• Ich seh’s jetzt nicht ganz so kritisch wie Jakob, zumal ja offensichtlich noch weitere Gebäude existieren, die steinsichtig oder fachwerksichtig geblieben sind, allerdings stellt sich für mich schon die praktische Frage warum man den Sockel nicht steinsichtig gelassen hat. Dort ist klar, dass dieser durch das hervortreten der Wand und deren Neigung komplett Regen und Wetter ausgesetzt ist und der Putz/die Schlämme in kürzester Zeit “angeschmutzt” aussehen dürfte und in wenigen Jahren dann stockfleckig schwarz bzw. teilweise abgeplatzt oder abgewaschen. Dann dort lieber gleich steinsichtig lassen, zumal das sowieso der “Hierarchie” entspräche. Ansonsten hat man mal wieder das komplette Dach im reinsten Einheitsrot erneuert, sodass sich da auch wirklich nie eine Patina bilden kann. Das sieht man so oft bei großen öffentlichen, denkmalgeschützten Gebäuden: alle 20 Jahre einmal komplett neues Dach. In Deutschland sind Dachlandschaften so gut wie nicht vorhanden als denkmalpflegerischer Aspekt.

    Der kleine Anbau ist wohl der Notwendigkeit geschuldet einen Rundgang zu etablieren wie Jakob bereits ausführte. Unter der Prämisse, dass dieser unbedingt sein musste, kann ich nur sagen: hervorragend! Endlich mal kein Stilbruch, kein Glaskasten, der als “eigenständige Zutat des 21. Jahrhunderts selbstbewusst und abgrenzend zum Bestand” hervortritt (man denke nur an die drohende Katastrophe in Gottorf, die bereits vollendeten am Schloss Wittenberg und der Burg Hohenzollern und an vielen anderen Orten, die Beispiele sind mittlerweile Legion).

    Der rekonstruierte(?) Giebel ist m.E.n. sehr gelungen und bereichert diese Ansicht, macht sie pittoresker. Im Prinzip hat man eh nicht viel gemacht, vier kleine Fensteröffnungen geschaffen bzw wiedergeöffnet und die Spitze ergänzt plus zwei Gliederungen links und rechts. Kleiner Eingriff, große Wirkung.

  • Diese Vorstellung von stein- und fachwerksichtigen Fassaden ist oft eine des 19. Jahrhunderts, die in unseren Köpfen rumgeistert.

    Ja, das ist in der Tat eine sehr häufige Fehlinterpretation des 19. Jahrhunderts. Im 20. Jahrhundert wurden diese Fehler bei zahlreichen Bruchsteinfassaden vielfach korrigiert, als der Denkmalpflege differenzierte Methoden der Befundanalyse zur Verfügung standen. Eine Ausnahme bildet übrigens die Außenhaut mittelalterlicher Backsteinbauten dar. Die waren - im Gegensatz zu ihrem Inneren - grundsätzlich steinsichtig. Auch präzise gearbeitete Sandsteinfassaden waren in aller Regel steinsichtig. Spannend wird es dort, wo Befunde nahelegten, dass der Putz oder die Schlämmschicht dazu genutzt wurden, um ein regelmäßiges Quadermauerwerk aufzumalen. Ein solches galt offensichtlich häufig als Idealform.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Mein Senf fehlt noch.

    Mir gefällt das Ergebnis sehr gut. Die Wiederherstellung des Giebels ist wirklich erfreulich. Einen steinsichtigen Gebäudeteil gibt es ja außerdem noch immer. Es wurde nicht das gesamte Ensemble verputzt.

    (...) Ich bin von diesem Anbau nicht gerade angetan, aber es wird mit einer besseren Nutzung der Gebäude zu tun haben. (...)

    Dieser Anbau fügt sich doch endlich mal perfekt ein und macht den Bau sogar noch kleinteiliger. Wenn es sich nicht um ein Weltkulturerbe handeln würde, hätte man vielleicht einen Anbau aus Glas gewählt. Also ist doch alles prima. :wink:

  • Zitat von Urpotsdamer

    Ohnehin ist die Steinsichtigkeit meist unhistorisch und hat mehr mit den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts zu tun, wie "mittelalterliche (im vorliegenden Fall Renaissance-)Bauwerke auszusehen haben.

    Das ist wiederum unsinnig. Denn wenn eine Zeitschicht seit 150/170 Jahren besteht, mithin also von Generationen von Menschen so erlebt wurde, auch wenn sie damals aufgrund von Fehlannahmen bewusst oder unbewusst so überarbeitet wurde, dann ist sie nicht “unhistorisch” sondern eine eigene, legitime historische Zeitschicht, die genauso ihre Existenzberechtigung hat. In diesem Fall hat man sich aber begründeterweise für eine andere entschieden.

  • Auch bei der Festung Salzburg wurden im Zuge einer Sanierung die Außenfassaden weiß getüncht. Innerhalb kürzester Zeit hat sich hier schon Patina gebildet, obwohl das Projekt noch gar nicht abgeschlossen ist, wie z.B. an den Fotos des folgenden Beitrags zu erkennen ist:

    Rund um die Festung Hohensalzburg: Bei der Sanierung der Wehrmauern wird auf Pinzgauer Expertise gebaut
    Die alten Wehranlagen der Festung Hohensalzburg müssen aufwendig und vor allem auch denkmalschutzgerecht saniert werden. Da ist seitens der beteiligten…
    www.sn.at
  • Das ist wiederum unsinnig. Denn wenn eine Zeitschicht seit 150/170 Jahren besteht, mithin also von Generationen von Menschen so erlebt wurde, auch wenn sie damals aufgrund von Fehlannahmen bewusst oder unbewusst so überarbeitet wurde, dann ist sie nicht “unhistorisch” sondern eine eigene, legitime historische Zeitschicht, die genauso ihre Existenzberechtigung hat. In diesem Fall hat man sich aber begründeterweise für eine andere entschieden.

    Da hast Du Recht. Bei einem Neorenaissance- oder Neoromanischen Bau würde ich die Steinsichtigkeit auch niemals aufgeben wollen. Allerdings denke ich auch nicht, dass diese Zeitschicht "genauso" ihre Existenzberechtigung hat. Bei gleichen Voraussetzungen (v.a. betreffend Sicherheit des Befundes) sollte der ursprünglicheren Fassung immer der Vorzug gegeben werden.

  • Dann dürfte UrPotsdamer ja aufgefallen sein, daß tegula erst - dankenswerterweise - nach meinem Beitrag zitiert hat. Vorher ist schlicht und einfach ins Blaue geschrieben worden.

    tegula schreibt :

    "... Restaurierung der Putz- und Werksteinfassaden von oben nach unten mit den Ziergiebeln beginnend, Farbfassung in traditioneller Kalktechnik nach dem barocken Befund mit rotockerfarbenem Fond, hell abgesetzten Gliederungen und hellen eichenfarbtonigen Fenstern ..."

    Da frage ich mich schon, wenn es denn eindeutig auf allen fraglichen Flächen befundet wurde, wieso letztlich kein Rotocker verwendet wurde.

  • Vorher ist schlicht und einfach ins Blaue geschrieben worden.

    Hier hat niemand ins Blaue hinein geschrieben. Ich hatte wie erwähnt bereits die Information, dass man sich am barocken Zustand des 18. Jahrhunderts orientiert hatte. Da dir diese Auskunft offensichtlich nicht genügte, habe ich nach weiteren Details recherchiert und diese auch nachgereicht. Darüber hinaus habe ich darüber aufgeklärt, wie die Denkmalpflege grundsätzlich in solchen Fällen arbeitet und ihre Entscheidungen für bestimmte Zeitschichten fällt. Alles kein Grund, deine Mitforisten als "aufgeblasene Schwadronierer" zu bezeichnen, wen auch immer du damit gemeint haben magst. Ich sah jedenfalls keinen Anlass, das auf mich zu beziehen, also ignorierte ich diese Entgleisung.

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  • Da frage ich mich schon, wenn es denn eindeutig auf allen fraglichen Flächen befundet wurde, wieso letztlich kein Rotocker verwendet wurde.

    Doch, das ist Rotocker. Der genaue Farbton hängt vom Eisengehalt ab sowie vom Mischungsverhältnis zwischen Bindemittel und Pigment und von anderen Faktoren. Unter der Bezeichnung "Rotocker" finden wir daher eine ganze Palette an Farbtönen.

    Der gewählte Anstrich gehört stilistisch ins 18. Jahrhundert und trägt dazu bei, historische Bezüge wiederzugewinnen. Eine denkmalpflegerisch fundierte Farbgebung ist der Orientierung an heutigen Sehgewohnheiten oder an Klischeevorstellungen unserer Zeit über vergangene Epochen vorzuziehen.

    Die vereinzelt geäußerte Befürchtung, die helle Fassade könnte rasch verschmutzen, teile ich nicht. Es gibt schließlich zahlreiche historische Bauwerke mit hellen Anstrichen. Um nur einige Beispiele zu nennen: die Prager Burg, die Wartburg, die Festung Königstein, Schloss Heidecksburg in Rudolstadt, Schloss Hartenfels in Torgau, Stift Melk in der Wachau.

  • Sehr schöne neue Doku des NDR über die Fachwerk-Pracht in Quedlinburg:

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  • Naja, ich weiß nicht. Ich mag diese Art der TV Dokumentationen mit absichtsvoll eingesprenkelter anekdotischer Evidenz nicht. Trotzdem interessant, dass sich wie im Film gezeigt syrische Fachleute in der Wiederherstellung von Fachwerk ausbilden lassen... Gibt es Fachwerkbauten in Syrien?

  • Trotzdem interessant, dass sich wie im Film gezeigt syrische Fachleute in der Wiederherstellung von Fachwerk ausbilden lassen... Gibt es Fachwerkbauten in Syrien?

    Es gibt in Syrien auch keinen Harzer Käse, trotzdem werden womöglich Syrer in Käsefabriken arbeiten. Wo ist das Problem, wenn sie eine sinnvolle Tätigkeit bekommen?