Danzig - Gdańsk

  • Versteh ich das richtig? Die heutige als "Altstadt" empfundene Fläche beträgt nur 5% der traditionellen? Oder was ist unter "Vorstadt" gemeint? Mittelalterliche Vorstadt oder die normalen gründerzeitlichen Stadterweiterungen?

    Sieht das in Deutschland besser aus? Oder nicht sogar weitaus schlechter?

    Es ist halt die Frage, wie man zB die Kölner Innenstadt bewerten soll. Es gibt Grundrissfetischisten, die in der - höchst ungefähren und ohnedies nur partiellen - Beibehaltung des Grundrisses einen gewissen Wert sehen - wurscht, was darauf errichtet worden ist. Wobei man natürlich zugeben muss, dass überall in den solcherart wiederaufgebauten Flächen ein marginaler Anteil an erhaltenen Altbauten zu finden ist, der im Osten idR gnadenlos mitabgeräumt worden ist.

    Was natürlich auch darauf zurückzuführen ist, dass zB Köln über weit mehr vor allem sakrale Sehenswürdigkeiten verfügte als Danzig. Daher gibt es über das ganze riesige Gebiet der einstigen Altstadt verstreut romanische oder mittelalterliche Kirchen, mitunter auch deren Reste, in Einzelfällen nicht einmal das. Aber hat es ja in den Danziger Vorstädten oder peripheren Vorstadtgebieten ja nie gegeben, daher ist der Vergleich unfair.

    Und zerstörte Gründerzeitgebiete hat man in D bekanntlich überhaupt nicht als solche wiederaufgebaut. Daher hinkt der Vergleich etwas zuungunsten Danzigs. Auch das Zerstörungsmuster war wohl ein anderes, da sich die Briten mit der Innenstadt begnügten.

    Mir kommt es schon so vor, als sei in Danzig oder Warschau so ziemlich das Maximum des realistischen Möglichen erreicht worden. Man muss diese Städte deshalb nicht unbedingt für besonders sehenswert erachten, man kann es auch anders sehen. Ich persönlich bevorzuge ein möglichst tadelloses Stadtzentrum als Identifikationsmerkmal einer Stadt. Wie es in Falowiec aussehen mag, ist eher Nebensache, noch dazu, da moderne Stadtflächen in den allerwenigsten Fällen sehr erfreulich gestaltet sind. Auch Wien-Floridsdorf oder - Liesing ist nicht schön.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Versteh ich das richtig? Die heutige als "Altstadt" empfundene Fläche beträgt nur 5% der traditionellen? Oder was ist unter "Vorstadt" gemeint? Mittelalterliche Vorstadt oder die normalen gründerzeitlichen Stadterweiterungen?

    Wenn von "Danziger Altstadt" die Rede ist, dann wird damit ja häufig das historische Zentrum gemeint (solche Fehler passieren sogar im öffentlich-rechtlichen TV wie bei Danzig - goldene Stadt an der Ostsee mit einem so miserablen Sprechertext, daß man aus dem Kopfschütteln nicht mehr herauskommt), und das besteht aus Altstadt in Norden, Rechtstadt in der Mitte und der Vorstadt im Süden.

    Das sieht man z. B. hier: Danzig im Luftbild der Zwischenkriegszeit (das Buch habe ich sogar gekauft und kann es sehr empfehlen). Diese Viertel gingen damals weitgehend nahtlos ineinander über, die heutigen breiten dazwischen Schneisen sind ein Produkt der Nachkriegszeit.

    Die 5 % sind eine grobe Schätzung und beziehen sich nicht auf die Fläche, sondern auf die Baumasse, denn es wurden ja nur die großen Ost-West-Verbindungen jeweils mit einer Häuserzeile (ohne jegliche Bebauung dazwischen) nachempfunden, während in Nord-Süd-Richtung nur eine einzige Straße, nämlich in etwa die Große Gerbergasse, nachgebildet wurde, die anderen Straßen und Gassen wurden nur durch Lücken in der Bebauung symbolisiert. Wahrscheinlich liegt der reale Wert eher noch unter 5 % (Speicherstadt, Langgarten usw. lasse ich sowieso schon weg).

    Easy does it.

  • Wenn von "Danziger Altstadt" die Rede ist, dann wird damit ja häufig das historische Zentrum gemeint (solche Fehler passieren sogar im öffentlich-rechtlichen TV wie bei Danzig - goldene Stadt an der Ostsee mit einem so miserablen Sprechertext, daß man aus dem Kopfschütteln nicht mehr herauskommt), und das besteht aus Altstadt in Norden, Rechtstadt in der Mitte und der Vorstadt im Süden.

    Das sieht man z. B. hier: Danzig im Luftbild der Zwischenkriegszeit (das Buch habe ich sogar gekauft und kann es sehr empfehlen). Diese Viertel gingen damals weitgehend nahtlos ineinander über, die heutigen breiten dazwischen Schneisen sind ein Produkt der Nachkriegszeit.

    Die 5 % sind eine grobe Schätzung und beziehen sich nicht auf die Fläche, sondern auf die Baumasse, denn es wurden ja nur die großen Ost-West-Verbindungen jeweils mit einer Häuserzeile (ohne jegliche Bebauung dazwischen) nachempfunden, während in Nord-Süd-Richtung nur eine einzige Straße, nämlich in etwa die Große Gerbergasse, nachgebildet wurde, die anderen Straßen und Gassen wurden nur durch Lücken in der Bebauung symbolisiert. Wahrscheinlich liegt der reale Wert eher noch unter 5 % (Speicherstadt, Langgarten usw. lasse ich sowieso schon weg).

    Wow, das Luftbild ist der Hammer. So eine Masse an kleinteiliger Altstadtbebauung dürfte einzigartig sein. Es scheint sogar größer gewesen zu sein, wie die untergegangene Altstadt von Frankfurt am Main.

    ...

  • Das dürften so 2 km in Nord-Süd-Richtung mal maximal 800 Meter in Ost-West-Richtung gewesen sein, im Süden aber spitz zulaufend und viel schmaler.

    Easy does it.

  • Wenn ich dieses Bild von Sir Moc als Antithese zu Danzig klauen darf:

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    Die Kölner Altstadt (Innenstadt) war natürlich weit größer als ihr Danziger Pendant, aber wohl weit mehr von Gründerzeit geprägt. Dafür gab/gibt es auch etliche Bauten aus älteren Epochen.

    Sicher wären Alter Markt und Heumarkt samt umliegende Straßen mit Rathaus und Gürzenich bzw auf der anderen Seite zum Rhein runter prädestiniert für einen Wiederaufbau nach Danziger Muster gewesen. So hat man abgesehen von der Miniaturaltstadt neben Groß St. Martin eigentlich überhaupt keinen befriedigenden Stadtraum. Buarques Danziger 2% wären da viel mehr wert gewesen, selbst um den Preis der Aufgabe des Straßennetzes in der übrigen Altstadt (nicht jedoch der Kirchen, deren Erhalt die Wiederaufbau- Leistung schlechthin ist. Wir reden hier aber in erster Linie vom Stadtbild). Die Kölner Lösung ist verglichen damit alles andere als befriedigend und sieht nicht einmal aus der Luft gut aus (was zB in Nürnberg ein angeblich großes Plus darstellen soll).

    Gerade die irrsinnig dichte Bebauung, von vielen als traditionswahrender Vorzug gesehen, wirkt sich höchst nachteilig für jedweden Ansatz zur Stadtbildreparatur aus und erweist sich somit als das größte Gift des überhasteten und folglich niveaulosen Wiederaufbaus. Man kann prognostizieren, dass dieses neue Kölner Stadtbild niemals so richtig populär werden wird. Im Gegenteil scheint seine Zeit vorüber zu sein. In Danzig wird es wohl einfacher sein, angrenzende heruntergewohnte Wohnblocksiedlungen zu schleifen und sukzessive durch angemessenere Bebauung zu ersetzen.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Ich finde Köln auch sehr unattraktiv, rein subjektiv gefallen mir Warschau und Danzig auch viel besser als Nürnberg und Würzburg, aber eher, weil ich dem Sozialistischen Realismus, manchen Leistungen der Moderne und heutigen Architektur und auch "pseudo-historischen" Projekten wie z. B. der Bebauung entlang der Milchkannengasse vieles abgewinnen kann.

    Dieses Projekt auf der Speicherinsel stammt von 1998 vom Architekturbüro ZAPA unter Federführung von Stanislaw Michel, dem bedeutendsten Nachkriegs-Architekten in Danzig und war sein letztes Projekt - das Neorenaissance-Gebäude ist wohl eine Erinnerung an das gründerzeitliche Sparkassengebäude, das in der Nähe, aber direkt an der Mottlau stand, ansonsten ist alles eine reine historisierende Neuerfindung (gefällt mir aber ausgezeichnet):

    IMG_4924_sil.jpg


    IMG_4928_sil.jpg

    So hätte es vielleicht mal aussehen können, so sah es aber nie aus ...

    Hier sehen wir das Wiederaufbaukonzept sehr schön (Stand Ende 80er):

    rechtstadt91zeug.jpg

    Zwischen Grünem Tor und Rathaus kann man von einer Rekonstruktion sprechen, nur zwischen Langem Markt und Brotbänkengasse haben wir in etwa die alte Bebauungsdichte und auch Nord-Süd-Gassen, dazu kommt noch als Unikat auf der grünen Wiese die Frauengasse (aber auch der Lange Markt besteht zu einem gewissen Anteil an Phantasiebauten, auch "Leitbauten" wurden "optimiert" und sehen dadurch viel besser aus als jegliche "Originale" (insofern es solche angesichts der ständigen Umbaumaßnahmen überhaupt gab).

    Der Rest besteht aus schematischen Füllbauten mit zu 90 % reinen Phantasiefassaden, die sich auch öfters wiederholen und ahistorisch auf den ebenso ahistorischen Rückseiten der Gebäude gespiegelt werden.

    Ein wichtiges Konzept stellten die freien Hinterhöfe dar, von denen aus die Gebäude erschlossen wurden (entsprechend gibt es viele Gebäude ohne Türen zur eigentlichen Straßenseite hin).

    Das wurde so konsequent durchgezogen, daß zwischen den Phantasietoren zur Mottlau hin bis in die 80er-Jahre hinein auf eine Bebauung verzichtet wurde:

    marienmott.jpg

    Wir sehen hier die Frauengasse von der Rückseite, natürlich gab es diese Fassaden nie, weil die dichte Bebauung ja weiterhing (nur ein einziges Bürgerhaus, nämlich das Uphagen-Haus, hat nachträglich beim Umbau zum Stadtmuseum den alten Grundriß erhalten, das ist der sehr lange Anbau ganz oben rechts in der Luftaufnahme).

    Die Grünanlagen waren ein gewolltes Gestaltungsmerkmal und zwischen allen Ost-West-Häuserzeilen vorhanden (heute meist komplett verwildert):

    mottlaufarbefrau.jpg

    Ja, auch das Krantor stand im Leeren:

    krantorsw.jpg

    In Danzig wird es wohl einfacher sein, angrenzende heruntergewohnte Wohnblocksiedlungen zu schleifen und sukzessive durch angemessenere Bebauung zu ersetzen.

    Entlang der Mottlau entstehen gut angepaßte Neubauten, die Speicherstadt wird überwiegend modern bebaut (gefällt mir persönlich aber ausgezeichnet), die Altstadt wird eher im Stil der Moderne weiterhin verdichtet und bebaut:

    IMG_4794_sil.jpg

    Die Vorstadt stagniert mit heruntergekommenen Wohnblocks, Brachen und kaputten Gründerzeitlern, die Niederstadt stagniert in gleicher Weise, die ganze Ecke jenseits der Speicherinsel (Langgarten, Mattenbuden) ist eine Mischung aus Verfall und Brache.

    Die Rechtstadt wird indes immer weiter aufgewertet, mit historisierenden oder postmodernen Neubauten, die mich fast alle begeistern. Insgesamt also im Zentrum viel Licht und rundherum viel Schatten.

    Dort, wo sich Danzig wirtschaftlich weiterentwickelt und prosperiert (nämlich in Richtung Westen, nach Zoppot), wird aber konsequent modern gebaut, mit großen Einkaufszentren, überdimenisionierten Straßen und Neubauten auf der grünen Wiese.

    Insgesamt aber hochinteressant und reizvoll.

    Easy does it.

  • Danzig ist eine wunderschöne Stadt mit einer reichen Geschichte. Jetzt wird das Zentrum stark renoviert, vor allem der Bahnhof. Es ist gut, dass die Altstadt mit besonderem Augenmerk auf die historische Architektur restauriert wird. Die übrigen Stadtteile sind, wie überall, Wohnsiedlungen. In Städten, die sich wirtschaftlich entwickeln, kann das nicht anders aussehen.

  • In Städten, die sich wirtschaftlich entwickeln, kann das nicht anders aussehen.

    Das kann schon anders aussehen. Die Trabantensiedlung aus Beton ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern Ergebnis bewusster Planung. Und dass so etwas anders aussieht, dafür stehen ja auch viele Nutzer dieses Forums.

    Nicht widersprechen will ich aber, dass die Altstadt von Danzig sehr schön ist.

  • An der Altstadt von Gdańsk gefällt mir vor allem die Großzügigkeit und die ausreichende Präsenz von Parkplätzen. Kein Wunder, daß es hierzu schon zu sozialistischen Zeiten Postkarten gab:

    Easy does it.

  • An der Altstadt von Gdańsk gefällt mir vor allem die Großzügigkeit und die ausreichende Präsenz von Parkplätzen.

    Dann würde ich in die USA auswandern. Aber Spoiler: Die Leute, die sich dort fürs Stadtbild interessieren sind nicht besonders glücklich mit ihren Innenstädten, insbesondere jenen, wo sich diese zitierte und dargestellte Gestaltung besonders ausgebreitet hat.

  • buarque spielte auf den Begriff "Altstadt" an. Das Viertel, das nach Altstadt aussieht, heißt in Danzig "Rechtstadt" (Główne Miasto), während das Viertel namens "Altstadt" (Stare Miasto) in Danzig nicht besonders attraktiv ist. Heimdall meinte natürlich die Rechtstadt.

  • Die ironische Anspielung konnte ich mir nicht ganz verkneifen, weil ich ja unmittelbar vorher in Beitrag 208 ein Bild der "Altstadt" gezeigt hatte.

    Easy does it.

  • Was hat es eigentlich mit den vielen Sgraffito-Fassaden in Danzig auf sich? Wie kam das zustande? Und wo erfährt man über die heutigen Sgraffito-Projekte mehr? Diese Tradition der Nachkriegszeit wird ja seit einigen Jahren fortgeführt.

    Hier ein Beispiel vom Langen Markt 26 (Długi Targ, Künstlerin Barbara Massalska)

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    Ania Mendrek, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

  • halt eine relativ billige und pseudohistorische Form der Fassadenaufpäppelung

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.