Proportionen, Maßstäblichkeit im Ensemble, Regionalität/"Lokalität", etc. All das ist nicht irgendwie gefühlig, sondern kann sehr wohl objektiv beurteilt werden. Und sich sogleich die Frage stellen, sollte so etwas je irgendwann an irgendeinem Ort mal zur Debatte stehen, warum sollte man die gleichen Fehler wiederholen?
Damit gehe ich völlig konform. Die nächste Frage ist dann aber: Wie geht man mit dem Thema Rekonstruktion um? Ich kann mich nicht für eine Rekonstruktion entscheiden – also für den bewussten Rückgriff auf eine frühere, konkret belegte Gestalt – und diese dann so lange „optimieren“, bis sie allen Maßstäben genügt. Dann ist es eben keine Rekonstruktion mehr, sondern ein Neubau, der verschleiert, wie es an dieser Stelle tatsächlich einmal aussah. Versteht ihr das? Dieses ständige Negieren historischer Gegebenheiten, nur weil sie Maßstäben nicht entsprechen, funktioniert bei Rekonstruktionen nicht. Man kann nicht beliebig Maßstäbe ändern und es weiterhin „Rekonstruktion“ nennen. Wenn überhaupt, ist es dann eine Teilrekonstruktion.
Es geht übrigens auch umgekehrt: In Wiesbaden wurde im Zweiten Weltkrieg das Kavalierhaus neben dem Stadtschloss zerstört, ein dreigeschossiger Bau des Klassizismus. Die Ruine wurde abgetragen und in den 1950er-Jahren mit einem zusätzlichen Stockwerk „rekonstruiert“. Dabei hat man nicht nur aufgestockt, sondern auch die Geschosshöhen angepasst. Heute ist dieser Zustand so selbstverständlich geworden, dass viele annehmen, das Gebäude habe immer vier Geschosse gehabt. Man nimmt einem Bau, der aus einer bestimmten Epoche stammt, ein Stück seiner Identität – es bleibt ein verändertes Abbild. Im Inneren ohnehin, weil es dort bisher kaum ernsthafte Rekonstruktionsbemühungen gibt.