• Die Weender Straße, die Hauptschlagader Göttingens sozusagen, ist Gott sei Dank noch relativ einheitlich mit historischer Bebauung versehen. Nicht weit vom Markt fallen allerdings zwei Ausnahmen in's Auge. Die Nr. 17 und 19, beides offensichtlich Stadtschändungen aus den 70ern, als man in Göttingen wie in kaum einer anderen vergleichbaren Stadt Deutschlands wütete. Die Nr. 19, die heute C&A beherbergt, ist ein typischer Neubau dieser Zeit. Das gleiche dachte ich auch immer von der daneben liegenden 17, in der Foot Locker untergebracht ist. Es handelt sich um folgendes Gebäude:

    Nun habe ich folgende Ansicht der Weender Straße aus der Zeit 1956-1958 entdeckt, auf der das Haus an vierter Stelle zu erkennen ist.

    Es sieht so aus, als ob das Haus auf dem alten Foto die gleichen Proportionen und dieselbe Kubatur aufweist wie das jetzige Gebäude. Hier zum Vergleich die gleiche Ansicht aus dem Jahr 2011:

    Mich würde interessieren, was ihr davon haltet. Glaubt ihr, dass sich hinter diesen scheußlichen Metallplatten an der Fassade tatsächlich ein altes Haus verbirgt, das man im Falle einer Sanierung auch wieder als solches kenntlich machen könnte?

    Die Welt muss romantisiert werden! - Novalis

  • Ich bin mir ziemlich sicher, daß sich hinter den hässlichen Platten noch der Altbau verbirgt. Dieses Vorgehen kam damals öfter vor. Irgendwann werden diese Metallplatten ohnehin verschrottet. Bleibt zu hoffen, daß die Eigentümer nicht gleich darauf mit Dämmplatten anrücken (müssen). Dann jedenfalls wäre zu klären, ob es sich hinter der vorgehängten Fassade um einen schlichten Gründerzeitler oder gar ein Fachwerkhaus handelt.

  • Das ist eindeutig noch der Altbau; man beachte nur schon den "wackligen", mit Brettern verschalten Dachvorsprung. Bei einem Neubau wäre der viel gerader. Auch sind je die beiden äussern Fenster näher zusammen als die beiden mittleren, was man auf der Aufnahme mit dem alten Zustand ebenfalls so erkennen kann.

    Zu einem ältern Link (3. März 2011), der von einem andern Gebäude handelt:

    Hier auf dieser Seite sind Fotos vom vorherigen und jetzigen Zustand.Das Haus, um das es geht, ist das mit dem "Kochlöffel".
    http://www.google.de/imgres?imgurl=…TCsuUswautPTxBw

    Das dreizehnte von den fünfzehn Bildern (oder drittletzte) ist hochinteressant! Man sieht, dass direkt auf die Fachwerkbalken eine illusionistische Fensterumrahmung gemalt ist. Das heisst, dass das Fachwerk einst sichtbar war, bei dem aber das Holzbalken im selben Farbton wie die Mauergefache gestrichen worden waren, und so ein Massivbau vorgetäuscht wurde. Das Fachwerk erkannte man also nur am Relief. Das war eine Mode typisch für die Zeit um 1800.

  • Dann scheint sich hinter der Weender Straße 17 tatsächlich noch ein altes Haus zu verbirgen. Bleibt zu hoffen, dass man es recht bald von diesen grausigen Platten befreit. Es wäre natürlich toll, wenn die Stuckelemente an der Fassade, die auf Palantirs Vorkriegspostkarte noch zu erkennen sind und auf der Aufnahme aus den 50ern schon nicht mehr, dann wieder hergestellt werden.
    @ Palantir: Ich würde ja gerne dran ruckeln, aber ich fürchte mich zu sehr vor dem Foot-Locker-Personal und seinen Sträflingsuniformen :biggrin:
    @ Riegel: Ich habe tatsächlich erst bei mehrfachem Hinsehen erkannt, was du meinst. Obwohl ich etliche Male an dem Haus vorbei gegangen bin, als das Fachwerk bloßgelegt war, ist mir diese Illusionsmalerei auf den Balken nie aufgefallen. Ich bin gespannt, wie es aussieht, wenn die Sanierung abgeschlossen ist. Die Arbeiten sind in vollem Gange.

    Die Verunstaltung von Altbauten mit solchen Platten scheint ja tatsächlich eine Zeitlang schwer in Mode gewesen zu sein. Wahrscheinlich hat man sie mittlerweile in den meisten Fällen schon wieder rückgängig gemacht. Hier noch so ein Beispiel aus der Langen-Geismar-Straße.

    Allerdings kann man hier doch deutlicher erkennen, dass es sich dahinter noch um ein altes Gebäude handelt.

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  • Danke für den Link, Heimdall! Es ist wirklich eine Schande, wie man in dieser Stadt nach dem Krieg gewütet hat und das flächendeckend an zentralsten Stellen! Vielleicht werde ich mal bei Gelegenheit eine kleine depressiv machende Einst-und-jetzt-Galerie zusammenstellen...

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  • Dort stand meiner Kenntnis nach ein Marstall, der in den 70/80er Jahren abgerissen wurde. Das Portal befindet sich heute auf dem Unigelände.

  • Was wird denn da schon wieder für ein austauschbarer Standard hochgezogen? Ich kann die südniedersächsische Fachwerkaura an diesem modernistisch-egoistischen Investorenklotz nicht wiederfinden. Wo man auch hinschaut, die Globalisierungsmoderne floriert - und viel zu wenige Bürger wehren sich.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Hier befand sich vorher der Reitstallkomplex. Der Reitstall von 1737 war bis zu seinem Abriss 1968 (!) das einzige erhaltene barocke Reitstallgebäude Deutschlands. Heute steht dort das Carree, eine Shopping Mall. Zu diesem Viertel, das heute leider nicht mehr existiert, gehörten neben dem Reitstall auch mehrere Fachwerkhäuser und eine Grünanlage. Auf dem jetzt zu bebauenden Areal befand sich nach dem Abriss des Komplexes das Stadtbad, das wiederum vor ein paar Jahren abgerissen wurde.

    Der Reitstall

    Sehr interessant ist diese Seite, auf der man Luftbilder aus verschiedenen Zeiten miteinander vergleichen kann:

    Online-Stadtplan Göttingen - Historische Luftbilder

    Auf der Aufnahme von 1971 sieht man bereits die großen Wunden, die der Modernisierungswahn der Stadt an dieser Stelle zugefügt hat. Das Stadtbad ist hier schon zu sehen (der Würfel). Vergleicht man das Bild mit der Aufnahme von 1936, sieht man, dass sich an der Stelle des Stadtbads vor der Nachkriegszerstörung ein oder zwei Häuser und ein Teil der Grünanlage befanden. Von diesen Häusern habe ich leider keine Fotos gefunden.

    Zu den neuen Gebäuden: 08/15-Architektur für den Mülleimer - schade! Bleibt zu hoffen, dass bald die alte Leinemühle saniert wird, damit diesem entseelten Viertel noch ein bisschen historische Atmosphäre übrig bleibt.

    Stadtbad: Delta Bau investiert 14 Millionen Euro Göttingen Nachrichten / Goettinger-Tageblatt.de

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  • Ich empfand das als extrem widerlich ,als ich da vorbei lief.


    Dito. Wie ich da zum letzten Mal vorbeigegangen bin (2008 ?), müsste die Neubebauung schon in der Diskussion gewesen sein. Das ganze hat mich angewidert und veranlasst, schnell weiterzugehen.

  • Leider handelt es sich heute bei dieser Ecke tatsächlich um die hässlichste in der Göttinger Altstadt, was der derzeitige Bürgermeister selbst schon angemerkt hat. Zu einer Korrektur der begangenen Fehler führt das natürlich nicht. Stattdessen wird eine hässliche Baulücke durch einen hässlichen Bau ersetzt. Immerhin übt man sich ein wenig in Schadensbegrenzung. So soll das sogenannte Gothaer Haus, direkt gegenüber dem Carree und zweifellos das abstoßendste Gebäude der Stadt, äußerlich ein wenig aufgepeppt werden.

    Der jetzige Zustand

    Und nach dem Facelifting

    Eine Verbesserung, weil eine Verschlechterung nicht möglich ist.

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  • Das steht bisher gar nicht zur Disposition, da sich ja auf dem Platz des ehemaligen Reitstalls dieser besagte Kaufhauskomplex befindet, für den es wohl in nächster Zeit keine Abrisspläne gibt. Aber selbst wenn glaube ich nicht, dass man eine Rekonstruktion auch nur in Erwägung ziehen würde. Seit gut 40 Jahren ist es in Göttingen Tradition, Kulturdenkmale lieber zu vernichten, statt neue zu schaffen. Darin bleibt man sich treu. Von daher muss man schon froh sein, wenn alles so bleibt wie es ist und keine alten Gebäude den Investorenwünschen weichen müssen. Mehr kann man nicht erwarten in einer Stadt, in der vor sieben Jahren ein Haus aus dem Jahr 1392 Rossmann und Kaufland Platz machen musste.

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  • Seit Jahren plant der Verleger Gerhard Steidl, in Göttingen ein Kunstquartier anzulegen. Nun soll es weiter vorangehen. In der Düsteren Straße soll das Haus Nr. 6 - eines der ältesten Häuser der Stadt, aus dem Jahr 1310 - saniert werden. Dort soll dann das Grass-Haus einziehen, pünktlich zum 85. Geburtstag von Günter Grass. Das Fachwerkgerippe von Nr. 7 wird hingegen platt gemacht, damit die Stadt dort irgendwann ein Kunstmuseum bauen kann. Am Nikolaikirchhof direkt um die Ecke baut Steidl zur Zeit bereits ein Haus für seine private Bibliothek, die natürlich auch nicht in dem dort vorher stehenden Altbau hätte untergebracht werden können - schade.

    Düstere Straße 7 und 6

    Das zukünftige Grass-Haus


    Neubau am Nikolaikirchhof

    Kunstquartier: Arbeit hinter Fassaden Göttingen Nachrichten / Goettinger-Tageblatt.de
    Verleger Steidl baut Bücherhaus Göttingen Nachrichten / Goettinger-Tageblatt.de
    Schwieger Architekten - Kunstquartier Gttingen

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  • Ja ja, Göttingen ist auch so ein trauriger Fall... bis auf die (allerdings wohl auch völlige) Zerstörung der alten Anatomie der Universität, reparablen Schäden am Bahnhof und ein paar Brandbomben auf den als Staats- und Universitätsbibliothek genutzten Komplex an Papendiek, Prinzen- und Pauliner Straße war hier innenstadtnah im zweiten Weltkrieg tatsächlich wohl nichts passiert (!).

    Und nu geht mal mit offenen Augen den "Ring" entlang oder durch die ehemaligen Stadttore Weender, Groner und Geismartor hindurch. Jede Situation wird durch mindestens eine grobe und völlig unnötige Bausünde versaut.

    - Das langsam verwahrlosende Idunazentrum als kleiner Bruder des Ihmezentrums in Hannover (s. Erpels Thread) am Weender Tor
    - Das schon primär unerträgliche, aber vor ca. 10 Jahren noch mit einer fürchterlichen bläulichen Vorhängeglasfassade "verzierte" Volksbankgebäude am Geismartor, im Hintergrund hier dann noch das traumhafte neue Rathaus, ein 18-stöckiger Waschbetonklotz, allerdings muss ich fairerweise zugeben, dass das Gebäude wohl nicht ganz an die "Qualitäten" des technischen Rathauses in Frankfurt heranreicht
    - Das Groner Tor mit einem überflüssigen, wenn auch weniger dominanten Neubau stadteinwärts linkerhand

    Alle diese "städtebaulichen Dominanten" oder Akzente im Modernistensprech der 70er - eine einzige Katastrophe. Und dann war man ja noch nicht mal in der Innenstadt, die es - der langen Geschichte als eher beschauliche und wenig prosperierende Ackerbürgerstadt geschuldet sicherlich nicht mit Hildesheim oder Braunschweig und auch nicht mit Kassel aufnehmen konnte, die aber trotzdem sicherlich ein insgesamt durchaus beeindruckendes Ensemble von Fachwerkkunst geboten hätte...

    Ich weiß ja auch, dass vieles noch steht und es richtig schöne Ecken in der Innenstadt gibt, aber die Situation am inneren Weender Tor mit Sparkasse, Gothaer-Klotz, ehem. Stadtbadbrache und dem ex-Hertie, nun Carré oder die Flächensanierung in der Neustadt - das macht mich weiterhin und immer gerne wütend.

    Dass diese Prozesse -neben positiven Nachrichten- aufgrund der Vorgeschichte dann immer wieder aufflammen und zu neuen Abrissen führen, ist dann nur konsequent und logisch, solange eben kein im besten Sinne bürgerliches Verantwortungsgefühl für die Schönheit der eigenen Stadt (so wie in vielen kleineren, vielleicht tlw. vergleichbaren süddeutschen Großstädten, also etwa Regensburg, Heidelberg, Tübingen etc.) aufkommt, ist da auch nix zu machen. Verwundern tut es einen bei Göttingens Einwohnerstruktur allerdings schon.

  • Der Umbau der Häuser Weender Straße 72 und 74 wurde abgeschlossen. Nr. 74 hat seine Illusionsmalerei auf der Fassade wieder und stellt rein optisch eine klare Verbesserung zum Vorzustand dar, allerdings zu dem hohen Preis, dass sich hinter der Fassade nun ein kompletter Neubau befindet. Da aber wenigstens die Fassade unter Denkmalschutz stand, konnte zumindest so etwas hier verhindert werden: http://www.city-projekt-immo.de/resources/imag…enz_14_view.jpg
    Die Eingriffe bei der 72 waren weniger invasiv, die jetztige Farbe gefällt mir besser als das vorherige Zitronengelb.

    Der Vorzustand beider Häuser: http://www.google.de/imgres?imgurl=…TCsuUswautPTxBw

    Nr. 74:

    Nr. 72:

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  • Ich glaubte meinen Augen vor wenigen Tagen nicht zu trauen, als ich sah, wie an der Fassade des Alten Rathauses, Wahrzeichen der Stadt Göttingen, ein merkwürdiger Glaskasten installiert wurde. Tatsächlich handelt es sich um einen dauerhaften Anbau, einen Fahrstuhl, um den ersten Stock behindertengerecht erreichbar zu machen. :gehtsnoch:

    Altes Rathaus bekommt neuen Aufzug

    Altes Rathaus mit vorgelagertem Weihnachtsmarkt

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