Hamburg - Wandsbeker Zollstraße - Abriß

  • armin, haussmann,
    ich nehme an, ihr achtet selbst darauf, dass ihr euch nicht zu weit vom Thema entfernt.
    Ihr werdet euch ohnehin nicht einig... was meint hier, was hier in Berlin über die ganzen Problemviertel in Neu-Köln, Wedding, Kreuzberg, etc. mit manchmal sukzessive an die 100% gehenden Ausländeranteil sowie den damit zuusammenhängenden Problemen wie Drogen, Gewalt, Parallelwelten, etc. diskutiert wird... außer Streit und verhärteten Fronten kommt aus solchen Diskussionen am Ende leider nichts heraus.
    Und ich will diesen Streit hier im Forum vermeiden, da es ja zudem primär um Architektur und Städtebau gehen soll, und weniger um Soziologie.

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Recht hast du. Verallgemeinerungen waren nicht meine Absicht und Ausländerfeindlichkeit lasse ich mir eh nicht unterstellen. Habe selbst vier Jahre in Israel gelebt und eine internationale Schule besucht. Also, zurück zu den Häusern!

    "Willst du eine Stadt vernichten, baue Kisten, Kisten, Kisten!"

  • Ja, es ist wirklich schade um dieses wunderschöne Bürgerhaus!
    So schöne symmetrische Formen findet man noch selten.

    Dennoch möchte ich allen schon an Auswanderung Denkenden und Schwarzsehern dick ins Stammbuch schreiben:

    Dieses Gebäude ist nicht an öffentlicher Schlamperei zugrunde gegangen, sondern an mangelndem bürgerschaftlichen Engagement! Den womöglich öffentlichen Abreißern Architekturfeindlichkeit zu unterstellen ginge zu weit, da wird Ursache und Wirkung verwechselt.
    Wer heute über den Verlust klagt, hätte sich gestern engagieren müssen. Etwa mit Bürgerinitiativen usw., wie es vielerorts, auch im vielgeziehenen [lexicon='Leipzig'][/lexicon] geschieht.
    Die Erhaltung der Altbausubstanz ist zwar gesellschaftlich wünschenswert, aber das obliegt den Bürgern selber! Darüber hinaus gibt es auch eine Schmerzgrenze, ab wann eine Sanierung/Reko um jeden Preis einfach nicht mehr lohnt. Sanierung um der Sanierung willen darf es nicht geben, denn dann wird die sanierte Substanz zu teuer und läßt sich nicht mehr vermarkten. Dann steht eine neu sanierte Immobilie leer herum. Leerstand ist für jedes Haus, egal in welchem Zustand, das Schlimmste.
    Das Haus ist in seinem letzten Zustand ein verfallener, durchgeweichter Schwammkasten gewesen an dem ewig nichts gemacht wurde(so traurig das ist - siehe Bild). Nach der Größe der Bäume in der Dachrinne zu urteilen auch schon sehr lange. Wie gesagt, es hat an der geehrten Bürgerschaft gelegen, das Gebäude zu retten...das hat sie nicht getan, also wird es irgendwann abgerissen.
    Da gibt es nichts zu klagen.

    Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen zerrt es dahin. (Seneca)

  • Und wenn das so eine marode Bruchbude war, warum konnte man dann nicht wenigstens die Fassade retten und dahinter einen unauffälligen Neubau errichten, um wenigstens das Äußere zu bewahren? Das ist nicht mal versucht worden!

  • Richtig, das ist nicht versucht worden.
    Aber schau mal, an welchen Projekten das gemacht wird! Zum Beispiel an großen Objekten wie Kaufhäusern in der Innenstadt (Karstadt [lexicon='Leipzig'][/lexicon]) oder bei alten Hotels. Dazu ist Wandsbek eben nicht schick und teuer genug, um sowas zu finanzieren. Es handelt sich nun einmal "nur" um ein recht kleines Miethaus in einer Hamburger Wohnstraße. Das wäre wieder nur l'art pour l'art und sowas kann sich kein Investor, der ja nun mal gebraucht wird, erlauben!

    Wenn ich der Investor wäre, hätte ich es doch nicht anders gemacht! Da muß man mal vernünftig werden. Solche Fassadenrekos sind sündhaft teuer und lohnen den Aufwand leider nur bei Innenstadtprojekten oder in teuren Wohngegenden wie München-Schwabing, Charlottenburg oder im Leipziger Waldstraßenviertel. Sonst würde das viel öfter gemacht werden. Denn so dumm sind die Leute auch nicht, daß sie nicht erkennten, dass gute Gründerzeitsubstanz auch "gute" Mieter anzieht. Geht es aber nicht, dann reißt man das Gebäude eben ab.

    Im übrigen ist das höhere der beiden Gebäude nun nicht so unersetzlich, das kleinere war wertvoller, weil es Palaischaraker hat. Das zweite war zur Bauzeit (1880 rum denke ich mal) solide Massenware.

    Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen zerrt es dahin. (Seneca)

  • Ich bin ja nun meines Zeichens Architekturlaie, aber daß das größere Haus eher Massenware ist, war mir auch klar.
    Das wurde aber durch die Tatsache relativiert, daß es eben in der Umgebung nichts vergleichbares gibt. Bei einem kurzen Rundgang würde das jedem klar werden. Ursprünglich wollte ich auch einen mit der Handykamera machen, aber ich war an dem Abend eingeladen und hatte nur wenig Zeit, die Fotos zu machen, so daß ich das auslassen mußte.

    @Antiquitus/Armin:
    Als Kind aus einer "Mischehe" bin ich in mancher Hinsicht ein wenig empfindlich, und ich will niemandem etwas vorwerfen sondern nur darauf hinweisen, wie manche Äußerungen wirken können.
    Den anderen Teil kenne ich kaum, aber meine Familie deutscherseits ist meines Eindrucks nach von der Mentalität her tief im bürgerlichen Mittelstand verwurzelt, nach dem hier einige zu rufen scheinen. Aber dieser hat den Erhalt gründerzeitlicher Stadtviertel meist eben gerade nicht gefördert, sondern gefressen, was Investoren und neunmalkluge Planer vorsetzten.

    Das Gesellschaftliche läßt sich meiner Ansicht nach nicht vom Thema Stadtentwicklung trennen. Sollte es hier aber nur um Fachdiskussionen über Baustile gehen dürfen, kann ich leider nicht mitreden..

  • Mein Eindruck ist, hier wird manchmal die Nostalgiebrille etwas sehr schnell aufgesetzt.

    Da werden die Gründerzeit und die Vorkriegszeit anhand jeder Fensterolive und jedem halbwegs zweiklassigen Bau verklärt, bisweilen romantisiert. Darüber geht der nötige Realismus verloren, und äußert sich in einem fast weinerlichen Festhalten und weltschmerzenden Aussagen über das sog. "alte, schöne Deutschland".

    Ich gebe dir vollkommen recht haussmann, wenn Du sagst, daß Bauen vom Gesellschaftlichen nicht zu trennen ist! Jede Zeit hat Ihren Stil! Habt ihr Euch vielleicht mal überlegt, was die Ursachen für die schlimmen Bausünden der Moderne der 1950er-1960er waren? Man wollte raus aus dem Gründerzeit-Muff. Raus aus den dunklen Hinterhöfen, den Klos auf der halben Treppe und den 2-Zimmer-Wohnungen und engen Gassen. Denn in denselben Häusern, die für uns heute so anziehend sind, wurden zwischen Plüschsofa und Röhrenradio über dumpfeste Gedanken nachgesonnen!

    Ein Wille nach einem radikalen Schnitt ist da nur verständlich. Und so kam es eben zu einem kubischen Bauen mit "modernem" Beton, schmucklosen Fassaden und "abstrakten" Formen, weil man das Stuckgeklitsche einfach satt hatte. Aber wie das so ist mit radikalen Schnitten, meistens fransen sie dann doch aus und es kommt zur Rückbesinnung auf Altes, wie wir es hier im Forum ja pflegen. Aber bitte dabei kritisch bleiben! Das weinerliche Klagen über jedes Haus ist doch einfach lächerlich. Die gegenwärtigen modernen Formen haben für mich mit Sicherheit ihre Reize, von romantischer Kulissenarchitektur halte ich überhaupt nichts. es gilt zu bewahren, wo es zweckmäßig, angebracht und wirtschaftlich ist, nicht nur um der Bewahrung willen, denn dann leben wir bald in einer Kulissenlandschaft, wo wir uns eine angeblich heil gewesene Welt von früher vorgaukeln, die es nie gegeben hat.

    Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen zerrt es dahin. (Seneca)

  • Zunächst einmal sind die Auswirkungen perspektivloser, ungebildeter, arbeitsloser Deutscher, wie man im Osten beobachten kann, genauso verheerend auf die historische Bausubstanz. Das obengenannte Problem läßt sich mithin nur gesellschaftlich und nicht baulich lösen. Interessant ist allerdings die Frage wie sich das bauliche Erbe auf Identifikation und Integration auswirkt.
    In Breslau, wo die aus Lemberg vertriebene polnische Bevölkerung angesiedelt wurde, wurden ganze Häuserzeilen aus österreichischer und preußischer Zeit rekonstruiert, als architektonisches Erbe angeeignet. In der Toskana oder in Aquitanien sind es oft englische oder deutsche Ausländer, die historische Bausubstanz restaurieren, wozu der einheimischen Bevölkerung oft die Mittel fehlen. Hier dreht sich das Problem gewissermaßen um, zwar wird die Bausubstanz dadurch gerettet, aber ganze Kleinstädte sterben aus und werden nur zwei oder drei Wochen im Jahr bewohnt, die einheimische Bevölkerung gewissermaßen ihrer Geschichte enterbt.
    Psychologisch gesehen sind es Faktoren wie persönliche Erlebnisse und menschliche Interaktion, die Identifikation und Verantwortungsbewußtsein bilden, Abstrakta wie Geschichte oder Nation entstehen eher aus einer Verarmung dieser Faktoren.

  • Zitat von "Wolfsheim_Jena"

    Habt ihr Euch vielleicht mal überlegt, was die Ursachen für die schlimmen Bausünden der Moderne der 1950er-1960er waren? Man wollte raus aus dem Gründerzeit-Muff. Raus aus den dunklen Hinterhöfen, den Klos auf der halben Treppe und den 2-Zimmer-Wohnungen und engen Gassen.

    Das ist doch Quark.
    Für das Bauen der 50-er und 60-er war sicherlich nicht der Flucht aus einem Gründerzeit-Muff der Grund.
    Überhaupt ist dieser sog. Muff eine Erfindung. Wie man heute sieht, kann man aus Gründerzeitlern jede beliebige Wohnung machen, mit 1a-Grundrissen und bestem Komfort.
    Bei dunklen Hinterhöfen reicht der Abriss eines Hinterhauses und schon haben alle Licht und Platz. Überhaupt gehören die Höfe in den gründerzeitlichen Blockbebauungen zum Besten überhaupt: Oasen der Ruhe inmitten der Stadt und Treffpunkt für Bewohner. Natürlich gab's vor 100 Jahren mal Etagenklos - na und! -, heute haben alle renovierten Gründerzeitler selbstverständlich zeitgemäße Hygieneeinrichtungen.
    Und enge Gassen wurden in der Gründerzeit auch nicht gebaut, da setzte man eher auf breite Straßen.

    Den Gründerzeitlern die Schuld am Nachkriegsmist zu geben, ist, gelinde gesagt, ziemlich gewagt.

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Wieder mal alles falsch verstanden. Bitte genauer lesen.

    Nicht der Gründerzeitler an sich ist schuld an der Nachkriegsmoderne, das steht überhäupt nicht in meinem Posting! :augenrollen:

    Es hat aber nach dem Krieg einen deutlichen Bruch gegeben, der sich durch alle gesellschaftlichen Schichten zog. Man hat damals den Fehler gemacht, die gesamte Gesellschaft vor dem Kriege in Bausch und Bogen zu verdammen. Man wollte einen "neuen Menschen" in einer "neuen Gesellschaft" schaffen. Dazu gehörte auch neues Bauen, da sich hier die Gesellschaft doch am Sichtbarsten ausdrückt (siehe Nazibauten).
    Mit der neuen Gesellschaft ist es glücklicherweise was geworden. Mit dem neuen Menschen logischerweise nicht. Der sehnt sich nicht nach Brasilia, sondern eben nach der Kindl-Kneipe im Prenzlauer Berg!
    Nur kann ich am Prenzlauer Berg der 30er oder 50er-90er absolut nichts Wohnliches entdecken, genauso wie in vielen Gründerzeitquartieren in Deutschland dieser Zeit.
    Ihr vergeßt, daß es sich nicht immer nur um Waldstraßenviertel und kleine Weiße Hirsche gehandelt hat, sondern oft genug (grade in Berlin!) um feuchte muffige Kasernen mit bis zu 3 Durchhöfen, in denen der Hinterhof keineswegs lauschig ist! Dort schmaucht noch die Dampfwäscherei, die Hinterhofbäckerei oder ein anderes Gewerbe seine Gerüche in die Luft.
    Die heutigen Gründerzeitquartiere sind oft bereits entmischt, hier findet sich reine Wohnbesiedlung ohne Gewerbe (mal abgesehen von der Kneipe oder Bäckerfiliale). Wie oft das zutraf, seht ihr doch schon auf den Bildern oben! Schaut doch nur hin, wie "lauschig" hier der Hinterhof ist. Dort steht ein gewerblich genutztes Hinterhaus, eng drangebaut. So sah es da aus, da war nichts mit netter Hausgemeinschaft und grüner Hinterhofromantik!
    Nimmt man dies zusammen, ist sind die sehr wohl großzügig angelegten Straßen der Gründerzeitviertel auch egal. Dass es dann zum Schnitt kam und modernes, am Ende oft nicht geglücktes Bauen folgte, ist ja nur allzumenschlich. Jedoch warne ich davor, die Gründerzeitler in ihrem Urzustand zu verklären! Sowas Naives.
    Da wo es heute möglich ist, zeitgemäßes Wohnen zuschaffen soll man es auch tun. Da wo nicht sollte man vor dem Abriß nicht halt machen, wie oben im Bild ersichtlich ist die Substanz (hier das größere Haus) durchaus entbehrlich.

    Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen zerrt es dahin. (Seneca)

  • ad "dumpfe Gedanken"

    Meine These ist, daß durchaus ein Zusammenhang besteht zwischen der wilhelmischen und nationalsozialistischen Bautradion und der vielfach autoritären Geisteshaltung.
    Denn Gebäude sind immer Ausdruck der Gesellschaft.
    Insofern sind die zwar teilweise schmuckreichen Gründerzeitler Ausdruck ihrer Zeit. Aber hintenrum sieht es ganz anders aus.

    So ist der Berliner Mietskasernengürtel der Kaiserzeit nicht aus Menschenliebe und Lust an solidem Bauen entstanden. Er ist in der Nähe der Firmen Borsig, AEG und Siemens&Halske entstanden, weil Wohnraum her mußte für Tausende. Da ging es nur um die Verwahrung der Masse, nicht ums Individuelle. Und ist es nicht bezeichnend, das die dumpfen Gedanken sowohl des Kommunismus als auch des Nationalsozialismus/Hitlerismus genau in jenen engen Quartieren auf den fruchtbarsten Boden fielen? Da besteht m.E. sehr wohl ein Zusammenhang. Denn in engen Massenquartieren, wie sie ein Großteil der gründerzeitlichen Bebauung nun einmal war, regt sich doch als erstes der Wunsch nach Änderung der schlimmen Zustände. Da gibt es nicht zu beschönigen und m.E. wird das zuweilen hier etwas ausgeblendet. Daran will ich aber erinnert haben. Im übrigen ist es heute genauso. Das Menschenbild der DDR äußert sich am offensten in den gesichtslosen Massensiedlungen der Plattenbaugebiete. Wo der einzelne per Architektur nichts gilt, überträgt sich das auch auf den Menschen. Wo werden heute denn die Einwanderer zusammengeschlagen und verängstigt - in eben jenen Vierteln! Da wo man die Unterschicht der jeweiligen Zeit per Behausung erniedrigt, erniedrigt sie ihrerseits diejenigen, die sich noch weniger wehren können.

    ad: "Kulissenarchitektur"

    Es bringt nichts überall alles und jedes an alter Architektur bewahren zu wollen. Das finde ich verkrampft. Jeder alte Bau verdient aber das Nachdenken darüber, wie er weiter genutzt werden kann. Schon aus Respekt vor der damals aufwändigeren handwerklichen Leistungen.
    Aber eben nicht um jeden Preis! Genauso bin ich gegen Rekonstruktion wo sie zu aufwändig ist.
    Denn manchmal habe ich den Eindruck, das unsere heutigen Gründerzeitquartiere im besten Zustand sind, den sie je gehabt haben. Will man damit eine "gute alte Zeit" herholen, die es nie gegeben hat?

    Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen zerrt es dahin. (Seneca)

  • zu den "dumpfen Gedanken":

    Jaja, da hören wir zum tausendsten Mal "Autoritäte Regime bauen autoritär, Demokratien bauen demokratisch". Wenn das heutige bauen wirklich etwas Demokratisches als Wesenselement hätte, warum sind dann große Teile der Bevölkerung alles andere als begeistert?
    Ich verweise hier auf den bereits anderweitig zitieren Aufsatz von Peter Körner "Rekonstruktion - ein Tabu?":

    Zitat

    Die frühere Enge der gewachsenen Städte war nun ideologisch verdächtig. Hier, in dumpfen und schlecht belichteten Quartieren, in alten und ungesunden Häusern soll der Ungeist seine Nahrung gefunden haben, der sich ohne Charakter und Widerspruch zu den Verbrechen des Dritten Reichs mißbrauchen ließ. Der Erfolg der Wirtschaft, der eine rationale Strategie unterstellt wurde, erhob die Funktionalität zum Vorbild. Die alten Gebäude, nicht zuletzt Fachwerk, konnten in diesem Sinne niemals als rationale Strukturen betrachtet werden, ob es sich um die Technik oder um die Kosten handelte.
    Erst die jüngere Architekturforschung der letzten Jahre hat dieses Selbstverständnis stark relativiert. Die Kontinuität von Architektur und Städtebau von der Vorkriegszeit bis in die fünfziger Jahre erweist sich als mächtiger als es bisher angenommen wurde. Die Zerstörung der deutschen Städte etwa wurde in Stäben von Hitlers Minister Albert Speer als Chance betrachtet, die notwendige Modernisierung und Aufweitung der Zentren in Angriff zu nehmen, nach ähnlichen Grundsätzen, wie sie nach dem Krieg wirksam wurden.

    zu Kulissenarchitektur:

    Sorry, aber ich sehe nicht, wo sich deine Ausführungen an irgendeiner Stelle auf Kulissen beziehen ?!? Sag doch einfach mal klipp und klar, was "Kulissenarchitektur" für dich ist.

  • Kulissenarchitektur:

    Wie bereits haussmann in seinem Posting bemerkte, halte ich nichts von Disneyland-Sanierungen.
    Da werden die Gebäude entkernt, vorne bleibt die Fassade stehen und hintenrum ist alles bloß übelster Investorenschrott mit Sichtbeton und Normbauteilen. Sowas ist für eine anspruchsvolle Sanierung und die Erhaltung von Gründerzeitvierteln zuwenig.
    Genauso ist es mit der Sanierung um jeden Preis. Alles wird angestrichen und angehübscht, damit ja die Gründerzeit erhalten bleibt. Heraus kommt dann doch ein Mischmasch alt/neu, da für eine Reko in 98% aller Fälle kein Geld da ist, es sich darüber hinaus gerade in Vierteln wie Wandsbek einfach nicht lohnt. Rekos lohnen sich nun mal nur im Hamburger Westen oder in der Innenstadt.
    Wenn gezielt und aufwändig erhalten wird, dann bitte im geschlossenen Bestand und dort wo man das auch finanzieren kann. Alles andere ist bloßer Kompromiß und man sollte sich schon entscheiden was man will.

    Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen zerrt es dahin. (Seneca)

  • Zu Körners Aufsatz:

    Ich teile seine Zweifel nicht. Man kann anhand historischer Fakten nachweisen, dass alle europäischen linken und rechten Arbeiterbewegungen eben auch in für diese Klasse vorgesehenen Vierteln ihren Ausgang genommen haben.
    Ich wüßte nämlich nicht, inwiefern sich der Weiße Hirsch oder Berlin Dahlem schon einmal revolutionär hervorgetan hätten. Somit ist Körners Zweifel kontrafaktisch.
    Ebenso nicht stichhaltig ist die These der Kontinuität von Speer zum Städtebau der Nachkriegsmoderne.
    Speer plante seine Stat nur für einen Teil der Bevölkerung: den weißen Herrenmenschen. Wo ist denn in seiner Planung all das proletarische Volk geblieben, dass die Viertel bewohnte, durch die dann wahnwitzige Achsenkreuze und Triumphbögen geschlagen werden sollten? Diese Planungen würde ich mal sehen wollen. Darüber hinaus orientierte sich die Nachkriegsmoderne viel stärker an Reformkonzepten wie der offenen Stadtlandschaft aus der Bauhauszeit. Es sei hier nur an Hans Scharoun erinnert, der die Nachkriegsmoderne sehr wesentlich mitgeprägt hat. Ich glaube der Unterschied zu einem Sagebiel ist unstrittig!
    Daß die offene Stadtlandschaft auch wieder zur unwirtlichen urbanen Wüstenei geraten ist und daher verwerflich ist, sei auch konzediert. Eine Kontinuität zu Speers Planungen ist jedoch abwegig.

    Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen zerrt es dahin. (Seneca)

  • Zu den Kulissen später, ich möchte mich jetzt erst einmal auf ein Thema festlegen...

    Zitat

    Zu Körners Aufsatz:

    Ich teile seine Zweifel nicht.

    Damit wir uns nicht missverstehen: Natürlich gibt es einen Zusammenhang zwischen Architektur und der Gesellschaft, die sie hervorbringt. Natürlich ist der Nazi-Geist an den erhaltenen Monumental-Monstern, die in dieser Zeit entstanden sind, ablesbar. Und natürlich entspringen die prachtvollen Fassaden der Gründerzeit dem Repräsentationsbedürfnis dieser Epoche.

    All das darf aber nicht zum Anlass für grobe Übervereinfachungen genommen werden. Ich erinnere mich an eine Veranstaltung in Frankfurt, wo der FAZ-Kritiker Bartetzko gegen die Bestrebungen einer Rekonstuktion der Altstadt wetterte, indem er darauf hinwies, dass der Geist, der sich schon einmal architektonisch in einem "Historismus" manifestiert habe, damals ja letztlich auch zu einem Krieg geführt habe. Peinlich dann noch Bartetzkos Nachsatz: "Ich meine, es muss in unserem heutigen Fall ja nicht unbedingt zu einem Krieg kommen..." :augenrollen:

    Welcher Art ist hier der Zusammenhang zwischen wilhelminischer Bautradition und einer autoritärer Geisteshaltung (ganz abgesehen davon, dass die Verbindung zur Frankfurter Reko-Debatte ohnehin sehr gewagt ist)? Den Historismus mit all seinen Spielarten gab es auch in den liberalen westeuropäischen Staaten Frankreich und England. Es gab ihn in der Schweiz und in Schweden, die seit undenklichen Zeiten keine Kriege mehr geführt haben.

    Architektur auf diese grob vereinfachende Weise in einen Zusammenhang mit Autorität und Kriegswilligkeit zu stellen, erscheint mir, bei allem Respekt, grenzenlos naiv.


    Zitat

    Ebenso nicht stichhaltig ist die These der Kontinuität von Speer zum Städtebau der Nachkriegsmoderne.

    Diese Aussage ist sachlich schlichtweg falsch.

    Auch hier sei verwiesen auf einen Artikel, der bereits schon einmal in diesem Forum in Auszügen gepostet wurden: Heinrich Schwendemann, Bomben für den Aufbau (In: Als Feuer vom Himmel fiel, herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung).

    An dieser Stelle nur die für die laufende Diskussion wichtigsten Passagen:


  • Hier mal ein Link zu Googlemaps, damit man sich ein Bild von der Gegend machen kann. Es handelt sich um die Häuser in der Mitte:

    http://maps.google.de/?ie=UTF8&ll=53.575703,10.076255&spn=0.002121,0.005032&t=h&om=1\r
    maps.google.de/?ie=UTF8&ll=53.57 ... 2&t=h&om=1

    Da war eh nichts mehr zu retten. Selbst wenn man die Häuser jetzt wieder rekonstruieren würde: Da will sowieso keiner mehr wohnen. Es gibt schönere Ecken in Wandsbek.

    Den Anfang haben die Bombenteppiche im zweiten Weltkrieg gemacht: Es soll so gewesen sein, dass die Piloten falsche Infomationen über die Hamburger Geographie hatten und ihre Bomben deshalb an den falschen Stellen abwarfen. Die Mehrzahl der Bomben wurde in den östlichen Stadtteilen abgeworfen. Die Piloten nahmen an, hier sei das Stadtzentrum. Unterstützt wurde das Ganze noch durch eine getarnte Alster.
    Tatsächlich ist heute der Hamburger Osten viel hässlicher als der Westen.

  • Zitat von "Stadtmensch"

    Tatsächlich ist heute der Hamburger Osten viel hässlicher als der Westen.

    Habe mal in Hamburg-Hamm gewohnt und kann diese Aussage mehrfach unterstreichen.
    In Hamburgs Osten hat man die einmalige Gelegenheit, über zehn Kilometer an roten Klinkerklötzen entlang zu fahren.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • In einem dieser roten Klinkerklötze wohne ich =). Keine Lust gehabt, mich um eine Wohnung in einer der kleinen Altbauinseln zu schlagen.

    Nun, mir wird hier wieder zu typisch deutsch verkrampft diskutiert und hineininterpretiert. Einige Punkte, besonders auf die Antworten von Wolfsheim_Jena bezogen:

    - Es gibt schon einige Quellen in den man nachlesen kann, daß in der Nachkriegszeit das Wohnen in den (damaligen) Neubauten als schick galt. Ich denke aber, den meisten Leuten war es eher egal und genau wie heute machte man sich normalerweise gar keine Gedanken darum, sondern das beste aus der jeweiligen Situation. Für unsere Überlegungen hätte man wahrscheinlich mit einem beherzten "geht arbeiten!" übriggehabt.
    Es hatten wahrscheinlich auch viele keine Lust mehr, in Vierteln zu leben, die im Krieg zur tödlichen Falle werden können. In der 50er-Jahre-Stadt holzt man eben die Bäume ab und schon gibt es keine ausgedehnten Flächenbrände mehr.

    - Das ganze "Gründerzeitlich bauen ist Hitler"-Gefasel halte ich entweder für Projektion oder für vorgeschoben. Man war und ist immer bemüht, vergangene Epochen als rückständig darzustellen, das ist normal und hat sich nicht geändert. Viele Geschichten über das angeblich finstere Mittelalter entsprangen der Phantasie des 19. Jahrhunderts.
    Erinnern möchte ich daran, daß die Nazis selbst HH-Hammerbrook, den nach pariser Vorbild gebauten und so gut wie restlos zerstörten, hafennahen und wohl dichtesten Stadtteil, abreißen wollen, da es eine Hochburg der Linken war und SA-Leute sogar angegriffen worden waren.
    Sich mit solchen Argumenten auseinanderzusetzen ist aber im Endeffekt eine Beschäftigungstherapie, da sie mir eben vorgeschoben erscheinen und man lieber untersuchen sollte, was die sie vortragenden Personen _wirklich_ gegen klassische Architektur haben. Vielleicht hat jemand eine Idee?

    - Die Stärke der nach klassicher Bauart gebauten Viertel wie den Gründerzeitvierteln (dabei besonders dieser) ist die Vielseitigkeit, die sich heute zeigt. Der auf meinen Bildern zu sehende rückwärtige Trakt wäre in einem "Trendviertel" heute eben ein Künstleratelier oder ähnliches, ein Problem wäre nur der fehlende direkte Zugang zur Straße. Genau sowas macht eine lebendige Stadt aus. Die Planer haben den Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft komplett verpennt, und zwar jahrzehntelang.
    Nur sind die Wohnungen sind oft ungünstig auf Großfamilien zugeschnitten, also hat man sie unterteilt aber oft auf eine Art, die extreme Hellhörigkeit bewirkt.

    Insgesamt aber ist die Bauweise auch heute noch vorteilhaft, erstaunlich vielseitig und einfach zeitlos. Damit, daß sie oberflächliche Ästhetik und "Gemütlichkeit" bietet, hat man nur ein Problem, wenn man sich selbst als Übermenschen ohne solche Urbedürfnisse sieht ("neuer Mensch"); eine unrealistische und anmaßende Haltung, die längst nicht mehr modern ist.

    Stadtmensch:
    Es gibt schon noch einige interessante Altbauten in der Nähe, bloß halt nichts in dem Stil. Mit dem Markt als Verkehrsknotenpunkt könnte mit etwas ansprechenderer Architektur das Viertel zu neuem Leben kommen, aber nun hat man sich von der dafür notwendigen kritischen Masse wieder ein Stück entfernt.


    p.s. die oben genannten Qualitäten nicht umsonst althergebrachter Strukturen gelten ganz genau so auch für mit Schnellbeton hochgezogene Pseudo-Gründerzeit, weshalb ich sowas nicht nur entspannt sehe, sondern wegen der geringeren Kosten ausdrücklich befürworte. Womit wir wieder beim zweiten Absatz wären.