

    Zitat

    […] die Bildwerke innerhalb des Hauses, hier in Stuck gefertigt, wie die vier überlebensgroßen Allegorien in antiker Gewandung im Hauptgeschoss […] fielen der Zerstörung zum Opfer.

    Nun belegt allerdings die folgende Ruinenaufnahme von 1946, dass eine der Skulpturen – natürlich mit gewissen Beschädigungen - zunächst noch vorhanden war (keine Ahnung, ob sie geborgen wurde, bevor in den nachfolgenden Jahren die Witterung „den Rest besorgen“ konnte – war ja keine Steinplastik):


    Bildquelle: bildindex

    Hier in einer Nahaufnahme:
    http://www.bildindex.de/bilder/MI09563g08a.jpg

    Aus dem nächsten Foto ist nun abzuleiten, dass die Schuttberäumung im Palais (sicherlich begleitet von einer fachmännischen Bergung) immerhin bereits im November 1948 (oder sogar noch etwas früher) abgeschlossen war. Das lässt im Hinblick auf die Skulptur hoffen.
    Der Fotograf stand in einem der beiden Langsäle und blickte durch den Festsaal hindurch in Richtung des zweiten Langsaales. Anhand der Aufnahme verdeutlicht sich anschaulich, wie die beiden Langsäle (im Nord- und Südflügel) durch jeweils drei große Bogenöffnungen vom Festsaal getrennt waren, wahrlich eine günstige Raumlösung für rauschende Feste.


    Bildquelle: bildindex


    Die Decke des Festsaales war mit drei sehr großen Gemälden geschmückt. Das mittlere davon wird in L2 wie folgt beschrieben (von mir ergänzt mit einigen der zahlreichen historischen Aufnahmen aus dem Farbdiaarchiv):


    Wie allgemein bekannt sein dürfte, war von 1968 – 1974 eine Architekturachse des Festsaales als Rekonstruktionsprobe in Weißstuck, Kunstmarmor und Sandstein realisiert worden. Ausgewählt hatte man dafür die Südostecke des Raumes. Eine Fotoaufnahme von 1984 zeigt, dass dabei auch ein kleines Teilstück der Decke nachgestaltet worden ist – mit der hohen Deckenkehle und einer der charakteristischen Stichkappen:


    Bildquelle: L2 (Eintragung von mir)

    Übrigens, auf obigem Foto sieht man auf dem Fußboden liegend den gemalten Bühnenvorhang für die damals im Wiederaufbau befindliche Semperoper. Im Zeitraum von 1978 – 1984 diente das Palais nämlich als Atelier für diverse Arbeiten im Zusammenhang mit dieser Baumaßnahme. Ich kann mich noch an eine Dokumentation erinnern, in der man sah, wie der Vorhang nach Fertigstellung vom Palais ins Opernhaus getragen wurde. Jawohl getragen, das war fast schon eine feierliche Prozession, natürlich unter großer Anteilnahme der Dresdner – wie üblich bei derartigen Ereignissen.

    Aber zurück zur Probeachse. Die sieht jetzt etwas anders aus als auf dem Foto von 1984:


    Foto von Harmonica

    Wie unschwer zu erkennen ist, fehlt der ehemals vorhandene Deckenbereich, die Gewölbekappe ist in ihrem unteren Teil „abgeschnitten“ worden. Dies hängt vermutlich mit einer in den 1990er Jahren vorgenommenen „Korrektur“ zusammen:

    Zitat

    Darüber hinaus wurde vom Staatshochbauamt noch der Einbau einer Decke [Anm.: Decke im Sinne eines neuen oberen Abschlusses] im Festsaal realisiert. Das in möglichst leichter Bauweise ausgeführte Gewölbe (Brettschicht-Holzbinder mit Hochlochziegel-Ausfachung) entstand bis Ende 2001, nachdem unbedingt notwendige Korrekturen an der in den 1960er Jahren eingebrachten Stahlbinder-Dachkonstruktion vorgenommen worden waren, deren Untergurte etwa 50 cm zu tief lagen. Damit ist zukünftig eine dem originalen Vorbild entsprechende Raumgeometrie gewährleistet, was insbesondere für die Wiederherstellung der Stuckdecke mit ihrer hohen Voute große Bedeutung hat.

    Textquelle: L2

    Der Fußboden des Festsaales und der angrenzenden Seitensäle war glücklicherweise erhalten geblieben. Um die historischen Sandsteinplatten zu schützen, wurde vor einiger Zeit (kann frühestens 2002 gewesen sein) eine aufwendige Überdeckung realisiert:
    Vlies, Trockenschüttung (60mm), Weichfaserplatten (8mm), Spanverlegeplatten (13mm, 2-lagig), Epoxidbeschichtung und anschließende Versiegelung
    Hier ist eine interessante Fotostrecke dieser Arbeiten im Palais zu sehen:

    http://www.design-am-fussboden.de/ref-pal.html

    Als Zwischenlösung ist das natürlich akzeptabel (das Palais wird ja bereits genutzt), aber ich denke mal, die Endfassung wird anders aussehen.


    Nun noch einige Bemerkungen zu den weiteren Räumen im Obergeschoss. Auch diese waren mit üppigen Stuckaturen und Deckengemälden verziert. Hier ist eine historische Aufnahme von einem der Langsäle:


    Bildquelle: L1

    Und hier sieht man das Deckengemälde im nördlichen Langsaal (davon gibt es auch farbige Aufnahmen):


    Bildquelle: bildindex

    Das analoge Deckengemälde im südlichen Langsaal war bereits zu Gurlitts Zeiten (um 1900) lange Zeit überstrichen gewesen (aufgrund des schlechten Zustandes). Das wird man demzufolge wohl nicht rekonstruieren können.

    Die Deckengemälde in den vier kleinen Eckräumen sind durch Farbaufnahmen (jeweils mehrere pro Raum) gut dokumentiert. Es handelte sich um allegorische Darstellungen der 4 Jahreszeiten (siehe dazu auch die blauen Eintragungen im Grundrissschema ganz am Anfang des vorliegenden Beitrages).

    Der Frühling: „Ceres und Proserpina“, nordöstlicher Eckraum
    http://www.zi.fotothek.org/obj/obj1900246…0001/Einzelbild

    Der Sommer: „Venus vor der Schmiede des Vulkan“, südöstlicher Eckraum
    http://www.zi.fotothek.org/obj/obj1900246…0001/Einzelbild

    Der Herbst: „Bacchus mit Satyrn“, südwestlicher Eckraum
    http://www.zi.fotothek.org/obj/obj1900246…0001/Einzelbild

    Der Winter: „Saturn frisst seine Kinder“, nordwestlicher Eckraum
    http://www.zi.fotothek.org/obj/obj1900246…0001/Einzelbild


    Schließen möchte ich mit einem wichtigen Zitat aus dem Fachartikel L2, das auch im Originaltext als Resümee der dortigen Ausführungen formuliert war. Zum Autor (Winfried Werner, langjähriger Mitarbeiter des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen) ist anzumerken, dass es sich bei ihm um einen, wenn nicht um den Palais-Experten der Gegenwart handelt (Forschungen zum Gebäude, fachliche Begleitung des Wiederaufbaus und der bisherigen Rekonstruktionsarbeiten über viele Jahre). Sein nachstehendes Statement hat also großes Gewicht, was die fachliche Kompetenz für derartige Aussagen betrifft:

    Zitat

    Die rekonstruktive Wiederherstellung des Festsaalbereiches (wozu die angrenzenden Räume in den Seitenflügeln gehören) unter Einbeziehung der noch vorhandenen originalen Reste ist technisch in jedem Falle möglich und der wahrhaft europäischen Bedeutung des Bauwerks zweifellos angemessen. Das bestätigte auch ein am 31. Oktober 2001 vor Ort abgehaltenes Kolloquium zum Thema „Denkmalgerechte Wiederherstellung der Festetage“. Sämtliche Teilnehmer der Podiumsdiskussion gelangten unter verschiedensten Aspekten zu der Auffassung, dass in diesem konkreten Fall einer Rekonstruktion gegenüber dem nur konservierenden Herangehen der Vorzug zu geben sei, wobei diesbezügliche Entscheidungen natürlich von den Möglichkeiten der Finanzierung abhängig sein werden.


    L1 - Cornelius Gurlitt "Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen", 1901

    L2 - Winfried Werner "Das Palais im Großen Garten zu Dresden", in
    Mitteilungen des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen, Jahrgangsheft 2002

    L 3 – Fritz Löffler „Das alte Dresden“

  • Hallo Bautzenfan,

    diese detaillierten Ausführungen fordern geradezu heraus, dass ich meine von neulich gemachten Fotos aus der Festetage dazu stelle. An aktuellem Bildmaterial mangelt es ein wenig. Ich schaffe es aber zeitlich einfach nicht.

    Ich kann nur ergänzend hinzu fügen:
    Grandiose Räume, genialer Zugang über die Freitreppen von außen, für ein reines „Festgebäude“ genau richtig, ein großer Hauptraum, aus dem man zu allen vier Seiten herausschauen kann. Die zwei Bogenreihen in Richtung der beiden Seitenflügel sind ja keine wirkliche räumlich Abtrennung, sondern vielmehr ein Trick, um den großen Raum zu gliedern. Die vier Räume in den Seitenflügeln bieten gewisse „Rückzugsmöglichkeiten“.

    Der jetzige Zustand macht einen einfach nur traurig. Der ermittelt unmissverständlich den Verlust. Von dem Original-Stuck ist so gut wie nirgends eine alte Oberfläche erhalten erhalten, nur in Fensternischen an geschützten Stellen. Fraglich, ob sich hiervon überhaupt etwas integrieren lässt.

    Relativ gut erhalten sind die Steinportale an den Zugängen zu den Seitenkabinetten im Seitenflügel. Dies ist aber auch nur relativ, die Portale haben trotz allem gewaltige Steinschäden durch Brand und Sprengbomben.

    Extrem provisorisch wirkt der angesprochene Fußboden, der quasi als Schutz des noch darunter befindlichen, sicher ebenfalls stark beschädigten historischen Fußbodens anzusehen ist. Fürchterlich ebenso die ganzen riesigen Heizkörper, die an den Wänden montiert wurden. Die müssen wieder weg.

    In den vier Kabinetten ist von dem alten Stuck und Putz noch weniger erhalten als im Hauptraum, hier sieht man fast nur rohes Ziegelmauerwerk. Die Decken sind ja sowieso „raus“.

    Als ich im September dort war, gab es dort an Stellwänden eine kleine Ausstellung zu der Innenausstattung zu sehen, die auch größtenteils abfotografiert habe. Zu einen wurden aus kunsthistorischer Sicht die ehemals vorhandenen Darstellungen (Ikonografie) in der gesamten Etage erläutert (Figuren usw., aber auch Deckengemälde usw., sehr detailliert (mit Plandarstellung). Zu anderen ging es um die Rekonstruktion. Man gewann den Eindruck, dass von Seiten des SIB die Wiederherstellung geplant wird. Von Alternativen z.B. Belassung des jetzigen Zustandes usw. (wie vor kurzem noch im Deutschen Architektenblatt geschrieben) war nicht die Rede.
    Darüber hinaus wurde ebenfalls erläutert, dass man an dem derzeit sichtbaren rohen Mauerwerk ableiten kann, dass das Palais in der heutigen Form keinesfalls von Anfang an so geplant war. Es hat wohl nachträgliche Änderungen am Bau gegeben. Erstaunlicher Weise kam trotzdem am Ende ein Bau heraus, der „wie aus einem Guss“ erscheint. Archivalisch ist dies wohl nicht belegbar. An Einzelheiten kann ich mich nicht mehr erinnern.

  • SUPER, Bautzenfan!!! Ich verfolge deine detailierten und gründlich recherchierten Beiträge jedesmal mit großer Freude. Schade nur, dass es mit der Wiederherstellung des Palais so langsam voran geht. Weiß irgendwer aus sicherer Quelle, ob der Wiederaufbau tatsächlich vorbereitet wird oder ob man evtl. doch den aktuellen Zustand belassen möchte?

  • In Bezug auf jörgs Frage ist sicher der Eindruck richtig, den Leipziger von seinem Besuch im Palais hatte – nach dem Lesen der dort aufgestellten Schautafeln (zum Tag des offenen Denkmals 2007):

    Zitat

    Als ich im September dort war, gab es dort an Stellwänden eine kleine Ausstellung zu der Innenausstattung zu sehen, die auch größtenteils abfotografiert habe. Zu einen wurden […]. Zum anderen ging es um die Rekonstruktion. Man gewann den Eindruck, dass von Seiten des SIB die Wiederherstellung geplant wird. Von Alternativen z.B. Belassung des jetzigen Zustandes usw. (wie vor kurzem noch im Deutschen Architektenblatt geschrieben) war nicht die Rede.

    Aufschluss gibt ein Zeitungsartikel der Sächsischen Zeitung vom November 2007:

    Zitat

    Geheimakte Palais: Planung hinter verschlossenen Türen

    Die Pläne zur Wiederherstellung des im Krieg zerstörten Festsaales im Palais sind bald fertig. Das bestätigt das Finanzministerium auf Anfrage der SZ. Details zum Vorhaben gibt es aber offiziell nicht. Die Dresdner sollen vor vollendete Tatsachen gestellt werden: „Nach erfolgter Entscheidung werden wir die Öffentlichkeit über das weitere Vorgehen in Sachen Palais informieren“, heißt es.

    Trotzdem gilt es nach SZ-Informationen als sicher, dass der originalgetreue Wiederaufbau favorisiert wird.
    [...]

    Link zum Artikel:
    http://www.neumarkt-dresden.de/Presse/22-11-07.html

    Die Dresdner Denkmalpfleger kämpfen seit vielen Jahren um die Rekonstruktion auch der Innenräume. Darüber bestand auch nach der Wende mit den nunmehr Verantwortlichen bzw. Geldgebern großer Konsens. Die Frage ist hier eigentlich nur noch: Wann, nicht: Ob.
    "Alternativen" wurden lediglich von den üblichen Kreisen zur Sprache gebracht. Aber solche Sätze hier kommen in Dresden zum Glück nicht an, da kriegt der gemeine Dresdner die Krise:

    Zitat

    Gerade in seinem beschädigten und zerbrechlichen Zustand besitzt das Palais eine einzigartige Aura.

  • Ich dachte, das wäre längst beschlossene Sache, dass der Freistaat sich das Palais zu eigenen Repräsentationszwecken in den Barockzustand versetzen lassen würde.

    Was dieses Schwelgen in Ruinensentimentalität soll, kapier ich nicht. Das ist doch völlig rückwärtsgewandt. :zwinkern:

  • Nachdem hier auch schon wieder über zweieinhalb Jahre nichts mehr geschrieben wurde, möchte ich den Thread anlässlich eines SZ-Artiekls aus der Versenkung holen!

    Unter der Überschrift "Freistaat will Palais nicht weiter sanieren", macht der "Förderverein Palais Großer Garten" auf die seit Jahren versprochene Rekonstruktion eines Teils der Innenräume aufmerksam. Mit dem Doppelhaushalt 2011/12 sollten die Bauarbeiten im großen Festsaal endlich starten. Leider aber hat das Finanzministerium keine Mittel freigegeben, sodass auf absehbare Zeit nichts mehr passieren wird.
    Der Verein will diesen Zustand berechtigterweise nicht hinnehmen, sammelt er doch unermüdlich Spenden und hält das Palais dank seines ehrenamtlichen Engagements für Veranstaltungen offen. Die Initiative fordert deshalb zumindest eine sukzessive Mittelfreigabe, die eine schrittweise Rekonstruktion ermöglichen könnte. Allerdings regt sich seitens des Freistaates nichts!

    Wahre Baukunst ist immer objektiv und Ausdruck der inneren Struktur der Epoche, aus der sie wächst. Ludwig Mies van der Rohe

  • Diese und die Sparmassnahmen am Schloss haben alle mit der Pleite der Sachsen-LB und den Zahlungen an die LBBW (zur Zeit bereits ca. 200 Millionen von Sachsen an Baden-Wuertemberg) zu tun. Gesamtbuergschaft Sachsens 2,2 Milliarden Euro. Die in Geldangelegenheiten von jeher rigorosen Schwaben werden weiterhin schoen die Hand aufhalten. Der Dank dafuer geht an Herrn Milbradt und seinen Finanzminister Herrn Metz. Solange die Sachsen-LB fette Gewinnen mit dubiosen Immobiliengschaeften in Irland usw. abwarf, anstatt z.B. Hr. Dietze von der Baywobau Kredite fuer das Hotel de Saxe zu gewaehren, hat keiner nachgefragt. Kontrolle? Fehlanzeige. Das total Versagen. Jeder Bankangestellte wuerde dafuer ins Gefaengnis wandern...

    Man hoert auch nicht mehr allzuviel von den Zahlungen an BW. Wird alles schoen unter den Tisch gekehrt und verschwiegen. Die Seilschaften halten zusammen. :thumbup:

  • Im Jahr 2008 fand in Regensburg eine internationale Fachtagung des Deutschen Nationalkomitees von ICOMOS in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen Würzburg statt. Das Tagungsthema lautete:

    „Stuck des 17. und 18. Jahrhunderts. Geschichte - Technik – Erhaltung“.

    Einer der Fachvorträge trug folgenden Titel:

    *Die kriegsbeschädigte Stuckausstattung im Festsaal des Palais im Großen Garten in Dresden - Material und Werktechnik: Zur ursprünglichen Gestaltung der Stuckoberflächen*
    Der Autor, Prof. Roland Lenz (Kunsthistoriker, Dipl.-Restaurator) hatte 2007/2008 im Auftrag des SIB (Staatsbetrieb für die sächsischen Landesimmobilien) restauratorische Untersuchungen an den Stuckoberflächen im Bereich des Festsaales (Obergeschoss Palais im Großen Garten) durchgeführt. Den Wortlaut besagten Vortrages konnte ich nicht auftreiben, doch im Netz ist ein Kurzexzerpt einsehbar. Es umfasst nur einige wenige Sätze, aber die haben es in sich (Auszug, Quelle L2):

    Zitat

    Der Artikel breitet die Ergebnisse der in diesem Zusammenhang [Anm.: eben im Festsaalbereich] erfolgten Untersuchungen aus und kommt zu dem Schluss, dass die Befunde sowie überlieferte historische Fotografien und Pläne für eine Rekonstruktion "im Sinn einer Kopie" nicht ausreichen.


    Solch eine drastische Aussage hat mich doch sehr überrascht um nicht zu sagen schockiert. Das war natürlich Anlass diesbezüglich zu recherchieren. Nun habe ich kürzlich einen sehr interessanten Fachartikel entdeckt, der einen Vortrag von Dr. Arndt Kiewetter (langjähriger Mitarbeiter des Landesamtes für Denkmalpflege) wiedergibt (gehalten 2009 auf einer Tagung der Landesdenkmalpfleger in Dresden. Wie folgt betitelt: „Möglichkeiten und Grenzen einer wissenschaftlich fundierten Erkenntnis und Interpretation von Befunden am Beispiel des Palais im Großen Garten zu Dresden“.

    Ich habe nachfolgend wesentliche Passagen zitiert. Zur gedanklichen Auffrischung noch einmal ein Foto der 1968 hergestellten Probeachse und ein Zitat von der Homepage des Fördervereins.

    Foto von Harmonica

    Zitat

    Gleichzeitig wird vom Förderverein in enger Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege der Gedanke der Herstellung einer neuen Probeachse forciert, die zur Zeit planerisch vorbereitet wird und die im Winterhalbjahr 2006/2007 begonnen werden soll. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz wird die Ausführung der Probeachse mit 30.000 EUR unterstützen.


    Nun aber zum Fachartikel von Arndt Kieswetter (Die Fettzeichenmarkierung ist von mir).

    Zitat


    […]
    Ein Förderverein engagiert sich seit Jahren für die Rekonstruktion des Festsaales. Auch das Landesamt für Denkmalpflege [Anm.: das sächsische] hatte sich für eine Wiederherstellung des Festsaales ausgesprochen, dabei aber offen gelassen, wie weit und wie umfassend eine Rekonstruktion gehen kann und soll. Vor ca. drei Jahren [Anm.: also 2006, der Vortrag wurde am 17. Juni 2009 gehalten] veranlasste nun das sächsische Finanzministerium neben einer Nutzungskonzeption die Erarbeitung einer Entscheidungsgrundlage zur Gestaltung. Alles Wissen zur einstigen Gestalt und Dekoration des Palais sollte zusammen getragen werden, um die Möglichkeiten und Grenzen einer Wiederherstellung des Festsaales auszuloten. Zunächst galt es, durch umfassende Befunduntersuchungen und Archivrecherchen möglichst viele der offenen Fragen zum ursprünglichen Aussehen des Festsaales zu klären. Es existieren zwar Fotos, Aquarelle und Farbdias, die uns ein Bild von dem Raum vor der Zerstörung vermitteln. Doch aus welcher Zeit stammte die letzte Farbfassung? Welche Veränderungen und Überarbeitungen hat es seit dem 17. Jahrhundert gegeben und wie sah die Erstfassung aus? Da zur frühen Bau- und Nutzungsgeschichte nahezu keine Quellen existieren...


    Zum voran stehenden „Halbsatz“ sei folgendes ergänzt. Schon Cornelius Gurlitt bedauerte in seiner umfassenden Abhandlung (fast 900 Druckseiten, erschienen um 1900) „Beschreibende Darstellung der älteren Baudenkmäler Sachsens“ genau diesen Fakt:

    Zitat


    Quelle L1
    Zur Geschichte des Baues fehlt es ganz an archivalischen Quellen. Die Pläne und Rechnungen dürften beim Brande des Wackerbartschen (Curländer) Palais zu Grunde gegangen sein.

    Dieser Graf Wackerbart war zum Zeitpunkt des Brandes (1. Hälfte 18. Jhd.) oberster Baubeamter von Sachsen. Aber nun weiter im Text des Fachartikels von Arndt Kiesewetter:


    Zur besseren gedanklichen Anbindung hier noch einmal das Grundriss-Schema des Festsaalbereiches (= Obergeschoss des Palais), stammt aus einem früheren Beitrag - die grünen Pfeile sollten die Standorte der vier überlebensgroßen Statuen verdeutlichen.

    Bildquelle: L1

    Nun weiter im Text von Arndt Kiesewetter:

    Zitat

    Die Untersuchungen sind beispielhaft für die Leistungsfähigkeit einer Befunduntersuchung in Verbindung mit Bauarchäologie und Quellenstudium, wenn die Umfeldbedingungen stimmen [Anm.: soll wohl u. a. auch heißen – wenn das dafür notwendige Geld und die erforderliche Zeit vorhanden sind, siehe die Formulierung weiter oben *komfortable finanzielle und zeitliche Vorgabe*]. Die Ergebnisse bilden eine solide Grundlage für weitere Entscheidungen, die freilich nach wie vor offen sind. Sie sind abhängig vom politischen Willen [Anm.: könnte man vielleicht auch sagen von der „Ideologie“, was die generelle Einstellung zu Rekonstruktionen betrifft???], den Nutzungsentscheidungen und natürlich vom finanziellen Vermögen. Als Denkmalpfleger beanspruchen wir bei den Grundsatzentscheidungen ein entscheidendes Mitspracherecht.


    Jetzt folgt im Originaltext eine längere Abhandlung zu generellen Aspekten der denkmalpflegerischen Befunduntersuchung. Natürlich auch lesenswert, aber ich möchte im unmittelbaren Nachklingen des letzten Zitatsatzes (der mit dem Mitspracherecht) sofort zum Schlusspassus übergehen. Denn dieser Satz produziert natürlich eine spannende Frage: WIE ist denn nun die Positionierung der Denkmalpfleger (ich bin überzeugt, dass Kiesewetter hierbei vor allem seine Dresdner Mannschaft meint) angesichts der neuen Erkenntnisse.

    Zitat


    Abschließend sei hier noch auf die auch im Palais im großen Garten nicht zu überhörenden Stimmen verwiesen, die – wohl als Reaktion auf die zahlreichen, nicht immer glücklichen Rekonstruktionsbemühungen – fordern, Denkmale ausschließlich zu konservieren und den Status quo ohne jegliche Ergänzung zu bewahren. Neben der Charta von Venedig wird dabei auch mit der unverfälschten Erhaltung und Präsentation aller Befunde argumentiert. Nun gibt es zweifellos Denkmale, die in ihrem fragmentarisch-ruinösen Zustand besonders reizvoll sind und mit gutem Recht so erhalten werden sollen. Doch kann nicht zum dogmatischen Prinzip erhoben werden, dass nichts ergänzt oder erneuert werden darf. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass dem Denkmal bei einer reinen Konservierung kein zeittypischer Stempel aufgedrückt wird. Das für den Laien schwer nachvollziehbare Befundfragment wird stilisiert und in seiner ästhetischen Zufälligkeit manchmal wichtiger als die Gesamtwirkung des Raumes. Es entsteht eine Raumästhetik des 20./21. Jahrhunderts, die mit ihrem rohen Mauerwerk und dem halbvollendeten, halbruinösen Charme kaum einen Unterschied zwischen einstigen barocken Sälen, Bahnhöfen und verlassenen Fabrikhallen erkennen lässt.

    Der Festsaal des Palais im Großen Garten verdient nach Auffassung des Autors [Anm.: Arndt Kiesewetter, leitender Mitarbeiter des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen] sehr wohl eine angemessene ästhetische Aufwertung. Die jüngsten Befunduntersuchungen haben uns die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen einer Rekonstruktion aufgezeichnet. So wird hier dafür plädiert, dass die Entscheidung nicht auf ein „entweder – oder“ hinauslaufen darf und ein Kompromiss anzustreben ist, der auch die Erhaltung und Einbindung der originalen Stuckfragmente berücksichtigt. Gerade dazu stehen noch Überlegungen und Untersuchungen aus. Es bleibt zu hoffen, dass die Zeitschiene eine ebenso gründliche Prüfung dieser Fragen erlauben wird, wie dies bei der Befunduntersuchung des Festsaales im Palais im Großen Garten der Fall war.

    Ich sag es mal mit den Worten von Bert (zur Schlosskapelle): Es bleibt spannend...


    Literaturangaben:

    L1 - Cornelius Gurlitt "Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen", 1901

    L2 - http://www.baufachinformation.de

    L3 – Arndt Kiesewetter „Möglichkeiten und Grenzen einer wissenschaftlich fundierten Erkenntnis und Interpretation von Befunden am Beispiel des Palais im Großen Garten zu Dresden“; publiziert im Arbeitsheft 14 des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen

  • Vielen Dank für deinen - wie immer - sehr guten Beitrag, BautzenFan!

    In Anbetracht der gegenwärtigen politischen Lage in Sachsen, brauchen wir wohl kaum einen Gedanken an eine - wie auch immer geartete - Rekonstruktion des Festsaales verschwenden. Projekte wie der Wiederaufbau der Residenz, die nach der Renaissance des Freistaates als gleichsam identitätsstiftende Fäden in die große Geschichte Sachsens mit besonderem Nachdruck vorangetrieben wurden, genießen in Zeiten der vollkommen visions- und zukunftslosen Sparideologie keine Priorität mehr. Nicht umsonst schleppt sich die Rekonstruktion des Stadtschlosses durch die Jahrzehnte. Ein Fertigstellungstermin wird schon gar nicht mehr benannt.

    Wahre Baukunst ist immer objektiv und Ausdruck der inneren Struktur der Epoche, aus der sie wächst. Ludwig Mies van der Rohe

  • BautzenFan: besten Dank für deinen wie immer sehr informativen Bericht.
    Zumindest der Herr Kiesewetter scheint doch eine vernünftige Einstellung zu haben. Wo diese Ruinenästhetik hinführt, habe wir ja leider in Berlin mit der Ruinenkonservierung des Neuen Museums zu genüge erlebt. Warum kann der Festsaal des Gartenpalais nicht in einer barocken Form wiederhergestellt werden, die - soweit möglich- den historischen Befunden folgt, sich ansonsten aber in einer harmonischen Form den historischen Befunden annähert? Wegen ideologischer Verblendung, ist natürlich die Antwort. Die Dogmen der Charta von Venedig müssen endlich überwunden werden!

  • Danke Bautzenfan!

    Dehio & Co sind schon lange nicht mehr zeitgemäß und gehören endlich aktualisiert! Gibt es denn keinen namhaften Denkmalpfleger mehr, der aufsteht und gegen das dogmatische, sinnentleerte Nachplappern aufsteht - er könnte einen neuen Schwung in die verkrustete Denkmalpflege bringen...

  • Der Denkmalschutz in Sachsen steht (Teil-)Rekonstruktionen generell verhältnismäßig aufgeschlossen gegenüber. Dies muss etwas damit zu tun haben, dass bei dem weit fortgeschrittenen Verfallsgrad vieler Gebäude am Ende der DDR eine Rekonstruktion z.B. einer kompletten Putzfassade unumgänglich war. Diese Philosophie gibt es in den alten Bundesländern so nicht, weil der Verfall nie so weit fortgeschritten war.
    Weiterhin fließen die Fördermittel noch immer sehr gut. Hinzu kommt, dass das Palais im Großen Garten ein Einzelgebäude von herausragendem kunstgeschichtlichem Wert ist, das deutschlandweit bekannt ist und geschätzt wird. Für mich ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Festsaal wieder hergestellt ist, ähnlich wie bei den großen Schlössern in Süddeutschland, die erst Jahrzehnte nach ihrer Zerstörung wieder hergestellt waren. Auch dort war es nie wirklich eine Frage des "ob", sondern nur das "wann" und "wie". Über das "wie" können die Fachleute sich im Fall des Palais im Großen Garten gerne noch weiter verständigen. Es kann dem Ergebnis nur dienen.