• Investoren stehen in Quedlinburg nicht gerade Schlange und es gibt genug Brachen und leerstehende Häuser, die die Stadt nur allzu gerne und vermutlich auf eigene Kosten für einen Investor sofort platt machen würde. Ich glaube eher nicht, dass es sich um Investoren-Brandstiftung handelt. Vor etwa einem Jahr sind in Quedlinburg auch zwei Fachwerkhäuser abgebrannt, die allerdings bewohnt waren. Das Feuer entstand damals, weil jemand Müll, der vor den Häusern stand, angezündet hatte. So etwas könnte ich mir hier auch vorstellen, vielleicht Jugendliche, denen langweilig war...

    Die Welt muss romantisiert werden! - Novalis

  • Einmal Brandstiftung, einmal Grillen auf dem Balkon. Ersteres gehört hart bestraft, wenn sie den Typ erwischen, die zweite Tätigkeit in einer solchen Fachwerkstatt schlicht verboten. Wenn sie Würstchen grillen wollen, am Ende noch mit Brandbeschleunigern, dann im Garten oder auf der Wiese, nicht aber im Altstadtbereich.

  • Ich und Forumsmitglied Weingeist weilten am letzten Sonntag in Quedlinburg, und man muss ganz klar sagen, die Brände der letzten Zeit sind wahrlich das geringste Problem, das die Stadt gegenwärtig hat. Der Sanierungsrückstand wird, sobald man auch mal nur ein paar hundert Meter abseits klassischer touristischer Routen gerät, sofort augenfällig.

    Ganze Straßenzüge, unter denen sich auch immer wieder mal bedeutendere Bauten befinden, stehen leer, teilweise wohl schon seit Jahren. Schlimmstes Beispiel ist die Gegend um den Ägidiikirchhof, die wie eine Geisterstadt wirkt; in der Nähe vergammelt an der Schmale Straße sogar ein mit dem blauen Kulturdenkmal-Signet gekennzeichnetes Haus, das mit Treppenfriesen und Vierpässen verziert ist, und somit einer verschwindend geringen Sorte gehört.

    Ich war schon ziemlich entsetzt darüber, solche Zustände 20 Jahre nach der Wende in einer Stadt vorzufinden, die den Titel des UNESCO-Weltkulturerbes trägt. Andererseits besitzen die sanierten Straßenzüge eine höhere Authentizität als beispielsweise in Goslar, weil hier sichtbar das Wirtschaftswunder des Westens mit all seinen negativen Aspektven vorbeigezogen ist. Bemerkenswert auch, mit was für einem absoluten Schrott die Lücken rezent gefüllt wurdne und werden, was wiederum auf die Not schließen lässt, in der sich Stadtkasse und Kommunalpolitik befinden müssen.

    Gute Nachrichten dagegen vom Kornmarkt mit dem Brandschaden an der Ecke (siehe erste Seiten im Thread): im Palais Saalfeld, wo nun die Deutsche Stiftung Denkmalschutz eingerichtet ist (übrigens ein fantastisches Gebäude, das jedem zur Besichtigung offen steht), gab uns ein freundlicher Herr die Auskunft, dass eine, so wörtlich, Rekonstruktion geplant ist, es stehe nur noch nicht fest, wann es los gehe. Das ist auch bitter nötig, denn die Wirkung beim Blick in den grandiosen Kornmarkt mit der sich darüber erhebenden Neustädter Kirche, der wohl zu den großartigsten Straßenzügen Deutschlands gehört, wird durch die Brandstätte doch arg getrübt.

  • Leider geht es wirklich nur relativ langsam mit der Sanierung der Quedlinburger Altstadt voran, aber es lassen sich doch von Jahr zu Jahr Fortschritte erkennen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Sicherung des Schlossberges in den vergangenen 2 bis 3 Jahren auch dafür gesorgt hat, dass die Häuser der Alstadt etwas weniger denkmalpflegerische Aufmerksamkeit bekommen haben. Meiner Ansicht nach rühren viele Probleme von den Stadtoberen her. Diese haben sich nach der Wende, wie man mir kürzlich mitteilte, ganz dezidiert dafür ausgesprochen, aus Quedlinburg kein zweites Rothenburg zu machen - das wäre ja auch furchtbar...
    Die Stadt schafft es einfach nicht, von ihrem Welterbetitel zu profitieren und Touristen anzulocken. Normalerweise sollten sich rund um die Uhr Amerikaner und Japaner durch die Gassen wälzen. Stattdessen werden ab 20 Uhr die Bordsteine hochgeklappt. Während das nur wenige Kilometer entfernte Wernigerode eine komplett sanierte Altstadt und viele Touristen hat, verirren sich nach Quedlinburg nur wenige, die auch über Nacht bleiben. Und Leute, die es wagen, ein Restaurant in der Stadt zu eröffnen, werden oft behindert und ausgegrenzt, wenn sie von außerhalb kommen, das hat mir dort zumindest ein Gastwirt erzählt. Das Wichtigste wäre wohl also, wenn die Stadt erstmal einen kompletten Wechsel in der Verwaltung bekommen würde.
    Nichtsdestotrotz hat sich aber viel in den letzten Jahren getan und die Stadt verfügt, wie ich finde, noch immer über ein erstaunlich homogenes Stadtbild. Leider hat man bereits zu DDR-Zeiten ein ganzes kleines Fachwerkviertel nördlich vom Markt und angrenzend an den Kornmarkt abgerissen und in Hallescher Monolithbauweise als "angepasste" Plattenbauten wieder hochgezogen. Das Viertel um die Ägidienkirche ist leider wirklich noch komplett unsaniert und dem Verfall preisgegeben. Und in der Schmalen Straße befinden sich ein paar der abstoßendsten Neubauten, die ich je gesehen habe. Nun ja, sehen wir mal, was die Zukunft bringt.
    Die Rekonstruktion am Kornmarkt wäre natürlich grandios, darum glaube ich noch nicht recht dran. Für alle, die mithelfen wollen, die Altstadt von Quedlinburg auf Vordermann zu bringen, hier das Spendenkonto der Deutschen Stiftung Denkmalschutz:

    Deutsche Stiftung Denkmalschutz
    Commerzbank AG Bonn
    BLZ 380 400 07
    Kontonr. 305555500
    "1005977 Quedlinburg"

    Die Welt muss romantisiert werden! - Novalis

  • Zitat

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    Von wann ist das große Fachwerkhaus an der Ecke? Sieht recht alt aus, auch wegen der angeblatteten Strebe.

  • Das ist Bockstraße 1. Mehr ist von hier aus nicht herauszufinden. Es ist auch nicht im brandneuen Büchlein „Fachwerkarchitektur in Quedlinburg“ enthalten, was abseits teurer Fachzeitschriften die erste Veröffentlichung dieser Art überhaupt darstellt. Das zumindest in Teilen steinerne Erdgeschoss könnte eine ältere Kemenate sein, im Harzraum ist es ja gar nicht so unüblich, dass diese mit jüngeren Fachwerkbauten überformt sind. Die Fassade zeigt Stilelemente der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts, was natürlich auch nichts über einen älteren Kern aussagen muss. Nicht weit davon steht ja auch ein Steinbau von 1215 (d).

    Nachfolgend – erneut im Vorgriff auf kommende Galerien – ein Foto durch den Kornmarkt, wo das Gebäude am Ende (jenseits der trennenden Breite Straße) etwas besser auszumachen ist:

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    Links die Brandstätte an der Ecke (siehe auch hier), der gewaltige städtebauliche Schaden ist im nachfolgenden Bild noch etwas besser zu erkennen. Hoffen wir, dass es bald zur angekündigten Rekonstruktion kommt:

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    Einmal editiert, zuletzt von RMA (10. Juni 2011 um 00:34)

  • Zur Verdeutlichung der zwei vorangehenden Beiträge:

    Zitat

    Fachwerkstadt erneut in Not
    Eine laufende Studie zur Erfassung aller Bauten im Welterbegebiet beziffert den Leerstand auf 250 Häuser, davon 150 als "akut gefährdet." Alle übrigen sanierungsbedürftigen Häuser mitgerechnet, ist ein Drittel des Bestands vom Verfall bedroht, heißt es beim Sanierungsträger "Baubecon". Zugleich muss SPD-Oberbürgermeister Eberhard Brecht den Notstand verkünden. Die Stadt stellt keine Anträge auf Fördergelder mehr, der Haushaltsposten für die Eigenmittel ist auf "Null" gesetzt.[...]

    Akute Bedrängnis
    Aber die Erfolgsquote kann den Restbestand nicht relativieren. Vielmehr bedroht er das, was schon erreicht ist. Die Häuserpioniere bekommen das immer mehr zu spüren. Feuchtigkeit dringt von Nachbargebäuden ein, der Hausschwamm könnte übergreifen. Gehwege werden hier saniert, da gesperrt, weil Ziegel herabfallen.

    Weitere 20 Jahre ungebremsten Verfalls haben gefährdete Häuser mittlerweile in akute Bedrängnis gebracht. Große, einst prachtvolle Bürger- und Händlerhäuser wie das an der Ecke zum Klink verrotten sichtbar. Dem Blick verborgen bleibt, wie die Hofanlage einstürzt. Die fein gemachte Touristenstrecke zum Schlossberg ist das eine, der halb verödete Steinweg oder der grassierende Leerstand im Nikolaikirchhof das andere.

    Wie in der Pölle bereits geschehen, drohen nun Einzelabbrüche Lücken in Straßenzüge zu reißen. Und die Gasse von hochaufragenden Fachwerk-Bürgerhäusern im Ägidikirchhof, einst zum Förderschwerpunkt ausersehen, sucht jetzt einen Retter in höchster Not.


    Fachwerkstadt erneut in Not - mz-web.de

    Also - wer helfen kann: :trommeln:
    Deutsche Stiftung Denkmalschutz
    Commerzbank AG Bonn
    BLZ 380 400 07
    Kontonr. 305555500
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    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Zitat

    Bauarbeiten verursachen neuen Großbrand

    Mehr als 1.300 dicht an dicht gebaute Fachwerkhäuser - der historische Schatz der UNESCO-Stadt Quedlinburg ist Fluch und Segen zugleich. Denn: Immer wieder setzen Großbrände den Einwohnern zu und zerstören Teile des Welterbes. Nun fielen wieder denkmalgeschützte Häuser den Flammen zum Opfer. Dieses Mal ist der Brand durch Dacharbeiten verursacht worden.

    Quelle: Bauarbeiten verursachen neuen Großbrand | MDR.DE

  • Wenn man schon mal in Quedlinburg ist, lohnt auch ein Abstecher nach Ditfurt. Das ist ein kleines Dorf, noch recht gut erhalten und ich konnte nicht eine einzige Bausünde entdecken! Keine Asbestfassadenverkleidungen, keine Glasbausteine, keine Betonfertigteilkonstruktionen. Nichts. Das Dorf könnte so 1:1 als Kulisse für einen Film aus der Zeit um 1900 herhalten.

    Schlecht war nur, dass das Bahnhofsgebäude am Verfallen ist und auch sonst einige Häuser unbewohnt waren. Aber immerhin hat dieses Dorf einen Bahnhof.

  • Das Problem von Quedlinburg scheint mir weniger das Feuer als der Leerstand zu sein. Quedlinburg hat nach wie vor mit Bevölkerungsrückgang zu kämpfen und die Prognosen gehen von 20 % weniger Bevölkerung in 2025 aus. Hierzu ein interssanter Bericht: Quedlinburg - ein Weltkulturerbe vor dem Verfall | MDR.DE

    Einwohner
    (auf dem Gebietsstand von 2010)
    1989: 29.096
    2009: 21.372
    2025: 17.479 (Prognose)

    Auf einer Fläche von 90 Hektar stehen von 1300 Fachwerkgebäuden etwa 250 Häuser leer und sind ernsthaft bedroht, zu verfallen. 60 % sind grundhaft saniert worden, der Rest wartet auf seine Sanierung.

    Angesichts des weiteren Bevölkerungsrückganges wird sich natürlich ein Investor fragen müssen, wer soll in den Häuser wohnen?

    Einmal editiert, zuletzt von Roland (10. Dezember 2011 um 17:13)

  • Ich habe ein Bild des Bahnhofs von Ditfurt hier gefunden:
    http://www.vm2000.net/48/klink/stationen.html

    Überhaupt sind da einige wundervolle kleine Bahnhofsgebäude drunter, für die dringend eine Sanierung und Nutzung her sollte. Das in Rieder gefällt mir sehr gut. Im Zuge der Erhaltung von Industriedenkmalen sollte man hierfür dringend Investoren finden oder Fördermittel auftreiben. Leider ist die Bahn hinsichtlich der Veräußerung ihrer Liegenschaften oft nicht sehr kooperativ, was ich schon von Leuten erfahren habe.

    Der Bahnhof in Quedlinburg sieht ja immerhin ganz schmuck aus:
    http://de.wikipedia.org/w/index.php?ti…=20090520205011

  • UHW, dieser Stadt bleibt auch nichts erspart...

    Zitat

    Stadtrat der UNESCO-Stadt wählt den gebürtigen Rostocker bereits Mitte Januar
    Burzan kann Bauamts-Chef in Quedlinburg werden

    Quelle: Burzan kann Bauamts-Chef in Quedlinburg werden / Stadtrat der UNESCO-Stadt wählt den gebürtigen Rostocker bereits Mitte Januar - Neue Rottweiler Zeitung Online. Nachrichten aus der Region Rottweil.

  • Eine weitere Sprosse in der Karriere dieses Mannes. Den Rottweilern zufolge wieder ein Fall wo Leute, die weder fuer anstaendigen Denkmalschutz noch fuer richtiges Handeln zu Gunsten eines ansprechenden Stadtbilds auch nur die geringste Ader haben, von Ort zu Ort herumgereicht werden und ueberall ihre elenden Spuren hinterlassen duerfen. Kombiniert mit dem Gemauschel/Desinteresse der verantwortlichen Stadtoberen kann einen da ja kaum noch etwas wundern. :kopfschuetteln:

    Quedlinburg wird die Burzan-Aera ueberleben und ich hoffe, dass es so unbeschaedigt wie moeglich davonkommt. :engel: