Ästhetik und Denkmalschutz traditioneller Bauweisen in Deutschland vs. Frankreich vs. England

  • Manuuu bunt im Sinne der Weißgerbergasse in Nürnberg (wenn ich mal ein positives Beispiel aus Nürnberg nennen darf). Gelbes Fachwerk, rotes Fachwerk, dunkelbraunes Fachwerk…

    Ich kann mich erinnern, als ich mit 11 oder 12 das erste Mal durch unsere Partnerstadt mit meinem Vater ins Department Lot (genauer Quercy) nach Frankreich gefahren bin. Ich dachte, ich empfinde mich in einem Traum, das sagte ich wortwörtlich zu meinem Vater. Er nickte nur. Ihm ging es damals genauso, so unglaublich pittoresk wirkte die Landschaft. Überall kleine Hügel worauf dicke weiße Kühe grasten, Hecken, Klöster und dazwischen liebliche Fachwerkstädte (die natürlich einfacher sind) Ich war dann noch viele Male dort, als Radfahrer und Wanderer. Und bis vor Corona besuchte mich jedes Jahr ein Bauer aus dieser Gegend. Es ist eine andere Welt.

    In meiner Heimat gibt es auch pittoreske Fachwerkstädte, aber um überhaupt dorthin zu gelangen, muss man sich durch hässliche Gewerbegebiete, weißen Siedlungsbrei, und flurbereinigten Landschaften durchschlagen. Hier und da gibt es schon schöne Taler, aber sie reichen nicht weit, bei der nächsten Kurve landet man wieder auf einem kahlen Acker-Plateau. Mir vergeht dann da das Märchenhafte.

    Vielleicht muss ich wirklich mal die Harzregion besuchen. (Auf den Spuren von Heinrich Heine, das hatte ich schon lange mal vor…).

    Beauty matters!

  • Und mehr als zwei, und mehr als du noch zusätzlich genannt hast, gibt es schon: Quedlinburg, Wernigerode, Goslar, Stolberg...fallen mir da allein in der Harzregion ein. In anderen Regionen gibt es da noch viele mehr, alle mit ihrem ganz einzigartigen Stil.
    Außerdem würde ich, was märchenhafte Städte angeht, mich auch gar nicht nur auf Fachwerkstädte beschränken wollen. Es gibt noch so viele märchenhafte Städte, in denen Fachwerk nicht dominiert, wie z.B. das bereits von dir genannte Bamberg. Und wenn man Bamberg nennt, dann kann man auch gleich Heidelberg oder Görlitz nennen.

    In Quedlinburg war ich schon sehr oft. Also es gibt da bekanntlich einige schöne Motive und insgesamt relativ viele Fachwerkhäuser, gar keine Frage. Ist dir aufgefallen, dass die Gefache alle relativ groß, weitgehend nur aus vertikalen und horizontalen Balken bestehend, unverziert und sehr oft mit Ziegelsteinen o.Ä. ausgemauert sind? Die Anzahl der Gebäude von vor 1620 ist überschaubar, infolgedessen findet man, wenn überhaupt, nur sehr wenig auskragende Fachwerkbauten. Die breite Masse der Fachwerkhäuser entstand nach 1620, die damit nicht mehr in der Blütezeit des Fachwerks errichtet worden sind. Demgegenüber sind etliche englische Fachwerkhäuser aus dem 15. oder 16. Jahrhundert, also nicht selten mal 200 Jahre älter. Das sieht man. Vorkragungen sind hier eher die Regel als die Ausnahme. Görlitz und Heidelberg finde ich eher mager, muss ich nicht nochmal hin...

    Gelbes Fachwerk, rotes Fachwerk, dunkelbraunes Fachwerk…

    Das sind die alten Farbanstriche bei uns, Schwarz, rot, ocker, graublau... Gibts in Frankreich auch. Frankreich ist nicht so bevölkert wie Deutschland. Das historische Quercy liegt im diagonal divide, hier leben die wenigsten Franzosen, dementsprechend ist mehr Platz für Natur.

    Zum Harz:

    Viele Steine, müde Beine, Aussicht keine, Heinrich Heine

  • In anderen Regionen gibt es da noch viele mehr, alle mit ihrem ganz einzigartigen Stil.

    Also, an Fachwerk mangelt es speziell in Franken nicht, besonders beeindruckend fand ich Weissenburg, Königsberg in Bayern und diverse andere Orte an der Fachwerkstraße. Auch rund um den Schwanberg in Unterfranken gibt es nette Orte, Iphofen, Mainbernheim, Prichsenstadt uvm. Dazu noch Tübingen, Esslingen, im Schwarzwald Gengenbach, Calw und Schiltach usw.

    Leider, leider, leider wissen die Franzosen viel behutsamer mit ihren historischen Städten umzugehen.

    So pauschal würde ich das nicht sagen, sowohl in Straßburg und Mülhausen als auch in Metz gab es eine Reihe von Abrissen, wobei dann mitten in die erhaltene Bebauung sehr unpassende Neubauten eingefügt wurden, auch "Flächensanierungen" mit Komplettabriss gab es (konkrete Beispiele und Bilder kann ich gern nachreichen).

    Das Gerberviertel in Colmar wurde ja erst im letzten Moment gerettet, als mit dem Loi Malraux die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen geschaffen wurden, hier konnten immerhin 27 von 33 Fachwerkhäusern gerettet werden (une restauraration spectaculaire). Zuvor verfiel das Viertel weitgehend.

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  • Weissenburg, Königsberg in Bayern und diverse andere Orte an der Fachwerkstraße. Auch rund um den Schwanberg in Unterfranken gibt es nette Orte, Iphofen, Mainbernheim, Prichsenstadt uvm. Dazu noch Tübingen, Esslingen, im Schwarzwald Gengenbach, Calw und Schiltach usw.

    Auch da hat der Dach- und Fenstervirus schon zugeschlagen... Kein einziges Dach oder Fenster wird älter als 50 Jahre sein...

  • Also, an Fachwerk mangelt es speziell in Franken nicht, besonders beeindruckend fand ich Weissenburg, Königsberg in Bayern und diverse andere Orte an der Fachwerkstraße. Auch rund um den Schwanberg in Unterfranken gibt es nette Orte, Iphofen, Mainbernheim, Prichsenstadt uvm. Dazu noch Tübingen, Esslingen, im Schwarzwald Gengenbach, Calw und Schiltach usw.

    So pauschal würde ich das nicht sagen, sowohl in Straßburg und Mülhausen als auch in Metz gab es eine Reihe von Abrissen, wobei dann mitten in die erhaltene Bebauung sehr unpassende Neubauten eingefügt wurden, auch "Flächensanierungen" mit Komplettabriss gab es (konkrete Beispiele und Bilder kann ich gern nachreichen).

    Das Gerberviertel in Colmar wurde ja erst im letzten Moment gerettet, als mit dem Loi Malraux die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen geschaffen wurden, hier konnten immerhin 27 von 33 Fachwerkhäusern gerettet werden (une restauraration spectaculaire). Zuvor verfiel das Viertel weitgehend.

    Oh, es gibt noch jede Menge wunderschöne Fachwerkstädte. Um noch ein paar zu nennen: Celle, Hann. Münden (besonders beeindruckend!), Alsfeld, Miltenberg...
    Da kommt man gar nicht mehr aus dem Aufzählen raus. Da findet man immer noch ein Städtchen was man vergessen hat. Das Problem: Unser Freund, Manuuu, wird die wohl alle nicht gelten lassen, weil sie alle mehr oder weniger stark modernisiert wurden. ;)

    Was Straßburg oder Colmar angeht. Klar, gibt/gab es da auch Abrisse und unpassende Neubauten, wie man sie hier findet. Allerdings, geh nur mal durch die Straßen und schau dir mal die Ladenfronten, Türen und Fenster an. Elegante Holzverkleidungen, originale Fenster, Fensterläden, Türen, prachtvolle schmiedeeiserne Gitter überall. Sowas findest du in dieser Qualität und Quantität kaum mehr in Deutschland, selbst nicht in von Krieg verschonten Städten.
    Hier, ich habe mich auf Google Maps ganz zufällig in eine Straße fallen lassen:

    Street View · Google Maps
    Ort in Google Maps noch intensiver erleben.
    www.google.com

    Gleich drei wunderschöne, urige Ladenfronten wenn man sich von hier umblickt!

    Ah, da ich oben Miltenberg nannte, hier ein Beispiel warum ich denke märchenhafter geht es kaum:

    1920px-Viel_Fachwerk_am_historische_Marktplatz_in_Miltenberg.jpg
    Quelle: Wikipedia, müsste also frei verfügbar sein.

  • Oh, es gibt noch jede Menge wunderschöne Fachwerkstädte. Um noch ein paar zu nennen: Celle, Hann. Münden (besonders beeindruckend!), Alsfeld...
    Da kommt man gar nicht mehr aus dem Aufzählen raus. Da findet man immer noch ein Städtchen was man vergessen hat. Das Problem: Unser Freund, Manuuu, wird die wohl alle nicht gelten lassen, weil sie alle mehr oder weniger stark modernisiert wurden.

    Ich nehme an, dass du dich öfter in Deutschland rumtreibst als anderswo und dementsprechend deutsche Orte bevorzugst, ganz einfach weil du dich hier besser auskennst. So einen Marktplatz wie in Miltenberg oder den Malerwinkel in Marktbreit wirst du kein zweites mal auf dem Planeten finden, diese Ensembles gehören zu den schönsten Bilderbuchplätzen Deutschlands.

    Aber auch andere Länder haben pitoreske Ensembles und damit stellt sich dann die Frage, was du vom Ausland kennst, um dir eine "objektivere" Meinung bilden zu können. Ich kann dir auf jeden Fall von meinen persönlichen Eindrücken berichten, dass Traditionen tiefer verwurzelt scheinen in Frankreich sowie England. Schulklassen laufen durch die Dörfer, zeichnen alte Gebäude und lernen etwas über die Geschichte, total cool. Habe ich in Deutschland noch nie gesehen. Die Pflege des kulturellen Erbes und alter Traditionen in England ist unmatched. Und wenn du den Marktplatz in Miltenberg mit den geparkten Autos davor, den 0815 Sprossenfenstern und DDR-style Dächern dann immernoch so verträumt und malerisch findest, dann ist das zu akzeptieren. Ich habe übrigens noch kein einziges deutsches Fotomotiv verkauft.

  • Ich teile ja grundsätzlich viele deiner Kritikpunkte und trotzdem kann ich mit deinen Beiträgen meist wenig anfangen. Ich empfinde die Vehemenz und Pauschalität deiner Kritik als wenig zielführend und auch nicht immer treffsicher. Man hat den Eindruck, du kannst eigentlich mit nichts, was in Deutschland in den letzten 300 Jahren entstanden ist, etwas anfangen. Ich würde deine Beiträge auch nicht alle objektiv nennen, nicht selten geht es dabei um Fragen individuellen Geschmacks. Etwas mehr Realismus, Pragmatismus und weniger Missionierung und repetitive Pauschalkritik würde deinen Beiträgen guttun.

  • Ich nehme an, dass du dich öfter in Deutschland rumtreibst als anderswo und dementsprechend deutsche Orte bevorzugst, ganz einfach weil du dich hier besser auskennst. So einen Marktplatz wie in Miltenberg oder den Malerwinkel in Marktbreit wirst du kein zweites mal auf dem Planeten finden, diese Ensembles gehören zu den schönsten Bilderbuchplätzen Deutschlands.

    Aber auch andere Länder haben pitoreske Ensembles und damit stellt sich dann die Frage, was du vom Ausland kennst, um dir eine "objektivere" Meinung bilden zu können. Ich kann dir auf jeden Fall von meinen persönlichen Eindrücken berichten, dass Traditionen tiefer verwurzelt scheinen in Frankreich sowie England. Schulklassen laufen durch die Dörfer, zeichnen alte Gebäude und lernen etwas über die Geschichte, total cool. Habe ich in Deutschland noch nie gesehen. Die Pflege des kulturellen Erbes und alter Traditionen in England ist unmatched. Und wenn du den Marktplatz in Miltenberg mit den geparkten Autos davor, den 0815 Sprossenfenstern und DDR-style Dächern dann immernoch so verträumt und malerisch findest, dann ist das zu akzeptieren. Ich habe übrigens noch kein einziges deutsches Fotomotiv verkauft.

    Erstens, nein, da liegst du falsch. Tatsächlich habe ich, was ich immer ganz amüsant finde, mit Abstand mehr von Frankreich und Italien gesehen als von meinem eigenen Land. Allein weil meine Eltern diese Kulturen lieben und mich schon als Kind auf Städtereisen dorthin mitgenommen haben. (Bevor du fragst, auch England und Schottland habe ich gesehen.) Da habe ich in Deutschland selbst noch einiges aufzuholen.
    Zweitens, richtig, wenn ich hier meine persönliche Präferenz teile, also, dass ich typisch deutsche Fachwerkstädtchen von ihrem Look und Vibe her bevorzuge, dann ist das eigentlich zu akzeptieren. Mehr oder weniger anzudeuten, man wäre nur nicht weitgereist oder vielleicht nicht gebildet genug, wäre jedenfalls nicht die feine Art.
    Drittens, so wie du aus deiner Erfahrung berichtest, dass dir nie Schulklassen aufgefallen wären, die in Sachen Kultur unterwegs gewesen wären, kann ich dir aus meiner Erfahrung berichten, dass ich es aus meiner schulischen Laufbahn gar nicht anders kenne. Ich bin in Trier aufgewachsen, eine historisch sehr bedeutende Stadt. Hier und in der ganzen Region gibt es aus gut 2000 Jahren Geschichte viel zu sehen und zu lernen. Von der Grundschule bis zum Gymnasium waren wir regelmäßig in den Kirchen, römischen Ruinen und Museen der Stadt unterwegs, auch die Mosel rauf zur Burg Eltz, Bernkastel-Kues (übrigens noch so ein märchenhaftes Fachwerkstädtchen), Cochem bis Koblenz.
    Und nach meinem Design-Studium schloss sich der Kreis, als ich zeitweise als Gastdozent nicht nur deutsche Studenten, sondern auch Studentengruppen aus China und Vietnam durch Trier führte, und wir von römischen Ruinen über gotische Kreuzgänge bis hin zu Rokoko-Statuen alles Mögliche gezeichnet und gemalt haben.
    Da siehst du mal, wie unterschiedlich Erfahrungen sein können. Und wenn man glaubt, man hat alles gesehen oder weiß alles, dann gibt es immer jemanden, der vielleicht genau so viel weiß, oder vielleicht sogar noch mehr. ;)

  • Mal ein paar Beispiele aus Colmar, so wirklich original sind diese großflächigen Verglasungen aber auch nicht:

    Lanes are meant to be crossed. If you're staying in your lane you're obviously advancing too slow.

  • Ich teile ja grundsätzlich viele deiner Kritikpunkte und trotzdem kann ich mit deinen Beiträgen meist wenig anfangen. Ich empfinde die Vehemenz und Pauschalität deiner Kritik als wenig zielführend und auch nicht immer treffsicher. Man hat den Eindruck, du kannst eigentlich mit nichts, was in Deutschland in den letzten 300 Jahren entstanden ist, etwas anfangen. Ich würde deine Beiträge auch nicht alle objektiv nennen, nicht selten geht es dabei um Fragen individuellen Geschmacks. Etwas mehr Realismus, Pragmatismus und weniger Missionierung und repetitive Pauschalkritik würde deinen Beiträgen guttun.

    Was schlägst du anstatt dessen vor? Viele Leute (vielleicht nicht unbedingt im Forum) sind sich der Sachlage mit Fenstern, Dächern etc. nicht einmal bewusst. "Das Problem" wird nicht wahrgenommen und als selbstverständlich angenommen. Wie will man es auch besser wissen, wenn man noch nicht gesehen hat, dass es besser geht. Und ja, idR interessiert mich das Meiste +1650 nicht mehr.

    Treverer du hast selbst von der Modernisierung gesprochen. Du wirst mir doch recht geben, wenn ich sage, dass die Dächer nicht wirklich wie ein guter Wein gealtert sind. Oder das die großen klarsichtigen Fensterscheiben nicht so richtig passen bei einem Haus des 15. Jh..

    so wirklich original sind diese großflächigen Verglasungen aber auch nicht

    Das würde ich auch sagen. Bei den "historisch wirkenden" Fenstern würde ich aber auch eher nach England schauen als nach Frankreich. In Colmar -und generell in Frankreich- sind jedenfalls sehr viele Fensterläden noch Bestandteil der Fassaden.

  • ...

    Zum Harz:

    Viele Steine, müde Beine, Aussicht keine, Heinrich Heine

    ... und saure Weine ;)

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • Ich schrieb bereits dazu etwas, aber es spielt keine Rolle, ob man in Deutschland, Frankreich oder England schaut - originale Fensterverschlüsse von vor 1800 sind überall sehr selten (wenn auch nicht vollkommen inexistent). Die von dir oft zitierten englischen Bleisprossenfenster sind auch zu 99% Rekonstruktionen des 20. Jahrhunderts, kein irgendwie „besser bewahrter Bestand“. Und auch in Frankreich oder England hat die Mehrzahl der Fachwerkbauten weiß gestrichene Sprossenfenster, in Letzterem meist Schiebefenster (Sash windows).

    Außerdem darf man nicht vergessen, dass es in den letzten 50 Jahren ein grundlegendes Umdenken der Denkmalpflege im Umgang mit Substanz des 19. Jahrhunderts. Hat man bei Maßnahmen der 70er und 80er Jahre noch in aller Regel Fenster des Historismus zugunsten der Wiederherstellung mehr oder weniger gut belegter älterer Fensterformate geopfert, so geschieht dies heute nur noch in gut begründeten Ausnahmefällen (z.B. vor ein paar Jahren bei einem Gebäude in Limburg, wenn ich mich recht erinnere). Und zumindest meiner Meinung nach ist das auch gut so, denn diese Zeit hat Spuren auch jenseits von Gründerzeitvierteln hinterlassen, welche bedeutende historische Zeugnisse für sich darstellen.

    Und was „Fachwerkstädte“ angeht, zu guter Letzt, kann England mit Frankreich und auch mit Deutschland nicht ansatzweise mithalten. Die bedeutende Substanz steht dort meist in Form verstreuter Bauern- oder Herrenhöfe im ländlichen Raum. Städte wie York oder Salisbury mit überdurchschnittlich gut, aber keinesfalls geschlossen erhaltener Substanz sind in England schon bedeutende Ausnahmen; vielgenannte Fachwerkorte wie Lavenham oder East Grinstead lassen sich auf einen Niveau mit schwäbischen Winzerorten wie Strümpfelbach einsortieren. Mit dem Unterschied, dass man von dort aus nach Esslingen fahren kann und dann in einer anderen Liga unterwegs ist.

  • Die von dir oft zitierten englischen Bleisprossenfenster sind auch zu 99% Rekonstruktionen des 20. Jahrhunderts, kein irgendwie „besser bewahrter Bestand“. Und auch in Frankreich oder England hat die Mehrzahl der Fachwerkbauten weiß gestrichene Sprossenfenster, in Letzterem meist Schiebefenster (Sash windows).

    Du, das mag ja sein. Ich gehe nicht mit der Strichliste rum und zähle Bleisprossenfester. Aber eins kannst du mir bitte glauben, wenn ich dir sage, dass drüben auf der Insel mehr für den Erhalt des kulturellen Erbes getan wird- dann bin ich davon überzeugt, da ich es mit meinen eignen Augen gesehen habe. Also, was spielt es dann für eine Rolle ob diese Fenster, die ich sah, auf alt getrimmte Neuauflagen sind oder wieviele es an der Anzahl sind im Verhältnis zu 0815 Sprossenfenstern? Es sind bedeutend mehr als bei uns, dass ist der Kern der Aussage. Mir kommt es darauf an, dass das Bild stimmt. Wenn man die alten Fenster nicht retten konnte, so sehen die neu aufgelegten Fenster trotzdem alt aus.

    Und was „Fachwerkstädte“ angeht, zu guter Letzt, kann England mit Frankreich und auch mit Deutschland nicht ansatzweise mithalten. Die bedeutende Substanz steht dort meist in Form verstreuter Bauern- oder Herrenhöfe im ländlichen Raum. Städte wie York oder Salisbury mit überdurchschnittlich gut, aber keinesfalls geschlossen erhaltener Substanz sind in England schon bedeutende Ausnahmen; vielgenannte Fachwerkorte wie Lavenham oder East Grinstead lassen sich auf einen Niveau mit schwäbischen Winzerorten wie Strümpfelbach einsortieren. Mit dem Unterschied, dass man von dort aus nach Esslingen fahren kann und dann in einer anderen Liga unterwegs ist.

    Ähhhh, lieber Mündener... wie kommst du auf das schmale Brett? So wie ich es sehe, hat England die Fachwerkkrone auf. Du hast sicher recht, dass es mehr Fachwerkstädte in Deutschland gibt. England war eben ländlicher geprägt. Für mich spielt es dabei keine Rolle ob ich Fachwerk in einem Dorf oder einer Stadt ansehe. Ich glaube, wir reden hier aneinander vorbei, denn- für mich ist der Foto-Output das absolut entscheidende Kriterium. Wenn wir jetzt mal Celle als Sündenbock hernehmen- es mag sein, dass Celle eine enorme Fachwerkdichte hat. Die Straßenzüge sind aber alle gerade, die Häuser nebeneinander aufgereiht. Du kannst hier nicht viel fotografieren. Die Bildmöglichkeiten sind sehr schnell erschöpft, alles sieht mehr oder weniger gleich aus. Dazu kommen die hässlichen Fenster und Dächer. Nach Celle brauche ich gar nicht fahren, selbst das beste Licht würde nur zu einem mäßigen Erfolg führen. Wenn du das mal mit der Little Moreton Hall vergleichst - so etwas gibt es überhaupt nicht in Deutschland - , dass Ding kannst du von etlichen Seiten immerwieder anders fotografieren. Ähnliches gilt für Lavenham. Und da kommt vielleicht auch das ländliche Setting zu Gute, rings herum ist es grün, währenddessen es unweit des Rathauses in Esslingen schnell übel aussieht. Ich werde nach und nach ein paar Bilder hochladen und dann wirst du schon sehen wie der Hase läuft :P

  • Was schlägst du anstatt dessen vor? Viele Leute (vielleicht nicht unbedingt im Forum) sind sich der Sachlage mit Fenstern, Dächern etc. nicht einmal bewusst. "Das Problem" wird nicht wahrgenommen und als selbstverständlich angenommen. Wie will man es auch besser wissen, wenn man noch nicht gesehen hat, dass es besser geht. Und ja, idR interessiert mich das Meiste +1650 nicht mehr.

    Ich finde es gut, dass du auf das Problem mit den Dächern aufmerksam machst. Den von dir vertretenen Purismus muss man sich allerdings auch leisten können. Da haben wir in Deutschland in meinen Augen viele vordringlichere Probleme als weiße Sprossenfenster und farbenfroh bemaltes Fachwerk (das ich im übrigen nicht als Problem wahnehme), wie z.B. knallige glasierte Dachziegel, Einscheibenfenster, moderne unpassende Anbauten, Dämmungen, hässliches Stadtmobiliar, etc.. Und ja, GB, F und andere Nachbarländer tun ganz sicher mehr zum Erhalt ihres historischen Erbes, davon musst du hier aber glaube ich niemanden mehr überzeugen. Trotzdem finde auch ich viele deutsche Fachwerkstädte wunderschön und würde nicht sagen, dass sie französichen oder englischen irgendwie unterlegen wären. Da sind wir dann eben bei Fragen persönlicher Präferenz.

  • Die Straßenzüge sind aber alle gerade, die Häuser nebeneinander aufgereiht. Du kannst hier nicht viel fotografieren. Die Bildmöglichkeiten sind sehr schnell erschöpft, alles sieht mehr oder weniger gleich aus.

    Ich befürchte, wir kommen in jedem Strang, in dem du die deutschen Städte derart kritisierst, immer an den gleichen Punkt. Du beurteilst Architektur und Stadtstruktur anhand ihrer Fotogenität. Da wärst du in einem Fotografie-Forum sicher gut aufgehoben. Hier stößt du natürlich vielfach auf Unverständnis, denn du bemängelst vollkommen ahistorisch, dass man im 16. und 17. Jahrhundert nicht darauf geachtet hat, Straßenzüge anders zu errichten, damit sie heute reizvoller fotografiert werden können. Stadtgründungen der frühen Neuzeit (und teilweise auch anderer Epochen) besitzen fast immer ein regelmäßiges Straßennetz. Da ist ein historisches Charakteristikum. Sich darüber zu beklagen, ist schon etwas skurril, wenn ich das mal so salopp sagen darf. Du musst schon die historischen Gegebenheiten so nehmen, wie sie zeittypisch sind. Diesen Reiz einzufangen, das macht dann vielleicht einen wirklich guten Fotografen aus. Ich bin mir sicher, wenn du dich aus dieser engstirnigen Denkweise löst, hast du das Zeug dazu, denn deine Fotos sind wirklich ästhetisch. Um das Ganze abzurunden, hier mal ein paar schöne Fotos aus dem von dir gescholtenen Celle.

  • tegula Ich kann mir eigentlich gar nicht leisten, die Energie aufzubringen, um auf deine Kommentare einzugehen, denn das schlaucht mich ganz schön. Erstmal kannst du mir nicht vorwerfen, ich würde kognitiv auf der Stelle tanzen, denn du kommst selber zum wiederholten Male mit Argumenten um die Ecke, die du mir anderswo schon mal andrehen wolltest. Und eben dort hatte ich bereits erwähnt (was die Frage impliziert, liest du überhaupt was ich schreibe), dass ich Orte wie Celle schon besucht habe. Was soll ich also mit den Aufnahmen von dir, was willst du mir damit zeigen? Auch war vorher schon klar, dass ich von der Fotografie aus hier her gekommen bin, wahrscheinlich eine ganz andere Schiene als die Deine. Demzufolge kann es auch nur Sinn machen, wenn die Fotogenität von Fassaden, Häusern, Ensembles, Stattbildern für mich am vordringlichsten ist, oder? Es heißt immerhin auch Stadt-Bild und dieser Strang fängt an mit Ästethik. Genau so wie man Bilder machen kann, kann man auch Bauen. Setbstverständlicherweise muss man erst bauen bevor man Bilder machen kann. Aus demselben Grund habe ich mich anderswo gegen Reko ausgesprochen- da mit demjenigen Projekt kein Bild erzeugt würde, sondern nur stupide, auf alt getrimmt, an historischer Stelle gebaut werden soll. Wo ist dann der Mehrwert. Denn, auch vorher bzw. früher war nicht alles schöner, nur weil es älter war. Der neue Turmhelm vom Belfried in Ghent sieht z.Bsp. auch schöner aus als der Alte... Und zum Thema skurril- das Straßenbild Celles stammt vom Reißbrett, Funktionalität über Schönheit. Das ist genau das gleiche Prinzip, nach dem man einen Betonblock einem Fachwerkhaus vorziehen würde. Ich nannte Celle nur aus dem einen Grund, da jemand so ungefähr meinte, England könnte Deutschland nicht das Wasser reichen, da Deutschland viele Fachwerkstädte und Städtchen hat. Orte hat mit hoher Fachwerkdichte, Orte hat mit extrem großen Fachwerkhäusern und Ähnliches. Jedoch- wenn diese Gebäude und Orte nicht sehr fotogen sind, was hat man (ich in dem Fall) dann daran? Guck die letzten beiden Bilder von dir an- viele Häuser, stehen alle in einer Reihe. Bild kippt nach links/rechts oder ist oben und unten abgeschnitten...

  • as Straßenbild Celles stammt vom Reißbrett, Funktionalität über Schönheit. Das ist genau das gleiche Prinzip, nach dem man einen Betonblock einem Fachwerkhaus vorziehen würde.

    Du denkst schon wieder ahistorisch. Das damalige Schönheitsideal lag gerade in dieser Straßenführung, in Sichtachsen. Schau dir mal barocke Schlossanlagen und ihre Gärten an. Erst im späten 18. Jh. kam der Landschaftsgarten auf, der dir stetig neue und überraschende Einblicke erlaubt.

    Bild kippt nach links/rechts oder ist oben und unten abgeschnitten...

    Nein, bei meinen Bildern sind die stürzenden Linien immer bereinigt. Das ist für mich ein entscheidendes Qualitätsmerkmal bei der Architekturfotografie. Und die Begrenzung auf die Giebel ist einerseits ein bewusster Kunstgriff, andererseits war gerade dort eine kleine Baustelle, sodass ich aus der Not eine Tugend machte.

  • Und was „Fachwerkstädte“ angeht, zu guter Letzt, kann England mit Frankreich und auch mit Deutschland nicht ansatzweise mithalten. Die bedeutende Substanz steht dort meist in Form verstreuter Bauern- oder Herrenhöfe im ländlichen Raum. Städte wie York oder Salisbury mit überdurchschnittlich gut, aber keinesfalls geschlossen erhaltener Substanz sind in England schon bedeutende Ausnahmen;

    Was die Anzahl der Häuser angeht, könnte das wohl stimmen.

    Zum Beispiel, gilt Bretagne mit Recht als Hochburg der Fachwerkarchitektur. Nun, die 7 größten Fachwerkstädte von Bretagne sind: Rennes (286 Häuser); Vannes (171); Morlaix (127); Vitre (119); Dinan (115); Quimper (74); und Trégnier (57), also insgesamt nur 949 Häuser. Die 76 weiteren Städte mit Fachwerk Bestand beinhalten insgesamt nur 605 Häuser. Alter und Qualität von den Häusern in Bretagne sind allerdings z.T. beachtlich!

    Die 4 bedeutendsten Französischen Fachwerkstädte die ich persönlich kenne sind allerdings stärker mit Fachwerk geprägt: Rouen (noch etwa 2000); Troyes (ein riesiger Bestand, angeblich bis 3000, die ich allerdings nicht nachweisen kann); Auxerre (760) und Bourges (430).

    Ich kenne keine Englische Stadt die eine ähnlich grosse Anzahl von Häusern hat. Typisch sind etwa Ludlow oder Tewkesbury, mit ganz hervorragenden vereinzelten Beispielen von beachtlichem Alter. Wie in der Normandie, hat in England der Krieg z. T. gewütet (z.B., Coventry, Bristol) aber noch schlimmer waren die abscheulichen "Stadtsanierungen" der 60er und 70er Jahren (z.B., in Gloucester oder Worcester).

    Was in Deutschland (wie auch im Elsass) immer noch einzigartig ist: die Tatsache dass ganze Regionen vorwiegend in Fachwerk gebaut sind, wo es viele flächendeckende Altstädte gibt.

  • Respekt, Bostonian ! Erlaube mir eine Nachfrage: Welche Quelle nutzt du für die genaue Anzahl an Fachwerkhäusern? Die scheint mir doch sehr hilfreich zu sein, auch wenn dadurch natürlich nicht zwangsläufig etwas über die Qualität und die Unversehrtheit des Stadtbildes ausgesagt wird, ist es ein wichtiger Anhaltspunkt.

  • tegula Celle's Häuser stammen aus dem 16Jh (?) und können damit kein Ergebnis des Barock sein. In französischen Bastiden (z.Bsp Mirepoix, Eymet uvm) um Toulouse findet man auch häufig einen Stadtgrundriss mit zentralem Platz und geraden, davon abgehenden Straßen. Diese sollten auch vor dem Barock entstanden sein, aus militärischen Gründen nämlich. Daneben war ich nochmal kurz mit dem Finger auf der Landkarte in Celle und muss meine Aussage teilweise revidieren, ganz so hässlich, wie ich es in Erinnerung hatte, ist es dann doch nicht. Ich war an einem Samstagabend (Überraschung) mal hier und überall war es sehr umtriebig, mit geparkten Autos und Menschen - da war nichts zu holen. Dann sprichst du von Sichtachsen- eine ewig lange Straßenflucht ist zwar eine Achse, wenn am Ende aber nichts ist, dann ist das m.E. keine "Sicht"-Achse, denn man guckt ja ins Leere.

    Gucken wir uns die Schuhstraße an:

    Die Straße ist so lang, dass du fast bis ans andere Ende durchgucken kannst. Am Ende steht aber kein Blickfänger (Turm, Kirche, Schloss, Rathaus o.Ä.). Wenn man dann wegen der Distanz reinzoomt, hat man nichts weiter als zusammengepresste Häuserfronten, man sieht also nicht wirklich viel. Die ganzen Menschen und geparkten Autos über die gesamte Distanz hin müllen das Bild -mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit- zu. Und damit ist dann Vieles de facto nicht drin, in Celle.

    Ich sagte die Bilder kippen nach links/rechts - das ist Falsch, was ich meinte war, der Blick wird nach links bzw. rechts aus dem Bild geleitet, sry.

    Bostonian mich würde auch interessieren, woher du weißt, wieviele FWH wo stehen? Wenn wir mal die Anzahl an FWH in Rouen bzw. Troyes als gesichert annehmen, würde das gemäß der Aussage von Mündener bedeuten, dass keine andere französische Stadt hier heran kommt. Stimmts? So hab ich Mündeners Aussage verstanden. So wie ich es sehe, kann sich das aber nur auf die Menge an FWH beziehen. Oder FWH-Dichte oder was es sonst noch so gibt- aber eben nicht hinsichtlich der Fotogenität.