Historische Dachziegel

  • Hallo zusammen,

    bin gerade im Netz über eine interessante Grafik gestolpert und möchte euch diese nicht vorenthalten - die Regionale Verteilung von Dachziegelformen

    Interessant ist vielleicht auch der Link zum Dachziegelarchiv : https://www.dachziegelarchiv.de/weitere_informationen.html

    Oder diverse Dachziegeltypen: https://dachziegelarchiv.de/kat_thumbs.php…0#grossbildview

    Ausschnitt der Zeitachse der Dachziegelentwicklung:

    Historische Dachziegel vor 1841 hatten also keine Falz

    Was sind Handstrichziegel?

    Das ist dann wahrscheinlich die Antwort auf die Frage, warum moderne Dächer oftmals so hässlich sind und vor allem auf historischen Bauwerken so unpassend aussehen, sei es ein Fachwerkhaus in Süddeutschland oder ein Backsteinbau im Norden.

    Die Thematik der Dachziegel kam unlängst auch im QLB-Strang zu vorschein. Die Priebendächer Quedlinburgs werden offensichtlich mehr und mehr verdrängt durch Linkskremper aber auch durch einen Wildwuchs von nicht ortstypischen Dacheindeckungen (das führt mMn überall in D zwangsläufig zu einer gewissen Hässlichkeit der Dachlandschaft- bzw. in Verlängerung davon - zur Verschlechterung des Stadtbildes).

    Kann jemand etwas dazu sagen, warum die Hohlpfanne gemäß Grafik vor allem im Nordwesten dominant war und der Flachziegel im Südwesten? Hat das was mit dem Ton zu tun oder eher Handwerkstradition? Lustigerweise hatte ich vor kurzem erst einige solcher Fragen an chatGPT gestellt- mit nun deutlich falschen Antworten zum Ergebnis, offenbar kann man darauf nicht so sehr vertrauen.

  • Da normale Klinker bzw. Ziegelsteine ja genauso hergestellt bzw. gebrannt werden wie Dachziegel, hier mal eine Frage in die Runde: Ist es in Deutschland überhaupt noch möglich historische Dachziegel- und Ziegelsteine herzustellen? Oder müssten diese importiert werden? Sog. Handstrichziegel / Wasserstrichziegel? Wenn man mal googled, hat es den Anschein, als würden solche Handstrichziegel nur noch als Verblender / Riemchen hergestellt werden.

    Durch die zunehmende Industrialisierung und Automatisierung des Herstellungsprozesses dürften die traditionellen Herstellungsmethoden inzwischen von der Erdoberfläche getilgt sein. Gebäude wie unten angehängt, sind irgendwann im 15./16./17. Jahrhundert errichtet worden. Zu dieser Zeit hat man m.E. Ziegel händisch gepresst und gestrichen, danach in Kammeröfen bzw. Selbstbrandöfen gebrannt. Die Kammeröfen wurden dann um 1858 durch den Ringofen abgelöst, nachfolgend wurde der Ringofen durch den Tunnelofen im 20 Jh. abgelöst.

    https://www.baunetzwissen.de/mauerwerk/fachwissen/mauersteine/entwicklung-des-ziegelofens-8496026

    Wasserstrichpresse – Gillrath Klinker & Klinkerriemchen
    Die bewässerten Formen der Wasserstrichpresse produzieren ein besonderes »Schlierendesign«, was zu einer ganz speziellen Oberfläche führt.
    gillrath.de

    Wenn man den Herstellern glauben mag, sind Ziegelsteine, welche mittels Drehtrischpresse und Brand im Ringofen optisch mit jenen der frühen Neuzeit identisch. Ist das so? Und wie sieht es dann bei den Dachziegeln aus? Und warum sieht man überall in der Republik grässliche, homogene, abweichungsfreie, glasierte Dachziegel? Die kosten gegenüber traditionellen Ziegeln wahrscheinlich wieder bloß nen Appel und nen Ei weil die Herstellung komplett verändert worden ist über die Jahrhunderte.

  • Die Übersichtskarte ist toll, aber Thüringen und der Harz als Schieferregionen fehlen.

  • Kurprinz die Übersichtskarte ist eine idealisierte Form der Dachmaterialien. Ich habe es gerade mal gegoogled und du hast recht, in Goslar wurde u.a. Schiefer im Mittelalter abgebaut und für die "pompöseren" Gebäude verwendet, inwiefern der Schiefer das Stadtbild dominiert hat oder nicht ist mir aber nicht ganz klar. Ich würde sagen, zumindest heute, überwiegt dennoch der aus Ton gebrannte Dachziegel (Google maps), gleiches gilt für Wernigerode, Halberstadt, Quedlinburg u. A.

  • Es kommt doch ungefähr hin?:

    Naja nicht wirklich: dann wäre es genauer gesagt der Spessart, wo Schiefer dominieren würde. In Miltenberg, Lohr und Aschaffenburg sind zwar vereinzelt Schieferdächer zu finden für ausgewählte wichtige Gebäude, diese stammen aber eben nicht aus der Region, sondern eher aus dem rheinischen-Schiefergebirge.

    Auf beiden Karten fehlt übrigens noch eine andere traditionelle Dacheindeckung, nämlich die Legschieferplatten des Altmühltals in Bayern. Und das typische Schwarzwaldhaus besitzt ursprünglich Holzschindeln als traditionelle Dacheindeckung wenn man genau sein will

    Aber wir wollen ja nicht päpstlicher sein als der Papst (auf der anderen Seite: gerade in Bezug auf deutsche Altstädte lässt du ja kein gutes Haar aufgrund dieser Details im Gegensatz zum "gelobten Land" England ;))

  • Fachwerkliebhaber dann hoffe ich, dass du mit folgenden Grafik deinen Frieden finden kannst, ich möchte nicht, dass dich dieser Sachverhalt um den Schlaf bringt:

    https://www.baulinks.de/webplugin/2014/i/0271-dach-landkarte.pdf

    Dach-Landkarte: „Zeig mir dein Dach und ich sag Dir wo Du wohnst!“
    Flach, gewölbt oder wellig gekrümmt: die Formen, Farben und Aus­gangs­stoffe von acheindeckungsmaterialien in Deutschland sind so vielfältig und…
    www.baulinks.de

    Ich habe diese Karten nicht erstellt. Ich fand die historische Verteilung von Dacheindeckungen interessant, da du überall in der Republik einen zunehmenden Wildwuchs an Materialien und Dacheindeckungen beobachten kannst. Nichts passt mehr zueinander, Alles sieht aus wie Wild zusammengewürfelt (übertrieben).

    auf der anderen Seite: gerade in Bezug auf deutsche Altstädte lässt du ja kein gutes Haar aufgrund dieser Details

    Wenn du dir jetzt mal ein altes FWH vorstellst, dann nimmt so ein spitzes Satteldach mit neuen glasierten Industriedachziegeln, große Lichtdurchlässige Sprossenfenster von makelloser Qualit und dazu ne Dönerbude im Erdgeschoss prozentual viel Platz ein an so einer Fassade. Anders formuliert, von Details kannst du hier gar nicht mehr reden. Ich hebe deswegen England hervor, da ich hier zu Haufe sehen konnte, wie es schöner aussehen kann.

  • Ich hätte da mal wieder eine Dach-Frage. Dacheindeckungen haben eine gewisse Lebenserwarung. Je nach Art so zwischen 50 bis 100 Jahre. Das heißt, wenn ich jetzt ein altes FWH von 1620 habe, dann müsste inzwischen das Dach schon 4x erneuert worden sein. Ist dem so, lässt sich das verifizieren? Gibt es Dacheindeckungen, die deutlich älter sind als 100 Jahre? Ich habe z. Bsp. in der Umgebung von Sarlat Dächer an Burgen und Kirchen gesehen, die auf jeden Fall sehr alt und sehr, sehr schwer, aus gebrochenem Stein nämlich, aussehen. Diese scheinen zumindest älter als 100 Jahre zu sein.

    Aber zurück zum Ton-Ziegel:

    Historische Dachziegel unterscheiden sich durch die Art der Herstellung deutlich von den Dachziegeln, die heutzutage hergestellt werden. Das Baumaterial stammte aus lokalen Vorkommen, es gab andere Öfen, der Brand war nicht kontinuierlich oder die Temperatur nicht konstant.

    Das heißt, historische Dachziegel hatten deutlich größere Abweichungen hinsichtlich der Farbe, Form, Struktur und der Oberfläche (das Gleiche gilt auch für altes Glas).

    Wenn der Dachstuhl jetzt Morsch ist, erweitert werden soll oder die Dacheindeckung Wasser durchlässt (können alte poröse Dachziegel überhaupt wasserdurchlässig werden?), dann kommt hierzulande doch sehr häufig ein neues Dach in Frage. Die Homogenität moderner Baumaterialien haben wir alle schon gesehen.

    Kann ein heute mit modernen Fabrkziegeln erneuertes Dach nach 100 Jahren denn überhaupt so aussehen, wie unsere derzeit noch auffindbaren ältesten Dächer ? Ich wage es nämlich zu bezweifeln.

  • Die Ziegelherstellung kam zwar erst mit dem Ringofen im 19. Jahrhundert so richtig in der Massenproduktion an; gleichwohl gab es auch davor schon fortschrittlichere Brennverfahren als den Feldbrand, die durchaus weitgehend gleichbleibende Qualität erlaubten. Im fränkischen Freilandmuseum in Bad Windsheim steht ein Ziegelofen des frühen 15. Jahrhunderts, der für den kontinuierlichen Betrieb ausgelegt war.


    Zu historischen Deckungen: Viele sind nicht mehr erhalten, aber ein paar Beispiele stammen noch aus dem Hoch- und Spätmittelalter. Etwa die Martinskirche in Neckartailfingen mit einer teilweise erhaltenen Spitzziegeldeckung des 12. Jahrhunderts - ähnliche Ziegel von der Klosterkirche Prüfening (dort sind auch noch Restflächen erhalten) konnte ich vor ein paar Jahren mal in der Hand halten. Spätmittelalterliche Deckungen - jeweils Mönch/Nonne - sind etwa auf dem Chordach der Kremser Dominikanerkirche (1.Hälfte 14. Jahrhundert) und auf dem Pfründehaus in Wolframs-Eschenbach (frühes 15. Jahrhundert) erhalten geblieben, letztere heute unter einer Schutzabdeckung.

  • Zur Ziegelherstellung: Ich habe ja im Bereich des mittelalterlichen Backsteinbaus meine Dissertation verfasst. Der Fokus lag zwar auf den kunsthistorischen Aspekten, aber auch technische Fragen wurden einbezogen. Letzteres habe ich vor einiger Zeit populärwissenschaftlich in einem Blogbeitrag aufgearbeitet:

    Die Kulturgeschichte des Backsteins in Nordeuropa
    Der Ziegel in Antike, Mittelalter und früher Neuzeit: Backsteinromanik, Backsteingotik, Herstellung, Glasur, Riefelung, Formate, Mauerverbände
    www.zeilenabstand.net

    Bezeichnenderweise sind Dachziegel bei all meinen Forschungen kaum ein Thema gewesen. Konkrete Aussagen über bauzeitliche Dachdeckungen am konkreten Objekt sind enorm schwer zu treffen. Und wenn, dann hilft hier primär die Archäologie, die Bruchmaterial auffindet. Das muss dann auch noch zuverlässig datiert werden. Was ich sagen möchte: Dachziegel sind schon immer ein sehr vergängliches Material gewesen, ganz im Gegenteil zum Backstein in der Wand.

  • Wenn der Dachstuhl jetzt Morsch ist, erweitert werden soll oder die Dacheindeckung Wasser durchlässt (können alte poröse Dachziegel überhaupt wasserdurchlässig werden?),

    Das kommt auf den Herstellungsprozess und der Brenntemperatur an. Mit zunehmender Brenntemperatur versintern die Bestandteile, die Poren schließen sich, um Gefrierschäden zu vermeiden. (Googel mal Klinker/Ziegel)

    Meine Geschirrtöpferware brenne ich zwei Mal, das zweite Mal mit einer Temperatur von knapp 1270°, um sie spülmaschinentauglich zu bekommen. Seit meinen Besuch in Lissabon experiementiere ich mit selbstgemachten Außenfliesen. Bin durch Zeitmangel aber noch nicht weitergekommen. Schade. die Keramikcommunity ist gigantisch und sehr weiblich. Man müsste Architektur und Keramik vereinen.

    Beauty matters!

  • Dachziegel können Jahrhunderte überdauern.

    Die Betonung liegt auf können. Ich habe hunderte mittelalterliche Objekte - Sakralbauten des 12. und 13. Jahrhunderts - untersucht. Bauzeitliche Dachziegel sind mir nicht einmal begegnet. So etwas sind absolute Glücksfälle, zumindest in Norddeutschland.

  • In St. Gallen könnte ich jetzt einige biberschwanzgedeckte Dächer aus dem 17./18. Jahrhundert aufzählen, die grösstenteils noch aus den ursprünglichen Dachziegeln bestehen. Die älteste Deckung besitzt das 1585 fertig gestellte Waaghaus, das noch seine originale Eindeckung mit Mönch und Nonnen besitzt. Bei der letzten Restaurierung 1963 wurde die Eindeckung sicher mit Restbeständen von andern Bauten ergänzt. Langsam wird es aber mit Restbeständen problematisch, weil auch hier der Auftrag an einen Dachdecker lautet 'Ich möchte ein Dach, das die nächsten 40 Jahre überdauert, inklusive Garantie'. Da bleibt dem Dachdecker nichts anderes übrig, als neue Dachziegel zu verlegen und die alten Dachziegel wegzuwerfen. Ab und zu werden handgestrichenen Biberschwänze noch gerettet, was aber eine Glückssache ist.

    Bei Restaurierungen in der Altstadt wird durch die Denkmalpflege vermehrt darauf geachtet, keine künstlich altpatinierte Dachziegel zu verwenden, da diese mit der natürlichen Alterung nach etwa 25 Jahren zu dunkel werden. Auch aggressive Mischungen mit hellen, mittleren und dunkeln Ziegel sind verpönt. Empfohlen wird eine einheitliche Ziegelfarbe in naturfarbenem, einheimischem Rotton. Solche Dächer haben nach 15 bis 20 Jahren bereits eine angenehme, natürliche Patina. Entscheidend für ein altstadtgerechtes Dach sind aber auch die Spenglerarbeiten (Klempnerarbeiten), damit diese nicht zu üppig ausfallen. Zudem haben wir eine Regelung, dass in der Altstadt die totale Breite aller Dachgauben im 1. Dachgeschoss höchstens ein Drittel der Fassadenbreite betragen darf. So werden die Dächer nicht mit Gauben förmlich übersäht.

    Ich muss aber betonen, dass die Errungenschaften der hiesigen Denkmalpflege der 1980/90er Jahre in letzter Zeit je länger desto mehr in den Hintergrund geraten.

  • Bei Restaurierungen in der Altstadt wird durch die Denkmalpflege vermehrt darauf geachtet, keine künstlich altpatinierte Dachziegel zu verwenden, da diese mit der natürlichen Alterung nach etwa 25 Jahren zu dunkel werden. Auch aggressive Mischungen mit hellen, mittleren und dunkeln Ziegel sind verpönt. Empfohlen wird eine einheitliche Ziegelfarbe in naturfarbenem, einheimischem Rotton.

    Danke Riegel für den Beitrag. Das oben zitierte ist ja hochinteressant. Ich wäre jetzt davon ausgegangen, dass eine Mischung von Dachziegeln schon willkommen ist und eine einheitliche Deckung ja die schon oft angesprochene "Sterilität" kennzeichnet.

    Ich muss aber betonen, dass die Errungenschaften der hiesigen Denkmalpflege der 1980/90er Jahre in letzter Zeit je länger desto mehr in den Hintergrund geraten.

    Das ist auch in Bayern leider so. Nicht nur in der Denkmalpflege, generell die Baukultur...

    Manuuu hier ist die Rede von Ziegeln aus dem Mittelalter, leider nur kurz zu sehen und nicht (oder nur teilweise?) auf dem Dach. Ab 4:20 min...

  • Mich wundert das hier anklingende Bild von einer historischen zeitlich einheitlichen Dacheindeckung. Das ist völlig widersprüchlich zu dem, was ich darüber so bisher gehört hatte. Ich meine, dass sich das heterogene Bild historischer Dächer dadurch ergibt, dass typisch materialsparsam nur der einzelne tatsächlich undicht gewordene Ziegel ausgetauscht wurde. So wird dann im kontinuierlichen Prozess natürlich Stück für Stück das Dach erneuert.