Denkmalschutz für Nachkriegsbauten

  • Ich habe den Eindruck, daß sich die Denkmalbehörden gegenwärtig damit zu übertrumpfen versuchen, möglichst viele und junge Gebäude für Baudenkmäler zu erklären. Prinzipiell habe ich dagegen ja nichts einzuwenden, aber es ist ein Thema, das Grund zu Kontroversen bietet. Hier im Forum hatten wir schon die Rathäuser in Offenbach und Mainz, und jetzt soll der Kaufhof in Hof (Saale) als Denkmal anerkannt werden:

    http://www.frankenpost.de/nachrichten/re….phtm?id=945371

    Was haltet Ihr davon?

    In Nürnberg hatten wir mal die Deutsche Bank, einen Stahlskelettbau aus den 50ern. Das Haus wäre bestimmt heute als Denkmal eingetragen, wenn es nicht in den 80er Jahren abgerissen und durch einen postmodernen Bau ersetzt wurde. Es war aber kaum eine Verbesserung, was heißen soll, daß der Abriß guter 50er-Jahre-Bauten auch nicht unbedingt den Weg zu befriedigerenden Lösungen frei macht, sondern heutzutage sogar Schlimmeres zu befürchten ist.

  • Quote

    Was haltet Ihr davon?

    Nicht sonderlich viel (um es höflich auszudrücken)...

    Dieser ganze sogenannte "Denkmalschutz" ist ohnehin schon lange auf dem Weg, sich völlig unmöglich und lächerlich zu machen. Mir wird es jedenfalls immer unverständlicher, mit welchem Eifer sich diese Herren mittlerweile der Erhaltung von belanglosem Nachkriegs-Schrott widmen, wären sie gleichzeitig den Abriss bzw. die Verschandelung mehrhundertjähriger Architektur abnicken. Von der dogmatischen Verbotshaltung gegenüber historisierender Architektur bzw. Rekonstruktionen ganz zu schweigen. Der ganze Denkmalschutz ist doch längst geistig von den Modernisten "unterwandert". :boese:

    Der Denkmalschutz sollte sich lieber auf wichtigeres konzentrieren, und das ist in erster Linie die Erhaltung der Architektur der vorindustriellen Epoche, in zweiter Linie der Architektur der gesamten Vor-Bauhaus-Zeit sowie der wirksame Schutz von Ensembles.

    Mal im Ernst: Wer würde beim Anblick dieser Kaufhausfassade in Hof auch nur im Traum auf den Gedanken kommen, dass so ein Ding denkmalschutzwürdig sein könnte? :gehtsnoch:

  • Quote from "Carsten"

    Nicht sonderlich viel (um es höflich auszudrücken)...

    Dieser ganze sogenannte "Denkmalschutz" ist ohnehin schon lange auf dem Weg, sich völlig unmöglich und lächerlich zu machen. Mir wird es jedenfalls immer unverständlicher, mit welchem Eifer sich diese Herren mittlerweile der Erhaltung von belanglosem Nachkriegs-Schrott widmen, wären sie gleichzeitig den Abriss bzw. die Verschandelung mehrhundertjähriger Architektur abnicken. ...
    Der Denkmalschutz sollte sich lieber auf wichtigeres konzentrieren, und das ist in erster Linie die Erhaltung der Architektur der vorindustriellen Epoche, in zweiter Linie der Architektur der gesamten Vor-Bauhaus-Zeit sowie der wirksame Schutz von Ensembles.

    ...genau meine Meinung!!! Der Denkmalschutz in Deutschland wird immer unglaubwürdiger!!!! Das weiss ich seit:
    http://www.stadtzerstoerung.de">http://www.stadtzerstoerung.de

    Der Tiefpunkt der Baukultur wurde in den 60er und 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts erreicht...

  • So einmalig ist die Fassade des Hofer Kaufhofes nicht... in Mülheim an der Ruhr ist diese typische Fassade auch noch erhalten. Wenn man sich darauf einigt, einen als Denkmal zu erhalten... wieso nicht. Aber mittlerweile wird ja jeder Mist aus der Nachkriegszeit unter Denkmalschutz gestellt.
    Andere, meiner Meinung nach schützenswertere Gebäude dafür aber nicht. So zum Beispiel der Dortmunder Hauptbahnhof, der zwar nicht sonderlich schön ist, dafür einer der letzten Bahnhöfe, die noch als solche erbaut wurden (mit Wartehallen, Bahnhofsrestaurant etc, heute nichts mehr davon zugänglich) und nicht schon als halbe Kaufhäuser. Aber jetzt ist es eh zu spät, im Herbst wird er abgerissen.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Carsten

    Quote

    Von der dogmatischen Verbotshaltung gegenüber historisierender Architektur bzw. Rekonstruktionen ganz zu schweigen. Der ganze Denkmalschutz ist doch längst geistig von den Modernisten "unterwandert". boese

    ... den Eindruck kann man wirklich gewinnen! Aber andererseits: Gäbe es den Denkmalschutz gar nicht, wäre die Situation zweifellos schlimmer! Es schlagen also zwei Herzen in meiner Brust, was den Denkmalschutz betrifft. Gerade die Haltung zu Rekonstruktionen stösst aber auf absolutes Unverständnis - sie mag vor 100 Jahren noch berechtigt gewesen sein. In unserer Gegenwart, in der 80% der Altstädte in Deutschland nur noch blass an den Vorkriegszustand erinnern und so fast 1500 Jahre Geschichte verloren sind, ist das einfach nur kulturelle Selbstzerstörung...

    Aber auch da ist zu hoffen, das eine neue Generation (wenn man sie denn endlich in Verantwortung lässt) vieles besser macht!

    baukunst
    Unglaubliches Bild! Absolute Dutzendware das Kaufhaus. Man hat das Gefühl, da versucht sich eine Behörde ins Licht der Öffentlichkeit zu schummeln, die irgendwie ein Identitätsproblem hat.

  • Ich hab nochmal über die Kaufhof-Sache nachgedacht... im Prinzip ist die Fassade wirklich nicht besonders schön, allerdings stimmt es schon, dass es in den 50er-Jahren die Standartfassade war, die mit der Zeit fast überall verändert wurden. Insofern denke ich schon, dass das Kaufhaus - sofern es sich wirklich im baulichen Ursprungszustand befindet (incl Rolltreppen etc.) denkmalwürdig ist. Allerdings sollte dann wirklich das gesamte Gebäude, nicht nur die Fassade, unter Denkmalschutz gestellt werden. Lösungen wie diese hier finde ich unkonsequent:

    Quote

    Gudrun Bruns, FAB, betonte: „Architektur spiegelt Zeitgeist wider. Ich bin der Meinung, wir sollten die Fassade erhalten und die Rolltreppen einem technischen Museum schenken!“


    Wenn wir schon ein Gebäude erhalten, dass den meisten Menschen nicht wirklich gefällt, sollte man es dann durchaus als Gesamtensemble erhalten, nicht nur die Fassade während das Innere keine bauliche Besonderheit mehr darstellt.

    Denkmalpflege ist halt nicht nur die Bewahrung des Schönen sondern auch des Besondren. Säh jeder Kaufhof heute noch so aus wäre ich strikt gegen den Denkmalstatus aber wenn es einmalig ist... wieso nicht? Ob bei einem Um- oder Neubau ein schöneres Gebäude dorthin gebaut wird ist doch auch nicht soo sonderlich wahrscheinlich. Und schöner als ein Betonbunker wie am Münchener Marienplatz ist das Gebäude auch.

    Meine Argumentation mit der Einmaligkeit gilt in meinen Augen aber nur für Gebäude, die von den meisten Menschen nicht als schön oder erhaltenswert befunden werden. Gründerzeitkaufhäuser z.B. sind beliebter, werden von der Bevölkerung eher akzeptiert und sollten daher vom Denkmalamt auch geschützt werden, wenn es noch mehrere ihrer Art gibt.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • In Kulmbach glaubt die Politik die Aufnahme des "Hansa-Viertel" von 1962, eines Nachkriegs-Wohnviertels in die Denkmalliste verhindern zu können:

    http://www.frankenpost.de/nachrichten/re….phtm?id=949364

    Ich habe nachgesehen, es ist schon in der Denkmalliste!:

    http://www.blfd.bayern.de/blfd/monument.…b22d6882ffced49

  • Ich vermute, aber weiß nicht, ob es unter Denkmalschutz steht - aber bei diesem Gebäude würde ich es eigentlich befürworten:
    Die Oberfinanzdirektion Frankfurt (1953-55).

    Bildquellen: http://www.aufbau-ffm.de">http://www.aufbau-ffm.de und http://www.frankfurt-nordend.de">http://www.frankfurt-nordend.de

    Der Hauptbau hat zwar - zugegeben - die Masse eines DDR-Plattenbaus, aber die Fassade ist (auf den Fotos schwer zu erkennen) interessant gemustert, und der Vorbau mit den Stelzen entbehrt meiner Meinung nicht einer gewissen Eleganz. Besonders letzterer hat eine für diese Epoche typische Formensprache und ist kein hingerotzter Einheitszweckbau (wie so vieles andere in Ffm).

    Außerdem steht das Gebäude relativ frei ohne historische Nachbarbebauung auf dem früheren Gelände einer Kleingartenkolonie, besetzt also auch kein bauhistorisch bedeutsames Grundstück, wo es irgendetwas zu rekonstruieren gäbe. Daher: Wenn schon 50er Jahre in Ffm erhalten, dann eher hier. 8)

  • Die Oberfinanzdirektion steht bereits unter Denkmalschutz, mit Recht, wie ich ebenfalls meine. So knallig wie auf dem Farbfoto sind die Farben der Fassade in der Realität übrigens nicht.

    Auch das Mainzer Rathaus verdient aus meiner Sicht eindeutig den Denkmalschutz, trotz - oder doch wegen? - seiner trotzigen Wuchtigkeit ein bemerkenswertes Gebäude des Dänen Arne Jacobsen. Wegen seiner Lage am Rheinufer, gegenüber der Rheingoldhalle, stört auch dieses Gebäude keine historischen Ansichten (zumal an dieser Ecke ohnehin nicht viel vorhanden ist, ganz anders als im südlichen Teil der Alt- bzw. Innenstadt).

  • Die Oberfinanzdirektion Frankfurt gibt es in dem Gebäude seit Jahren nicht mehr. Frankfurt gehört jetzt zur OFD Koblenz. Die ehemalige OFD ist ziemlich zur gleichen Zeit entstanden wie die Bundesbank, die ebenfalls unter Denkmalschutz steht.

    Für mich sind beide Gebäude, insbesondere die Bundesbank, wahre Horrorgebäude...

  • Also die OFD hat durchaus ein gewisses Etwas... die Frage ist jedoch, wie sie heute aussieht (das Farbfoto ist vmtl auch schon etwas älter).
    Solche Gebäude wirken m.E. nur freistehend und nicht von Bäumen umwachsen. Außerdem nur, wenn sie kein bisschen modernistisch verunstaltet wurden. Gerade bei der Nachkriegsarchitektur ist das Groß der Originalität Hauptgrund für den Denkmalwert. So ist das Bochumer Schauspielhaus, ein angenehmer Bau der 50er ebenfalls durchaus denkmalwürdig (und steht auch unter Denkmalschutz).


    Quelle: http://www.andreas-praefcke.de/carthalia">http://www.andreas-praefcke.de/carthalia

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Quote from "spacecowboy"

    Die ehemalige OFD ist ziemlich zur gleichen Zeit entstanden wie die Bundesbank, die ebenfalls unter Denkmalschutz steht.

    Was meinst du denn mit Bundesbank? Wenn du das Bundesbank-Gebäude von Günter Behnisch an der Frankfurter Miquelallee meinst, also den aktuellen Sitz der Bundesbank: Zwischen diesem Gebäude und der Oberfinanzdirektion liegen fast 40 Jahre.

  • Das meinte ich mit Gebäude an der Miquelallee. Aber gut, dann sind es eben 20 Jahre (und Behnisch hat später noch etwas dazu gebaut.)

  • Tja, die Bundesbank ist nicht gerade eine Schönheit, aber auch sie steht ziemlich alleine an einer ansonsten baulich belanglosen Straße in der Nähe eines Autobahnkreuzes, nebenan den Fernsehturm, und da stört sie überhaupt nicht und kann deshalb von mir aus auch gerne dort stehenbleiben.

    Ganz anders sieht es beim ehemaligen Bundesrechnungshof aus:

    Der steht ebenfalls unter der Denkmalschutz und stört meiner Meinung nach enorm, da er in unmittelbarer Nachbarschaft zu Rathaus und Paulskirche steht. Und ausgerechnet der Teil an der Bethmannstraße, der von Dach und Fassade her sich m.E. etwas besser einfügt, immerhin ein Fünkchen "altstädtisches" hat, steht nicht unter Denkmalschutz und soll abgerissen werden. Aber eine Nutzung für das leerstehende Gebäude ist wohl bislang nicht in Sicht, seit die Hotel-Pläne geplatzt sind, soweit ich weiß (?).

    @ Booni

    Doch, die OFD sieht immer noch so aus (soweit man das im Vorbeifahren beurteilen kann)..

  • Als angehender Archäologe und Denkmalpfleger will ich auch mal meinen Senf zu dem Thema abgeben:

    Es stimmt, dass sich die Denkmalpflege vor allem auf schützenswerte Bauten aus der Zeit bis zu Historismus, Jugendstil und Bauhaus konzentrieren sollte, die noch immer viel zu oft verunstaltet oder gleich ganz abgerissen werden. Nachkriegsbauten sollten nur in besonderen Fällen (unverändert erhaltene, für die Epoche prägende oder einmalige Bauten) unter Schutz gestellt werden, denn immerhin gehen dafür auch öffentliche Gelder drauf (auch wenn die Fördermittel für die Sanierung von Baudenkmälern inzwischen ein Witz sind).

    Was die Rekonstruktion historischer Bauten angeht, muss man das von Fall zu Fall entscheiden. Auf jeden Fall sollte dies nur geschehen, wenn der Originalbauplatz frei ist bzw. keine denkmalwürdige Substanz enthält, denn theoretisch kann man an neuen Standorten beliebig viele Kopien eines Bauwerks errichten, am Originalstandort aber nur eine einzige. Zudem war der Ursprungsbau durch seine Größe (Parzellenbreite) und sein Aussehen (Stil, Fassadenschmuck der Nachbarbebauung, zum Beispiel Kopie von Rathausfassaden o.ä.) mit dem Originalstandort eng verbunden. So etwas wie die nachgebaute Fassade des Leibnizhauses in Hannover an einem anderen Standort finde ich zum Beispiel ziemlich daneben - zumal sie an ihrem jetzigen Standort in der ebenso großen Nachbarbebauung nicht sonderlich dominierend wirkt.

    Was die Rückführung eines Bauwerks in einen älteren Zustand angeht, muss man das auch wieder differenziert betrachten. Nehmen wir zum Beispiel St. Michael in Hildesheim. Die Kirche wurde im Krieg extrem stark beschädigt und sollte beim Wiederaufbau in den Ursprungszustand des 11. Jh. zurückversetzt werden. Das Problem war, dass man diesen nicht kannte. Man verwendete eine Zeichnung des 17. Jh. als Vorlage, die allerdings einen idealisierten Zustand der ursprünglichen Erscheinung darstellte. Das heißt, die wieder aufgebaute Kirche ist mehr oder weniger ein Phantasieprodukt, und noch dazu recht uneinheitlich, da die gotischen Fenster des 15. und die Holzdecke des 13. Jahrhunderts erhalten blieben, obwohl man die Kirche des 11. Jahrhunderts zeigen wollte.

    Von daher sollte man ein Gebäude, egal ob Kirche oder Bürgerhaus, nur dann rekonstruieren oder ergänzen, wenn man den Zustand, in den man das Gebäude zurückführen will, möglichst genau kennt - und wenn die Umgestaltungen das Gebäude mehr schädigen als bereichern. So wird heute wohl keiner mehr bezweifeln, dass die barocke oder selbst die historistische Umgestaltung eines Bauwerks erhaltungswürdig ist, zumal sie einen wichtigen Aspekt der Geschichte des Gebäudes darstellt.

    Das Problem beim Wiederaufbau zerstörter Gebäude nach dem Krieg ist, dass viele der Bauten, wenn sie nicht originalgetreu rekonstruiert wurden, in zeitgenössischen Formen wiederhergestellt wurden (Pellerhaus in Nürnberg, Salzhaus in Frankfurt etc.). Und da ist nun die Frage, inwieweit diese Zustände erhaltenswert sind. Es war ja eigentlich schon immer so, dass zerstörte Gebäude im Stil der Zeit wiederaufgebaut wurden (der Historismus mag da eine Ausnahme sein, mit den ganzen Domvollendungen etc.). Die Dresdner Kreuzkirche beispielsweise wurde im 18. Jahrhundert nach einem Brand im Barockstil wieder aufgebaut, nach einem erneuten Brand um 1900 in Jugendstilformen (obwohl man den barocken Zustand hätte rekonstruieren können) und nach dem Krieg im Stil der 50er Jahre, obwohl die Veränderungen des Jugendstils (Stuck etc.) nicht so stark zerstört waren, wie es jetzt den Anschein hat.

    Die Debatte, Gebäude wieder in einen alten Zustand zurückzuführen oder zu rekonstruieren, ist erst in den letzten 20, 30 Jahren richtig entflammt, und seitdem wurden viele Gebäude rekonstruiert oder veränderte Wiederaufbauten (z.B. Frauenkirche in München) in eine Totalrekonstruktion umgewandelt. Die Frage ist, ob man nach 50 Jahren überhaupt schon sagen kann, ob ein veränderter Wiederaufbau nicht doch genügend Qualitäten besitzt, um ihn mit all seinen Veränderungen, die ja auch Spuren seiner Geschichte sind, zu erhalten.

    Interessanterweise ist es ja so, dass die nachfolgende Generation immer den Stil der vorherigen Zeit verschmäht. Im frühen 19. Jahrhundert konnte man nichts mit dem Barock anfangen, im späten 19. Jahrhundert mochte man den geradlinigen und strengen Klassizismus nicht. Schon in den 1920ern war der Historismus verpönt, was sich bis in die 70er Jahre hinein hielt, und heute finden die meisten den Stil der 50er und 60er potthässlich. Von daher finde ich es ganz gut, wenn über manche bedeutende Fünfziger-Jahre-Bauten (oder Fünfziger-Jahre-Wiederaufbauten) die Denkmalpfleger ihre schützende Hand legen, bevor sie alle umgestaltet oder abgerissen werden. Nur wie gesagt, man muss da Prioritäten setzen (ältere Bauten haben Vorrang vor Nachkriegsbauten, schützenswert sind auch nur besonders auffällige, ursprünglich erhaltene Bauten der 50er und 60er).

    Natürlich ist das alles Geschmacks- und Auslegungssache, und ich glaube, das ist auch ein großes Problem innerhalb der Denkmalpfleger, dass es da von Person zu Person ziemlich divergierende Ansichten gibt, was sich natürlich in den praktischen denkmalpflegerischen Maßnahmen jedes Bundeslandes oder gar jedes Ortes unterschiedlich zeigt.

  • Quote

    und nach dem Krieg im Stil der 50er Jahre, obwohl die Veränderungen des Jugendstils (Stuck etc.) nicht so stark zerstört waren, wie es jetzt den Anschein hat.


    Das ist nicht ganz richtig. Richtig ist, dass die Kirche in den 50ern wieder nutzbar gemacht wurde, somit die Möblierung dem Stile der 50er entspricht. Veränderungen am Bauwerk wurden im Großen und Ganzen nicht durchgeführt, sondern der beschädigte Stuck belassen und ansonsten mit Spritzzement "verputzt" wurde. Zugegebermaßen hat das auch eine imposante vernarbte Wirkung. Die Dresdner wünschen aber, soweit ich weiß, keine Veränderung dieses Zustandes in absehbarer Zeit.

  • Quote from "Maxileen"

    Als angehender Archäologe und Denkmalpfleger will ich auch mal meinen Senf zu dem Thema abgeben

    Vielen Dank - es ist gut, daß hier jemand die an der Universität gelehrten, derzeit herrschenden wissenschaftlichen Meinungen, die auch die Verwaltungspraxis leiten, darlegt und erörtert. Dazu könnte im Forum aus meiner Sicht gerne tiefergehend diskutiert werden, da es sich doch um einen äußerst praxisrelevanten Aspekt von Rekonstruktionen und Stadtbildpflege handelt. Ich halte es generell für richtig, über ein so wichtiges Thema wie Rekonstruktionen auch kritisch zu sprechen, selbst wenn ich dazu im Ergebnis eine befürwortende Meinung habe.

    Quote

    Es stimmt, dass sich die Denkmalpflege vor allem auf schützenswerte Bauten aus der Zeit bis zu Historismus, Jugendstil und Bauhaus konzentrieren sollte, die noch immer viel zu oft verunstaltet oder gleich ganz abgerissen werden.

    Dem stimme ich zu; angesichts der Masse an Arbeit und dem wenigen Personal ist die praktische Denkmalpflege natürlich genötigt, Schwerpunkte zu setzen.
    Die häufig weniger schützende Behandlung der Historismusbauten liegt wohl daran, daß Bauten aus dieser Epoche noch vergleichsweise häufig sind und daher deren Wert nicht abstrakt beurteilt wird. Dies ist für mich aber notwendig, da schon aufgrund der Immobilieneigenschaft es keine zwei gleichen Denkmäler geben kann. So werden Gründerzeit-Mietshäuser, besonders wenn sie nicht mehr hundertprozentig original erhalten sind oder nicht so aufwendig gestaltet sind (für mich kein Kriterium) als Massenware gesehen, so daß Eingriffe von der Bevölkerung leichter geduldet, vom Eigentümer eher in Kauf genommen, von der unter Druck stehenden Denkmalpflege gebilligt werden und damit insgesamt leichter möglich sind. Aus Sicht der Denkmaleigentümer steht natürlich immer die Nutzungsmöglichkeit im Vordergrund, und wer ein solches Denkmal in einer Innenstadt besitzt, der sieht sich einem wirklich erheblichen Instandhaltungs- und Investitionsdruck ausgesetzt. Auf Unverständnis stößt es dann leicht, wenn einerseits sämtliche Fördermittel gestrichen sind, andererseits der Dachausbau nicht genehmigt wird, der die finanzielle Entlastung durch Mehrung der Mieteinnahmen bringen könnte. Schließlich sind die Banken auch ziemlich genau, wenn sie Geld leihen sollen.

    Quote

    Nachkriegsbauten sollten nur in besonderen Fällen (unverändert erhaltene, für die Epoche prägende oder einmalige Bauten) unter Schutz gestellt werden, denn immerhin gehen dafür auch öffentliche Gelder drauf (auch wenn die Fördermittel für die Sanierung von Baudenkmälern inzwischen ein Witz sind).

    Ich meine, daß für alle Denkmäler gleiche Kriterien gelten sollten; wenn zwei Bauwerke die Kriterien erfüllen, dann kann eines nicht nur aus dem Grund ungeschützt sein, weil es aus einer anderen Epoche stammt. Für eine unterschiedliche Bewertung der "Wichtigkeit" der Epochen gibt es keine objektive Rechtfertigung. Darüber hinaus ist jedenfalls in den Ländern mit rein deklaratorischer Denkmalliste es keine Entscheidung der Verwaltung, was geschützt ist, sondern bestimmt sich nach dem Gesetz. D. h. der betroffene Eigentümer kann gerichtlich feststellen lassen, daß ein Haus ein Denkmal ist oder - wie häufig - keines.

    Quote

    Was die Rekonstruktion historischer Bauten angeht, muss man das von Fall zu Fall entscheiden.

    Das klingt nach einem akademischen Ansatz :zwinkern:

    Ich frage mich aber immer wieder, warum sich die Denkmalpflege eigentlich so gerne mit den "großen" Rekonstruktionen, d. h. Neubaumaßnahmen, auseinandersetzt, obwohl dies außerhalb ihres selbst definierten Zuständigkeitsbereiches - alte Originalsubstanz - liegt? Die Frage nach diesen Rekonstruktionen hat nach meinem Verständnis außerhalb der Denkmalpflege entschieden werden, die Denkmalpflege sollte jedoch die Ausführung mit ihrem Fachwissen unterstützen.
    Natürlich werden Rekonstruktionsprojekte gelegentlich innerhalb eines geschützten Ensembles/Denkmalbereichs wie einer Altstadt oder in der unmittelbaren Nachbarschaft von Einzeldenkmälern liegen, oder es ist noch Denkmalsubstanz auf dem Grundstück. Dann sind denkmalpflegerische Belange unbestritten betroffen.

    Quote

    Auf jeden Fall sollte dies nur geschehen, wenn der Originalbauplatz frei ist bzw. keine denkmalwürdige Substanz enthält, denn theoretisch kann man an neuen Standorten beliebig viele Kopien eines Bauwerks errichten, am Originalstandort aber nur eine einzige.

    Grundsätzlich finde ich auch nur die Rekonstruktion am Originalstandort gut, wobei ich aber Zentimeterfeilschen für überzogen halte. Dazu kommt man aber, wenn man an Rekonstruktionen museal-wissenschaftliche Ansprüche stellt. Nach diesen können Rekonstruktionen natürlich überhaupt nicht gerechtfertigt sein, weil dazu ein hundertprozentiges Abbild geschaffen werden müßte, was selbst ohne Berücksichtigung der Altersfrage des Materials nicht möglich ist.

    Aber Rekonstruktionen haben auch nicht primär die Funktion, die von Denkmalwissenschaftlern verlangt wird, und müssen dies auch nicht. Denn ein Gebäude ist zunächst ein Gebäude und häufig ein Stück Stadt, aber nicht primär museales Exponat, das nur den Zweck hat, optimal wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen. Letzteres soll natürlich bestmöglich gesichert werden, daher meine ich dies natürlich unbeschadet des wichtigen Denkmalschutzes. Aber Denkmalpflege um sich selbst willen kann es nicht geben.

    Erklärungsbedürftig finde ich den zwingenden Zusammenhang zwischen Rekonstruktionsverbot auf Denkmalsubstanz und der Frage nach der Kopierbarkeit. Vielleicht könntest du das noch etwas plastischer darstellen? Ich vermute, daß gemeint ist, daß die Rekonstruktion den vielbeschworenen "authentischen", d. h. den ohne Rekonstruktion bestehenden Zustand verwischen könnte, was das Restdenkmal beeinträchtigen könnte.

    Quote

    Zudem war der Ursprungsbau durch seine Größe (Parzellenbreite) und sein Aussehen (Stil, Fassadenschmuck der Nachbarbebauung, zum Beispiel Kopie von Rathausfassaden o.ä.) mit dem Originalstandort eng verbunden. So etwas wie die nachgebaute Fassade des Leibnizhauses in Hannover an einem anderen Standort finde ich zum Beispiel ziemlich daneben - zumal sie an ihrem jetzigen Standort in der ebenso großen Nachbarbebauung nicht sonderlich dominierend wirkt.

    Auch wenn ich das nachvollziehen kann und grundsätzlich genauso denke, sollte man hier tolerant sein. Was ist denn wirklich so schlimm an der Kopie der Leibnizhausfassade? Daß man hier ein Stück lokaler historischer Baugeschichte zitiert? Ich finde, da gibt es wesentlich schlimmeres Gebautes. Solange man nicht die Türme der Nürnberger Burg vertauscht ... :zwinkern:

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    Was die Rückführung eines Bauwerks in einen älteren Zustand angeht, muss man das auch wieder differenziert betrachten. Nehmen wir zum Beispiel St. Michael in Hildesheim. Die Kirche wurde im Krieg extrem stark beschädigt und sollte beim Wiederaufbau in den Ursprungszustand des 11. Jh. zurückversetzt werden. Das Problem war, dass man diesen nicht kannte. Man verwendete eine Zeichnung des 17. Jh. als Vorlage, die allerdings einen idealisierten Zustand der ursprünglichen Erscheinung darstellte. Das heißt, die wieder aufgebaute Kirche ist mehr oder weniger ein Phantasieprodukt, und noch dazu recht uneinheitlich, da die gotischen Fenster des 15. und die Holzdecke des 13. Jahrhunderts erhalten blieben, obwohl man die Kirche des 11. Jahrhunderts zeigen wollte.

    Es ist natürlich nicht möglich, eine "purifizierende" Restaurierung im Sinne eines bestimmten Eindrucks in wissenschaftlich befriedigender Weise durchzuführen. Bei einem architekturgeschichtlich so überragenden Denkmal wie der Michaelskirche ist es natürlich besonders augenfällig, wenn Widersprüche auftreten. Aber die ausgebombte Ruine der Kirche hatte auch so wenig Substanz übrig gelassen, daß doch ein gewisser Freiraum beim Wiederaufbau bestand.
    Phantasieprodukt: nicht ganz, denn es gab ja Prämissen und Vorlagen. Bei der Michaelskirche war es ja auch keine purifizierende Restaurierung, sondern ein Wiederaufbau.

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    Von daher sollte man ein Gebäude, egal ob Kirche oder Bürgerhaus, nur dann rekonstruieren oder ergänzen, wenn man den Zustand, in den man das Gebäude zurückführen will, möglichst genau kennt - und wenn die Umgestaltungen das Gebäude mehr schädigen als bereichern.

    Wenn man einen bestimmten Zustand will, dann stimmt das vielleicht. Aber muß man einen bestimmten Zustand definieren? Man macht es sich doch heute sogar noch leichter, indem man sich nicht mehr auf einen Zustand beziehen darf, sondern nur das Vorhandene. Der Zustand heißt einfach Gegenwart, authentischer geht es halt nicht. Die Wissenschaft kann so weiterhin an der unberührten Substanz forschen.

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    So wird heute wohl keiner mehr bezweifeln, dass die barocke oder selbst die historistische Umgestaltung eines Bauwerks erhaltungswürdig ist, zumal sie einen wichtigen Aspekt der Geschichte des Gebäudes darstellt.

    Hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Hätten man in früherer Zeit nach den heute geltenden Maximen der Denkmalpflege gehandelt, wären diese Maßnahmen überhaupt nicht stattgefunden. Kann man dann etwas schützen und gut finden, was heute verboten wird?

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    Das Problem beim Wiederaufbau zerstörter Gebäude nach dem Krieg ist, dass viele der Bauten, wenn sie nicht originalgetreu rekonstruiert wurden, in zeitgenössischen Formen wiederhergestellt wurden (Pellerhaus in Nürnberg,

    Von einer "Wiederherstellung" kann hier wohl keine Rede sein. :weinen:

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    Salzhaus in Frankfurt etc.). Und da ist nun die Frage, inwieweit diese Zustände erhaltenswert sind. Es war ja eigentlich schon immer so, dass zerstörte Gebäude im Stil der Zeit wiederaufgebaut wurden (der Historismus mag da eine Ausnahme sein, mit den ganzen Domvollendungen etc.). Die Dresdner Kreuzkirche beispielsweise wurde im 18. Jahrhundert nach einem Brand im Barockstil wieder aufgebaut, nach einem erneuten Brand um 1900 in Jugendstilformen (obwohl man den barocken Zustand hätte rekonstruieren können) und nach dem Krieg im Stil der 50er Jahre, obwohl die Veränderungen des Jugendstils (Stuck etc.) nicht so stark zerstört waren, wie es jetzt den Anschein hat.

    Die Denkmalpflege anerkennt selbst, daß es gerade keines ihrer Ziele ist, einen bestimmten Zustand "einzufrieren" und zur baulichen Erstarrung zu führen. Denkmäler müssen leben. Dazu gehört auch, daß sie verändert und den jeweiligen Nutzungen angepaßt werden.

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    Die Debatte, Gebäude wieder in einen alten Zustand zurückzuführen oder zu rekonstruieren, ist erst in den letzten 20, 30 Jahren richtig entflammt, und seitdem wurden viele Gebäude rekonstruiert oder veränderte Wiederaufbauten (z.B. Frauenkirche in München) in eine Totalrekonstruktion umgewandelt. Die Frage ist, ob man nach 50 Jahren überhaupt schon sagen kann, ob ein veränderter Wiederaufbau nicht doch genügend Qualitäten besitzt, um ihn mit all seinen Veränderungen, die ja auch Spuren seiner Geschichte sind, zu erhalten.

    Die Nachkriegszeit gilt denkmalrechtlich als "vergangene Zeit". Aus dieser Zeit stammen also Denkmäler. Alles übrige unterliegt keinen Beschränkungen. Das ist ja auch richtig so. Aber wer soll schon mit Ewigkeitsgarantie überhaupt beurteilen können, was erhaltenwert ist? Das wäre wohl etwas anmaßend, schließlich ist keiner Gott.

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    Interessanterweise ist es ja so, dass die nachfolgende Generation immer den Stil der vorherigen Zeit verschmäht. Im frühen 19. Jahrhundert konnte man nichts mit dem Barock anfangen, im späten 19. Jahrhundert mochte man den geradlinigen und strengen Klassizismus nicht. Schon in den 1920ern war der Historismus verpönt, was sich bis in die 70er Jahre hinein hielt, und heute finden die meisten den Stil der 50er und 60er potthässlich. Von daher finde ich es ganz gut, wenn über manche bedeutende Fünfziger-Jahre-Bauten (oder Fünfziger-Jahre-Wiederaufbauten) die Denkmalpfleger ihre schützende Hand legen, bevor sie alle umgestaltet oder abgerissen werden. Nur wie gesagt, man muss da Prioritäten setzen (ältere Bauten haben Vorrang vor Nachkriegsbauten, schützenswert sind auch nur besonders auffällige, ursprünglich erhaltene Bauten der 50er und 60er).

    Man muß tatsächlich auch die Bauten der Nachkriegszeit vor noch Schlimmeren schützen. Insofern sehe ich hier kein Problem. Jedoch empfinde ich es persönlich als unzutreffend, den Wiederaufbau der Städte nach dem Krieg einfach als für abgeschlossen zu erklären. Da gibt es Reibungspunkte mit der denkmalrechtlichen Epocheneinteilung.

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    Natürlich ist das alles Geschmacks- und Auslegungssache, und ich glaube, das ist auch ein großes Problem innerhalb der Denkmalpfleger, dass es da von Person zu Person ziemlich divergierende Ansichten gibt, was sich natürlich in den praktischen denkmalpflegerischen Maßnahmen jedes Bundeslandes oder gar jedes Ortes unterschiedlich zeigt.

    Bei der Meinungsvielfalt ist es um so problematischer, Rekonstruktionen dogmatisch als unzulässig zu erklären (und etwa den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche als Bankrotterklärung für die sächsische Denkmalpflege, wie leider ein hiesiger Denkmalpfleger geäußert hat).

    Meine Meinung ist, daß in dem Fall, daß keine wertvolle Originalsubstanz leidet und keine grobe Verunstaltung betroffener Denkmäler droht, Rekonstruktionen überhaupt kein Problem darstellen dürfen, nicht zuletzt im Hinblick auf die vergessene verfassungsrechtliche Baufreiheit und auf eine Belebung der Stadtbildpflege. Keiner will auf dem Forum Romanum oder der Akropolis leben, aber die Altstadt von Danzig ist, auch wenn die Rekonstruktion alles andere als wissenschaftlich akzeptabel ist, sehr beliebt und die Menschen sind damit zufrieden. Angesichts der geringen Zahl an Rekonstruktionen und deren Volumen gemessen an übrigen Bauvorhaben dürfte auch die Angst vor der Banalisierung der Architektur in Deutschland durch Kopiererei von Altem maßlos übertrieben sein. Auch im Vergleich zur Anzahl an "echten" Baudenkmälern kann man die heutigen und künftigen Rekonstruktionen an einer Hand abzählen.

    Schließlich gebe ich zu Bedenken, daß, wie die Vergangenheit zeigt, allen herrschenden wissenschaftlichen Theorien die unmittelbare Gefahr innewohnt, alsbald überholt zu sein. Wie will man da rechtfertigen, daß sich die gebaute Welt zuvorderst nach einer Doktrin orientieren soll?

  • Es hat sich hier ja eine sehr interessante, lesenswerte Diskussion entspannt. Zwei Aspekte verdienen, finde ich, noch etwas mehr Aufmerksamkeit:

    1) Der kulturelle Verlust, den deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg erlitten haben, ist in seiner Größe unvorstellbar. Ohne konkrete Zahlen zu haben und ohne das Leiden anderer Länder und Völker vor allem im Zweiten Weltkrieg herunterspielen zu wollen, möchte ich hier dennoch die Vermutung aufstellen, daß es sich um den größten Verlust an baukultureller Substanz der gesamten Geschichte handelt. Auch wenn man es heute kaum für möglich hält, waren die deutschen Städte beispielsweise den französischen ebenbürtig, und einige waren durchaus vergleichbar mit italienischen Städten. Diese internationale Ausstrahlung haben alle großen deutschen Städte eingebüßt. Die historische Entwicklung der Städte ist nicht mehr ablesbar. Wir stehen vor der historisch einmaligen Situation, daß wir in einer Umgebung leben, die in größeren Städten weitgehend von einer einzigen Stilepoche, eben der Moderne, geprägt ist.

    2) Zwischen historischer und moderner Architektur gibt es einen Bruch, der in der Geschichte ebenfalls ohne Beispiel ist. Die Ästhetik der Moderne widerspricht völlig einer über viele Jahrhunderte währenden Tradition der Baukunst, so daß Bauwerke beispielsweise des 13. und des 19. Jahrhunderts in ästhetischer Hinsicht mehr gemeinsam haben als Bauwerke des frühen und des späten 20. Jahrhunderts. Ein besonderes Merkmal der Moderne ist die Unfähigkeit, Stadtzentren zu gestalten. Deswegen möchten sich die Architekten der Moderne häufig auch mit Solitären an den wenigen verbliebenen historischen Stadträumen ins Bild setzen, um so die Ensemblewirkung der traditionellen Bebauung, zu der sie selbst nicht befähigt sind, auszunutzen.
    Wenn die Moderne auch nur halbwegs befriedigende Antworten auf die Zerstörung unserer Städte gegeben hätte - wie es z. B. das Barock nach den Verheerungen des 17. Jahrhunderts (Dreißigjähriger Krieg, Ludwig XIV.) getan hat (z.B. Wiederaufbau Heidelbergs) - dann hätten wir heute nicht die Diskussion, die wir jetzt führen. Meine These ist, daß die Moderne sich grundsätzlich von den vorangegangenen Epochen unterscheidet, eine Reihung wie diese: Romanik - Gotik - Renaissance - Barock - Klassizismus - Historismus - Jugendstil - Moderne ist meiner Meinung nach abwegig, die Reihung müßte heißen: Traditionelle Architektur (Romanik - Gotik - Renaissance - Barock - Klassizismus - Historismus - Jugendstil) - Moderne.

    Der historisch einmalige Verlust allein würde schon eine Rekonstruktion von Teilen unserer Städte rechtfertigen. Zusammen mit dem zweiten Punkt - der Unfähigkeit der Moderne - verschiebt sich das Gewicht noch weiter in Richtung Rekonstruktion. Die berühmten Denkmalschützer, auf welche die Vorstellung zurückgeht, Rekonstruktionen seien nicht wünschenswert oder nicht erlaubt, haben im übrigen in der Regel nicht den ungeheuren Verlust des Zweiten Weltkrieges erlebt (z. B. Georg Dehio, 1850 - 1932).

    Einen Denkmalschutz für Nachkriegsbauten in den Innenstädten halte ich persönlich für absurd. Die Ideologie der Moderne ist doch die der aufgelockerten Stadt, die ohne Zentrum auskommt. Dann soll doch die Moderne bitte auch außerhalb der Innenstädte geschützt werden, und nicht in den Innenstädten, die von ihr so verachtet wurden.