Schönheit und deren Definition

  • Zitat von "Stefan"

    der bruch in der wahrnehmung hinsichtlich der ästhetik
    kam doch erst durch die moderne und ihre modernistischen
    auswüchse wie sie bis heute bestimmend sind. darüber sollten
    wir uns doch im klaren sein. :)

    ...da muss ich Ihnen Recht geben! Ich wollte auch nicht die Antike und das Mittelalter gegeneinander ausspielen! Ich wollte nur meine Verwunderung zum Ausdruck bringen, dass wir hier in der Neuzeit, trotz Kenntnisse über vergangene Baustile/Kultur etc. so tief gesunken sind und eine so primitiv-hässlich-unmenschliche Alltagskultur (sichtbar vor allem in der Architektur) fabrizieren

    Der Tiefpunkt der Baukultur wurde in den 60er und 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts erreicht...

  • Zitat von "memet"

    ...da muss ich Ihnen Recht geben! Ich wollte auch nicht die Antike und das Mittelalter gegeneinander ausspielen! Ich wollte nur meine Verwunderung zum Ausdruck bringen, dass wir hier in der Neuzeit, trotz Kenntnisse über vergangene Baustile/Kultur etc. so tief gesunken sind und eine so primitiv-hässlich-unmenschliche Alltagskultur (sichtbar vor allem in der Architektur) fabrizieren

    Irgendjemand hat mal gesagt, daß die Demokratie der Tod der Kunst sei :zwinkern: . In der Hoffnung, daß hier nicht gleich der Verfassungschutz mitliest, möchte man diese Aussage mit einem langen Seufzer unterschreiben.
    Im Grunde sind diese Glaskästen und austauschbaren Fußgängerzonen ein Spiegelbild der Anonymität der Bauentscheidungen, sowie der gesichtslosen Menge, die diese amorphe und gesichteslose "Architektur" nutzt.
    Es fehlen die sittlich und künstlerisch geschulten Auftraggeber, die weit über Legislaturperioden und kurzfristigen Vorteil hinaus denken.
    Wer sollte denn heute eine Walhalla bei Regensburg oder ein Pompejanum in Aschaffenburg in Auftrag geben?

  • Zitat von "Mansfeld"


    Irgendjemand hat mal gesagt, daß die Demokratie der Tod der Kunst sei :zwinkern: . In der Hoffnung, daß hier nicht gleich der Verfassungschutz mitliest, möchte man diese Aussage mit einem langen Seufzer unterschreiben.
    Im Grunde sind diese Glaskästen und austauschbaren Fußgängerzonen ein Spiegelbild der Anonymität der Bauentscheidungen, sowie der gesichtslosen Menge, die diese amorphe und gesichteslose "Architektur" nutzt.
    Es fehlen die sittlich und künstlerisch geschulten Auftraggeber, die weit über Legislaturperioden und kurzfristigen Vorteil hinaus denken.
    Wer sollte denn heute eine Walhalla bei Regensburg oder ein Pompejanum in Aschaffenburg in Auftrag geben?

    Oh, eine interessante Betrachtungsweise! Wenn ich mir aber das diktatorische China anschaue und die Verschandelung ihrer Städte mit Beton etc. kann das nicht so ganz stimmen!

    Der Tiefpunkt der Baukultur wurde in den 60er und 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts erreicht...

  • Zu aufgeladene, billige Propanz mag ich auch nicht, daher sind mir viele Bauwerke des 19. Jahrhunderts zuwider. Grotesk ist es immer dann geworden, wenn ein Architekturstil als Fassade mit einer absolut unpassenden Gebäudeform zusammengebracht wurde. Da denke ich speziell an die häßlichen Backsteinbauten Preußens; Mietskasernen, Bahnhöfe, Kasernenbauten und dergleichen. Eine Paraphrase der unvergleichlichen Würde und Eleganz, wie sie tatsächliche Hansestädte wie Bremen, Lübeck oder Danzig ausstrahlten; die Backsteingotik galt über Brandenburg bis weit nach Ostdeutschland hinein und war gekennzeichnet von Strenge, Einfallsreichtum UND Virtusität - alles, was dem Wilhelminischen Backsteinfertigteil abging, inklusive dem lächerlichen Pultdach. Von der dahinterstehenden Denke bzw. Gedankenlosigkeit bar jeder tatsächlichen Bautradition war er durchaus mit dem Nachkriegswiederaufbau zu vergleichen.

    In den 20'ern feierte der Backstein bzw. Klinker noch einmal ästhetische Wiederauferstehung in den Bauten des deutschen Expressionismus. Diese sind oftmals sehr streng, aber ästhetisch genau bemessen und mit einem recht hohen künstlerischen, gleichzeitig volksnahen Anspruch. Es ist wirklich eine Tragik, daß es nicht die Expressionisten, sondern die kultur- und bindungslosen Bauhäusler gewesen sind, welche zu Siegern der Geschichte wurden. :?

    Nein, die werden gedünstet

  • Zitat von "memet"

    Naja, der Vergleich ist vielleicht etwas heftig, immerhin war Rom zu dieser Zeit ca. 1.000 Jahre alt, stand auf dem Höhepunkt seiner Macht und war die Hauptstadt des größten Imperiums , das die Welt bis dahin gesehen hatte.
    Die Hansestädte des Deutschen Mittelalters sehe ich als durchaus ebenbürtig an; sie sind ein selbstbewußter Ausdruck ihres kometenhaften Aufstieges und auf ihre Weise stehen sie Rom ebenbürtig zur Seite, zumal sie mit der Backsteingotik etwas völlig neues und doch sehr regionaltypisches anzubieten haben.
    Und ehrlich gesagt, Rom um 200 nach Christi kann ich mir kaum vorstellen, weil es weitestgehend zerstört ist; ich war nur einmal im Leben für einige Tage in der Stadt, wenn ich flüchtig daran zurück denke, dann sehe ich vor allem barocke Bauten vor meinem geistigen Auge, wenn ich mal vom Pantheon, Kolosseum und Trajansforum absehe.

  • @ Wissmut: Das ist wohl wirklich Geschmackssache... ich persönlich empfinde die protzigen Bauten der wilhelminischen Zeit als das Beste, was je gebaut wurde... schöner als mittelalterliche oder expressionistische Bauten. Aber auch die - und die frühe Bauhausarchitektur - sind besser als die Abschreibungsbauten oder Architekturpreiswucherungen von heute.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • wenn wir "Glück" haben, weitet sich die derzeitige politische Kriese zu einem Krieg aus, dabnach ist dann garantiert wieder viel platz für neues...

    ne, jetzt mal den zynismus beiseite, es wird aber tatsächlich langsam Zeit, für einen neuen Baustil...

    "... es allen Recht zu machen, ist eine Kunst, die niemand kann..." (Goethe)

  • Zitat von "Booni"

    @ Wissmut: Das ist wohl wirklich Geschmackssache... ich persönlich empfinde die protzigen Bauten der wilhelminischen Zeit als das Beste, was je gebaut wurde... schöner als mittelalterliche oder expressionistische Bauten. Aber auch die - und die frühe Bauhausarchitektur - sind besser als die Abschreibungsbauten oder Architekturpreiswucherungen von heute.

    Klasse Booni, endlich mal ein Fürsprecher für den wilhelminischen Historismus. Deshalb finde ich Wiesbaden, das ich erst kürzlich aufgrund eines Seminars kennengelernt habe, so toll. Musste extra nochmal nur zum Fotografieren hinfahren!!!

    Der Tiefpunkt der Baukultur wurde in den 60er und 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts erreicht...

  • Wenn ich jetzt ein bißchen Geld hätte,
    würde mir eine Villa im gotischen Stil neu bauen lassen,
    und weil ich Fantasy-Fan bin, die Villa schön und reichlich mit Statuen von Zwergen und anmutigen Elfen schmücken,
    die Balkone und Erker werden von mächtigen Trollen getragen
    und oben auf dem Giebel als Krönung ein mächtiger Drache, dessen Schwanz sich um mein Familienwappen schlängelt...

    Wäre das Kunst oder Kitsch?

  • Das währe Kitsch, denn die Gotik kennt derart reichen figurenschmuck nicht. In der Gotik ist die skulptur Teil eines Geschlossenen Ganzen und bildet mit dem sie umgebenden Maßwerk ein größeres Ornament, in dem sie selbst nicht mehr als skulptur wahrgenommen wird.
    Wenn du Drachen, Trolle Elben und zwerge unterbringen willst, solltest du als Grundstil den Barock wählen.

    Zudem ist das Bauen im gotischen Stil heute gar nicht mehr zulässig, viele Eigenheiten der Gotik, wie gemauerte Gewölbe, geschlossene Wendeltreppen, Spitzbögen und ähnliches wiedersprechen den heutigen Bauvorschriften, von Wärmedämmung ganz zu schweigen... und in ein gotisches Haus gehört eine Hypocaustenheizung mit Feuerofen, der den emmissionsschutzbestimmungen wiederspricht

    "... es allen Recht zu machen, ist eine Kunst, die niemand kann..." (Goethe)

  • ...naja, das pauschal als "Nicht-Kunst" zu bewerten, da tue ich mich schwer.

    War am Wochenende wieder in einem Museum für zeitgenössische Kunst und frage mich deswegen ernsthaft, warum neben den Exponaten, die dort ausgestellt wurden, nicht auch ein Drache seine Existenzberechtigung im Kunstbetrieb haben soll ... :?: ... zusammengeschweisster, rostiger Metallschrott wird ausgestellt, warum dann vor so etwas Abstand nehmen?
    (wobei ich persönlich auch weniger auf Drachen stehe, aber das ist wohl Ansichtssache)

  • Naja ich wäre ja nur ein neureicher Bauherr und kenne mich mit Stielen nicht so aus. :)
    Innen soll die Bude natürlich allen Komfort unserer Zeit haben. Und natürlich auch eine Tiefgarage mit 3-4 Stellplätzen.

    Und vielleicht noch zwei Einhörner links und rechts neben das Gartentor.
    Löwen würden aber zur Not auch gehen.


    Und nächste Frage:
    Wenn ich das ganze schon im Jahre 1890 gebaut hätte - stünde es dann wohl heute unter Denkmalsschutz?
    Und wenn ja - zu Recht?
    ;)

  • Zitat von "Miwori"

    Wenn ich jetzt ein bißchen Geld hätte,
    würde mir eine Villa im gotischen Stil neu bauen lassen,
    und weil ich Fantasy-Fan bin, die Villa schön und reichlich mit Statuen von Zwergen und anmutigen Elfen schmücken,
    die Balkone und Erker werden von mächtigen Trollen getragen
    und oben auf dem Giebel als Krönung ein mächtiger Drache, dessen Schwanz sich um mein Familienwappen schlängelt...

    Wäre das Kunst oder Kitsch?

    Klingt gut!
    Aber eine qualitätvolle Umsetzung dieser Üppigkeit würde deutlich in die Millionen gehen...

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • In einem Interview in der aktuellen Ausgabe des SPIEGEL äußert sich der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt über "Kunst, den Schönheitssinn von Mensch und Tier und die Intoleranz der Moderne". Dabei wird auch das Thema Architektur berührt...

    Hier ein paar Auszüge, Hervorhebungen stammen von mir:

    SPIEGEL: Herr Professor, wann haben Sie sich das letzte Mal so richtig über Kunst geärgert?
    Eibl-Eibesfeldt: Nehmen Sie zum Beispiel den Platz an der Tegernseer Landstraße hier in München. Da will der Künstler Rudolf Wachter mit einem schräg ins Pflaster gepflügten Mahagoni-Block zeigen, dass in der Mitte der Gesellschaft noch die Macht steht, aber schon am Kippen ist.
    SPIEGEL: Das ist Ihnen zu provozierend?
    E.-E.: Provokation ist an sich etwas Gesundes. Aber wenn sich da eine Mutter aufhalten will - was bietet sich ihrem Kind? Pflastersteine! Zweck der Kunst kann doch nicht sein, die Leute zu verärgern.
    SPIEGEL: Aber soll sie die Menschen nicht auch zum Nachdenken anregen?
    E.-E.: Vor allem soll sie zum Wohlbefinden der Menschen beitragen. Das kann man sehr schön an einem Experiment in einem Spital in den USA sehen. Drei Krankenzimmer schauen auf ein gegenüberliegendes Gebäude, drei auf einen schönen Park. Alle Patienten in den sechs Zimmern operierte man an der Blase. Doch die mit dem Naturblick wurden schneller gesund und brauchten weniger Medizin.
    [...]
    SPIEGEL: Rechnen Sie damit, die Kunsthistoriker vor den Kopf zu stoßen?
    E.-E.: Es mag da Widerstände geben. Aber die Sinnpsychologie erforscht nun einmal, wie die Buntheit wahrgenommen wird, was gutes Gestalten ist und wie wir Symmetrie empfinden. Es ist doch faszinierend, dass ein Säugling, in dessen Blickfeld man Linien projiziert, diese Linien sofort scharfstellt, weil das richtig und gut ist und ihm wohltut. [...]
    SPIEGEL: Sie meinen also, der Mensch habe einen angeborenen Sinn fürs Ästhetische?
    E.-E.: Sicher. [...]
    SPIEGEL: Zum Überleben dient die Kunst nicht. Ist sie biologisch betrachtet nicht ein echter Luxus?
    E.-E.: Zumindest die Prahlerei hat, bitte schön, Funktion. Wenn der Fürst seinem Schloss eine ganz besonders aufwendige Prunkfassade gab, dann wollte er seinen Leuten doch signalisieren: Ich bin vermögend und kann euch beschützen. Und wenn die Banken in Wien sich eine klassizistische Fassade geben, soll das doch heißen: Ihr könnt mir vertrauen.
    [...]
    SPIEGEL: Was bewirkt das Hässliche?
    E.-E.: Die Störung des Schönheitsbildes verärgert, irritiert. Im besseren Falle ruft sie einen besonderen Wachheitszustand hervor.
    SPIEGEL: Von Ihnen stammt die Bemerkung, Kunst könne böse sein. Welche Kunst meinen Sie?
    E.-E.: Kunst, die mit Aggression arbeitet, mit billigen Effekten. Das stört mich, zumindest wenn es sich um Kunst im öffentlichen Raum handelt. Wenn Kunst so ist, dass sich niemand mehr in ihrer Umgebung aufhalten will, hat sie dort ihren Zweck verfehlt.
    [...]
    SPIEGEL: Um die Sinnesfreude geht es vielen Künstlern aber gar nicht. Das stört Sie?
    E.-E.: Was mich stört, ist die Intoleranz gegenüber der Schönheit. Wenn die Künstler selber von Anti-Kunst sprechen, dann sagen sie ja, dass sie gegen die schönen Künste sind. Leider gab es eine Scheidung von Kunst und Schönheit.
    SPIEGEL: Wann hat die Ihrer Meinung nach stattgefunden?
    E.-E.: Im frühen 20. Jahrhundert.
    [...]
    SPIEGEL: Sie vermissen in der Gegenwartskunst insbesondere das, was Sie "die Präsenz des Leiblichen in seiner erkennbaren Form" nennen. Sehnen Sie sich nach dem herkömmlichen naturalistischen Akt?
    E.-E.: Jedenfalls sollten wir nicht vergessen, dass wir den alle als schön empfinden. Die Griechen der Antike, die Menschen der Renaissance haben das gewusst, und das waren keine Geistesgestörten.
    SPIEGEL: Sie verweisen auch auf die Körperdarstellungen der Nationalsozialisten. Das ist heikel.
    E.-E.: Im Dritten Reich wurde ein über Jahrhunderte tradiertes Bild wie eine Schablone benutzt. Man hat sich auf ein griechisches Ideal bezogen, auf ein Gefüge aus Jugend, Symmetrie, Intaktheit. Nicht das Körperbild des Nationalsozialismus war böse, sondern die damit verbundene Botschaft.
    [...]
    E.-E.: Der Künstler sollte auf die Wahrnehmung seiner Mitmenschen Rücksicht nehmen, er sollte kommunizieren wollen. Es muss untereinander Verständigung möglich sein.
    [...]
    SPIEGEL: Aber bei Joseph Beuys' Fettecke endet das Verständnis?
    E.-E.: Geometrie versteht jeder, Naturalismus versteht jeder, eine Fettecke nur der, der die entsprechende kulturelle Anbindung hat. Darum geht es ja, wir alle haben diese vorgeprägte Wahrnehmung. Und wenn die Kunst das berücksichtigt, hat sie bessere Chancen, tatsächlich zur Weltsprache zu werden.
    [...]

  • Eine Antwort darauf aus dem Feuilleton der FAZ:

    Zitat

    Tragen wir alle genetisch angelegte Leitbilder in uns? Und welche wären das? Bejaht hat die Frage gerade in einem "Spiegel"-Interview Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Verhaltensforscher und Professor emeritus, und auch gleich erklärt, welche das sind: "Wenn Sie einem Südwestafrikaner japanische Gesichter zeigen, findet er daran dasselbe attraktiv wie ein Europäer." [...] Der Kunsthistoriker wird ihm jedoch widersprechen - und vielleicht nicht "der Biologe", aber eine Reihe Biologen, darunter Charles Darwin. Die Geschichte belegt kaum, dass Schönheit die herausragende Funktion der Kunst gewesen ist. [...] Wenn Eibl-Eibesfeldt also mehr Schönheit in der Kunst verlangt, ist das eine normative Setzung. Oder auf gut Deutsch: sein persönliches Geschmacksempfinden. [...] Sein [Darwins] Beispiel waren Vollbärte, in England damals sehr geschätzt, in Tonga oder Samoa verabscheut. Was in London als schön galt, brachte in Tonga Menschen zum Weinen. Darwin fand das natürlich: Evolution produziert keine genormten Standards, sondern Vielfalt. [...]

    Quelle: http://www.faz.net/s/Rub5A6DAB001…on~Scontent.htm

  • Na ja, ich finde Eibl-Eibesfeldts Ausführungen ehrlich gesagt ziemlich platt.
    Das, was Kunst ausmacht, ist Wahrheit; es geht um die Formen von Wahrheit, die begrifflich nicht zu erfassen sind. Ob sie dann "schön" ist oder nicht, ist kein Kriterium. Große Kunst kann durchaus "häßlich" sein, in gewissem Sinn muss sie das oft sogar (siehe z.B. die großartigen Gedichte eine Georg Trakl oder Paul Celan).
    Das Problem an der neueren Kunst ist nicht, daß sie sich von der Schönheit verabschiedet hat, sondern daß sie sich von der Wahrheit verabschiedet hat.

  • Vielleicht liegt das Problem auch eher darin, dass aus "Kunst muss nicht unbedingt schön sein" irgendwann geworden ist "Kunst *darf* nicht schön sein". Dagegen richten sich meiner Ansicht nach Eibl-Eibesfeldts Aussagen im Kern, auch wenn es nicht explizit ausgeprochen wird. Der "schönen" Kunst wird pauschal unterstellt, dass sie entweder belanglos ist oder aber täuscht und manipuliert. Hässliche, verstörende Kunst hingegen nimmt für sich in Anspruch, den Menschen aufzuklären und zum Nachdenken anzuregen, also die "bessere", im Grunde wahre Kunst zu sein. Gut, Eibl-Eibesfeldt begründet es mit der Biologie. Der FAZ-Schreiber hat natürlich nicht Unrecht, wenn er sagt, dass Schönheitsempfinden kulturell bedingt ist. Ich denke aber dennoch, dass er Eibl-Eibesfeldt an dieser Stelle nicht ganz verstanden hat. Mal ein Beispiel: In China gab es früher lange Zeit die Sitte, den Mädchen die Füße so zu bandagieren, dass sie nicht richtig wachsen konnte, weil kleine Füße bei Frauen als schön galten. Durch diese Maßnahme blieben die Füße nicht nur klein, sondern sahen auch irgendwie verkrüppelt aus (und das war auch wirklich ungesund, weil die Frauen manchmal nur unter Schmerzen laufen konnten). Das galt dann aber dennoch als schön. Werfen wir einen Blick auf die heutige Modeszene mit ihren magersüchtigen Models: Hier wird auch ein im Grunde ungesunder Körper als schön propagiert. Körperliche Anzeichen, die eigentlich für unser Empfinden als ein Merkmal für "hier stimmt was nicht" gelten, werden zu einem Schönheitsideal erklärt. Ich denke, bei beiden Beispielen - dem aus China und das der magersüchtigen Models - würde Eibl-Eibesfeldt vermutlich davon sprechen, dass kulturell gesetzte, aber gerade deswegen unnatürliche Normen zu einer Verzerrung des Schönheitsempfindens geführt haben. Dem FAZ-Schreiber fällt meiner Meinung nach also nicht auf, dass diese kulturellen Schönheitsideale (die es natürlich gibt, da hat er Recht) häufig Abirrungen vom normalen Schönheitsempfinden darstellen. In diesem Sinne handelt es sich dann um einen pervertierten Schönheitsbegriff, denn schön ist dann das, was eigentlich in Wahrheit krank ist - verkrüppelte Füße und Magersucht. Bei wissenschaftlichen Untersuchungen stellt sich ja immer wieder heraus, dass Männer im Schnitt die Frauen am attraktivsten finden, deren Körperbau auf eine besondere Fruchtbarkeit und eine große körperliche Gesundheit schließen lässt, und das sind eben nicht die Magersüchtigen. Hinter dem, was wir als "schön" empfinden, verbirgt sich wohl häufig auch das, was nützlich und gut ist.

    Vielleicht, Philon, lässt sich von hier aus auch eine Brücke von der Schönheit zur Wahrheit schlagen. Ich gebe dir nämlich im übrigen bei deinen Ausführungen Recht... :zwinkern:

  • @ Philon

    Zitat

    Große Kunst kann durchaus "häßlich" sein, in gewissem Sinn muss sie das oft sogar (siehe z.B. die großartigen Gedichte eine Georg Trakl oder Paul Celan).

    Es hat mich überrascht, dass du gerade Celan nennst. Seine Gedichte sind formal eigentlich nicht hässlich. Gerade das war auch bei seinem berühmtesten Gedicht "Todesfuge" häufig Anlass zur Kritik: Dass hier die Schönheit der Sprache nicht zur Grausamkeit des Inhalts passen will. Mit anderen Wort: Das Gedicht ist sprachlich-formal "zu schön", um Geschehnisse in einem Konzentrationslager zu thematisieren, lautete die Kritik. "Sterne", "goldenes Haar", "Wolken", "süßer", "singet", "spielt", "träumet" - das sind Wörter, die das Gedicht dominieren, und mit denen wir nicht unbedingt Hässlichkeit assoziieren.
    Jetzt gibt es natürlich zwei Möglichkeiten: Entweder, die Kritik ist gerechtfertigt, und das Gedicht ist misslungen, weil die Form dem Inhalt nicht angemessen ist. Oder aber die Kritik ist zurückzuweisen, da gerade der Kontrast zwischen "schöner Form" und "schrecklichem Inhalt" das ist, was dieses Gedicht als Kunstprodukt ausmacht. Letzteres kann aber nur dann richtig sein, wenn dieser Kontrast eine Funktion hat, d. h. eine bestimmte Aussage nahelegt.
    Aber egal, ob die Kritik nun berechtigt ist oder nicht: In jedem Fall ist das Gedicht nicht "hässlich", es ist sprachlich ansprechend und nicht verstörend. Sprachlich anmutige Gedichte, die ein schreckliches Thema behandeln, hat es durchaus schon früher gegeben.

    Aber genug davon... :gg:

    Zitat

    Das Problem an der neueren Kunst ist nicht, daß sie sich von der Schönheit verabschiedet hat, sondern daß sie sich von der Wahrheit verabschiedet hat.

    Nun, unsere Architekten argumentieren ja gerade, dass sie sich der Wahrheit und nicht der Schönheit verpflichtet fühlen. Ihre Gebäude wollen ja nicht schön sein, sondern ehrlich. Ich vermute aber, dass du dem wohl entgegnen würdest, dass dies ein reduzierter Ehrlichkeitsbegriff ist, ja geradezu eine Farce von Wahrheit, wenn die Ehrlichkeit sich symbolisch dadurch bemerkbar machen will, dass ein Betonklotz nicht verhehlt, dass er aus Beton ist?
    Also würdest du nicht wie Eibl-Eibesfeldt Schönheit, sondern eine Umorientierung zu tieferen Wahrheiten in der Kunst anstreben?

    Ich würde aber Eibl-Eibesfeldt hier rechtgeben:

    Zitat

    Das stört mich, zumindest wenn es sich um Kunst im öffentlichen Raum handelt. Wenn Kunst so ist, dass sich niemand mehr in ihrer Umgebung aufhalten will, hat sie dort ihren Zweck verfehlt.

    Im öffentlichen Raum ist hässlich-aggressive Kunst eine Zumutung für die, die dort leben und arbeiten müssen. Zwar sehe ich es auch so, dass Kunst durchaus zum Nachdenken anregen soll und die auch mit verstörenden Darstellungen erreichen kann... aber das kann einem Menschen nicht die ganze Zeit im Alltagsleben vor die Nase gehalten werden, das vermindert seine Lebensqualität. Er muss selbst entscheiden dürfen, wann er sich dem aussetzt (beispielsweise durch den Besuch eines Museums). Daher gelten für den öffentlichen Raum meiner Meinung nach andere Gesetze als für Kunstgalerien.

    Zitat

    Was mich stört, ist die Intoleranz gegenüber der Schönheit. Wenn die Künstler selber von Anti-Kunst sprechen, dann sagen sie ja, dass sie gegen die schönen Künste sind.

    Hier musste ich spontan an Cuadras Ausspruch "Architektur muss wehtun" denken...

  • Zitat

    Nun, unsere Architekten argumentieren ja gerade, dass sie sich der Wahrheit und nicht der Schönheit verpflichtet fühlen. Ihre Gebäude wollen ja nicht schön sein, sondern ehrlich. Ich vermute aber, dass du dem wohl entgegnen würdest, dass dies ein reduzierter Ehrlichkeitsbegriff ist, ja geradezu eine Farce von Wahrheit, wenn die Ehrlichkeit sich symbolisch dadurch bemerkbar machen will, dass ein Betonklotz nicht verhehlt, dass er aus Beton ist?
    Also würdest du nicht wie Eibl-Eibesfeldt Schönheit, sondern eine Umorientierung zu tieferen Wahrheiten in der Kunst anstreben?

    Exakt. Was diese Leute unter Wahrheit und Ehrlichkeit verstehen, hat mit beidem nichts zu tun. Mit "Wahrheit" meine ich eine Eröffnung von Bedeutungs- und Erfahrensdimensionen, die die Möglichkeiten begrifflicher Wahrheitserfassung übersteigt, seien es Erfahrungen, die uns etwas über uns selbst als Menschen sagen oder sozusagen "mystische" Erfahrungen, die uns überschreiten.
    Der platte "Wahrheits"- bzw. "Ehrlichkeitsbegriff" unserer heutigen Architekten oder Künstler hat damit kaum irgendwas zu tun. Der biedermeierliche Kunstbegriff eines Herrn Eibl-Eibesfeldt ist davon aber mindestens ebensoweit weg.

    Wobei man freilich dazusagen muss, daß einem so etwas in der Architektur auch überhaupt eher selten begegnet. In den gotischen Kathedralen vielleicht am ehesten, in der Raumerfahrung einer uralten, labyrinthischen Altstadt, in manchen Bauten der Früh- und Hochrenaissance, in manchen Innenraumschöpfungen des Barock ...