Werden wir das schöne Bauen noch erleben?

  • Hallo,

    vielen Dank für die Bilder und Informationen. Das Gestüt ist wirklich traumhaft geworden, es wirkt aufgrund der hohen handwerklichen Fähigkeiten viel authentischer als alles andere, was ich sonst so an historisch anmutenden Gebäuden gesehen habe. Ob wir in Zukunft immer so bauen müssen, sei mal dahingestellt, ein paar moderne Einflüsse dürfen bei Neubauten auch gerne mal sein... müssen aber nicht ;)
    Schön ist auch das Projekt in Wien.

    Was mich noch interessiert: Wieviel mehr muss man auf den Tisch legen, wenn man auf diese Art und Weise bauen möchte? Ob es die handgefertigten Fenstergläsern bei Neubauten braucht sein einmal dahingestellt, dafür aber umso mehr bei Altbausanierungen. Doch auch gut isolierte Holzfenster mit Leinölanstrich, Stuckierungen, Holztreppenhäuser etc. könnte ich mir gut bei Neubauten vorstellen.

    Für den Großteil der Neubauten steht ja leider nicht so viel Geld zur Verfügung, hier am Münchener Hirschgarten werden die Häuser nur noch gegossen, mit Plastik versehen, gedämmt, gefliest, in den Wohnungen Parkett und fertig ist die Wohnung im Mittelklasse-Segment - wäre natürlich auch gut, wenn es Möglichkeiten gäbe, auch normale Wohnungen oder sogar Sozialwohnungen nachhaltig und ansprechend zu bauen. Für den Beton wird nämlich auch langsam der Sand knapp.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Rinascente

    Vielen Dank für den interessanten Exkurs! Wo bekommt man bitteschön handgemachtes Fensterglas? - schön und wie authentisch erst!

    Witzig, denn auf dem Kleiber Stich sieht man rechter Hand noch das alte Palais O-R.! Das dürfte komplett überformt worden sein, weil die heutigen Fenster analog zum benachbarten und herrschaftlicheren Palais B. ausgeführt und auf der derselben Ebene liegen!

    Der Grauton der Fenster ist auch wunderschön! Es gibt einen ähnlichen Farbton von Farrow&Ball (Parma Grey). Bin gerade dabei meine Haus zu adaptieren und habe erst gestern wieder den Farbfächer in der Hand gehabt.

    Frage: Die Nullfläche der Fassade hat bei Kleiber eine Einfärbung. Kommt diese auch wieder?

    @Schlosshof

    Ich habe gehört, dass an die Fassade zur Herrengasse hin andere Leuchten kommen als beim Liechtenstein. Zwar historische, aber weniger verspielte.

  • Danke für die bildlichen Eindrücke, hervorragend! In Österreich tut sich ja doch etwas, zumindest zarte Pflänzchen für eine neuklassische Bewegung sind erkennbar.

    Jetzt mal rüber übern Teich:
    In Brigham, Wisconsin/USA soll ein neues Zisterzienserkloster entstehen!

    Die Architektur ist in Teilen ein Resultat historischer Forschungen, die europäische Historiker anstellten. Im Moment gibt es für das Projekt eine Spendensammlung.
    Als Architekten wurde das Büro von Cram and Ferguson Architects eingespannt.

    Die Bilder hier einzubinden ist vermutlich wieder problematisch, daher verlinke ich mal zu meinem Beitrag im DWF. Was meint ihr dazu? :smile:

  • Ich könnte mir vorstellen, dass wir das schöne Bauen noch erleben werden, vielleicht in nicht all zu langer Zeit! In der gestrigen Zeitungsausgabe habe ich jedenfalls einen interessanten Artikel gefunden, der einen neuen Trend bei der Möbelbranche ans Tageslicht bringt: nämlich dass die Möbeldesigner immer mehr auf alte Formen beim Möbelentwerfen zurückgreifen! Natürlich ist die Möbelindustrie nicht die Architekturzunft, aber manche neuen Stile wie zB der Jugendstil hatten auch erst bei den Möbeln oder anderen (häuslichen) Gegenständen ihren Anfang, der sich dann später auch auf die Architektur verbreitete!

  • Das verwundert jetzt nicht, das sind schließlich die 20 besten Neubauten aus 2014 und 2015 die dort gezeigt werden - bei einer Institution, die auf moderne Architektur ausgerichtet ist. Daher sehe ich das nicht unbedingt skeptisch. Die Moderne soll sich ruhig mal weiterentwickeln, vielleicht kommt irgendwann einmal etwas vernünftiges dabei raus. Das Problem ist nur das an Stellen, wo sich die Moderne ungestört austoben könnte (z.B. Neubaugebiete wie der Münchner Hirschgarten) nur langweilige 08/15-Investorenarchitektur gebaut wird.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Ein interessanter Bau der Postmoderne. Die Universitätsbibliothek der Technischen Universität Wien. 1984 bis 1987 nach Plänen der Architekten Justus Dahinden, Reinhard Gieselmann, Alexander Marchart und Roland Moebius erbaut.

    (eigene Aufnahme)

  • Hier mal ein schöner Bericht:

    Klick mich

    Die Welt: Wie war Ihr Eindruck von West-Berlin?
    Krier: Furchtbar. Ich habe diese Stadt gehasst vom ersten bis zum letzten Tag. Diese Hässlichkeit! Am Kurfürstendamm wurden Altbauten entstuckt und mit braun-weißen Horizontalstreifen auf Erich Mendelsohn getrimmt. Aber die Villenbezirke waren wunderbar, ich habe an einem See in Dahlem gewohnt. Und ich bin viel über die Grenze nach Potsdam.
    Die Welt: Warum sind Sie nach zwei Jahren wieder weg?
    Krier: Meine Einwände zu Projekten wurden immer verlacht. Axel Schultes und Bernd Jansen entwarfen Schulen für 3000 oder 5000 Schüler, immer ein einziges Gebäude. Ich sagte: "Und für 100.000 Kinder würde die Schule dann zehn Kilometer lang? cclap:)

    Einmal editiert, zuletzt von Retro79 (7. April 2016 um 18:45)

  • ihc finde diesen Bau am Karlsplatz furchtbar banal und grobschlächtig, ja plump. Eine glatte Verarschung althergebrachter Formen, sonst nix.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • @UC

    Du bestätigst im wahrsten Sinne des Wortes immer wieder das Klischee von uns Ostösterreichern wie er im Buche steht. Banal...ist in Wahrheit das, was hinter dem Bibliotheksgebäude steht. Stehe doch morgen zur Abwechslung bitte einmal mit dem anderen Fuß auf. Du wirst die Welt womöglich mit anderen Augen bewundern - ein Versuch wäre es wert. Frei nach dem Motto: Hilfts nix, schads nix.

  • Ich muss gestehen, dass ich mit dem Bau auch recht wenig anfangen kann, allerdings gilt dies eigentlich für alle Bauten der Postmoderne, die für mich immer nach "gewollt, aber nicht gekonnt" aussieht. Da ist mir die Bauhausmoderne wesentlich lieber. Nichtsdestotrotz haben die Architekten etwas einzigartiges geschaffen, was sich in die Umgebung einfügt und im Gedächtnis bleibt.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Ich find's eigentlich ganz interessant:

    Der Bau im Gesamtzusammenhang

    Nochmals:
    Bildquelle: Wikimedia, Urheber 'Peter Haas', CC BY-SA. 3.0

    Zugegebernermaßen ist die Eulengestalt reichlich seltsam. Das ganze Haus wirkt amerikanisch und dürfte uc deswegen wohl (erst recht) nicht gefallen. Ich denke dagegen, dass die bauliche Alternative, welche wohl ansonsten gedroht hätte, in etwa links daneben zu sehen ist - was ist das überhaupt für ein stuttgarteskes Gebäude?

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

    Einmal editiert, zuletzt von Mantikor (7. April 2016 um 21:26)

  • Es tut sich was in Sachen Baukultur und wir dürfen hoffen, das schöne bauen noch zu erleben. Ich zitiere mal aus einem FAZ-Artikel von heute (Hervorhebungen von mir):

    Legt man ihnen Fotos von Häuserzeilen vor und fragt, welche ihnen am besten gefallen, sagen fast alle: Gründerzeithäuser! Es sind Fassaden mit Verzierungen, Fenster mit Umrandungen und spitze Dächer, die mit großem Abstand als die schönsten bezeichnet werden. Die Gründerzeit trifft nicht nur den Massengeschmack, sondern überwältigende 95 Prozent der Befragten würden auch in solche Häuser einziehen wollen. Mit etwas Abstand folgen Neubauten im Stile von Gründerzeitbauten in der Gunst. Mehrheitlich negativ beurteilt werden dagegen nicht nur Bausünden aus Waschbeton, sondern auch moderne kubistische Wohnwürfel. Sie werden nicht nur als Einzelbau als wenig schön empfunden, sondern sie werten auch das gesamte Umfeld ab, urteilen die von Thießen Befragten. In einer aktuellen Untersuchung ließ der Professor zudem testen, was die Betrachter von klassischen Bauhausvillen halten. Die konnten ebenfalls kaum punkten. Würfel mögen praktisch sein, schön aber fand sie kaum jemand. „Bauherren scheinen das nur nicht zu wissen“, schlussfolgert der Professor.


    Weil Thießen ein Betriebswirtschaftler ist, ging es ihm auch darum, ob sich die Schönheit von Gebäuden finanziell auszahlt. Die Studie fragte daher: Möchten Sie selbst in diesem Haus wohnen – und wenn ja: Wie viel Geld würden sie dafür ausgeben? Die Antwort überrascht ebenfalls: Gründerzeitbauten und ihre modernen Repliken rechnen sich demnach doppelt. Zum einen begeistern sie weitaus mehr Mieter, zum anderen ist deren Zahlungsbereitschaft deutlich höher. Der Hamburger Investor Georg Winter weiß das aus eigener Erfahrung: Der 72-Jährige errichtete ein neues Stadthaus im Altbauviertel Eimsbüttel. Der Neubau (im Passivhausstandard) ähnelt beinahe bis aufs Gesims den umliegenden Gründerzeitbauten. Dabei haben die Baukosten laut Winter bei nur 3000 Euro je Quadratmeter gelegen, also 10 Prozent über dem üblichen Passivhaus-Schnitt.


    Nun kann man fragen, ob der Stil der Gründerzeit im 21. Jahrhundert zwingend das Maß aller Dinge sein muss. Und manch einer wird sich über Thießens Ergebnisse erregen und sie als Beleg dafür sehen, dass es höchste Zeit ist, die architektonische Bildung in den Schulen voranzutreiben. Man kann auch zweifeln, wie aussagekräftig die Methode ist, anhand von Bildern ein Urteil über die unmittelbare Wirkung von Architektur zu fällen. Zumal die mehr als nur Fassadengestaltung ist. Nur: Die Beispiele zeigen, dass Schönheit eben nicht im Auge jedes einzelnen Betrachters liegt. Ein grober Klotz lässt sich nicht schönreden. Den damaligen Baumeistern ist es gelungen, Gebäude zu schaffen, in denen mehr als hundert Jahre später Menschen noch gerne wohnen wollen und die sie als anziehend empfinden. Das liegt an ihren inneren Qualitäten, aber – was das spontane Empfinden angeht – vor allem auch an ihrem äußeren Erscheinungsbild. Gefälligkeit hat also durchaus ihren Wert, das haben Bauherren früher anders als heute verstanden. Und dem muss der Renditegedanke nicht entgegenstehen: Die Gründerzeitwohnblocks waren schließlich die ersten Investorenbauten im großen Stil.

  • Ich habe den Artikel auch gelesen (hier noch mal der Link zum ganzen Artikel: Eintönige Neubauten) und war positiv überrascht. Was mich aber erstaunt, ist dass es niemand wagt die Moderne direkt anzugreifen. Es stimmt ja, dass die Investoren die Kosten so niedrig wie nur möglich halten möchten, und dass moderne Bauvorschriften oft sehr restriktiv und schlechte/falsche Materialien vorschreiben, aber der eigentliche "Feind" des schönen Bauens ist ja eineindeutig die Moderne, was ja auch von der Studie der TU Chemnitz bewiesen wurde. Sie ist es, die den natürlichsten und offensichtlichsten Gesetzen der Ästhetik den Rücken gekehrt hat (Witzigerweise stimmt der Satz "Schönheit ist Subjekiv" meiner Meinung nach, aber nur auf die Moderne angewandt, da die normalen ästhetischen Ansprüche abgeschaltet werden und jeder hineininterpretieren kann was er will). Man hat ja in letzter Zeit immer wieder kritische Texte und Artikel gegenüber moderner Architektur gelesen, aber das nicht erkannt wird dass die Moderne das Übel darstellt lässt mich echt an der Menschheit zweifeln. (Ich weiß, dass ich hier nichts neues offengelegt habe, wollte aber nur noch mal meine Frustration ein wenig auslassen und ausformulieren.)

  • Ich versuche immer mal, zu begreifen, was da eigentlich geschah; bis jetzt komme ich auf etwa folgendes: seit der Jahrhundertwende (um 1900) teilt sich die deutsche Architektursprache über die Jahrzehnte in einen "puristisch-kubischen" Zweig und einen "gefällig-traditionalistischen". So ungefähr mal die vorläufigen Benennungen meinerseits, weil "modern" ja eigentlich immer nur der aktuelle Zeitstil ist (um 1300 war Gotik modern).
    Seit dem Jugendstil, der auch schon 2 Polaritäten hatte, aber nur wenig ausgeprägt, haben wir diese Zweiteilung.
    So richtig deutlich kam es ab den 1920ern mit dem Bauhaus, bis heute ikonischer Vertreter des puristisch-kubischen Zweigs, auf. In den 1930ern gab es die "Heimatschutzarchitektur", die recht gefällige Häuschen hinsetzte.
    Von 1950 bis in die 1970er herrschte der kubistische Zweig schier unangefochten, alte Bauten wurden entstuckt, um sie "modern anzupassen" (nicht nur aus praktischen Gründen, wie teuren Fassadenrenovierungen). Dies schmerzt uns heute noch. Dies waren auch die Jahrzehnte der "autogerechten Stadt", was in den 1950ern ganz nett begann (hat ja schon was für sich, mal eben das Auto von um die Ecke zu holen), sich in den 1970ern aber deutlich in einer Zerstörung der herkömmlichen Stadttextur auswuchs. Ab Mitte der 1970er kam dann zunehmend eine Gegenbewegung auf, die die alten Häuser von vor 1914 wertschätzte (von Hausbesetzern bis heutiger "Gentrifizierung").
    Im Neubau hat man beide Richtungen, das kubische überwiegt allerdings, und ist seit ca. 2010 wieder sehr stark. Hier werden nach wie vor immer mal Extreme gesucht. Mancherorts wird auch gefälliger gebaut.
    Jedenfalls haben wir nach wie vor diese beiden polarisierten Extreme, aus welchem Grund auch immer.

  • Im Neubau hat man beide Richtungen, das kubische überwiegt allerdings, und ist seit ca. 2010 wieder sehr stark. Hier werden nach wie vor immer mal Extreme gesucht. Mancherorts wird auch gefälliger gebaut.Jedenfalls haben wir nach wie vor diese beiden polarisierten Extreme, aus welchem Grund auch immer.


    Absolute Zustimmung hinsichtlich der Zunahme der vom Bauhaus inspirierten, kubischen Architektur ab 2000, insb. ab 2010. Mir ist dieser Rückschritt vollkommen unbegreiflich, da in den 1990ern deutlich ansprechendere Architektur dominierte.
    Dazu mal ein bisschen Regionalbezug: Die 1990er waren in Magdeburg ein goldenes Jahrzehnt, wo sehr viele schöne Bauten entstanden sind, die das Stadtbild bis heute bereichern. Die Bauten dieser Zeit haben sich harmonisch in bestehende Viertel eingefügt und wirken bis heute überwiegend sehr wertig. War das ein Magdeburger Phänomen oder deutschlandweit so? Die ersten Jahre nach der Jahrtausendwende waren dann Übergangsjahre und schließlich folgte dann der radikale Wandel hin zu schlecht und billig gebauten Bauhaus-Attrappen, wie sie bis heute überall in der Stadt wuchern. Ich frage mich ernsthaft, wie es zu einer solchen Verschlechterung der architektonischen Qualität kommen konnte, wo man doch in den 90ern quasi schon den Schwenk auf durchaus schöne und stilvolle Architektur geschafft hatte. Liegt es vielleicht an der stark Bauhaus-dominierten Ausbildung der jungen Architekten?

    Jedenfalls sehe ich die stark am Bauhaus orientierte Architektur schon bald auf dem absteigenden Ast. Die normale Bevölkerung hat die Nase davon gestrichen voll. Der Protest dagegen nimmt überall merklich zu und die Leute sehnen sich nach gefälliger Architektur, die nicht mehr nur auf Funktionalismus sondern auch auf Schönheit ausgelegt ist.

  • In meinen Augen hat das, was zur Zeit größtenteils gebaut und oftmals als Investorenarchitektur bezeichnet wird, nicht allzu viel mit Bauhaus-Architektur und nicht mal mit Architektur insgesamt zu tun. Die Gebäude, die auf den Fotos des Artikels gezeigt und von denen im Artikel die Rede ist, entsprechen zwar äußerlich grob den Wesensmerkmalen des Bauhaus.
    Aber im Grunde hat der Architekt bezüglich der Gestaltung gar nichts mehr zu sagen und sich komplett den Interessen des Investors, welche ja mehrheitlich privater, renditeorientierter Klientel sind, unterzuordnen. Ich finde, da muss man die Architekten oftmals auch in Schutz nehmen, weil sie einfach an bestimmte Vorgaben gebunden sind und nicht einfach nach ihren Vorstellungen walten können.

  • Comodo: eben deswegen versuche ich von den Bezeichnungen "Bauhaus" und "Heimatschutzarchitektur" wegzukommen und das etwas allgemeiner, gleichwohl aber nach der Formensprache zu benennen. Das Bauhaus hat bestimmte Gestaltungsprinzipien entwickelt und wurde emblematisch (oder "ikonisch") für eine bestimmte Richtung; aber es ist auch "sehr 20er Jahre", und die puristisch-kubische (also ohne eigenständige Schmuckelemente) Richtung entwickelte sich auch ohne Bauhaus weiter, ich denke da vor allem an die 1960er (viel Industriearchitektur, gerade im Ruhrgebiet), aber ich habe auch schon Industriebauten aus den frühen 1940ern gesehen (Museum Peenemünde), die unbedingt zu dieser Richtung gehören (und daß die Bauhaus-Architekten da viel zu sagen hatten, ist unwahrscheinlich). Vielleicht muß man auch die Ingenieursbauten (Schiffshebewerk Niederfinow) als eine "Quelle" des puristischen Stils ansehen, neben dem Bauhaus.
    Was sind andernseits die Quellen des gefälligen Stils... ich würde mal annehmen, zunächst ein gewisser Wohlstand, der sich auch zeigen und repräsentieren will. Ein positives Verhältnis zu Schmuckformen, auch in applikativer Form. Dann kommt noch so etwas wie "Respektierung traditioneller Hierarchien" hinzu, wenn ich an die Dreiteilung Sockel-Mittelgeschoß-Dach denke.
    Über die Jahrhunderte sind vielleicht die Burgen die Vorläufer des puristischen Stils und die Lustschlösser die Vorläufer des gefälligen.
    Einfachere Fachwerkbauten waren auch sehr puristisch! Nur die wohlständigeren wurden auch mit Schmuckelementen versehen. Hierbei müßte man auch Ansichten aus verschiedenen Jahrzehnten zu verschiedenen Jahrhunderten durchgehen, denn wenn ich an Gärtners Berlin-Veduten um 1850 denke, die ich mir mal in der Alten Nationalgalerie angeschaut hatte, dann waren damals die Berliner Häuser auch reine Lochfassaden mit gelblich-grauem Putz, also ohne die üppigen Schmuck(Stuck-)elemente, wie sie etwa 20, 30 Jahre später aufkamen.

    @Magdeburger: bei mir um die Ecke, Berlin-Charlottenburg, Wilmersdorfer Straße, baute Leffers in den 90ern ein sehr gefälliges Gebäude mit Glasfront und Bögen, das ich sehr gelungen fand. Keine 15 Jahre später war Leffers bankrott und das Grundstück wurde in ein Einkaufszentrum einbezogen und die Fassade grauenhaft kästchenmäßig verhunzt. Es war zum Heulen. Das sieht jetzt richtig kaputt oder besser, zusammengeflickt, aus. Deine Beobachtung gilt also wohl nicht nur auf Magdeburg beschränkt.

  • Ich denke, dass die Entwicklung auch jetzt schon in die richtige Richtung gehen. Bevor jedoch schön gebaut werden kann, muss erst ein Bewusstsein für die Wichtigkeit von Stadtraum und Aufenthaltsqualität geschaffen werden. Und genau an dem Punkt sind wir gerade.

    Ich denke die meisten von uns vermissen nicht einzelne schöne Gebäude, weil davon hat es noch genug. Was wir vermissen ist der schöne Stadtraum, das Lebensgefühl in einem schönen Stadtraum zu leben. Die schönen Gebäude sind nur die notwendige Voraussetzung hierfür, weil sie den Stadtraum formen. Ein einzelnes schönes Haus ist wertlos, wenn es nicht durch ästhetische Stadtplanung und in Zusammenarbeit mit anderen schönen Häusern wirken kann. Deshalb finde ich Rekonstruktionen bedeutender Gebäude sehr gut, aber sie sind nicht die Lösung. Ein schönes Stadtbild haben wir erst, wenn flächendeckend Neubauten in schönem Stil neu entworfen werden.

    Für mich ist der Stil des Historismus das Beste, was bisher geschaffen wurde, weil: hübsch, modern, wandlungsfähig > wer glaubt der Historismus wäre reaktionär und altmodisch, sollte bedenken, dass zu seiner Zeit mit der Industrierevolution der größte Sprung in die Moderne stadtfand, und viele technischen Neuerungen im historistischen Gewand daherkamen. Wenn es möglich war, Industrieanlagen im historistischen Stil zu bauen, dann sollte es auch möglich sein, heutige moderne helle Wohnungen mit großen Fenstern und Tiefgaragen usw historistisch zu gestalten.

    Doch bevor wir wieder so schöne Städte schaffen können, wie unsere Urgroßeltern, muss ein Bewusstsein für Stadtplanung geschaffen werden, denn die meisten Gründerzeitviertel sind nicht gewachsen, sondern als urbanes Neubaugebiet geplant worden (Stichpunkt Hobrecht-Plan Berlin). Die Lebensqualität dieser Viertel beruht nicht nur auf den schönen Fassaden, sondern auch auf diesem genialen Plan: Breite Alleen zwischen den Häusern; Plätze mit Cafes und Bars um die Ecke; Parkanlagen in nächster Nähe; Blockrandbebauung mit ruhigen Hinterhöfen; Durchmischung von Handel und Wohnen, für kurze Einkaufswege; Durchmischung der Sozialstruktur durch Wohnungen unterschiedlicher Preisklassen auf engstem Raum.

    Erst diese Wertschätzung für die Stadtstruktur und Straße als Lebensraum stellt die Grundlage, schöne Fassaden für nötig zu erachten. Und diese Wertschätzung für die Straße ist jetzt endlich in der Gesellschaft angekommen, wie ich euch nun an einem Beispiel demonstrieren möchte:

    Ich bin durch ein komplett vom Reisbrett geplantes Neubauviertel in Heidelberg (Bahnstadt) gelaufen und war begeistert, dass trotz der hässlichen Würfelhäuser einige Merkmale der Gründerzeit in die Stadtraumgestaltung eingeflossen sind, was dem Viertel trotz seiner Hässlichkeit ein gewisses Flair gibt.

    So gibt es Parkanlagen, die direkt zwischen den Häuserblöcken liegen:

    :dichter: Erst gestalten wir unsere Städte, dann gestalten die Städte unsere Gesellschaft :dichter:
    :opa: Aus Plattenbauten ist selten Gutes hervorgegangen :opa: