Unterschätzte deutsche Städte

  • Hallo zusammen!

    Hoffe das ist hier im richtigen Bereich gelandet. Mich würde mal interessieren, welche Städte ihr als besonders unterschätzt erlebt habt - weil ihr vielleicht wenig erwartet habt und positiv überrascht wurdet oder weil sie allgemein verhältnismäßig wenig Tourismus haben? Und was hat euch dort positiv überrascht ?

    Spontan fällt mir dazu erstmal Folgendes ein:

    1. Freiburg im Breisgau - Tatsächlich ein ganzer Teil fast komplett unbeschädigt, viel Grün außenherum und teilweise meiner Meinung nach durchaus sich einfügende, qualitative Wiederaufbauarchitektur.

    2. Durlach (Karlsruher Stadtteil) - Zwar ohne wirklich bedeutende Architektur, aber eigentlich so gut wie durchweg erhaltene kleine Barockstadt.

    3. Freudenstadt - Ein meiner Meinung nach gutes Beispiel für gelungenen Wiederaufbau in traditioneller Bauweise mit wenigen Bausünden, tolle Lage inmitten vom Schwarzwald.

    4. Ulm - Erstaunlich viel geschlossene Vorkriegsbausubstanz, viel freigelegtes Fachwerk und einige sehr schöne Bürgerhausfassaden u.a. aus der Renaissance.

    5. München - Wohl die Stadt mit der meisten Altbausubstanz unter den ü 500.000ern heutzutage, einige volle Rekonstruktionen, meiner Meinung nach mit die besten traditionellen Nachkriegsbauten (neben einigen Bausünden leider).

    6. Augsburg - Riesige und ziemlich gut erhaltene Altstadt, brauchte 3 Tage, um alles gesehen zu haben.

    7. Mainz - Beinahe komplett erhaltene südliche Altstadt, größer als gedacht, einige Fachwerkhäuser von hoher Einzelqualität, viele enge Gassen, keine extremen Bausünden (nur in der südlichen Altstadt natürlich).

    8. Wiesbaden - Relativ geschlossene Altbausubstanz in der Innenstadt, zwar keine mittelalterliche oder barocke, dafür sehr viel aus dem 19. Jahrhundert (was ich auch sehr schön finde).

    9. Baden-Baden - Schöner Kern, zu großen Teilen im Barockstil, nahezu vollständig erhalten, zu Fuß einer beeindruckenden Burgruine (Altes Schloss).

    Wie unschwer zu erkennen ist, bin ich aus dem Süden und im Norden bisher leider noch nicht so viel herumgekommen. Schön fand ich Stralsund, aber da ist die Erwartung als Weltkulturerbe ja auch schon entsprechend hoch.

    Bin gespannt was euch positiv überrascht hat. Haut raus!

  • Halle an der Saale

    Wirklich DIE Stadt über 200.000 Einwohner schon in der Vorkriegszeit, die keine Flächenbombardements abbekommen hat. Das sieht man auch heute noch. Flächenabrisse mit Bausünden aus DDR- und Nachwendezeit gibt es natürlich leider auch. Gleichzeitig ist noch eine ziemlich große Altstadt mit historischen Gebäuden verschiedener Zeitschichten vorhanden. Eine weitestgehend mittelalterliche Stadtstruktur besteht noch, an etlichen Stellen gründerzeitlich spannend überformt. An die Altstadt schließen sich noch reizvolle Gründerzeitviertel an, besonders das Paulusviertel. Die Saalelandschaft bringt spannende Topographie und tolle Parks.

  • Lüneburg. Spontane Kundgebung. In Norddeutschland meine Nr. 1, weil vom Bild und vom Milieu hier wirklich alles in idealer Harmonie zusammenspielt. Die Stadt hat Herz und Seele und hat mich emotional viel mehr angesprochen als meine mehrfachen Aufenthalte in Lübeck es vermochten. Bei Lüneburg passt´s halt... Eine von ganz wenigen Städten, wo ich mir direkt vorstellen könnte, dort zu leben (neben Erfurt, Limburg, Freiberg und Bautzen).

  • Tandem Halle kenne ich und ich sehe es ähnlich, wobei ich beim ersten Mal sogar etwas enttäuscht war. Ich habe vorher gelesen, dass Halle die am wenigsten zerstörte Großstadt im Krieg war und dann gab es doch einige Ecken mit Plattenbauten zwischen den schönen Straßenzügen (hat die DDR ja gemacht). Allerdings habe ich danach beim 2. Mal gedacht, dass es doch insgesamt wenig ist und ich wohl ein bisschen übermäßig kritisch war wegen meiner hohen Erwartung. Bleibt die Frage was ist mit Lübeck ? Müsste doch allein von der Bedeutung der Backsteingotik und der Größe der Altstadt her ganz vorne mit dabei sein.

    Weingeist Ja, Lüneburg ist auf meiner to do Liste direkt auf einem Level mit Goslar und Quedlinburg. Da ist die Erwartung auch ziemlich groß, aber ich denke ich werde auch nicht enttäuscht sein.

  • Helmstedt hat mich überrascht, ich hatte keinerlei Erwartungen und Vorkenntnisse und fand mit dem Juleum, dem Hausmannsturm, dem Rathaus sowie dem Rohrschen Haus herausragende Sehenswürdigkeiten vor.

  • Ich finde es schwierig, hier die richtigen Orte zu nennen. Ich bin seit 35 Jahren intensiv unterwegs in historischen Altstädten und bereite mich als Kunsthistoriker und Kulturblogger entsprechend auf die Reisen vor. Insofern erlebe ich selten wirkliche Überraschungen. Was ich als unterschätzt bezeichne, mag im Allgemeinen nicht so gesehen werden oder umgekehrt, was viele als unterschätzt sehen, ist für mich eine Binsenweisheit, weil ich die Stadt gut kenne. Insofern finde ich die Kategorie etwas schwierig und sehr subjektiv. Aus dieser Warte fallen mir folgende Städte ein, die ich in den vergangenen Jahren als attraktiver erlebt habe, als erwartet: Putbus, Bad Arolsen, Neustrelitz und Herford. Unter den Großstädten entzückt mich immer wieder Paderborn. Interessanterweise sind drei davon neuzeitliche Planstädte, die dem auf mittelalterliche Altstädte geschulten Auge eine willkommene Abwechslung liefern. Es sind also eher die kleinen Perlen, die mir eine "aha" entlocken. Allerdings muss ich gestehen, dass ich nicht alle Regionen gleichermaßen kenne. Weiße Flecken existieren bei mir teilweise in Bayern, Thüringen, Sachsen und im Saarland.

  • Meine Antwort ist Dinkelsbühl. Die Stadt ist natürlich berühmt für ihre Altstadt und schmückt sich auch mit dem Titel "Schönste Altstadt Deutschlands", bei solchen Preisen bin ich aber imner äußerst skeptisch und natürlich gibt es noch viele weitere großartige und sehenswerte Altstädte, die so einen Titel ebenfalls verdient hätten.

    Ich habe zwar eine schöne Stadt erwartet, aber mit der Befürchtung, dass es vielleicht zu perfekt, zu touristisch, zu überlaufen, zu klischeehaft, vielleicht sogar kulissenhaft wirkt. Schon der erste Blick auf die Türme der Stadt hat mich jedoch gefesselt und hat meine Sorgen weggewischt. Die Stadt besitzt für mich etwas, das sich nur noch schwer finden lässt: Ursprünglichkeit. Gärten an der Stadtmauer, eine wohltuende Ruhe abseits des belebten aber trotz traumhaften Wetters nicht überrannten Marktplatzes samt Weinmarkt, einfach eine Idylle rund um die Wörnitz, den Rothenburger Weiher, generell an der Stadtmauer und in sämtlichen Nebengassen, von deren Erholung ich noch lange gezehrt habe. Man spürt die Liebe und Verbundenheit der Bewohner mit ihrer Stadt und das vorhandene Bewusstsein im Umgang mit dem reichen architektonischen, kulturellen und geschichtsträchtigen Erbe.

    "Seine Welt zeige der Künstler - die niemals war noch jemals sein wird“

    - Hermann Bahr (Inschrift des Ateliergebäudes der Darmstädter Künstlerkolonie)

  • Was genau hat dir an Paderborn denn gefallen ?

    Nun, natürlich wusste ich, was mich architektonisch erwartet. Einerseits sind da die deutlichen Zerstörungen des Krieges, aber auf der anderen Seite die unfassbar lange Zeitspanne bedeutender Architektur, die bis in die Karolingerzeit reicht, aber auch im Barock von einer neuen Blüte der Stadt zeugt. Dieser über rund ein Jahrtausend reichende Kontrast ist bemerkenswert. Das Ganze dann vor dem Hintergrund einer katholischen Stadt, die im nördlichen Teil Deutschlands kaum ausgeprägter sein könnte. Das absolute Alleinstellungsmerkmal sind aber die unzähligen Paderquellen, die in der gesamten Altstadt grüne Oasen hinterlassen, in denen sich an schönen Tagen unzählige Menschen tummeln. Diese Kombination aus romantischem Naturerlebnis, historischer Kulisse und fast mondäner Betriebsamkeit findet man extrem selten und hat mich seit dem ersten Besuch überrascht und in den Bann gezogen.

    Hier meine beiden (Kultur-)Reiseberichte zu Paderborn:

    Paderborn - Pfalz und Bistum an den Paderquellen
    Karolingische und ottonische Geschichte, frühgotische Architektur in Paderborn: Pfalz, Dom, Bartholomäuskapelle, Abdinghofkirche, Busdorfkirche
    www.zeilenabstand.net
    Schloss Neuhaus und das katholische Paderborn
    Renaissance und Barock in Paderborn und auf Schloss Neuhaus: Architektur der Gegenreformation zur Zeit der katholischen Fürstbischöfe
    www.zeilenabstand.net
  • Ludwigsburg fällt mir auf Anhieb ein. Leider wurde in dieser Stadt (wie so oft in BW) vieles falsch gemacht, dabei könnte es wahrlich ein "schwäbisches Potsdam" sein.

    In dubio pro reko

    Der größte Feind der Ideologie ist die Realität

  • tegula Interessant, danke fürs Teilen.

    Königsbau Ja, das größte unzerstörte Barockschloss soweit ich weiß. Das Blühende Barock war für mich als Kind DIE Attraktion schlechthin. Nun war ich schon lange nicht mehr in Ludwigsburg, aber soweit ich mich erinnere, wurde da viel abgerissen und modernisiert, richtig ?

  • Ja, leider. Diese Stadt könnte, ja müsste eigentlich weithin strahlen, aber man tut nichts dafür, im Gegenteil.

    In dubio pro reko

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  • Es gibt natürlich eine Reihe von schöne "erhalten" Kleinstädten in Ost-Deutschland mit Görlitz als absoluter Perle. Dann noch: Fürth, Regensburg, Fulda, Coburg und Passau zu nennen im Süden

  • Ein spannendes Thema – danke fürs Aufmachen!

    Ich komme selbst aus dem Südwesten und kann einiges bestätigen:


    Klar Baden-Baden meine Heimatstadt ist super idyllisch, nichts zerbombt worden, toll gelegen!

    Freiburg ist eine sehr lebenswerte Stadt, die landschaftlich wunderschön liegt und trotz einiger Bausünden viele charmante Ecken hat.

    Freudenstadt kenne ich gut – ich bin oft dort, es liegt etwa eine Stunde von mir entfernt. Die Lage oben auf dem Schwarzwaldplateau ist wirklich besonders, und der riesige Marktplatz ist einfach einmalig.

    Auch Konstanz am Bodensee möchte ich noch ergänzen: traumhafte Lage, tolle Altstadt – allerdings finde ich persönlich, dass der Stadtraum (wie in Freiburg) zu sehr unter wilden Graffiti leidet. Aber das ist ein anderes Thema.

    Ich war letztes Jahr erstmals in Wiesbaden – und war ehrlich gesagt ziemlich baff. Eine Stadt, die vorher nie wirklich in meinem Fokus war, mit einer beeindruckenden Altstadt und großem historischem Flair. Umso erstaunlicher, dass sie so selten genannt wird.

    Offenburg, Calw, Esslingen, Bad Urach, Schwäbisch Hall sind schön, aber eher Kleinode.

    ➡️Was mich aber wirklich begeistert hat – und wo ich finde, dass viel zu wenig Aufmerksamkeit da ist – sind Städte in Ostdeutschland.

    Ich war vor Kurzem auf einer dreiwöchigen Tour durch den schönen Osten und kann nur sagen: Was für ein Schatz! Meißen, Görlitz, Pirna, Neuruppin, Güstrow, Schwerin – jede Stadt für sich ein echtes Highlight, sei es durch die Bausubstanz, die Lage im Grünen oder die historische Tiefe. Viele dieser Orte sind komplett unterschätzt – selbst Görlitz, das mit zu den vollständigsten Altstädten Deutschlands gehört, ist für viele immer noch ein Geheimtipp.

    Neuruppin zum Beispiel – wunderschöne klassizistische Stadtanlage, direkt am See gelegen, mit spannendem Hintergrund (Fontanestadt, Wiederaufbau nach 1787 usw.).

    Güstrow mit seinem Schloss (leider Baustelle) und dem Markplatz (auch hier Baustelle) ist sehr schön.

    Schwerin: nicht nur das Märchenschloss, sondern die ganze Stadt mit See, Altstadt und landschaftlicher Einbettung ist ein Traum.

    Weitere Städte, die ich besucht habe: Rostock und Stralsund (vor ein paar Jahren) fand ich super. Rostock hat ein schönes Flair, auch wenn es dort viele Bausünden gibt.

    Was mich aber wirklich umgehauen hat, war Wernigerode und Quedlinburg – ich glaube, ich habe noch nie so eine dichte und geschlossene Altbausubstanz im Bereich Fachwerk erlebt. Man kommt dort wirklich aus dem Staunen nicht mehr raus – Straßenzug an Straßenzug, gefühlt kein einziges Gebäude aus der Nachkriegszeit, alles sorgfältig saniert, historisch tief verwurzelt, wow!

    Was mich dabei wundert: Diese Städte stehen international (und auch national) kaum im Fokus. Oder irre ich mich? Vielleicht ist das auch gut so – denn so haben sie sich oft ihre Qualität und Ruhe bewahren können. Aber wer sich für Stadtbild und Baukultur interessiert, der kommt an diesen Orten eigentlich nicht vorbei.

  • Sehr positiv überrascht hat mich Würzburg, das ich seit meinem ersten Besuch immer wieder aufsuche. Die allseits bekannten Bausünden wurden ausgiebig besprochen, jedoch wirkt die Stadt insgesamt sehr attraktiv auf mich.

    Lübeck. Obwohl die Erwartung durchaus hoch war, hat es mir mehr gefallen, als zunächst gedacht. Auch dort haben mich die diversen Bausünden nicht so sehr gestört, angesichts der überragenden Fülle an Baudenkmälern.

    "Mens agitat molem!" "Der Geist bewegt die Materie!"

  • Ich weiß nicht, ob wir uns mit diesen Aufzählungen von Geheimtipps nicht vom eigentlichen Thema entfernen. Ich habe es so verstanden, dass es eigentlich um "verkannte" Städte gehen sollte, also jene, die viel mehr aus sich machen könnten. Sehe ich das richtig?

    In dubio pro reko

    Der größte Feind der Ideologie ist die Realität

  • Ich habe das Strangthema breiter verstanden, es gibt natürlich die völlig unerwarteten Überraschungen von Städten, die einem nur wenig bis nichts gesagt haben und unerwartet mit schönen Ensembles aufwarten, deren jeweilige historische Tiefe noch besser als erwartet erlebbar ist etc. Genauso gut kann aber auch eine erhaltene Altstadt, deren Ruf ihr vorauseilt, den Besucher positiv überraschen, die Fallhöhe bzw. das Risiko enttäuscht zu werden ist hier höher.

    "Seine Welt zeige der Künstler - die niemals war noch jemals sein wird“

    - Hermann Bahr (Inschrift des Ateliergebäudes der Darmstädter Künstlerkolonie)

  • Ja, es geht um schöne Städte, die eigentlich viel mehr Besucher haben müssten, das war so mein erster Fokus. Aber dazu kann man das schon durchaus alles zählen. Wie einer ja bereits geschrieben hat, ist das Thema schon irgendwo subjektiv. Prinzipiell einfach Städte, die einen mehr geflasht haben als erwartet.

  • Ich würde gerne Füssen und Überlingen in dieser Aufzählung sehen. Bei ersterem dachte ich immer überschätzte Touri-Falle durch die Königsschlösser, wenn ich in München dann die Züge voller Asiaten dahinfahren gesehen habe, bei Überlingen überstrahlt, m.E. zu Unrecht, Meersburg und Konstanz, sodass man es gar nicht auf seiner Karte hat unbedingt. Ich habe es jedenfalls erst durch die Landesgartenschau für mich entdeckt - auch dadurch bedingt, dass es von mir aus besonders weit ,,hinten" am Bodensee liegt.