Denkmalschutz für Nachkriegsbauten

  • Zitat von "Kindvon2dresdnern"


    Das ist nicht ganz richtig. Richtig ist, dass die Kirche in den 50ern wieder nutzbar gemacht wurde, somit die Möblierung dem Stile der 50er entspricht. Veränderungen am Bauwerk wurden im Großen und Ganzen nicht durchgeführt, sondern der beschädigte Stuck belassen und ansonsten mit Spritzzement "verputzt" wurde. Zugegebermaßen hat das auch eine imposante vernarbte Wirkung. Die Dresdner wünschen aber, soweit ich weiß, keine Veränderung dieses Zustandes in absehbarer Zeit.

    Nach den Bildern, die uns der Dozent in der Vorlesung gezeigt hat, war 1946 der meiste Stuck noch an den Wänden gewesen, lediglich die Deckenkuppel war eingestürzt und das Innere ausgebrannt. Und der Altar war zwar beschädigt, aber durchaus noch erhaltungsfähig. In der Wikipedia steht, es wurde deshalb noch mehr Stuck entfernt als zerstört war, weil der sich durch den Brand gelockert hatte. Wäre natürlich möglich, aber der Prof vermutete, der wäre bis auf die erhaltenen Reste entfernt worden, weil der Jugendstil damals nicht sonderlich hoch im Kurs stand.

  • Zitat von "baukunst-nbg"

    Die häufig weniger schützende Behandlung der Historismusbauten liegt wohl daran, daß Bauten aus dieser Epoche noch vergleichsweise häufig sind und daher deren Wert nicht abstrakt beurteilt wird. Dies ist für mich aber notwendig, da schon aufgrund der Immobilieneigenschaft es keine zwei gleichen Denkmäler geben kann.
    So werden Gründerzeit-Mietshäuser, besonders wenn sie nicht mehr hundertprozentig original erhalten sind oder nicht so aufwendig gestaltet sind (für mich kein Kriterium) als Massenware gesehen, so daß Eingriffe von der Bevölkerung leichter geduldet, vom Eigentümer eher in Kauf genommen, von der unter Druck stehenden Denkmalpflege gebilligt werden und damit insgesamt leichter möglich sind.

    Stimmt, historistische Bauten sind besonders gefährdet, was Abrisse und Umgestaltungen angeht, weshalb sie von der Denkmalpflege auch besondere Aufmerksamkeit brauchen. Dass ein barockes oder ein noch älteres Gebäude schützenswert ist, sehen auch die meisten Hauseigentümer ein (obwohl es auch da leider genügend Ausnahmen gibt), doch der Wert historistischer Häuser wird offenbar noch nicht überall hoch genug geschätzt - wohl, weil es in vielen Städten noch immer enorm viele davon gibt.

    Zitat von "baukunst-nbg"

    Ich meine, daß für alle Denkmäler gleiche Kriterien gelten sollten; wenn zwei Bauwerke die Kriterien erfüllen, dann kann eines nicht nur aus dem Grund ungeschützt sein, weil es aus einer anderen Epoche stammt. Für eine unterschiedliche Bewertung der "Wichtigkeit" der Epochen gibt es keine objektive Rechtfertigung.

    Ich wollte damit nicht sagen, dass Nachkriegsbauten weniger wert sind, aber man muss da eben besonders drauf achten, was schützenswert ist und was nicht. Zum einen, weil Nachkriegsbauten von vielen generell für hässlich gehalten werden (ich finde die meisten auch nicht sonderlich schön), und zum anderen, weil es eben eine schier unerschöpfliche Zahl an Nachkriegsbauten gibt. Deshalb sollten die Denkmalschützer eben nur solche Bauten unter Schutz stellen, die relativ ursprünglich erhalten und/oder für die Epoche prägend sind, damit bei der Bevölkerung nicht das Gefühl aufkommt, es würde nun alles unter Schutz gestellt, was in der Zeit des Wiederaufbaus errichtet wurde.
    Natürlich sollten für alle Bauten, egal ob sie nun 500 oder 50 Jahre alt sind, egal ob es sich um ein Schloss, eine Kirche oder ein Wohnhaus handelt, die gleichen Kriterien gelten, wie es schon die Charat von Venedig verlangt.

    Zitat von "baukunst-nbg"

    Ich frage mich aber immer wieder, warum sich die Denkmalpflege eigentlich so gerne mit den "großen" Rekonstruktionen, d. h. Neubaumaßnahmen, auseinandersetzt, obwohl dies außerhalb ihres selbst definierten Zuständigkeitsbereiches - alte Originalsubstanz - liegt? Die Frage nach diesen Rekonstruktionen hat nach meinem Verständnis außerhalb der Denkmalpflege entschieden werden, die Denkmalpflege sollte jedoch die Ausführung mit ihrem Fachwissen unterstützen.
    Natürlich werden Rekonstruktionsprojekte gelegentlich innerhalb eines geschützten Ensembles/Denkmalbereichs wie einer Altstadt oder in der unmittelbaren Nachbarschaft von Einzeldenkmälern liegen, oder es ist noch Denkmalsubstanz auf dem Grundstück. Dann sind denkmalpflegerische Belange unbestritten betroffen.

    Ich denke, gerade darum geht es der Denkmalpflege auch, wenn sie sich in Rekonstruktionsdiskussionen einmischt. Und rekonstruierte Bauten werden (abgesehen von Freilichtmuseen) ja auch in der Regel nicht auf der grünen Wiese errichtet, sondern am oder in der Nähe von ihrem ursprünglichen Standort, und da mischt sich die Denkmalpflege eben dann ein, wenn es darum geht, zu beurteilen, ob der Bau, der dem zu rekonstruierenden Denkmal im Wege steht, schützenswert ist (der "Palast der Republik" wäre es sicherlich, weil er ein wichtiges geschichtliches Zeugnis darstellt, aber für den ist ja die Zeit abgelaufen).

    Zitat von "baukunst-nbg"

    Grundsätzlich finde ich auch nur die Rekonstruktion am Originalstandort gut, wobei ich aber Zentimeterfeilschen für überzogen halte. Dazu kommt man aber, wenn man an Rekonstruktionen museal-wissenschaftliche Ansprüche stellt. Nach diesen können Rekonstruktionen natürlich überhaupt nicht gerechtfertigt sein, weil dazu ein hundertprozentiges Abbild geschaffen werden müßte, was selbst ohne Berücksichtigung der Altersfrage des Materials nicht möglich ist.

    Natürlich kann man einen rekonstruierten Bau nie hundertprozentig dem Original angleichen und wenn die Rekonstruktion auf dem Nachbargrundstück steht, weil das ursprüngliche nicht mehr verfügbar ist oder wenn es wegen verbreiterter Straßen nach hinten versetzt wieder aufgebaut wird, um nicht mitten im Weg zu stehen, ist das meiner Meinung nach auch noch okay, aber die Rekonstruktion an einem völlig anderen Standort zu errichten finde ich falsch, eben wegen den vorher angeführten Gründen.

    Zumal man ja auch bedenken muss, dass Rekonstruktionen meist äußerst teuer sind. Es könnte ja schließlich sein, dass der ursprüngliche Bauplatz eines woanders wieder errichteten Gebäudes wider Erwarten plötzlich frei wird, und dann ist es eben schwierig, den Bau an den "richtigen" Standort zu translozieren. Und eine zweite Kopie zu errichten wäre noch seltsamer - und noch teurer.

    Zitat von "baukunst-nbg"

    Erklärungsbedürftig finde ich den zwingenden Zusammenhang zwischen Rekonstruktionsverbot auf Denkmalsubstanz und der Frage nach der Kopierbarkeit. Vielleicht könntest du das noch etwas plastischer darstellen? Ich vermute, daß gemeint ist, daß die Rekonstruktion den vielbeschworenen "authentischen", d. h. den ohne Rekonstruktion bestehenden Zustand verwischen könnte, was das Restdenkmal beeinträchtigen könnte.

    Genau das meinte ich. Mit der Rekonstruktion eines Denkmals wird ja auch ein wenig die Geschichte negiert, weil man mehr oder weniger so tut, als sei das Gebäude nie beschädigt gewesen. Darum sollte man eine Rekonstruktion auch immer irgendwie als solche kenntlich machen, zum Beispiel mit einer sichtbaren, aber nicht sonderlich störenden Inschrift.

    In der Denkmalpflege ist man ja inzwischen auch dazu übergegangen, Restaurierungen mit möglichst wenig Eingriffen in die Originalsubstanz durchzuführen und so viele Spuren der Baugeschichte zu erhalten wie möglich. Das kann man sehr schön beim kulturhistorischen Museum in Stralsund sehen (http://www.stralsundtourismus.de/museumshaus.0.html\r
    http://www.stralsundtourismus.de/museumshaus.0.html), das eben so viele seiner Bauspuren zeigt, wie möglich - auch wenn es dadurch vielleicht nicht unbedingt sonderlich schön aussieht, aber darum geht es der Denkmalpflege ja auch nicht.

    Zitat von "baukunst-nbg"

    Was ist denn wirklich so schlimm an der Kopie der Leibnizhausfassade? Daß man hier ein Stück lokaler historischer Baugeschichte zitiert? Ich finde, da gibt es wesentlich schlimmeres Gebautes. Solange man nicht die Türme der Nürnberger Burg vertauscht ... :zwinkern:

    Was mir an der Leibnizhausfassade nicht gefällt, ist eben, dass es sich nur um eine Fassadenrekonstruktion handelt und noch dazu am falschen Standort, weil am Originalstandort ein ziemlich hässliches Parkhaus steht. Das wirkt eben einfach wie ein Museumsstück, das man am Holzmarkt abgestellt hat, weil sonst nirgends Platz dafür war.

    Zitat von "baukunst-nbg"

    Es ist natürlich nicht möglich, eine "purifizierende" Restaurierung im Sinne eines bestimmten Eindrucks in wissenschaftlich befriedigender Weise durchzuführen. Bei einem architekturgeschichtlich so überragenden Denkmal wie der Michaelskirche ist es natürlich besonders augenfällig, wenn Widersprüche auftreten. Aber die ausgebombte Ruine der Kirche hatte auch so wenig Substanz übrig gelassen, daß doch ein gewisser Freiraum beim Wiederaufbau bestand.
    Phantasieprodukt: nicht ganz, denn es gab ja Prämissen und Vorlagen. Bei der Michaelskirche war es ja auch keine purifizierende Restaurierung, sondern ein Wiederaufbau.

    Stimmt, ein Wiederaufbau ist noch was anderes als eine Rückrestaurierung. Aber nichtsdestotrotz wurde dabei noch mehr von der ohnehin stark dezimierten Originalsubstanz zerstört, zum Beispiel das barocke Obergeschoss der unversehrt erhaltenen Apsis. Und da ist St. Michael kein Einzelfall. Im Würzburger Dom wurde der barocke Stuck im Langhaus entfernt (bzw. nach Einsturz einer Langhauswand und Abriss der anderen nicht rekonstruiert), weil der damalige Bischof den Barock nicht leidern konnte.

    Zitat von "baukunst-nbg"


    Hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Hätten man in früherer Zeit nach den heute geltenden Maximen der Denkmalpflege gehandelt, wären diese Maßnahmen überhaupt nicht stattgefunden. Kann man dann etwas schützen und gut finden, was heute verboten wird?

    Das ist eine gute Frage. Aber ich sage einfach mal ja, weil man heute mit den Bauten eben anders umgeht als früher. Im Barock oder im Historismus hat man es nicht für schlimm befunden, ein Gebäude mit starken Eingriffen in die Bausubstanz zu modernisieren, aber ich glaube, man hat damals einfach mehr als heute (oder auch mehr als vor 50 Jahren) darauf geachtet, diese Modernisierungen an das Vorhandene anzupassen. Wenn eine Kirche barockisiert wurde, hat man vielleicht eine neue Fassade davorgesetzt oder die vormals glatten Wände stuckiert oder eine Flachdecke in ein Tonnengewölbe verwandelt, aber ich glaube, man hat nur selten das ganze Langhaus abgerissen und neu gebaut, um seine architektonischen Träume zu verwirklichen.

    Es wird auch weiterhin Umbauten an denkmalgeschützten Häusern geben, und das muss es auch, um sie weiterhin benutzbar zu machen (niemand würde in ein Haus ohne Toilette oder elektrischen Strom einziehen wollen), aber während es früher vor allem ästhetische Gründe für eingreifende Umbauten gab, sind es heute oft wirtschaftliche (Entkernungen, große Schaufenster, zerstörender Dachausbau), wobei dann wenig auf künstlerische oder historische Werte geachtet wird.

    Zitat von "baukunst-nbg"

    Von einer "Wiederherstellung" kann hier wohl keine Rede sein. :weinen:

    Zugegeben, das Pellerhaus ist im jetzigen Zustand wirklich kein Schmuckstück, aber in den Fünfzigern fand man das Ergebnis sehr gut, gerade eben auch im Hinblick auf die Kombination von alt und neu - und gerade deshalb finden es viele Denkmalschützer in seinem jetzigen Zustand auch erhaltenswert, eben als Zeichen der damaligen Zeit.

    Zitat von "baukunst-nbg"

    Meine Meinung ist, daß in dem Fall, daß keine wertvolle Originalsubstanz leidet und keine grobe Verunstaltung betroffener Denkmäler droht, Rekonstruktionen überhaupt kein Problem darstellen dürfen, nicht zuletzt im Hinblick auf die vergessene verfassungsrechtliche Baufreiheit und auf eine Belebung der Stadtbildpflege. Keiner will auf dem Forum Romanum oder der Akropolis leben, aber die Altstadt von Danzig ist, auch wenn die Rekonstruktion alles andere als wissenschaftlich akzeptabel ist, sehr beliebt und die Menschen sind damit zufrieden. Angesichts der geringen Zahl an Rekonstruktionen und deren Volumen gemessen an übrigen Bauvorhaben dürfte auch die Angst vor der Banalisierung der Architektur in Deutschland durch Kopiererei von Altem maßlos übertrieben sein. Auch im Vergleich zur Anzahl an "echten" Baudenkmälern kann man die heutigen und künftigen Rekonstruktionen an einer Hand abzählen.

    Sehe ich auch in etwa so. Das Problem ist eben nur, dass es immer Auslegungssache ist, was zum Beispiel "grobe Verunstaltung betroffener Denkmäler" ist. Viele Denkmalschützer sehen es jedenfalls als bedenklich an, dass gerade in den letzten 20 Jahren so viele verändert wieder aufgebaute Baudenkmäler (vor allem Kirchen) in den Vorkriegszustand zurück versetzt wurden, wo man sich nach dem Krieg bewusst dafür entschieden hatte, das Gebäude in modernen Formen wieder aufzubauen oder einen älteren Zustand zu rekonstruieren. Um noch mal auf meinen Prof zurückzugreifen: Der meinte, das hätte etwas von Beliebigkeit. In den 50ern wollte man beispielsweise beim Wiederaufbau den Barock aus einer Kirche raus haben und hat sie deshalb purifiziert, irgendwann gefiel das nicht mehr und man hat den ganzen Stuck mit viel Zeit- und Geldaufwand rekonstruiert. Es könnte ja sein, dass auch das dem Kirchenvorstand irgendwann nicht mehr gefällt und er das in 20 oder 30 Jahren abermals rückgängig machen will, zumal der Stuck ja ohnehin nicht mehr ursprünglich ist. In unserer modernen Zeit gibt es eben das Problem, dass sich die Geschmäcker von Generation zu Generation immer schneller und immer stärker wandeln. Darum gibt es ja bei moderner Architektur auch keine allgemein gültigen Regeln mehr, alles ist möglich, während zur Zeit von Renaissance oder Barock oder Historismus nur wenige Architekten oder Bauten aus dem Rahmen fielen.

  • Zitat von "Maxileen"


    Die Dresdner Kreuzkirche beispielsweise wurde im 18. Jahrhundert nach einem Brand im Barockstil wieder aufgebaut, nach einem erneuten Brand um 1900 in Jugendstilformen (obwohl man den barocken Zustand hätte rekonstruieren können) und nach dem Krieg im Stil der 50er Jahre, obwohl die Veränderungen des Jugendstils (Stuck etc.) nicht so stark zerstört waren, wie es jetzt den Anschein hat.


    Es heißt, daß der jetzige Rauhputz zunächst nur als Provisorium gedacht war, die Wirkung dieser Schlichtheit im Sinne einer Rückführung der Religion auf sich selbst so überzeugend war, daß man es dabei beließ.
    Und für die hervorragende Akustik war es auch von Vorteil.

  • Ich kann einfach Candidus nur zustimmen:

    Zitat

    1) Der kulturelle Verlust, den deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg erlitten haben, ist in seiner Größe unvorstellbar. Ohne konkrete Zahlen zu haben und ohne das Leiden anderer Länder und Völker vor allem im Zweiten Weltkrieg herunterspielen zu wollen, möchte ich hier dennoch die Vermutung aufstellen, daß es sich um den größten Verlust an baukultureller Substanz der gesamten Geschichte handelt. Auch wenn man es heute kaum für möglich hält, waren die deutschen Städte beispielsweise den französischen ebenbürtig, und einige waren durchaus vergleichbar mit italienischen Städten. Diese internationale Ausstrahlung haben alle großen deutschen Städte eingebüßt. Die historische Entwicklung der Städte ist nicht mehr ablesbar. Wir stehen vor der historisch einmaligen Situation, daß wir in einer Umgebung leben, die in größeren Städten weitgehend von einer einzigen Stilepoche, eben der Moderne, geprägt ist.

    Was im 2. Weltkrieg der deutschen Städtelandschaft widerfahren ist, ist mit nichts vergleichbar, was jemals zuvor geschehen ist: Noch nie in der Geschichte der Menschheit wurde bislang von wenigen Ausnahmen abgesehen praktisch das gesamte bauliche und architektonische Erbe eines ganzen Landes ausradiert, nie zuvor ein ganzes Land buchstäblich aus seiner Geschichte rausgebombt.
    Als zweiter Punkt kommt dazu, daß wie Candidus richtig bemerkt, die Moderne ihr ganzes Selbstverständnis daraus bezieht, gegen Geschichte und Tradition zu stehen, daß sie eben nicht einfach eine Fortsetzung der Architekturgeschichte, sondern ein Bruch mit ihr ist.

    Aber die offizielle Denkmalschutzdoktrin nimmt diesen doppelten Bruch bis heute schlicht nicht zur Kenntnis und tut so, als ob immer noch die geschichtspositivistischen Dogmen Dehios gelten würden, die in einer ganz anderen Zeit und unter ganz anderen Umständen formuliert wurden.
    Ja, es wird sogar nach Kräften versucht, den Bruch mit allen Mitteln zu leugnen. Etwa indem man sagt, Städtezerstörungen habe es immer gegeben. Das ist zwar richtig, aber es hat eben nie die Totalzerstörung fast einer gesamten europäischen Stadtlandschaft gegeben. Die Zerstörung ganzer Städte war in der europäischen Geschichte immer die absolute Ausnahme (Magdeburg im 30'jährigen Krieg blieb deshalb Jahrhunderte im Gedächtnis). Im 2. Weltkrieg hat genau dieses Schicksal aber jede größere deutsche Stadt ereilt. Das ist erstens absolut singulär und zweitens kein quantitativer Unterschied mehr, sondern ein qualitativer.
    Statt das zur Kenntnis zu nehmen und die Konsequenzen daraus zu ziehen, werden aber vom Denkmalschutz an die Nachkriegsmoderne, die die Orte der ausgelöschten Geschichte okkupieren, fröhlich dieselben postivistisch-affirmativen Maßstäbe angelegt, wie man sie an die Bauten anlegte, die die geschichtlich-geistig-kulturelle Identität dieses Landes einmal ausmachten, als hätte es die Vernichtung dieser Identität nie gegeben.

    Daß dem Denkmalschutz eine positivistische und einseitig ereignisgeschichtlich orientierte Geschichtsmetaphysik zugrundeliegt, habe ich ja andernorts schon ausführlich dargelegt. Das wird nochmal sehr deutlich in der Aussage:

    Zitat

    Mit der Rekonstruktion eines Denkmals wird ja auch ein wenig die Geschichte negiert, weil man mehr oder weniger so tut, als sei das Gebäude nie beschädigt gewesen.


    Was da vermeintlich "negiert" wird, ist je nichts anderes als Ereignisgeschichte, und zwar in diesem Fall das Ereignis einer sinnlosen Zerstörung. Was soll aber bitte daran so wertvoll sein?! Ereignisgeschichte ist schlicht unwesentlich. Wesenhaft ist allein Geistes- und Kulturgeschichte. Vor Eriegnisgeschichte braucht man keinerlei Respekt zu haben, erst recht nicht, sie ihrerseits Negation war, wie in diesem Fall.
    Insofern schon richtig: Rekonstruktionen negieren - aber sie negieren die Negation, sind die Negation einer Negation!

  • Wie schon gesagt, gegen Komplettrekonstruktionen habe ich auch nichts, wenn dadurch kein denkmalwertes Gebäude weichen muss. Und meiner Meinung nach (und der Meinung vieler Denkmalschützer nach) sind eben viele Wiederaufbaulösungen der Nachkriegszeit durchaus schon denkmalwürdig, wenn man sie mit dem Abstand der Jahrzehnte betrachtet. Vor allem, was den veränderten Wiederaufbau nicht völlig zerstörter Gebäude betrifft (wie schon erwähnt z.B. des Salzhauses und des Pellerhauses). Mag sein, dass beide Wiederaufbaulösungen nicht mehr den heutigen Zeitgeschmack treffen, mag sein, dass viele Leute sie sogar ziemlich hässlich finden (vor allem das Pellerhaus), aber dennoch sind sie eben ein Zeichen der Geschichte. Nicht nur der Zerstörungsgeschichte, sondern eben vor allem auch der Wiederaufbaugeschichte und der Bau- und somit auch Kulturgeschichte der 1950er und 1960er.

    Ich sehe zum Beispiel auch den Abriss des Palastes der Republik kritisch. An sich war das ein ziemlich hässliches Ungetüm, aber es hatte eben dadurch auch einen gewissen Reiz, und es war auf jeden Fall ein Zeichen der DDR-Geschichte.

  • Zitat von "Maxileen"

    ... Nicht nur der Zerstörungsgeschichte, sondern eben vor allem auch der Wiederaufbaugeschichte und der Bau- und somit auch Kulturgeschichte der 1950er und 1960er.

    Ich sehe zum Beispiel auch den Abriss des Palastes der Republik kritisch. An sich war das ein ziemlich hässliches Ungetüm, aber es hatte eben dadurch auch einen gewissen Reiz, und es war auf jeden Fall ein Zeichen der DDR-Geschichte.

    ...dann betrachten Sie doch den derzeitigen "Reko-Trend" eben als Kulturgeschichte der Jahre 2000-?, wenn das für Sie relevant für eine Denkmalseigenschaft ist.
    Was nicht vergessen werden darf: Auch der ästhetische Aspekt ist wichtig an einem Bauwerk, und der fehlt nunmal fast allen Gebäuden aus der Zeit 1950 - ca. 1990!

    Der Tiefpunkt der Baukultur wurde in den 60er und 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts erreicht...

  • "... aber dennoch sind sie eben ein Zeichen der Geschichte."

    So banal es auch klingen mag - aber alles wird zu einem Bestandteil der Geschichte, wenn nur genug Zeit vergangen ist. Auch die Neubauten am Dresdner Neumarkt werden in einigen Jahrzehnten Geschichte sein, genauso, wie es die Bauten in Warschau heute schon sind.

    Daher ist meines Erachtens schon auch eine ästhetische Komponente erforderlich, um entscheiden zu können, ob ein Gebäude denkmalwürdig ist.

  • Die letzten Beiträge haben einen bunten Strauß von Argumenten geliefert, zu denen ich noch etwas beifügen möchte.

    Zitat von "Maxileen"

    ich glaube, man hat damals einfach mehr als heute (oder auch mehr als vor 50 Jahren) darauf geachtet, diese Modernisierungen an das Vorhandene anzupassen. Wenn eine Kirche barockisiert wurde, hat man vielleicht eine neue Fassade davorgesetzt oder die vormals glatten Wände stuckiert oder eine Flachdecke in ein Tonnengewölbe verwandelt, aber ich glaube, man hat nur selten das ganze Langhaus abgerissen und neu gebaut, um seine architektonischen Träume zu verwirklichen.

    Ich behaupte jetzt einfach einmal, daß viele mittelalterliche Kirchen auch ganz durch Neubauten in der Barockzeit ersetzt wurden. Häufig sieht man doch polygonale gotische Chöre mit barocken Sälen kombiniert. Das sind schon schwere Eingriffe. Trotzdem, und insofern stimme ich überein, sind aus meiner Sicht dabei viele harmonische Schöpfungen entstanden. Das rührt auch daher, daß - siehe Philons Beitrag - erst die Moderne sich vom Alten ideengemäß um jeden Preis absetzen will.

    Zitat

    Zugegeben, das Pellerhaus ist im jetzigen Zustand wirklich kein Schmuckstück, aber in den Fünfzigern fand man das Ergebnis sehr gut, gerade eben auch im Hinblick auf die Kombination von alt und neu

    Ich finde nicht, daß der Mayer-Entwurf an sich schlecht ist. Da gibt es doch ganz andere Sachen aus der gleichen Zeit. Doch halte ich es natürlich für einen der größten Fehler, den Wiederaufbau des Pellerhauses mit dem Aufbau zu vereiteln.
    Was aus dem heutigen "Pellerhaus" spricht (und es - leider - so charakteristisch für die End-50er macht), ist seine psychologische Aussage. Darin spiegeln sich der Fortschrittsglaube (vielleicht auch Technikgläubigkeit) und Vergangenheitspsychosen, die sich unter dem Deckmantel intellektueller Allgemeinplätze ("wir wollen das echte Neue neben das echte Alte stellen") gegen den damals lobbyfreien substanzunabhängigen kulturellen Wert des alten Stadtbilds durchsetzten. Ich möchte jetzt nicht für mich in Anspruch nehmen, daß ich damals besser gehandelt hätte. Schließlich ist heute leicht reden, und wir leben nicht in einer desolaten Ruinenlandschaft. Trotzdem bleibt für mich die damalige Pellerhaus-Entscheidung ein Fehler.

    Zitat

    Darum gibt es ja bei moderner Architektur auch keine allgemein gültigen Regeln mehr, alles ist möglich, während zur Zeit von Renaissance oder Barock oder Historismus nur wenige Architekten oder Bauten aus dem Rahmen fielen.

    Wissend, daß man es nicht ohne weiteres vergleichen kann, wage ich hier provozierend zu behaupten, daß im Historismus im Hinblick auf die Stilwahl eine größere Baufreiheit bestand als heute, wenn man auf die architektonischen Dogmen ("Glaskubus") hört.

    Zitat von "Philon"

    Noch nie in der Geschichte der Menschheit wurde bislang von wenigen Ausnahmen abgesehen praktisch das gesamte bauliche und architektonische Erbe eines ganzen Landes ausradiert, nie zuvor ein ganzes Land buchstäblich aus seiner Geschichte rausgebombt.

    Das ist wirklich ein ganz besonders wichtiger Punkt. Allein dies sollte Rekonstruktionen grundsätzlich rechtfertigen, und zwar ohne zeitliche Beschränkung. In Nürnberg ist bei "Mittelalten" und Älteren erst jetzt durch die Pellerhof-Diskussion die Erkenntnis aufgekommen, daß der Wiederaufbau ja noch gar nicht abgeschlossen ist. Man stelle sich vor, zuvor dachten offenbar viele, der Wiederaufbau von Jahrhunderten zerstörter Kultur sei eine Sache von ein paar Jahren und eine Generation sei dafür zuständig! Das ist vielmehr per se eine Sache von Generationen, und vor allem ist es eine Frechheit, wenn man sich anhören muß "So, das wars; jetzt ist Schluß mit Wiederaufbauen. Ab jetzt nur noch neu!".

    Einschränken möchte ich aber soweit, als man zwar ein bislang nicht erreichtes Maß an Zerstörung hat. Unzutreffend ist jedoch die Aussage, daß praktisch alles elimiert ist. Dazu gibt es in der Fläche noch zuviel gut erhaltene Städte (siehe mittlerweile "unübersichtliche" Liste gut erhaltener deutscher Stadtkerne im anderen Strang), und selbst in den stark zerstörten Städten bestehen noch viele alte Gebäude. Dabei ist aber zuzugeben, daß gerade ohne die vielen Instandsetzungen und Wiederaufbauleistungen an den historischen Gebäuden nach dem Krieg der Erhaltung es viel schlechter aussähe, wenn auch nach dem Krieg noch viel Erhaltenes abgerissen wurde.

    Zitat

    Als zweiter Punkt kommt dazu, daß wie Candidus richtig bemerkt, die Moderne ihr ganzes Selbstverständnis daraus bezieht, gegen Geschichte und Tradition zu stehen, daß sie eben nicht einfach eine Fortsetzung der Architekturgeschichte, sondern ein Bruch mit ihr ist.
    (...) Statt das zur Kenntnis zu nehmen und die Konsequenzen daraus zu ziehen, werden aber vom Denkmalschutz an die Nachkriegsmoderne, die die Orte der ausgelöschten Geschichte okkupieren, fröhlich dieselben postivistisch-affirmativen Maßstäbe angelegt, wie man sie an die Bauten anlegte, die die geschichtlich-geistig-kulturelle Identität dieses Landes einmal ausmachten, als hätte es die Vernichtung dieser Identität nie gegeben.

    Man muß das tatsächlich immer im Kopf behalten und die Unterschiede berücksichtigen. Allerdings muß nüchtern festgestellt werden, daß unsere geschichtlich-geistig-kulturelle Identität auch nach dem Krieg sich weiter entwickelt hat.

    Zitat

    Daß dem Denkmalschutz eine positivistische und einseitig ereignisgeschichtlich orientierte Geschichtsmetaphysik zugrundeliegt, habe ich ja andernorts schon ausführlich dargelegt. Das wird nochmal sehr deutlich in der Aussage:

    Zitat:
    Mit der Rekonstruktion eines Denkmals wird ja auch ein wenig die Geschichte negiert, weil man mehr oder weniger so tut, als sei das Gebäude nie beschädigt gewesen.

    Was da vermeintlich "negiert" wird, ist je nichts anderes als Ereignisgeschichte, und zwar in diesem Fall das Ereignis einer sinnlosen Zerstörung. Was soll aber bitte daran so wertvoll sein?! Ereignisgeschichte ist schlicht unwesentlich. Wesenhaft ist allein Geistes- und Kulturgeschichte. Vor Eriegnisgeschichte braucht man keinerlei Respekt zu haben, erst recht nicht, sie ihrerseits Negation war, wie in diesem Fall.
    Insofern schon richtig: Rekonstruktionen negieren - aber sie negieren die Negation, sind die Negation einer Negation!

    Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen: Es wird überhaupt keine Geschichte negiert, weil man Geschichte aufgrund ihrer vom Zeitablauf erzwungenen Einmaligkeit überhaupt nicht negieren oder bejahen kann - sie passiert einfach. Es ist eine blödsinnige Unterstellung, daß eine Rekonstruktion irgend etwas vertuschen will, was soll das? Wenn ein rekonstruiertes Haus zu einer intelligenten Äußerung fähig ist, dann betont es doch eher, daß es zerstört wurde, an seinem Ort ein paar Jahrzehnte nichts oder nur Belangloses stand und es dann wiederaufgebaut wurde! Und wenn jetzt jemand kommt und sagt, daß das Bestehen des Gebäudes in der Zwischenzeit "negiert" wird, dann sage ich, daß insoweit Rekonstruktionen und Glaskuben etwas gemeinsam haben.

    Danke jedenfalls, Philon; diese wichtigen Gedanken kann man nicht oft genug wiederholen, da sie für mich zu den entscheidensten Mißverständnissen in der Rekonstruktionsdebatte führen - und das quer Beet vom Uninteressierten über Mediengläubige bis hin zu Intellektuellen und Fachkreisen.

    Zitat von "Maxileen"

    Wiederaufbaulösungen nicht mehr den heutigen Zeitgeschmack treffen, mag sein, dass viele Leute sie sogar ziemlich hässlich finden (vor allem das Pellerhaus), aber dennoch sind sie eben ein Zeichen der Geschichte.

    Wie schon gesagt, ich habe gar nicht gemeint, daß das Pellerhaus häßlich ist, sondern nur, daß es kein Wiederaufbau ist, sondern ein komplett neues Haus auf einem Teil alter Mauern. Der Mayer'sche Bau ist natürlich ein Zeichen der Nachkriegsgeschichte, und insoweit ein Denkmal.

    Zitat von "memet"

    Was nicht vergessen werden darf: Auch der ästhetische Aspekt ist wichtig an einem Bauwerk, und der fehlt nunmal fast allen Gebäuden aus der Zeit 1950 - ca. 1990!

    Letzteres kann ich nicht unterschreiben, ersteres schon. Das Problem liegt für mich mehr darin, daß die Denkmalpflege keine Antwort auf die Frage nach Schönheit geben darf - sie hat wirklich nur konservatorische Funktion. Ein Bedürftnis an Schönheit gibt es aber, die Denkmalpflege ist dafür aber nicht zuständig, es zu befriedigen. Daher kann und darf sich die Denkmalpflege nicht in Schönheitsdiskussionen einmischen. Ihre Zuständigkeit endet in der Diskussion darüber, was und wie gebaut wird, an dieser Stelle. Es geht aber auch nicht an, die Denkmalpflege zu einem Instrument eines Kampfes gegen die Moderne umzufunktionieren.

    Zitat von "silesianospostato"

    So banal es auch klingen mag - aber alles wird zu einem Bestandteil der Geschichte, wenn nur genug Zeit vergangen ist. Auch die Neubauten am Dresdner Neumarkt werden in einigen Jahrzehnten Geschichte sein, genauso, wie es die Bauten in Warschau heute schon sind.

    Zweifellos richtig. Anerkannte Baudenkmäler sind auch sehr viele bald nach dem Krieg wiederhergestellte Gebäude. Es ist in Deutschland sogar anerkannt - ohne dogmatische Grundlage (Maxileen, frag doch mal in der Vorlesung danach) - daß der Denkmalstatus eines kriegszerstörten Gebäudes nicht verlorengeht, wenn es danach sofort wieder aufgebaut wird!

    Zitat

    Daher ist meines Erachtens schon auch eine ästhetische Komponente erforderlich, um entscheiden zu können, ob ein Gebäude denkmalwürdig ist.

    Eine ästhetische Komponente ist nicht zwingend für den Denkmalsstatus erforderlich, aber die besondere Ästhetik eines Bauwerks kann nach meiner Meinung dazu führen, daß seine Erhaltung im Interesse der Allgemeinheit steht und es daher ein Denkmal ist.

    Wie schon oft gesagt, kann man in einer demokratischen Gesellschaft nicht vorschreiben, was schön ist. Daher werden unterschiedliche Entscheider mit unterschiedlichen Geschmäckern unterschiedliche Gebäude unter Schutz stellen, wenn sie nach ihrem Geschmack entscheiden dürften.

    Insgesamt drängt sich wirklich ein Zweifel am Denkmalbegriff auf. Offenbar wird Denkmalschutz erst dann akzeptiert, wenn eine Zeit wirklich schon einige Generationen vergangen ist. Dabei muß man Verluste in Kauf nehmen, die dadurch entstehen, daß die entscheidende Generation die Werke der unmittelbar vorhergehenden nicht schätzt. Erst was diesen Auslesemechanismus zufällig oder bewußt überlebt, sollte geschützt werden. - Na?

  • "Schon in den 1920ern war der Historismus verpönt, was sich bis in die 70er Jahre hinein hielt, und heute finden die meisten den Stil der 50er und 60er potthässlich. "

    Korrekter, in den 1920ern war der Historismus speziell in akademischen Kreisen verpönt (heute in der Praxis noch immer), aber heute meldet sich auch der (zahlenmäßig weit größere) Rest zu Wort, der z.B. den Stil der 50er und 60er potthässlich findet. Das ist ein Unterschied.

    In dubio pro reko

  • Zitat

    Mit der Rekonstruktion eines Denkmals wird ja auch ein wenig die Geschichte negiert, weil man mehr oder weniger so tut, als sei das Gebäude nie beschädigt gewesen.

    Die Konsequenz daraus wäre: Wenn meine kleine Kusine auf meinem Dachboden zündelt und der Dachstuhl brennt daraufhin ab, dann muss ich das Haus in diesem Zustand belassen, da ein Wiederaufbau des Dachstuhls die individuelle Hausgeschichte (hier: das Ereignis des Brandes) negieren würde. :gg:


    (Oder muss ich auf Teufel komm raus das Dach nach dem Brand gaaaaaanz anders gestalten, als es vorher war, damit jeder sehen kann, dass hier mal was passiert ist?)

  • Man negiert keine Geschichte mit einer Rekonstruktion, man schreibt sie. Zu der Geschichte eines Gebäudes kann neben der Zerstörung immer auch sein Wiederaufbau gehören.

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Zitat von "Antiquitus"

    Man negiert keine Geschichte mit einer Rekonstruktion, man schreibt sie. Zu der Geschichte eines Gebäudes kann neben der Zerstörung immer auch sein Wiederaufbau gehören.

    Das finde ich sehr schön gesagt! Nur sollte der Wiederaufbau sich am Ursprungszustand orientieren und nicht so diletantisch und kurzsichtig erfolgen wie in der Nachkriegszeit!

    Der Tiefpunkt der Baukultur wurde in den 60er und 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts erreicht...

  • Zitat

    Die Baukunst der deutschen Nachkriegszeit hat keinen guten Ruf. Jetzt will die Denkmalpflege sie unter ihre Fittiche nehmen. Ob sie schützenswert ist, ist umstritten. Folgenlos würde es nicht bleiben.


    Ist das Architektur, oder kann das weg? - Welt online

    Denkmalschutz völlig losgelöst im Sinne von Bewahrungswürdigkeit und Bedeutsamkeit darf es nicht geben. Also sollte die hysterische Unterschutzstellung von Nachkriegsschrott (welche sicherlich z. T. auch der Sicherung des Betätigungsfeldes der Denkmalpflege dienen soll) sehr kritisch hinterfragt werden. Diesbezügliche Bausünden haben als Zeugen einer damaligen Zeitgeisteshaltung per se m. E. keine Existenzberechtigung durch Aufbringung öffentlicher Geldmittel.

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Passt doch zum momentanen Zeitgeist in Deutschland. Jetzt wird auch der Denkmalschutz ideologisiert und übt sich in politisch korrekter Zivilcourage für die "verkannte" Nachkriegsmoderne. Deren Zeitschrift "Monumente" habe ich aus Protest gegen diese neuen Leitlinien gleich abbestellt.

    In dubio pro reko

    4 Mal editiert, zuletzt von reklov2708 (7. Dezember 2015 um 16:05)

  • Die Ruhr-Universität Bochum steht unter Denkmalschutz - eine völlig nachvollziehbare und richtige Entscheidung!

    Ich selbst war letztes Jahr dort. Dabei ist u.a. folgendes Foto entstanden:

    Ruhr-Universität Bochum
    Diese brachialen Beton-Gebäude haben mich schlichtweg beeindruckt. Diese riesigen Beton-Teile sind wunderbar aufeinander abgestimmt: Schier endlose Beton-Flächen, aus denen die einzelnen Institute auf ihren Beton-Stelen scheinbar in den Himmel streben.
    Im Zentrum des Campus steht das erhabene Audimax-Gebäude. Es ist von seinen Proportionen absolut stimmig und strahlt durch seine riesigen Fenster-Flächen und dem gewellten Dach Eleganz aus. Es ist in meinen Augen des Audimax, dem Ort an dem Wissenschaft gelehrt wird, Studenten zusammen lernen und Kontakte knüpfen können, würdig.
    Kurzum, dieses Gebäude-Ensemble hat einfach Gesicht! Des Weiteren verkörpert es den Geist der 60er Jahre, eine Zeit der wirtschaftlichen Blüte und des Wohlstands in Deutschland.
    Die Ruhr-Universität Bochum gehört für mich damit zurecht unter Denkmalschutz!


  • Ist das Architektur, oder kann das weg? - Welt online

    Denkmalschutz völlig losgelöst im Sinne von Bewahrungswürdigkeit und Bedeutsamkeit darf es nicht geben. Also sollte die hysterische Unterschutzstellung von Nachkriegsschrott (welche sicherlich z. T. auch der Sicherung des Betätigungsfeldes der Denkmalpflege dienen soll) sehr kritisch hinterfragt werden. Diesbezügliche Bausünden haben als Zeugen einer damaligen Zeitgeisteshaltung per se m. E. keine Existenzberechtigung durch Aufbringung öffentlicher Geldmittel.

    Der Artikel von Guratzsch schwankt zwischen Hysterie und Polemik. Die Nachkriegsarchitektur der 50er und 60er Jahre ist schon längst denkmalfachlich bewertet, die 70er und 80er sind es zumindest teilweise. In Dresden sind die jüngsten Denkmäler aus der späten DDR-Zeit. Da zu schreiben, die Denkmalpflege wolle die Nachkriegsarchitektur "Jetzt unter ihre Fittiche nehmen" zeugt entweder von völliger Unkenntnis oder führt bewusst in die Irre. Rein ästhetische Kategorien greifen zu kurz, wenn es um die Frage der Erhaltungswürdigkeit geht. "Schön" ist keineswegs so ein feststehendes Bewertungskriterium wie manche behaupten - der Umgang mit der jeweils gerade unmodernen Architektur zeigt das ja deutlich. Das würde zudem den Erhalt von Hinterlassenschaften, die eine historisch bedeutende, aber keine ästhetische Dimension haben, unmöglich werden lassen. (Ich denke da an Bauwerke u.ä., die mit den deutschen Diktaturen zu tun haben.)

    Guratzsch stellt es zudem so dar, als seien gerade die technischen Unzulänglichkeiten der Bauten nach 45 Grund für eine Denkmalausweisung, und impliziert meines Erachtens, dass der Denkmalschutz pauschal alle Bauten nach 45 schützen will - was beides haarsträubender Unfug ist. Ich denke, dass die überwiegende Zahl der geschützten Bauten in Deutschland immer noch zwischen ca. 1850 und ca. 1940 entstanden ist, und es ist ja nicht so, dass nach 45 wenig gebaut wurde. Gerade wenn ich mir wiederaufgebaute Städte der 50er ansehe, da ist zu Recht nicht viel geschützt, weil vieles nicht erhaltenswert ist. (Ich denke gerade an ganze Straßenzüge in der Hildesheimer Innenstadt). Weite Teile der Einfamilienhausgebiete und der Siedlungen der 60er bis in die Gegenwart werden wohl nie auf einer Denkmalliste auftauchen. Angesichts der angespannten Personalsituation bei der Denkmalpflege sind die meisten Landesämter auch gehalten, eher sparsam mit Neuausweisungen umzugehen. Von einer Hysterie bei Unterschutzstellungen kann nicht die Rede sein, hysterisch ist eher der Autor.

  • Ist die Ruhr-Universität schön? Ein ganz klares Nein!

    In den sechziger und siebziger Jahren sind überall in Westdeutschland Universitäten aus dem Boden gestampft worden, komplette Campusanlagen aus einem architektonischen Guss. Welche Universität ist in ihrem Erhaltungsgrad und ihrer Architektursprache stellvertretend für all diese Universitätsbauten? Obwohl ich selbst an der TU Dortmund, deren Campus wesentlich angenehmer angegt ist, studiert habe, muss ich zugestehen - als erstes denke ich hier an die RUB.

    Aus diesem Grund ist der Denkmalschutz sicherlich zu recht vergeben worden und genau zur richtigen Zeit, denn aktuell werden die meisten dieser alten Universitätsbauten saniert, umgebaut und verändert. Ob es uns passt oder nicht, wenn wir für epochenprägende Gebäude einen Denkmalschutz fordern müssen wir es auch der Ruhr-Universität Bochum zugestehen, genau wie dem Klinikum Aachen. Da beide auf der grünen Wiese liegen, sollte dies doch kein Problem sein.

    Und nein, ich bin kein Troll. Auch kein Freund der Betonmoderne. Da der Denkmalschutz jedoch nicht die Bewahrung der Schönheit zum Ziel hat sondern den Erhalt von Bauwerken, die aufgrund ihrer Architektur, Geschichte etc. als Zeugnis dienen, ist die Unterschutzstellung nur konsequent... dies nicht anzuerkennen ist genau die Doppelmoral, die sonst häufig angemahnt wird.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Ich halte es auch nicht verkehrt diesen Komplex unter Denkmalschutz zu stellen. Nicht weil er so besonders schön ist, aber an dieser Stelle stört er auch nicht, steht er doch an keinem Elbufer oder in einer prächtigen Stadtsilhouette, noch steht er irgendwelchen Rekos im Wege.Die Bedeutung der RUB als Universität "fürs einfache Volk" sollte nicht zu gering geschätzt werden und damit soll auch ihre bauliche Ausprägung unverfälscht geschützt werden:wärmegedämmt, bunt angemalt und mit Glausaufbauten versehen verlöre diese Architektur jeglichen Wert.
    Allerdings fordere ich ebenso Flächenschutz für die im Ruhrpott noch erhaltenen Gründerzeithäuser. Soetwas wie in Marxloh darf nie wieder passieren!

  • Ich glaube nicht, dass hier so sehr eine gewisse Denkmalwürdigkeit der Ruhr-Uni in Frage gestellt würde, sondern vielmehr hat man sich (mE zurecht) über die doch etwas sehr blumig daherkommenden Schwärmereien des Nutzers "Köln Mülheimer" amüsiert. Das Klinikum Aachen zB finde ich aber architektonisch noch deutlich interessanter und imposanter.