Denkmalpflege Student

  • Auch mir ist dieses Klammern an die Originalsubstanz durch unsere Denkmalpfleger schon öfters unangenehm aufgefallen (im Grunde eine materialistische Sicht der Welt). Gemäß dieser Logik müßten wir sagen: Alle Musiker und Sänger, die an der Uraufführung von Mozarts "Zauberflöte" beteiligt waren, sind längst mausetot; und auch die meisten Instrumente existieren nicht mehr. Da auch niemand die Uraufführung technisch aufgezeichnet hat (die Technik gabs damals natürlich noch nicht), hat Mozarts "Zauberflöte" aufgehört zu existieren und jeder, der sie anhand der Partitur wiederaufführt, betreibe "Verfälschung", "Betrug", "Disneyland" etc. Und überhaupt, ist es nicht völlig unzeitgemäß, barocke Musik aufzuführen? Schließlich fahren wir ja nicht mehr Kutsche oder dienen einem Feudalherren!

    Das Original ist doch die "Partitur", sprich der Baumeister- oder Architektenentwurf. Ansonsten läge doch das Recht des geistigen Eigentums beim Maurermeister und nicht beim Architekten!

    Der Bau wird ersonnen (kreative Leistung), und dann anhand der Pläne umgesetzt. Und das kann je nach ausführender Maurerkolonne völlig unterschiedlich sein, z.B. bei Natursteinmauerwerk. Die Ausführung ist also relativ beliebig, und damit replizierbar.

    Und so wie man noch heute historische Musik aufführen kann, kann man natürlich auch längst untergegangene Gebäude neu aufführen, sofern die "Partitur" (Pläne, Fotos etc.) noch vorhanden ist.

    Was mich an den Denkmalpflegern auch verwundert, ist, daß sie sich in die gegenwärtige Architekturdiskussion sosehr einmischen. Denkmalpflege möchte doch dokumentieren, was gebaut wurde. Würde ein Direktor eines Automobilmuseums heutigen Automobildesignern vorschreiben, wie ihr Design auszusehen hat oder wie es um nichts in der Welt aussehen darf, da "Vortäuschung", "Lüge", "Verwechslungsgefahr mit historischen Fahrzeugen" etc.? Interessant übrigens, daß es auch im Autodesign einen Retrotrend gibt.

    Ach ja, die Rekonstruktion des Knochenhaueramtshauses in Hildesheim ist jetzt über 30 Jahre alt, wie wäre es mit einer Diskussion unter Denkmalpflegern, dieses Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen (natürlich nicht als mittelalterliches Gebäude, sondern als eines der wichtigsten Rekonstruktionen der 80er Jahre - Stichworte: Denkmalschutzjahr, Wiederentdeckung der Altstadt, Wiederherstellung des historischen Stadtgrundrisses, identitätsstiftendes Bauwerk)?

  • Den Vergleich mit Klassischer Musik finde ich ineteressant da kann man sicher viel diskutieren. Aber gerade bei einem historischen Bauwerk kommt es sehr auf die Art des Bauens an und nicht nur auf die Idee. Ein über Jahrhunderte gewachsenes und verändertes Gebäude mit allen Altersspuren ist eben nicht gleichwertig zu ersetzen. Alte Gebäude sind nicht ausstauschbar nur weil eine Rekonstruktion scheinbar gleich aussieht. Der Marktplatz in Hildesheim hat z.B. niemals so ausgesehen wie jetzt auch wenn man einen Eindruck bekommt wie es mal ungefähr gewesen war.
    Dass das Knochenhaueramtshaus (17 Jahre alt) einmal als Wiederaufbauleistung unter Denkmalschutz steht kann gut sein, es war in den 80ern schon schwierig geeignete Handwerker zu finden.

    Viel eher glaube ich aber, dass eines Tages die ganze Hildesheimer Innenstadt unter Denkmalschutz stehen wird, weil sie so konsequent im 60er Jahr Stil erbaut ist und praktisch bis heute jede große Veränderung sich nicht durchsetzen konnte. In Hildesheim kann man also eine komplette Stadt mit 50/60er Jahre Flair erleben... und das ist garantiert alles original und auf seine Weise auch wert erhalten zu werden :zwinkern:

  • Zitat

    In Hildesheim kann man also eine komplette Stadt mit 50/60er Jahre Flair erleben...

    :gehtsnoch: :übelkeit:

    ...und das Ihmezentrum in Hannover, Berlin-Marzahn, Halle Neustadt wohl auch alles äusserst erhaltenswert? Geht`s noch?
    Tut mir leid, gerade bei Hildesheim kann man sehen, dass das noch junge Produkt einer wirren Epoche sich doch in keinster Weise messen kann an Jahrhunderte alten Stadtbildern.
    Am meisten ärgert es wenn in dieser Epoche auch intakte alte Gemäuer gefallen sind für die Große Sache. Wo war denn da der Denkmalschutz?!

    Und heutzutage: warum schreitet der Denkmalschutz denn nicht ein, wenn es um den Abriss stadtbildprägender Gebäude (nicht nur im Stile des eigentlich verpönten Historismus) geht?!
    Wie kann es angehen, dass sogar denkmalgeschützte Bauten den Freibrief für die Abrissbirne bekommen?
    Mit solchen Fragen solltest Du Dich mehr beschäftigen als Rekonstruktionen zu verwerfen oder teilweise wirklichen Schrott unter Schutz zu stellen.

  • Unser Problem ist wohl, daß wir die meisten Städte in Deutschland heute in diesem "Flair" erleben dürfen - aber wer weiß, vielleicht sind ja auch meine beiden "Lieblingsstädte" Pforzheim und Ludwigshafen mal schutzwürdig und müssen exakt im jetzigen Zustand konserviert werden.

  • Es gibt tatsächlich Hildesheimer, die das "Flair" unserer ach so hübschen Innenstadt schätzen? Hildesheim ist für mich ein perfektes Beispiel des seelenlosen Stils der 50er- und 60er Jahre und wenn ich andere Hildesheimer frage stimmen mir diese auch fast immer zu.

    Ich werde wohl in den nächsten Tagen mal ein paar Fotos von den schlechten und schönen Seiten der Stadt machen und diese dann mit älteren Fotos vergleichen. Da kann dann jeder für sich entscheiden, was ihm besser gefällt... :zwinkern:

  • Zitat

    Ein über Jahrhunderte gewachsenes und verändertes Gebäude mit allen Altersspuren ist eben nicht gleichwertig zu ersetzen.


    Das behauptet ja auch niemand. Dennoch gibt es zwischen dem ursprünglichen Gebäude und seiner Rekonstruktion eine Kontinität.
    Das entscheidende an einem Gebäude, das sehe ich auch so, ist seine Geschichte, nicht seine "Idee". Wenn das Gebäude im Krieg zerstört wurde, dann gehört eben auch seine Zerstörung und sein Wiederaufbau zu seiner Geschichte - und die Spur der Zerstörung besteht dann eben darin, daß das Gebäude all die Spuren seiner Geschichte vor der Zerstörung nicht mehr aufweist: die Spur der Geschichte, die du suchst, ist die Abwesenheit jener Spuren.
    Was das "Flair der 50'iger" angeht: keine Frage, daß es so etwas gibt, aber das ist gar nicht der Punkt. Eine oder zwei Städte in Deutschland im einheitlichen Stil der 50'iger Jahre oder einzelne Bauten der Nachkriegszeit in einer ansonsten intakten alteuropäischen Stadt, das wäre überhaupt kein Problem - in Italien beispielsweise "funktioniert" das oft sehr gut.
    Aber das ist eben nicht die Situation in Deutschland. Hier bestehen aufgrund des Bombenkriegs alle größeren Städte praktisch nur noch aus Nachkriegsarchitektur. Und diese Städte stehen eben an der Stelle von alten Städten mit all ihrer jahrhundertealten Geschichtstiefe und Schönheit. Das Problem ist die Abwesenheit dieser Städte - die Abwesenheit des eigentlichen Frankfurt, Nürnberg, Mainz, Dresden, Braunschweig, Kassel, Köln, Magedeburgs, Hannover, Stuttgart, Würzburg, Hildesheim, Darmstadt, Duisburg, Hamburg, Pforzheim - nicht die Anwesenheit der Nachkriegsmoderne. Und gegen diese Abwesenheit steht die Rekonstruktionsbewegung!

    Der doktrinäre Denkmalschutz dagegen ignoriert immer noch verbissen die Besonderheit der deutschen Situation, daß nämlich in dem einzigartigen Kriegsverbrechen der größten Kultur- und Denkmalsvernichtung der Menschheitsgeschichte die gesamte bauliche Vergangenheit aller großen und vieler kleiner Städte ausgelöscht wurde, daß dieses Land buchstäblich aus seiner Geschichte herausgebombt wurde.
    Stattdessen tut man so, als sei nichts anders als zu Zeiten Dehios und wendet unverdrossen und in konsequenter Ausblendung, ja oft Leugnung des geschichtlich einmaligen Bruchs, der darin liegt, die alten Dogmen weiter an, als wäre nichts geschehen. Fangt endlich mal an zu denken!

  • Zitat von "Comes"

    Es gibt tatsächlich Hildesheimer, die das "Flair" unserer ach so hübschen Innenstadt schätzen? Hildesheim ist für mich ein perfektes Beispiel des seelenlosen Stils der 50er- und 60er Jahre und wenn ich andere Hildesheimer frage stimmen mir diese auch fast immer zu.

    Ich werde wohl in den nächsten Tagen mal ein paar Fotos von den schlechten und schönen Seiten der Stadt machen und diese dann mit älteren Fotos vergleichen. Da kann dann jeder für sich entscheiden, was ihm besser gefällt... :zwinkern:

    Ich kenne auch Fotos und Vergleiche von Alt-Hildesheim und heute. Und sicherlich würde mir auch das alte besser gefallen. Und dass ich das heutige Hildesheim gut finde habe ich auch nicht gesagt. Dennoch spiegelt es die Epoche des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders wieder. Und immerhin sind einige 50er Jahre Viertel in Hildesheim schon unter Denkmalschutz gestellt z.B. die Häuser um den Rosenhagen.

  • Studi

    Zitat

    ...ein zeitgemäßer ehrlicher Bau mit ehrlichen Materielien wie Metall, Glas auch in Verbindung mit Holz oder Beton ist doch jeder Rekonstruktion vorzuziehen

    Was ein "ehrlicher" Bau sein soll, ist mir nicht klar. Und wie Materialien "ehrlich" sein sollen ebenso wenig. Das suggeriert dann wohl, dass reine traditionelle Baumaterialien "unehrlich" sind?
    Das "Hotel Rose" muss demnach ja wesentlich ehrlicher gewesen sein und dir deutlich besser als dieses unehrliche Knochenhaueramtshaus gefallen haben?

  • Also ich fine Teile der Altstadt Hildesheims ganz OK. Vor allem die Strassen um die Michaeliskirche.

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Zitat von "Däne"

    Also ich fine Teile der Altstadt Hildesheims ganz OK. Vor allem die Strassen um die Michaeliskirche.

    richtig, dort gibt es ausschließlich 50er Jahre Bebauung. Ein Großteil davon zeigt Ansätze sehr schöner stilvoller Architektur

  • @ Studi: Warum gehst du eigentlich überhaupt nicht auf die Fragen zu deinen Thesen ein? Wäre schön, wenn du deine Meinuntg (bzw. die deiner Profs) mal begründen könntest.

  • Es muß wirklich zwischen Denkmalpflege als Vergangenheitspflege und Rekonstruktion als "Zukunftspflege" unterschieden werden.

    Ich finde auch die Nürnberger Altstadt gut wiederaufgebaut (wenn ich echte Denkmäler sehen will, gehe ich nach Fürth), abgesehen von einigen Schönheitsfehlern (autogerechte Planung, einige Gebäude, Pellerhaus-Entscheidung). Hildesheim ist eine normale Stadt, kein spezifisches "50er-Flair" (wo sind Milchbars, Kinos, Halbstarke?), nicht abstoßend, aber eben belangloses Straßenbild außer dem wirklich ansprechenden Marktplatz (den ich genauso wie die dort erlebten Menschen als "ehrlich" quicklebendig und absolut alltagstauglich erlebt habe - keineswegs "unehrlich", kalt und abweisend).

    Studi, man kann doch nicht von der Bevölkerung verlangen, mit einem durch Erwerb von Fachkenntnis geläuterten Blick durch die Straßen zu gehen - und zu erwarten, daß gefällt, was Denkmalwert hat! Das würde doch genau die Tatsache, daß dem Denkmalschutz subjektive Kriterien fremd sein müssen, pervertieren! Es handelt sich eben um zwei verschiedene Paar Stiefel - Gefallen hat mit Denkmalschutz grundsätzlich nichts zu tun. (Schwierig ist allerdings die Beurteilung der Ästhetik eines Bauwerks als Unterschutzstellungsgrund.)

    Die möglichen Rekonstruktionen können natürlich nicht die Geschichtstiefe der zerbombten Städte wiederbringen, aber sie können extrem gut helfen, sich der traumatisch verlorenen Geschichtstiefe wieder anzunähern. Mit der dadurch erreichten Versöhnung könnte ein neuer Ansatzpunkt geschaffen werden, um auch wieder einen Konsens für progressivere Strömungen zu erreichen.

    Sauerländer: Danke für die Fundstelle - aber Kiesow schreibt dort lediglich seine Meinung, freilich befindet er sich in bester Gesellschaft, da seine Ansicht wohl die herrschende Meinung repräsentiert. Wie kommt es aber dazu, daß diese Grundsätze gesetzesähnlichen Status genießen? Ich habe das Gefühl, daß diese Grundsätze unhinterfragt immer weitergetragen werden, da sie weder in der Theorie noch in der praktischen Denkmalpflege einen schlimmen Problempunkt darstellen. In diesem Satz:

    Zitat von "der_Sauerländer"

    Grundsätzlich wird die Abhängigkeit des Baudenkmals von der Originalsubstanz heraus gestellt. Die Bauwerke "sind deshalb im Grundsatz nicht reproduzierbar und gehen mit der Originalsubstanz unrettbar verloren, denn Nachbildungen können immer nur einen Teil ihres Kunstwertes ersetzen.

    ist richtig, daß Baudenkmäler (weitgehendst) von der Originalsubstanz abhängig sind. Kiesow irrt aber dann, wenn er sagt, die Bauwerke seien nicht reproduzierbar; dies mag allenfalls für das Bauwerk als Baudenkmal gelten. So viel Abstraktion sollte sein; es kann zwar sein, daß das Denkmal mit der Substanz untergeht, aber die Substanz löst sich nicht auf, wenn das Denkmal aus einem anderen Grund seinen Status verliert - das ist zumindest theoretisch denkbar.

    Die Ausführungen Kiesows unterstellen, daß neu gebaute Rekonstruktionen stets den Anspruch hätten, daß der Denkmalstatus perpetuiert würde. Das ist aber ein absoluter Irrtum. Denn den Denkmalwert kann man sich nicht künstlich erbauen, sondern dieser kann nur durch Zeitablauf und Bedeutung entstehen.

    Zu diesem Satz:

    Zitat

    Grundsätzlich sollte man in solchen Fällen den Untergang des Baudenkmals als geschichtlichen Tatbestand hinnehmen und seine Lücke im Ortsbild durch einen Neubau schließen, der die gleichen städtebaulichen Qualitäten wie der untergegangene Bau hat,..."

    möchte ich zu bedenken geben:
    1) Kein Mensch bezweifelt, daß das Baudenkmal untergegangen ist. Es ist ja zerstört worden, das ist eine objektive Tatsache. An dieser gibt es überhaupt nichts hinzunehmen.
    2) Es wird impliziert, daß der Verlust des Originals zur Folge haben muß, daß ein Neubau etwas völlig anderes darstellen muß.
    3) Es wird NIE schlüssig dargelegt, warum "man" es "hinnehmen" müsse, daß auch kein äußerlich mehr oder weniger (wo ist die Grenze?) entsprechender Bau mehr an der Stelle des Verlustes stehen dürfe.
    4) Lücke im Ortsbild? Welches Ortsbild? Millionen Tonnen Trümmer??? Wir brauchen erst einmal wieder ein Ortsbild, dessen Lücken geschlossen werden könnten. Außerdem: z. B. in Görlitz wäre eine Kriegsruine nach denkmalpflegerischer Logik noch eher als außergewöhnlich und damit erhaltenswürdig zu bezeichnen als in einer der zerstörten Großstädte.
    5) Praxisfremd und eigentlich denkmalpflegerisch absurd finde ich die Forderung, die Lücke im Ortsbild durch einen Neubau gleicher städtebaulicher Qualität zu schließen. Hier überschreitet die Denkmalpflege schon wieder ihre Kompetenz zu Stadtplanung und Stadtbildpflege. Zwar werden Architekten immer ein Gebäude entwerfen können, das mehr oder weniger an eine Stelle paßt. Aber es unterstellt, daß die städtebauliche Qualität eines Denkmals, das ja herausragende Qualitäten hatte, ohne weiteres immer locker erreicht werden könnte. Das Gegenteil ist der Fall. Folge solcher Vorgaben sind verklemmt zitierende Gebäude, die versuchen gleichzeitig "modern" zu sein oder brutal-banale Kontraste. Streng denkmalpflegerisch richtig wäre es doch, zu fordern, daß das betreffende Grundstück leer bleiben müßte. Die Rekonstruktion ist doch die goldene Lösung: Mit ihr kann man einen Neubau errichten, der in der Regel am ehesten die städtebauliche Qualität des Verlorenen erreicht - ob es ein Denkmal ist, spielt dabei keine Rolle. Es kommt natürlich, wie immer, auf den Einzelfall an.

    ... und hierzu noch:

    Zitat

    "Aus allen diesen Einschränkungen heraus wird erkennbar, daß Nachbildungen untergegangener bauten kaum ein Anliegen der Denkmalpflege sein können.

    Das ist zweifellos richtig - aber es suggeriert wieder, daß Rekonstruktionen schon deswegen schlecht seien, weil sie kein Anliegen der Denkmalpflege sind. Dieser Irrtum frißt sich immer fort.
    Es gibt auch viele Dinge, die mir kein Anliegen sind, zum Beispiel Kaninchenzucht im Mittelwesten oder so, deswegen habe ich auch nichts dagegen. Ich habe manchmal den Eindruck, daß Denkmalpfleger auf Grund ihrer Verbundenheit zu den Denkmälern zu diesen eine psychische Sonderbeziehung entwickeln, eine Art Besitzdenken. Es ist für Denkmalpfleger offenbar unerträglich, wenn man nebenan einen Neubau hinstellt, der so aussieht, als könnte es ein Denkmal sein. Vielleicht spielt hier eine Ohnmacht eine Rolle, auf die Pflege des Vorhandenen beschränkt zu sein und nichts Neues schaffen zu können. Ich verstehe nicht, woher sonst diese Mißgunst kommt. Aber ich glaube, Denkmalpfleger sollten es als geschichtlichen Tatbestand hinnehmen, wenn die Lücke im Ortsbild durch eine Rekonstruktion geschlossen wird. :zwinkern:
    Es kann nur eine psychologische Begründung dafür geben, daß angeblich Rekonstruktionen echte Denkmäler entwerten. Denn eine nachvollziehbare objektive Erklärung habe ich bislang nicht gehört.
    Daß man am Ende nicht mehr unterscheiden könne, was echt und nicht echt ist, halte ich für Unsinn. Dazu wird heutzutage alles viel zu genau und haarklein dokumentiert. Man weiß doch, was rekonstruiert wird. Außerdem unterscheiden sich Rekonstruktionen, und sei es im noch so kleinen Detail, immer von den Originalen. Und ein schlechtes Gewissen gegenüber den in 500 Jahren lebenden Menschen, daß wir nicht dafür gesorgt haben, daß man erkennt, was wir (nach-) gebaut haben ... ?

    Doch bei allem Gezänke: Ich finde schon, daß Denkmalpfleger mitdiskutieren sollten, da der Sachverstand enorm wichtig ist. Doch sollten die Sachnähe nicht aus ideologischen oder doktrinären Gründen gegen den Bürgerwillen verwenden, sondern dafür, diesen möglichst gut umzusetzen.

    Völlig richtig sind Kiesows folgende Erkenntnisse:

    Zitat

    Bei den in jüngster Zeit [1989] ausgeführten, geplanten oder diskutierten Beispielen kam die Initiative auch überwiegend aus dem politischen Raum.

    Da ist ja nichts dagegen einzuwenden, schließlich leben wir in einer Demokratie. Oder würde sich die Denkmalpflege als starke totalitäre Macht in einem Zentralapparat und weitgehenden Befugnissen wohler fühlen?

    Zitat

    Leider werden sie oft von Politikern als Alibi für denkmalpflegerische Gesinnung benutzt, die in der täglichen Praxis keine Hand für die Erhaltung von historischer Originalsubstanz rühren.

    Auch dies ist richtig, beweist aber, daß auch Kiesow der Versuchung ansatzweise polemisierender Darstellung erliegt. Objektivität? Wissenschaftliche Grundsätze?

    Zitat

    Ist es der eindeutige Wille der Bevölkerung,

    Ich finde aus eigentumsgrundrechtlichen Erwägungen heraus, daß auch ein Grundstückseigentümer sich alleine für eine Rekonstruktion entscheiden können muß.

    Zitat

    ... ein total zerstörtes Baudenkmal nachzubilden, so ist dies denkmalpflegerisch unter folgenden Voraussetzungen vertretbar:


    Ein weiterer Punkt ist zudem, dass "zwischen dem Zeitpunkt der Zerstörung eines Bauwerks und dem seiner Nachbildung nicht zu viele Jahre vergangen sein dürfen".

    Punkt a-d finde ich grundsätzlich richtig, meine aber, daß ein Abweichen im Einzelfall zu Gunsten einer Rekonstruktion gerechtfertigt ist. Der verstrichene Zeitraum ist für mich hingegen kein Kritierium; dieser Forderung mangelt es auch an einer Begründung.

    Zitat

    "Der Denkmalpfleger könnte diese Versuche [die uns bekannten Initiativen] zum Zurückdrehen des Geschichtsrades gelassen als typische Zeiterscheinung einer verunsicherten Gesellschaft am Ende einer ausklingenden Kulturepoche registrieren,

    Hä? Wie will jemand in der Gegenwart beurteilen können, in welcher ausklingenden Kulturepoche wir uns befinden? Und dann noch so durchleuchtet, daß man von typischen Erscheinungen sprechen kann? Das empfinde ich als etwas anmaßend. Und verunsichert? Wann haben wir denn eine blühende Kulturepoche gehabt? In den 50er Jahren, wo Baudenkmäler wiederaufgebaut wurden? In den 20er Jahren, wo unsere Städte noch intakt waren? Ich glaube die Menschen, die der Propaganda totalitärer Diktatoren erliegen, könnte man auch als mehr verunsichert bezeichnen.

    Zitat

    ... hätte diese Haltung nicht auch gefährliche Auswirkungen auf den Fortbestand der erhaltenen Kulturdenkmäler. Denn mit der unkritischen Nachbildung verschwundener Bauten wächst die Tendenz, den Wert von Baudenkmälern nur am äußeren Bild zu messen und die Faktoren II.-VI. des Bewertungskataloges zu vernachläsigen."

    Ich hätte hier gerne Beispiele, wie sich diese Tendenz wirklich schon negativ ausgewirkt hat, denn das müßte man trotz allem ernst nehmen.

  • Zitat von "Däne"

    Also ich fine Teile der Altstadt Hildesheims ganz OK. Vor allem die Strassen um die Michaeliskirche.

    Ich finde die Altstadt überhaupt nicht okay. Das einzige was in Ordnung
    ist, sind die Häuser am Platz mit dem Knochenhaueramtshaus. Auch die
    beiden Kirchen kann man trotz der Zerstörungen noch als
    "Sehenswürdigkeit" benennen. Der Rest ist ein Nichts. Eine langweilige
    Betonwüste ohne Seele. :gaehn:

  • @ baukunst-nbg:
    Ein exzellenter Beitrag mit wichtigen Argumenten und Differenzierung. Möchtest du den nicht vielleicht ein bißchen bearbeiten und dann auf die Seite von "Stadtbild Deutschland" stellen?!

    Besonders interessant finde ich übrigens diese Bemerkung:

    Zitat

    aber sie können extrem gut helfen, sich der traumatisch verlorenen Geschichtstiefe wieder anzunähern. Mit der dadurch erreichten Versöhnung könnte ein neuer Ansatzpunkt geschaffen werden, um auch wieder einen Konsens für progressivere Strömungen zu erreichen.

    Das scheint mir in der Tat absolut richtig. Vielleicht sollten die Proponenten der architektonischen Moderne, die immer wie verrückt gegen Rekonstruktionen wettern (siehe aktuelles Besipiel Frankfurt), mal einen Moment darüber nachdenken, warum der Widerstand gegen die moderne Architektur, warum das Unbehagen an ihr gerade in Deutschland - also dem Land, dem am meisten von allen europäischen Ländern seine bauliche Vergangenheit genommen - wurde, so stark ist.
    Das Unbehangen an der Moderne ist nämlich letztlich wohl nichts anderes als eine der Artikulationen des Traumas jenes Verlustes der eigenen steingewordenen Vergangenheit.
    Ohne dieses Trauma wäre auch das Verhältnis zur modernen Architektur ein ganz anderes, wie etwa Italien, Spanien oder Frankreich zeigen.
    Ich fände z.B. ein qualitätvolles Hochhausviertel neben einer geschlossenen mittelalterlichen Altstadt durchaus spannend (das wäre mal ein echter Kontrast und nicht so ein Pseudokontrast, wie er lächerlicherweise von zahlreichen Architekten immer wieder beschworen wird, wenn sie neben ein aus 500 modernen und 5 frühneuzeitlichen Bauten bestehendes ehemaliges Altstadtviertel noch den 501. modernen Bau setzen).

    Insofern müssten eigentlich gerade die Verfechter der baulichen Moderne alles tun, um das Trauma des Verlustes durch Rekonstruktionen zu beheben, denn nur so kann in Deutschland wieder ein nicht-traumatisches, positives Verhältnis zur modernen Architektur entstehen. Die Aufhebung des Verlusttraumas ist die conditio sine qua non für ein solches positives Verhältnis.
    Einige intelligentere Architekten wie Christoph Mäckler oder Hans Kollhoff fangen langsam an, das zu verstehen. Die meisten scheinen allerdings schlicht zu blöd zu sein, es zu begreifen, geifern unverdrossen weiter gegen jede noch so kleine Rekonstruktion und sägen sich so selbst den einzigen Ast ab, auf dem sie sitzen könnten.

  • Zitat

    Ich finde die Altstadt überhaupt nicht okay. Das einzige was in Ordnung
    ist, sind die Häuser am Platz mit dem Knochenhaueramtshaus. Auch die
    beiden Kirchen kann man trotz der Zerstörungen noch als
    "Sehenswürdigkeit" benennen. Der Rest ist ein Nichts. Eine langweilige
    Betonwüste ohne Seele.

    Meinst du das im Ernst? Die beiden Kirchen? So weit ich weiss gibt es mindestens 6-7 alte Kirchen in der Altstadt. Und warst du im Brühlviertel und in der Neustadt? Dort stehen noch original-fachwerkhäuser. Der Domhof fand ich auch sehr gemütlich. Was den Rest betrifft ist es vielleicht geschmackssache. Ich finde persönlich, das die Nachkriegsbauten aus dem frühen 50er Jahren schon was traditionnelles haben (Michaelisviertel). Dort gibt es viele kleine Häuser mit ziegeldächer. Aber vielleicht kann ein Hildesheimer eine Galerie machen? Aber nicht nur vom Markt, bitte!

    Hier sind aber 1500 Photos aus Hildesheim - und sag dann nicht, dass die Stadt eine Wüste sei:

    http://www.raymond-faure.com/Hildesheim/hildesheim.htm

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Ich werde nächste Woche mal ein paar Bilder machen im Vergleich vor 1945 und heute. Auch von einigen Vierteln, in die der normale Tourist sich eher nicht verläuft.

  • Philon: Danke, vielleicht komme ich mal an einem langen Winterabend dazu ...
    Ich finde eben, daß man die verschiedenen Ansichten in der Praxis vereinbaren können sollte. Ich denke wirklich, daß Rekonstruktionswünsche wirklich nicht so brennend verfolgt werden würden, wenn sie nicht so vehement bekämpft werden würden. Die Ablehenden sollten mal die Sache etwas gelassener sehen, so ein paar Rekonstruktionen tun keinem weh, werden aber zumeist ganz offensichtlich von einer breiten Zustimmung getragen, wie die Reaktionen auf bisher vollendete Rekonstruktionen zeigen.
    Daß Rekonstruktionen einen kulturellen Abstieg bedeuten würden, wie von Architekten und Denkmalpflegern - freilich etwas vereinfacht - behauptet, ist unglaubwürdig angesichts der Masse an Trivialem, die heutzutage "kulturell" produziert wird. Da sind doch Rekonstruktionen, wenn man sie ernst nimmt, eine anspruchsvolle Herausforderung.

    Übrigens gibt es sehr wohl Rekonstruktionen, die von der Denkmalpflege ohne Diskussion durchgeführt werden, aber mit höchstem wissenschaftlichem Aufwand. Beispielsweise kann ich hier den Hirsvogelsaal in Nürnberg nennen. Es handelt es sich um einen kriegszerstörten Festsaal aus der Renaissance, der an ein gotisches Bürgerhaus angebaut war. Die Inneneinrichtung war großteils gerettet worden. Ende der 1990er hat man für die Inneneinrichtung ein neues Gebäude errichtet - mit großen Abweichungen zum Original: Einige Grundstücke weiter, im Garten des Tucherschlößchens, um 180 Grad gedrehte Ausrichtung, nicht als Anbau, sondern als alleinstehendes Gebäude, nicht am Fuß eines Hanges, sondern oberhalb des Gartens. Äußerlich ist der verputzte Ziegel-Betonbau dem Original, das aus Sandstein war, äußerst ähnlich. Es gibt noch mehr Abweichungen; aber ein strenger Authentizitätsmaßstab hätte diese Reko auch verhindern müssen.

    Übrigens: Die Diskussion des Autors scheint nur noch über Hildesheim zu gehen, sollte man da nicht etwas trennen?

  • @ baukunst-nbg: Wirklich klasse, deine Argumentation! Was ich nur ein wenig vermisse ist eine Reaktion von Studi, scheinbar sind ihm die Argumente ausgegangen.

    Btw: Warum ist Denkmalschutz eigentlich eine Vertiefungsrichtung von Architektur? Sollten sich nicht auch vor allem Kunstgeschichtler darum kümmern? Ich denke mir, dass diese durchaus weniger dogmatisch sind und so Dinge wie das ehemalige Frankfurt Hotel Union (ihr wisst schon, das Gebäude, das neben dem Neubau mit dem schrägen Stahldach zur PERsiflage verkommt) am ehesten zu verhindern wissen.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • @ baukunst:

    Zitat

    Danke, vielleicht komme ich mal an einem langen Winterabend dazu ...

    Langer Winterabend?! Da bietet sich in Anbetracht des derzeitigen Wetters ja diese Woche an :gg:

  • Zitat von "Booni"

    @ baukunst-nbg: Wirklich klasse, deine Argumentation! Was ich nur ein wenig vermisse ist eine Reaktion von Studi, scheinbar sind ihm die Argumente ausgegangen.

    Ja, in der Tat etwas enttäuschend. Kommt, haut einige halbgare oder dogmatische Thesen raus, die er vermutlich unkritisch von einem Prof oder aus einem Buch übernommen hat, und wenn Gegenrede kommt, vergeht im die Lust. Wen soll das überzeugen? Ich hätte gehofft, die orthodoxe Denkmalpflege wäre etwas agiler - damit wir unsere Argumentationen verfeinern können. ;)

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.