• ...es ist aber trotzdem fast schon erschreckend, welche Qualität das Neue Rathaus im Vergleich zum neuen Hagemeyer aufweist.
    erschreckend, nicht weil das Neue Rathaus nach absoluten Maßstäben besonders schön wäre, sondern erschreckend, wie weit das neue Hagemeyerkaufhaus sowohl nach relativen als auch absoluten Maßstäben unter dem Neuen Rathaus steht.

  • Das wüsste ich gerne begründet. Immerhin zeichnet sich das Hagemeyer-Kaufhaus durch eine gewisse transparente Leichtigkeit aus. Es passt natürlich nicht wirklich zum daneben liegenden Altbau, nimmt aber wenigstens auf Höhenmarke und Straßenflucht Rücksicht. Und er nimmt sich, wenn auch ein globalistischer 08/15-Bau, zurück. Worin im Vergleich dazu die Qualitäten des gammeligen, düsteren Rathaus-Klotzes, der mich mit seinen Schießscharten-Fenstern an einen Bunker erinnert, liegen sollen, erschließt sich mir nicht.

  • Ich denke, das ist einfach die Frage, was von beiden man nun bevorzugt: Leichtigkeit oder Solidität? Aller Unpassendheit zum Trotz kann auch ich dem Rathaus etwas mehr abgewinnen als dem Kaufhaus. Dieses überlange Glasgeflirre... das passt einfach nicht in eine Altstadt mit ihrer haptischen Schwere. In Trier gibt es da eine schöne Buchhandlung , auch vollverglast. Die nimmt die Proportionen des klassizistischen Kulturbaus zur Linken auf, dessen Obergeschosse sie mitnutzt, wodurch wahnsinnige Deckenhöhen und elegante und würdevolle Raumeindrücke entstehen. Zudemist die Fassade ein ziemlich wertiger Holzbau, vorn mit Metall verkleidet. Auch von außen ist es durch die Abstandsnahme, Traufhöhe und Gliederung absolut schlüssig.

    Das Hagemeyer hingegen wirkt wie wirr zusammengestückelt. Allein schon die Giebelständigkeit des Renaissanceprachtstücks daneben nimmt der flachen Traufkante ihre Legitimation. Zur linken hin wird's logischer, schicker, da leitet der simple Nachbarbau eine gewisse Modernität ein, und das Glassegment wird schön mit leichter Biegung zwischen zwei "Türmen" eingespannt. Hat was von Columbushaus oder Kaufhaus Schocken. Aber nach rechts? Katastrophe. Immer wieder eine andere Struktur, beinahe schizophren (man verzeihe mir die Sprachanleihe aus der Medizin). Und optisch wirklich ungenügend. Als wolle es uns anschreien: "Hier, wo sich eins stolze Giebel aneinanderreihen mochten, steh nun ich, grell, billig und selbstverliebt." Hier hätte es eine kunstvolle Überleitung gebraucht, aber schlimm genug, dass das Kaufhaus daran schon scheitert, nein, selbst innerhalb seiner selbst sinkt die Qualität an dieser wichtigen Ecke.

    Und das Rathaus? Na ja, das ist echt ein Sonderfall. Passt natürlich überhaupt nicht in die Altstadt, allein als Typus. Klassischer Griff ins Klo der 70er. Aber die Materialien sind aufeinander abgestimmt und scheinen wertig. Das Konzept scheint logisch durchgezogen worden zu sein. Es ist nicht überdimensioniert, es hat eine Aussage, und vor allem: Es hat Bezug zur Schwere des Doms. Das Problem ist halt wirklich die sensible Stelle, dafür hat es zu viel moderne Selbstsicherheit. Ein Problemfall, der wirklich nicht zufrieden stellt. Ein bisschen wie der zwar ansehnlich ornamentalisierte, doch zwischen Spree und Lustgarten hilflos eingeklemmte, dementsprechend extrem kopflastige Berliner Dom. An sich schön, doch fehl am Platze, und anderswo würd's auch nicht mehr funktionieren.

    Form is Function.

    "Fürchte nicht, unmodern gescholten zu werden. Veränderungen der alten Bauweise sind nur dann erlaubt, wenn sie eine Verbesserung bedeuten, sonst aber bleibe beim Alten. Denn die Wahrheit, und sei sie hunderte von Jahren alt, hat mit uns mehr Zusammenhang als die Lüge, die neben uns schreitet."

    Adolf Loos (Ja, genau der.)

  • Lieber Heimdall
    Mattheiser hat im Grunde schon alles Relavante zum neuen Rathaus gesagt.
    Es wirkt wenigstens noch wie ein Haus, das hat Hand und Fuß, es wirkt solide und nicht billig. hat eine einfache aber doch schlüssige Fassadengliederung und verletzt keine grundlegensten ästhetischen Prinzipien. An anderer Stelle würde es mir vielleicht sogar richtig gefallen. Hier stört es natürlich einfach nur und müßte eigentlich weg. "Eigentlich deswegen" weil man zurzeit eher davon ausgehen kann, daß dort etwas schlimmeres hinkommt. den Denkmalschutz würde ich jedoch in diesem Fall ablehnen.

    Und zum Hagemeyer-Kaufhaus: Mit so einer Form der Leichtigkeit kann ich überhaupt nix anfangen.
    Leichtigkeit, Wände zu Fenstern aufgelöst, scheinbar schwerelose Wände haben für mich so auszusehen:

    http://promptguides.com/paris/_photos/…hapelle_007.jpg

    http://www.diegotobon.co/wp-content/upl…re-1024x680.jpg

    Nicht dieses prinzipienlose Häufchen Elend, da stellt man ein paar große Scheiben Fensterglas in den Stadtraum, schafft es noch nichteinmal diese irgendwie sinnig anzuordnen und nennt das dann Archtiektur. Natürlich schafft man es gerade noch soviel Ordnung reinzubringen, daß ein eventuell avangardistischer Dekonstruktivismus vermieden wird (ich kann mich immer noch nicht entscheiden, ob ich spektakulär-häßlich oder langweilig-häßlich schlimmer finde)
    Dann lieber das neue Rathaus, etwas von einem Bunker, ein wenig Trutzburg, nich der Gipfel der Ästhetik, aber eben grundsolide gemacht.

    Einmal editiert, zuletzt von Kaoru (26. Dezember 2015 um 12:33)

  • Ich finde das Hagemeyer-Kaufhaus und das Neue Rathaus gleich schlimm, da zu beiden criminis noch erschwerende Umstände hinzukommen. Das Hagemeyer ist ein prominentes Beispiel dafür, wie tief die Baukultur in den letzten zwanzig Jahren wieder gefallen ist, nachdem die Postmoderne in den 80ern und frühen 90ern mit vielen altstadtverträglichen Bauten etwas Erleichterung gebracht hatte. Es gab danach bis auf wenigen Ausnahmen einen völligen Rückfall in die globale Glas-und-Stahl-''Moderne'', begleitet und gefördert von vielen antirekonstruktiven und antitraditionellen AgitatorInnen.
    An das Neue Rathaus ist das schlimmste, daß es längst hätte weg sein können, wenn ein Projekt mit traditionellen Ansätzen an dieser Stelle etwas wertiger geplant und entworfen worden und durchgeführt wäre. Es gab Ansätzen in den 2000er Jahren, sie wurden abgelehnt und dann kam die Krise.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Interessant am Beispiel der Sainte Chapelle finde ich, dass es den damaligen Architekten noch möglich war sowas ohne Computer und Spannbeton zu errichten. Aber das waren damals ja noch Baumeister, das Schimpfwort Architekt gab es damals noch nicht. :biggrin:

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.

  • Doch, das gab es damals auch schon. Das Wort wurde schon von den "alten Griechen" benutzt (architékton, mit noch einem geraden Strich über dem o, den krieg ich jetzt nicht aus der Tastatur) und bezeichnete den "ersten Zimmermann", also quasi den Leiter einer Baustelle. In seiner heutigen Bedeutung ist der Begriff seit dem 16. Jahrhundert gebräuchlich (wobei mir seine Dimension als Schimpfwort neu ist, aber da ist man in der Pfalz vielleicht schon weiter). So, Klugscheißmodus aus. Guten Rutsch den Foristen!

  • Ja, bei uns scheint man weiter zu sein, denn man mutet tatsächlich seinen Mitmenschen zu, Ironie zu erkennen, ohne auf das momentane Befinden im Ironiemodus hinzuweisen. Es lässt sich wohl aber kaum bestreiten, das heutige Architekten den Baumeisten von damals weder in Können noch Kreativität das Wasser reichen können, mir fällt zumindest keiner ein.

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.

  • Diese Neuigkeit habe ich soeben zufällig gelesen.

    http://www.radiowestfalica.de/nachrichten/mu…st-denkmal.html

    Die Stadt Minden hat doch tatsächlich ihre größte und fieseste zentrale Bausünde, das Neue Rathaus, in die Denkmalliste aufgenommen.
    Na, herzlichen Glückwunsch, für diese Entscheidung! - Jetzt muss der Bau aber wenigstens mal gründlich saniert werden. Weiter vergammeln lassen ist nicht mehr.

  • In der Mindener Innenstadt soll in 1A-Lage sehr bald ein neues Geschäftshaus entstehen. Hab dazu einen Artikel vom 09. Sept. 2016 gefunden:

    http://www.hallo-minden.de/nachrichten/gr…tadt-19984.html

    Für das neue Geschäftshaus gab es zwei verschiedene Entwürfe - und ich bin, ehrlich gesagt, froh, dass man sich für das Hamburger Modell mit dem kleineren Geschäftshaus entschieden hat! Auch wenn die Perspektive Rathaus-Innenhof leider, wie ich finde, sehr klotzig wirkt... Eben halt kantig-modern.

    Im Ganzen jedoch besser als das Mindener Modell, das als Shoppingcenter eine RIESENfläche in Anspruch genommen hätte, siehe hier: (kleines Foto Visualisierung Luftperspektive weiter unten im Artikel)

    http://minden-kurier.de/2015/12/28/neu…haus-am-scharn/

    Das Haus mit dem grauen Putz und Sprossenfenstern aus den 50er-Jahren und wahrscheinlich auch das Haus links daneben mit dem Karten- und Geschenkartikel-Laden im EG werden sehr bald abgerissen werden, zwischen Januar und März 2017, denn im Herbst 2018 soll schon Neueröffnung sein.

    Was meint ihr zu dem geplanten Neubau?

  • Warum steht das 50er-Jahre-Haus denn nu wieder nicht unter Denkmalschutz? "Repräsentatives Beispiel für Neoklassizismus der Wiederaufbauzeit" wär doch mal ne Hausnummer...
    Wär es ein weit schlechterer 60er-Jahre Bau wäre ihm der Denkmalschutz sicher!

  • Der zu beseitigende Bau ist doch voll in Ordnung. Müsste halt mal etwas renoviert werden.

    Das finde ich auch. Ich find's schade, dass es abgerissen wird, denn die weißen Sprossenfenster gefallen mir. Eigentlich hätte man es dementsprechend umbauen können für ein neues Geschäftshaus-Projekt. Vielleicht wäre dieses trotz des Kellergeschosses ja irgendwie möglich gewesen.

  • Der Bestandsbau ist als Warenhaus nicht verwendbar, da er über keine Schaufenster-Flächen verfügt. Er hätte nur Bürohaus bleiben können. Deshalb der Neubau, denke ich.

  • Ja, der Neubau ist im Großen und Ganzen ganz okay, finde ich. Das Hamburger Modell hat sich gegen den Mindener Entwurf, der ein Riesenkoloss geworden wäre, Gott sei Dank durchgesetzt. Wenn der Neubau fertiggestellt ist, vielleicht sieht er ja sogar richtig gut aus. Mal schauen...

  • Sehr schöne Meldung. Der Mindener Brückenkopf ist ja leider ein kleines Trauerspiel, ein Konvolut beeindruckender Gründerzeitler, von denen einige kein bisschen vereinfacht wurden. Schön, dass dort etwas passiert. Hoffentlich macht das Schule...

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • In NRW haben nur noch die Gewerkschaften Kohle für sowas.

    Kannst Du diese These an Untersuchungen zur finanziellen Lage von Institutionen, Unternehmen und Privatpersonen in NRW festmachen oder war das nur so daher gesagt?

    Nach meinem, im wesentlichen in unserem Forum gewonnen Eindruck, gibt es auch in NRW durchaus Sanierungen von Altbauten mit vermutlich vergleichbarem Investitionsvolumen, deren Bauherren nicht Gewerkschaften sind. Ich kann mich aber natürlich irren und sehe dem Nachweis des Gegenteils gerne entgegen.