• Ich habe den Vergleich vor einer halben Stunde benutzt, in der Ukraine, gegenüber einem Ukrainer. Er hat mir vollumfänglich Recht gegeben. Aber solange karpatische Bären glauben, sie wüssten es besser als Ukrainer...

  • Kulturdemontage ist nicht immer abzulehnen, sondern meistens.

    Wenn von Moskau aus eine "Russland über alles"-Agenda gefahren wird und der Ukraine jede eigene Identität mit faktenwidrigen Argumenten abgesprochen wird, ist eine entsprechende Reaktion in der Ukraine eben erwartbar.

    Pushkin war übrigens auch ein Poet des russischen Imperialismus. Vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse ist er daher wohl nicht gerne gesehen.

  • Du betrachtest die Ukraine immer noch mit russischen Augen.

    Nein. Ich bin Slawist, und ich mag alle meine Schäfchen. Ich habe in Prag studiert. Prag ist nicht Russland. Slawistik ist eine Wissenschaft, und mir ist fachliches Niveau wichtig. Da ist kein Platz für "russische Augen".

    Dein Problem, lieber UrPotsdamer, besteht darin, dass du dich von Emotionalisierungen und Einseitigkeiten hinreißen lässt, die in Anbetracht der Umstände verständlich sind, aber dazu führen, dass du fachliches Niveau verlässt.

    Das Afrika-Argument allerdings setzt mich jetzt wirklich schachmatt. Das ist so schlagend, dass man da nichts mehr erwidern kann. Mein Rat, ob verbeten oder auch nicht: verwende den Vergleich niemals in der Ukraine, die könnte dir das leicht übelnehmen.

    Ja, das sollte man eigentlich meinen. Ich habe den Afrika-Vergleich aber in ukrainischen Medien auch schon gehört. Hier zeigt sich natürlich der woke Zeitgeist unserer Tage. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts hätte keine der Nationalbewegungen bei den kleinen Völkern Europas die eigene Situation mit Afrika verglichen. Und ein solcher Vergleich passt auch in Bezug auf die Ukraine nicht. Da machen sich die Ukrainer kleiner als sie sind. Wobei: Die Ukrainer bilden eine vielstimmige, facettenreiche Gemeinschaft.

    Die Ukraine hat heute kein sprachlich-kulturelles Problem. Die Ukrainer haben seit über 30 Jahren einen unabhängigen Nationalstaat. Die ukrainische Sprache ist heute gut ausgebaut. Sie wird von einer großen Sprachgemeinschaft getragen. Es gibt eine reiche ukrainische Literatur und Kultur. Ukrainisch ist Unterrichtssprache an zahlreichen Hochschulen.

    Weitaus schlechter ist es um die belarussische Sprache bestellt. Denn unter Präsident Łukašenka besteht der aus sowjetischer Zeit überkommene Russifizierungsdruck fort. Es gibt zwei Sprachstandards, die traditionelle Taraškievica und die sowjetbelarussische Norm. Meine Sympathien gelten der Taraškievica, da sie der eigentümlichen Schönheit der belarussischen Sprache besser gerecht wird. Ich verwende in meinen Beiträgen zu Belarus stets belarussische Namensformen in traditioneller Łacinka-Schreibweise. Bislang findet man in deutschen Medien in Bezug auf Belarus überwiegend die russischen Namensformen. In Bezug auf die Ukraine hat sich dagegen die Verwendung ukrainischer Namensformen inzwischen durchgesetzt.

    Erstens ist Kulturdemontage immer abzulehnen,

    Das sehe ich im Prinzip auch so. Überdies ist es ja nicht so, dass die Ukraine nur von vielen kleinen Puschkins bevölkert wird, sondern es gibt ja auch allerorten Denkmäler für Taras Schewtschenko und andere bedeutende Vertreter der ukrainischen Nationalbewegung. Wie ich schon sagte: Die ukrainische Nation ist längst weiter, als es in den Diskursen zum Teil vermittelt wird. Sie hat es gar nicht nötig, Puschkin abzuwerten, sondern profiliert sich durch eigene Kulturleistungen.

  • Pushkin war übrigens auch ein Poet des russischen Imperialismus.

    Das ist aber wirklich hochinteressant, zumal es dem überlieferten Bild des eher aufsässigen Poeten nicht ganz entspricht. Kann man darüber mehr erfahren? Ich nehme an, es ist in historischer Terminologie gesprochen großrussischer Imperialismus gemeint. Inwieweit hat er sich gegen spezifisch kleinrussische Interessen gerichtet?

  • Ich kann schon verstehen dass man die Symbolen eine Russische/Sowjetische herrschaft los werden will. Gerade in die Zeit eine Angriffskrieg wird halt die Symbolen die russische Herrschaft deutlich.

    Pushkin must fall: monuments to Russia’s national poet under threat in Ukraine
    Since last February’s invasion more than 30 statues of the 19th-century poet seen as a symbol for tsarist imperialism have been dismantled
    www.theguardian.com

    Monumenten sind einfacher zu beheben als die ganze Volksumsiedlungen die Russland/Sowiet oft betrieben hat.

    Fragst du mich ist sowieso Pushkin wahnsinning uberschätzt.

  • Zur allgemeinen Beruhigung der Nervern hier ein Bild aus dem Kiewer Zoo. Enten und andere Vögel sind Ende April wieder ins Freigehege umgezogen.

    Kiew-Zoo-Enten-25.04.2024-kyivcitygovua-BY40---1.jpeg
    Kiew, Zoologischer Garten, Enten (Foto: kyivcity.gov.ua, 25. April 2024, CC-BY-4.0)

  • So ein Dogma, dass man irgendwelche Monumente nicht mehr aus dem Stadtbild tilgen dürfte, ist in meinen Augen Quatsch. Das zäumt das Pferd von hinten auf. Entweder man schafft es breite Akzeptanz für bestehende Monumente zu schaffen, ggf. auch Verständnis für eine andere Sicht aus einer anderen Zeitschicht, oder aber das gelingt eben nicht. Dann kann man aber schlecht der Bevölkerung vor Ort sowas aufzwingen. Die Menschen sollten immer entscheiden dürfen, wie sie ihr Lebensumfeld gestalten. Andernfalls sind die Folgen viel gravierender, weil die Leute sich vom öffentlichen Raum abkoppeln, nicht identifizieren damit.
    Um das Problem von möglichen Schnellschüssen zu vermeiden, könnte man das Verwaltungsverfahren einfach über 10 Jahre verlaufen lassen. In solchen Zeiträumen sollte das Meiste abflauen und nur die wirklich großen Gesellschaftsentwicklungen würden Einfluss geltend machen.

  • Soso, und du glaubst also, dass die Leute vorort mehrheitlich etwas gegen Puschkin haben bzw überhaupt gefragt werden? Das wäre sogar etwas inkonsequent, zumal sie nicht einmal den Präsidenten wählen dürfen. Ganz abgesehen davon, dass sie derzeit wohl ganz andere Sorgen haben.

  • Fragst du mich ist sowieso Pushkin wahnsinning uberschätzt.

    Dich fragt aber keiner. Die Meinung eines Schweden, der kein Spezialist für russische Sprache und Literatur ist, zählt nicht. Alexander Puschkin gilt allgemein als Begründer der modernen russischen Literatur und überhaupt der russischen Literatursprache. Er ist der Klassiker schlechthin. Wenn du mit Puschkin nichts anfangen kannst, ist das nicht schlimm. Es gibt auch viele Deutsche, die Goethe nicht lesen. Aber seine Bedeutung ist allgemein anerkannt.

    Der Puschkin-Park in Kiew wurde 1899 angelegt und anlässlich seines hundertsten Geburtstages nach Alexander Puschkin benannt. Das Puschkin-Denkmal am Parkeingang am prospekt Peremohy (heute Berestejskyj prospekt) wurde 1962 von dem ukrainischen Bildhauer Oleksandr Kowaljow in Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Architekten Wassyl Hnjesdilow geschaffen. Es war das erste Denkmal Kiews mit einer sitzenden Figur. Nachdem der Denkmalschutz aufgehoben worden war, wurde es am 15. November 2023 demontiert. Der einstige Puschkin-Park trägt heute den Namen des ukrainischen Schriftstellers Iwan Bahrjanyj (1906-1963).

    Kiew-Puschkin-Denkmal-Demontage-15.11.2023-kyivcitygovua-BY40---3.jpeg
    Kiew, Demontage des Puschkin-Denkmals im Iwan-Bahrjanyj-Park, ehemals Puschkin-Park
    (Foto: kyivcity.gov.ua, 15. November 2023, CC-BY-4.0)

    Wie man auf den Fotos sieht, war das Denkmal Opfer eines Farbanschlags geworden. Die Schmiererei in ukrainischer Sprache an der Sockelfront bedeutet: "Entkolonisierung nicht unterbrechen. Weg mit dem Imperialisten".

    Kiew-Puschkin-Denkmal-Demontage-15.11.2023-kyivcitygovua-BY40---1.jpeg
    Demontage des Puschkin-Denkmals (Foto: kyivcity.gov.ua, 15. November 2023, CC-BY-4.0)

    Kiew-Puschkin-Denkmal-Demontage-15.11.2023-kyivcitygovua-BY40---6.jpeg
    (Foto: kyivcity.gov.ua, 15. November 2023, CC-BY-4.0)

    Kiew-Puschkin-Denkmal-Demontage-15.11.2023-kyivcitygovua-BY40---4.jpeg
    (Foto: kyivcity.gov.ua, 15. November 2023, CC-BY-4.0)

    Kiew-Puschkin-Denkmal-Demontage-15.11.2023-kyivcitygovua-BY40---5.jpeg
    Rechts der Berestejskyj prospekt (vormals prospekt Peremohy) (Foto: kyivcity.gov.ua, 15. November 2023, CC-BY-4.0)

    Kiew-Puschkin-Denkmal-Demontage-15.11.2023-kyivcitygovua-BY40---2.jpeg
    (Foto: kyivcity.gov.ua, 15. November 2023, CC-BY-4.0)

    Auch hier war wieder der städtische Betrieb Kyjiwblahoustrij im Einsatz. Das Denkmal soll - wie auch andere demontierte Denkmäler der Hauptstadt - im Staatlichen Luftfahrtmuseum gelagert werden

  • Soso, und du glaubst also, dass die Leute vorort mehrheitlich etwas gegen Puschkin haben bzw überhaupt gefragt werden?

    Könnte ich mir vorstellen, dass es schwer fällt den russischen Nationaldichter zu bewundern, während man seine Kinder an der Front gegen selbiges Russland hat.

  • Puschkins diesbezügliche Einstellung ist allgemein bekannt.

    Ja, und Goethe/Schiller waren bekanntlich auch protofaschistisch, wie jedes Kind weiß. Im übrigen ist es äußerst zweischneidig, das Gedicht Poltawa in Hinblick auf die heutigen Ereignisse zu interpretieren, und damit auch ... den Seitenwechsel Masepas. nicht wahr?

    Interessante Einstellung in einem Forum, in dem Architektur überwiegend von Menschen bewertet wird, die nicht Architektur studiert haben (mich eingeschlossen).

    Die Antwort von Rastrelli war richtig und so aufgelegt, wie wenn wer schreiben würde: Wenn ihr mich fragt, wird Balthasar Neumann überschätzt.

  • Interessante Einstellung

    Ja, sehr interessant. Schauen wir doch mal, welche Meinung Meyers Lexikon vor knapp hundert Jahren zu Puschkin hatte:

    Puschkin ist der bedeutendste nationale Dichter der Russen, seine Sprache ist von besonderem Wohlklang, dabei schlicht und natürlich, seine Darstellungskunst und Charakterzeichnung realistisch und doch poetisch, seine Kunstauffassung ernst und tief, gleich entfernt von dem spielerischen Anakreontismus seiner Vorgänger und den Bestrebungen der folgenden Generation, die Dichtung ganz in den Dienst politisch-sozialer Tendenzen zu stellen. Seine Werke hat man mit Recht eine "Enzyklopädie des russischen Lebens" genannt, die spätern bedeutenden russischen Dichter, Turgenew, Dostojewskij usw., haben in ihm stets ihren Führer und Meister geehrt.
    (Meyers Lexikon, 7. Aufl, 9. Bd., Leipzig 1928, Spalte 1416).

  • Das ist ja nicht der Punkt.

    Der Punkt ist vielmehr: Ich habe selbst ein literaturwissenschaftliches Studium hinter mir, käme aber trotzdem nicht auf die abwegige Idee, einem Menschen, der das nicht hat, deswegen das Recht zu absprechen, eine Meinung zu einem bestimmten literarischen Werk oder einem bestimmten Autor zu haben im Sinne von "Deine Meinung zählt nicht."

    Gerade hier im Forum, wo ständig Menschen, die keine ausgebildeten Architekten sind, über irgendeinen Architekten schreiben "Der wird völlig überschätzt", sollte das eine Selbstverständlichkeit sein.

  • Kommt mal wieder runter. Was für eine absurde Streiterei. Über die Frage, ob man bestimmte Denkmäler abbaue soll oder nicht, kann auch sachlich diskutiert werden. Ob einem das Werk eines Dichters gefällt, welche akademische Ausbildun der Diskutant hat oder gar woher eine Entenart im Zoo ursprünglich beheimate ist, ist dabei doch völlig ausser Belang.

  • Im ehemaligen Puschkin-Park finden wir auch diese schöne Bronzeplastik.

    Kiew-Puschkin-Park-Plastik-Lesende-17.09.2020-Polovko-Sergej-Nikolaevic-SA40---1.jpeg
    Kiew, Iwan-Bahrjanyj-Park (ehemals Puschkin-Park), Lesende (Foto: Половко Сергей Николаевич, 17. September 2020, CC-BY-SA-4.0)

    Hoffentlich liest die junge Frau kein Buch von Alexander Puschkin. Sonst muss sie auch noch weg.