Denkmalschutz für Nachkriegsbauten

  • Ich kenne das Dreischeibenhaus und den Glaspalast bisher nur von Bildern, kann aber Booni und erbse hier zustimmen. Ich finde, das beide Häuser die typische Ästhetik der Zeit transportieren und in ihrer äußerst reduzierten Formensprache und den Rasterfassaden durchaus auch ästhetisch wirken. Zudem verkörpern sie vielleicht auch ein Stück weit den Wirtschaftswunderoptimismus der Zeit. Dass sie nicht unbedingt als "schön" empfunden werden, kann ich nachvollziehen. Aber sehr beispielhaft und damit erhaltenswert sind sie auf jeden Fall.

  • Abgesehen von Fragen persönlichen Gefallens/Nichtgefallens ist zum Dreischeiben- bzw. Thyssenhochhaus in Düsseldorf anzumerken, dass mit diesem die in den USA verwandelte Architektur der moderne Architektur nach (West-)Deutschland quasi reimportiert wurde. Die in den 20er und 30er Jahren häufig mit dem Ruch des "Jüdischen", "Kommunistischen" oder sonstwie "Volksfremden" (Weißenhofsiedlung = Araberstadt) in Verbindung gebrachte Gestaltungsweise reüssierte plötzlich als "Repräsentationsarchitektur" der neualten Wirtschaftselite, und dies aus der Hand von Architekten (Hentrich & Petschnigg), die zuvor noch ganz jener "Erdenschwere" verbunden waren, mit der sie im sog. Dritten Reich für die Hitlerjugend geplant hatten, und in einer Stadt, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter Friedrich Tamms zum Sammelbecken von Architekten und Künstlern aus Speers Generalbauinspektion geworden war (allen voran Schulte-Frohlinde, aber auch Gutschow und natürlich Breker). Das Manifest einer kleinen Zeitenwende, sozusagen, oder, wie Du, Hildesheimer, es formulierst, des seinerzeitigen Wirtschaftswunderoptimismus.

    2 Mal editiert, zuletzt von aldilette (8. Januar 2016 um 10:00)

  • Sicher stehen einige dieser Nachkriegsbauten zu Recht auf der Denkmalliste, weil sie typische Beispiele ihrer Entstehungszeit sind. Leider aber ist die Attraktivität nicht automatisch ein Merkmal von Denkmälern. Ich persönlich kann diesen langweiligen Hochhaus-Rasterklötzen absolut gar nichts abgewinnen. Sie erinnern mich auch viel zu sehr an das piefige Nachkriegsdeutschland, das mir auch sehr unsympathisch ist. Wiederaufbau um jeden Preis, möglichst schnell, billig und ohne jeden Anspruch an Ästhetik.

    Das Dreischeiben-Haus in D-Dorf stört mich nicht weiter, weil es recht außerhalb der interessanten Stadtzonen steht. Aber das Umfeld wird in den nächsten Jahren noch deutlich verändert und aufgewertet.

  • Was haltet Ihr vom Neuen Rathaus in Göttingen? Weiß jemand, ob es denkmalgeschützt ist? Würdet Ihr es als erhaltenswert einstufen?

  • Zitat

    Sog. Iduna-Hochhaus am Servatiiplatz in Münster. Baujahr 1960/61, unter Denkmalschutz seit 1994. Münster ist stolz auf sein rundum saniertes Hochhaus-Denkmal Vorhang-Fassade - Wow! Ich halte immer Maulaffen feil, wenn ich dort lang gehe.

    Massiv störend ist jedenfalls der Antennenverhau auf dem Dach. Wenn solch ein Gebäude schon unter Denkmalschutz gestellt wir, müsste wenigstens auf ein einigermaßen ursprüngliches Erscheinungsbild geachtet werden.

  • Wenn ein Antennenverhau auf Hochhäusern dazu beiträgt, dass auf den uns wertvollen Gebäuden weniger Antennen stehen, soll's uns recht sein!

  • Mobil telefonieren und surfen wollen immer mehr Menschen, aber die Infrastruktur dazu will keiner sehen oder haben. Ist auch ein bisschen paradox. Über die Fernsehantennen auf jedem Dach in früheren Zeiten hat sich kein Mensch aufgeregt.

    Am besten sind dann die Leute, die sich um die Strahlung sorgen, an einer Straße mit Straßenbahnoberleitung wohnen und vom Handy anrufen, um sich über Handyantennen gegenüber aufzuregen...

  • Mobil telefonieren und surfen wollen immer mehr Menschen, aber die Infrastruktur dazu will keiner sehen oder haben.

    Wenn die auf solchen Kisten oder sonstwelche Gesichtslosen Neubauten sind, ist ja alles in Ordnung. Aber so ein klobiger Mast auf einen filigranen Gründerzeitler oder gar Jugendstiler sieht einfach nur gemein aus. Nur geht das etwas am Thema vorbei.

    Was mich ja außerordentlich ärgert, jede noch so potthäßlich Nachkriegskiste wird versucht unter Denkmalschutz zu stellen, was da teils vorher gestanden ist, ist nicht der Rede wert gewesen - beste Beispiel ist der Kaufhofbunker am Münchner Marienplatz; Hier wäre abreißen und das Rosl Mayr Kaufhaus zu rekonstruieren, die beste Variante.

  • Der Denkmalschutz solcher Hochhäuser und irgendwelcher Brutalismusmonster wie das Aachener Klinikum besteht zwar, aber eigentlich nur auf dem Papier. Auf Dauer werden solche Dinger nicht existieren. Spätestens wenn eine komplette Sanierung ansteht und die "Authentizität" aufgrund der den neuen Anforderungen anzupassenden Überarbeitungen nicht mehr zu gewährleisten ist, von Schadstoffen wie Asbest und sonstigem einmal ganz zu schweigen, hat sich der Denkmalschutz eh erledigt. Zudem stiften die Dinger keinerlei Identität und waren immer wenig geliebt von der Bevölkerung oder gar verhasst. Dem Historischen Museum in Frankfurt beispielsweise, einem typischen Vertreter des Brutalismus, weint wohl niemand eine Träne nach, vielleicht ein paar Architekturtheoretiker und "Kenner". Das Engelhorn-Hochhaus in Ludwigshafen, ein banaler Klotz, wurde auch eher in Stille abgerissen, obwohl es angeblich ach so hohen Denkmalwert besaß.

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.

  • Das Engelhorn-Hochhaus in Ludwigshafen, ein banaler Klotz, wurde auch eher in Stille abgerissen, obwohl es angeblich ach so hohen Denkmalwert besaß.

    Wikipedia meint dazu: "Mit einer auf mehrere Jahre angelegten kompletten Sanierung des Gebäudes
    wurde 2011 begonnen. [...]
    Dann wurde aber festgestellt, dass die Sanierung einen dreistelligen
    Millionenbetrag kosten würde, auch weil das Mauerwerk mit den aus der
    Bauzeit stammenden Schadstoffen Asbest und PCB belastet war. Deswegen beschloss die BASF im Oktober 2012 den Abriss des Hochhauses zu beantragen,der im Juni 2013 genehmigt wurde."

    Es handelt sich dabei um einen Vorgang, wie er auch bei jedem anderen Denkmal passieren kann: Übersteigen die Sanierungskosten das Maß der wirtschaftlichen Zumutbarkeit (sprich den Nutzwert), darf das Denkmal abgerissen werden. Das hat nichts mit "Denkmalschutz auf dem Papier" oder "Abbruch in aller Stille" zu tun.

  • Um das Engelhorn-Hochhaus in Ludwigshafen ist es schon etwas schade. Es hatte einen Wiedererkennungswert für die Stadt und war durchaus zeitlos. Mit einigen Modifikationen hätte der Bau sogar richtig elegant wirken können.


    https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ludw…us_20100709.jpg


    https://commons.wikimedia.org/wiki/File:BASF…-Hochhaus_W.jpg


    An selber Stelle soll ein neues, gläsernes Hochhaus entstehen; https://www.competitionline.com/de/ausschreibungen/154973

  • In Deutschland sind mir ebenso keine gründerzeitlichen Hochhäuser bekannt. Global betrachtet würde ich in diesem Fall auf das Flatiron Building in Manhattan verweisen, welches in der Gründerzeit erbaut wurde und stolze 91 Meter misst.

    Allerdings bezweifle ich, dass man diesem modernen Bau durch das Vorhängen einer gründerzeitlich anmutenden Fassade aufwerten kann. Dies lassen in meinen Augen die Proportionen ganz einfach nicht zu.

  • Die ersten Hochhäuser Deutschland waren überwiegend im recht strengen Reformstil erbaut worden, ab den 1920ern kamen dann viele expressionistische Schönheiten dazu. Daran könnte man sich wunderbar auch für neuere Hochhäuser orientieren, wie es Hans Kollhoff unter anderem schön zeigt (Kollhoff-Turm am Potsdamer Platz und Frankfurter MainPlaza).

    Hier gibt es eine Liste der historischen Hochhäuser in Deutschland (zum großen Teil 'auf meinem Mist' gewachsen ;): https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der…_in_Deutschland

    Interessant ist auch ein Blick auf die "Early skyscrapers" in den USA, die überwiegend in Spielarten von Beaux Arts errichtet wurden: https://en.wikipedia.org/wiki/Early_skyscrapers

    In Europa fallen mir als Referenzen auf Hochhausgebäude im historistischen Stil bzw. Jugendstil vor allem das Witte Huis in Rottderdam ein (1898): https://en.wikipedia.org/wiki/Witte_Huis

    Sowie einige der Hochhäuser der Gran Via in Madrid (wie das Edificio Telefónica von 1929): https://de.wikipedia.org/wiki/Gran_V%C3%ADa

    Und natürlich die Hochhäuser im 'Zuckerbäckerstil' des sozialistischen Klassizismus, insbesondere die Kulturpaläste von Warschau und Riga sowie die Sieben Schwestern in Moskau:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialistischer_Klassizismus
    https://de.wikipedia.org/wiki/Sieben_Schwestern_%28Moskau%29