@ rakete:
Das sehe ich erwartungsgemäß nicht so. Ich betrachte Städte auch überhaupt nicht als "begehbares Museum", wie du mir unterstellst, sondern ganz im Gegenteil.
Nach deiner "Alles-fließt"-Auffassung (die in der Tat in dieser Form spezifisch modern ist in ihrer prinzipiellen Zukunftsausrichtung und Vergangenheitsaversion) müßte man eine Stadt etwa alle 100 Jahre komplett abreißen und neu aufbauen. Was dabei rauskommt, sieht man ja. Die "Zeugen der reichen kulturellen Vergangenheit" wären dann lediglich diejenigen, die durch irgendwelche Zufälle die allgemeine Abrißwelle überstanden haben.
So "funktioniert" die alteuropäische Stadt aber nicht: sie wächst, verändert sich, es wird angebaut, umgebaut, aber zumeist nicht abgerissen und neugebaut. Und gerade das schafft eine lebendige Stadt: eine Stadt, die nicht museal ist, sondern in der die Vergangenheit - das Mittelalter, die Renaissance etc. - nicht musealer Rest ist, wie in deinem Konzept, sondern auf Schritt und Tritt lebendige Gegenwart. In der sich also die Zeitschichten überlagern und alles Gewesene hic et nunc präsent ist statt immer wieder vernichtet und durch neue ersetzt zu werden.
Nur um das zu illustrieren: ich war kürzlich wieder in Genua, der Stadt mit der größten mittelalterlichen Altstadt der Welt (über 10 000 Häuser aus dem 13. und 14. Jahrhundert). Darin ist von wenigen Ausnahmen nie was abgerissen worden. In der zweiten Blüte Genuas im 16. und 17. Jahrhundert wurden vielmehr wie in einem Ring die fantastischsten Paläste und Kirchen der Spätrenaissance und Barock, die du dir denken kannst, um die mittelaterliche Altstadt herum gebaut. Und dann wurden im 19. und 20. Jahrhundert in einem weiteren Ring Gründerzeitbauten, Jugendstilbauten und schließlich Bauhaus und Moderne errichtet. Und diese Stadt ist das Lebendigste und Unmusealste, was es in Europa überhaupt nur gibt!
Übrigens wird die mittelalterliche Altstadt mit ihren über 10 000 Häusern gerade trotz leerster Stadtkassen Haus für Haus saniert. Daran sollen sich die ostdeutschen Städte mal ein Beispiel nehmen. Am Ende ist es nämlich keine Frage des Geldes, sondern eine Frage dessen, was man will. Wenn man eine Altstadt nur wirklich sanieren will statt sie abzureißen, dann geht es auch! Vermeintliche "Sachzwänge" hin oder her!