• Am vergangenen Wochenende sind die Fußgängerbrücken der Offenbacher Innenstadt abgerissen worden.

    Die erste Fußgängerbrücke war 1967 entstanden, in den Jahren 76 und 77 folgte die Errichtung der "zweiten Ebene". Damals hielt man sich für wahnsinnig innovativ, aber der neue Stolz war schnell verflogen: Die zugigen und auch nur sehr wenig genutzten Brücken wurden schon bald als öde Betonwüste empfunden. Nun hat man am Wochenende insgesamt 1200 Tonnen Stahlbeton aus der Innenstadt entfernt. Auf der Website der Stadt Offenbach heißt es außerdem:

    "Für Bürgermeister und Baudezernent Horst Schneider stellt der Abriss der Zweiten Ebene einen wichtigen Teil der 'Stadtreparatur' dar. An den Abriss schließt sich die Neugestaltung an. Der teilweise sehr schmale Gehweg in der Ziegelstraße wird durchgehend auf eine Breite von 2,50 Meter gebracht. Auf dem von dem Erdhügel geräumten Platz wird das Plattenraster ergänzt, welches sich auf der Ostseite des Marktplatzes befindet und bereits im Bereich Berliner Straße / Schloßstraße / Ziegelstraße erkennbar ist. Zur Bepflanzung sind fünf blühende Vogelkirschbäume vorgesehen. Was das Kaufhaus angeht, in dem sich unter anderem Toys'R'Us und ein Parkhaus befinden, sei sich Schneider mit dem Eigentümer einig, dass im nächsten Jahr über einen Abriss des alten Gebäudes und einen zum Stadtbild passenden Neubau entschieden werden könne. Durch einen Abriss des Gebäudes könne eine „weitere Vision' Schneiders realisiert werden, nämlich die Wiederherstellung der 'historischen Stadtflucht' zwischen Salzgässchen und Sandgasse."
    (Quelle: http://www.offenbach.de/Themen/article/IIEbene-Abriss.html)

  • Tja - die architektonischen Utopien der Moderne: Gerade mal ein paar Jahrzehnte Bestand, dann sind es die Bürger leid, dass so an ihren Ansprüchen und Bedürfnissen vorbeigeplant wurde. Weg damit! :daumenoben:

    Wird vielleicht mal Zeit, alle hochgelobten, in der Fachwelt enthusiastisch gefeierten Architektonischen Meisterleistungen zu sammeln, die dann von den Bürgern EINFACH PLATTGEMACHT WURDEN, weil sie die mangelnde Ästhetik und Kälte nicht mehr ertragen haben!!

    Wäre mal interessant!

    Grüße

  • Gute Idee, solche Brücken werden meistens ohnehin kaum genutzt und sehen dann auch noch hübsch häßlich aus.

    Bei Thema Stadtreparatur in "Owwebach" fällt mir noch was ein:
    Was eigentlich mit dem ehemaligen Hospital? Ich hatte vor langer Zeit mal darüber berichtet: Es sollte entkernt werden, und dann ist die hohle Fassade nach und nach zusammengekracht, so daß alles abgerissen werden mußte. Ich habe mal gelesen, daß dals Ersatz ein dem historischen Gebäude nachempfundener Neubau kommen soll. Weißt Du darüber etwas neues?

  • Das historische Hospital, das zuerst entkernt wurde und dessen Fassade beim Entkernen teilweise eingestürzte, so daß der Rest auch noch abgerissen werden mußte, ist inzwischen tatsächlich äußerlich rekonstruiert worden. Auf dem FAZ-Foto sieht der Neubau (jetzt Teil des neuen Justizzentrums) sogar "wie echt" aus.


    Quelle: http://www.offenbach.de

    Eine Art Wiedergutmachung. Man könnte auch sagen "russische Verhältnisse" (=abreißen und sofort rekonstruieren). Obwohl meines Erachtens ein anderer Umgang mit einem Gebäude, das einmal das Rathaus der Stadt gewesen war, angemessen gewesen wäre.

  • Diesen Thread wollte ich schon lange mal eröffnen, und jetzt gibt mir ein Artikel aus der Offenbach Post von gestern auch den Anlass dazu...

    Man glaubt es vermutlich kaum, aber in Offenbach stehen derzeit etwa 1400 Gebäude unter Denkmalschutz. Jetzt sollen mit einem Schlag etwa 300 hinzukommen, darunter durchaus würdige Kandidaten: Büsingpalais, das Deutsche Ledermuseum, gründerzeitliche Straßenzüge, Pfarrkirche St. Nikolaus.

    Die Überraschung des Tages dürfe aber sein, dass auch das Offenbacher Rathaus von 1971 nun Denkmalschutz genießen soll. Es handelt sich um das Gebäude auf diesem Foto:


    Quelle: http://www.offenbach.de\r
    http://www.offenbach.de

    In dem Artikel in der Offenbach Post heißt es:

    Zitat

    Die Stadt hat theoretisch die Möglichkeit zum Widerspruch. Das ist aber kaum zu erwarten. Schließlich wird sie nicht mit Überraschungen konfrontiert, denn der städtische Denkmalschützer Helmut Reinhardt war eng in die Arbeit von Sonja Bonin eingebunden.

    Weiterhin heißt es in dem Artikel, dass das Rathaus deswegen aufgenommen werde, weil es "geschichtlich, baukünstlerisch und städtebaulich von herausragender Bedeutung" sei, laut Sonja Bonin "der Repräsentationsbau einer aufstrebenden Stadt". Sehr *hüstel* schön auch diese Worte von Bonin:

    Zitat

    Die Kombination aus einem flachen Unterbau (zum Beispiel mit dem Bürgerbüro) als Symbol für die Nähe zum Bürger und dem in den Himmel strebenden Hochbau als Symbol für die aufstrebende Demokratie seien "beispielhaft und oft nachgeahmt worden".


    (Der Satz ist zudem ungrammatikalisch...)

    Anders sieht Frau Bonin die Sache beim Ledermuseum. Das sieht übrigens so aus:


    Quelle: http://www.offenbach.de\r
    http://www.offenbach.de

    Im Gegensatz zum Rathaus nämlich gebe das Ledermuseum architektonisch "nicht viel her", hier rechtfertige sich der Denkmalstatus vielmehr aus der Rolle des Museums als Identifikationsobjekt der Messestadt Offenbach.

    Und nun zum interessantesten Teil. In einem kleinen Kasten neben dem Artikel schreibt die Offenbach Post:

  • Wo ist die Überraschung? Dass Objekte aus den 60ern und zunehmend aus den 70ern Denkmalschutz genießen, ist doch nicht (mehr) unüblich.

    Außerdem resultiert das Rathaus aus einer Zeit, in der Offenbach noch die Blüten des Wirtschaftswunder trug. Da gab es keine Rekordarbeitslosigkeit (die heute "Ostniveau" erreicht hat), die Stadt hatte keine finanziellen Schwierigkeiten gehabt und an eine Sozialhilfequote von 10%, die derzeit die gesellschaftliche Schieflage der Stadt in Zahlen widerspiegelt, glaubte damals bestimmt auch noch keiner.

    An solche Zeiten erinnert man sich gern zurück, auch wenn dafür ein Gebäude aus der Ära des Betonbrutalismus herhalten muss.

  • Interessantes Zitat ...

    Zitat

    Die Kombination aus einem flachen Unterbau (zum Beispiel mit dem Bürgerbüro) als Symbol für die Nähe zum Bürger und dem in den Himmel strebenden Hochbau als Symbol für die aufstrebende Demokratie seien "beispielhaft und oft nachgeahmt worden".

    Für mich liest sich diese ... hmm... Interpretation ganz schön ideologisch. Man muß wohl Schirmherr des Projekts oder Politiker sein, um in der himmelwärts strebenden Form an die Demokratie zu denken.

  • Doch doch. Nur verfügen sie in der Regel über eine effizientere Indoktrinations-Maschinerie, mit dem Ergebnis, daß man nicht erst 20 Jahre nach Bauende eine esoterisch Deutung aus dem Hut zaubern muß, sondern jedes Kind lernt sowas schon in der Schule. Spätestens.

    Kurz: Orwell oder Stalin sind keineswegs objektiv besser oder 'richtiger', doch vielleicht war ihr Herrschaftsanspruch in sich stimmiger. :?::?:

  • Wenn das Rathaus noch so jung ist... was ist mit den Vorgängerbauten? Wurde in den 70ern ein Gründerzeitbau dafür abgerissen?

    Das Ledermuseum macht... naja, nicht wirklich viel her, würde man den Vorkriegszustand rekonstruieren wäre es sicher eine der Perlen der Stadt... also ran an die Arbeit und dann ab in die Denkmalliste!

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Zitat von "Restitutor Orbis"

    Dass gerade diese menschenverachtende Architektur auf die Denkmalliste soll, ist wirklich der Hohn.

    Was meinst du mit "menschenverachtender Architektur"? Daß Architekten oder Städteplaner besondere Misanthropen sind?

    Ich frage mich hier öfter und kann mir noch keinen Reim drauf machen, was eine architektonische (oder philosophische oder soziologische von mir aus) Referenz ist; wo liegt das Ideal, das du und auch andere hier den Entgleisungen der Moderne entgegensetzen?

    Oder reicht bißchen Kulturpessimismus? "Und auf das ganze Schlamassel gehört ein Grabstein mit der Aufschrift - Menschheit, du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu." (Bukowski)

  • Ronny
    Es gibt hier im Forum Beiträge über Beiträge, was viele von uns darunter verstehen. -> Am besten Du stöberst erstmal ein wenig herum... :zwinkern:
    Wir sind hier weder Kulturpessimisten, noch haben wir die Weisheit gepachtet. Wir wissen nur: Nach den Zerstörungen im WWII hatte die moderne Architektur in D - weltweit gesehen - wohl einmalige Chancen, das Rad neu zu erfinden ... die Ergebnisse sind eher ernüchternd... abgesehen vom Verlust der geschichtlichen Tiefe unserer Altstädte, die uns völlig abhanden gekommen ist.

  • Zitat

    interessantes Zitat ...
    Zitat:

    Für mich liest sich diese ... hmm... Interpretation ganz schön ideologisch. Man muß wohl Schirmherr des Projekts oder Politiker sein, um in der himmelwärts strebenden Form an die Demokratie zu denken.

    Für mich liest sich das eher wie ein Griff in die Kiste der großen Rethorik mit wenig sinngehalt die oft von Bürgermeistern, Architekten,... für ihre Prestigeprojekte verwendet wird. Weniger Ideologie als vielmehr "Show"

    Zitat

    Ich frage mich hier öfter und kann mir noch keinen Reim drauf machen, was eine architektonische (oder philosophische oder soziologische von mir aus) Referenz ist; wo liegt das Ideal, das du und auch andere hier den Entgleisungen der Moderne entgegensetzen? Oder reicht bißchen Kulturpessimismus? "Und auf das ganze Schlamassel gehört ein Grabstein mit der Aufschrift - Menschheit, du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu." (Bukowsk


    was heißt hier Kulturpessimismus? Dieses Forum existiert ja gerade deswegen, weil man eben nicht pessimistisch sondern viel Idealismus gepaart mit optimismus hat, dass etwas voran gehen kann und das man selbst etwas bewegen kann, wenn auch meistens nur in kleinen Schritten; währen hier alle Pessimistisch, könnte das Forum morgen dicht machen, jeder würde sich in eine Ecke verkriechen, die Hände in den Schoß legen und darüber weinen das die Welt so schlecht war/ist/bleibt und zu viel schlechte moderne Architektur gebaut wurde/wird;
    es schließt aber wohl keinesfalls die Kritik an Bausünden der Vergangeheit aus, das man eben gerade weiß welche (Qualitäts-)Referenz hier angesetzt wird;
    und es gibt wahrscheinlich auch keine weiteren Referenzen, bis auf die des Erhaltens und des Wiederaufbaus historischer Architektur und des Engagements keine weiteren einheitlichen Referenzen; sonst währe dies kein Diskussionsforum.

    Zitat

    Was meinst du mit "menschenverachtender Architektur"?


    denen Charisma fehlt; der den Menschen nicht einlädt; und einen Ort wenig individuell prägt; :zwinkern:

  • Hallo Jürgen,

    im Forum stöbern: ja mach ich schon und werde ich auch weiterhin :)

    Zitat von "Jürgen"

    Nach den Zerstörungen im WWII hatte die moderne Architektur in D - weltweit gesehen - wohl einmalige Chancen, das Rad neu zu erfinden ... die Ergebnisse sind eher ernüchternd... abgesehen vom Verlust der geschichtlichen Tiefe unserer Altstädte, die uns völlig abhanden gekommen ist.

    Das ist ein interessanter Punkt, so hatte ich das noch nicht bedacht.

    Die Frage für mich ist zunächst ganz allgemein und grundsätzlich: Wie ist das Neue, wie ist diese neue Epoche zu denken? Nenn es Moderne, Postmoderne oder wie immer; wie du schon schriebst, markiert der 2. WK einen epochalen Einschnitt, an dem nicht nur die Architektur andere Wege ging. Wie wir unsere Lebenswelt gestalten, hängt mit unserer ganzen Lebenseinstellung zusammen. Für uns wird vieles daran liegen, ob wir aus unserer Zeit eine Gelegenheit machen oder an der schicksalhaften Unvorhersehbarkeit der Welt verzagen.

    Ich finde, Ernst Jünger hat diese Ambivalenz und Chance in ihrer Tragweite auf den Begriff gebracht:

    "Zuweilen erstrahlt an den Horizonten des Geistes ein neues Gestirn, das die Augen aller Rastlosen trifft, Verkündung und Sturmsignal einer Weltwende wie einst den Königen aus dem Morgenlande. Dann ertrinken die Sterne ringsum in feuriger Glut, Götzenbilder splittern zu irdenen Scherben, und wiedereinmal schmilzt alle geprägte Form in tausend Hochöfen, um zu neuen Werten gegossen zu werden."

    Wenn ich manchen Beitrag hier als übertrieben rückwärtsgewandt empfinde, sei mir das verziehen .. und jetzt geh ich weiter lesen

    Ron

  • Zitat von "Restitutor Orbis"


    Gebäude, in denen niemand gerne lebt oder arbeitet.

    Danke für deine Antwort. Ist ok, wenn ich noch was frage? Ich hoffe :) ...

    Das liest sich vielleicht spitzfindig, ist aber ernst gemeinte Frage: woran stelle ich fest, daß jemand nicht gern in einem Gebäude ist? Er ist drin oder nicht - das ist beobachtbar. Und dann sagt derjenige was, wenn man ihn fragt, was er für eine Begründung hält. Aber das sind doch immer Mythen, keine irgendwie fixen Wahrheiten.


    noch was ganz anderes: wenn ich seit 3,4 Tagen durch mein Dorf gehe, sehe ich die Häuser und Hütten mit anderen Augen. Das Lesen in diesem Forum hat meinen Blick für Bau-Details geöffnet ... ist irre. :schockiert:

  • Zitat

    Das liest sich vielleicht spitzfindig, ist aber ernst gemeinte Frage: woran stelle ich fest, daß jemand nicht gern in einem Gebäude ist?

    Naja, zugegebenermaßen ist die äußere Hässlichkeit eines funktionalen Gebäudes zweitrangig, wenn mann sich in ebensolchen befindet.

    Als kleines beispiel kann ich nur folgendes anführen:

    Ich war neulich im "schönen" Rathaus zu Essen -das ist genauso ein Bau, nur schlimmer- auch drinnen versprühte er den gammligen Charme vom Teppich bis zur Neonbeleuchtung. Als ich die Sekretärin darauf ansprach, winkte sie nur ab und meinte, hier ist schon längst was überfällig.
    Auf der anderen Seite ist es den meisten glaube ich relativ egal in was für einem Gebäude sie arbeiten, hauptsache, dass sie Arbeit haben...


    Zitat

    noch was ganz anderes: wenn ich seit 3,4 Tagen durch mein Dorf gehe, sehe ich die Häuser und Hütten mit anderen Augen. Das Lesen in diesem Forum hat meinen Blick für Bau-Details geöffnet ... ist irre. schockiert

    Na siehst Du, geht doch.
    Da steckt des Pudels Kern. Mag sein, dass manches hier elitär klingt. Kommt aber daher, dass unsereins mit offenen Augen durch Deutsche Städte läuft!
    Aber das ist ja noch gar nichts gegen den Elfenbeinturm der Architekten und Städteplaner...