• Die sich zur Zeit im Donbass abspielenden Kämpfe dürften, soweit ich blicke (und ich verfolge einigermaßen die Kriegsberichterstattung und google die betroffenen Städte nach), zumindest was 2024 betrifft, nur sehr junge Städte, die vorwiegend aus Plattenbauten oder günstigstenfalls vom sozialistischen Realismus geprägt sind und, wenn überhaupt, nur vereinzelt historistischen Bauten aufweisen. Nicht, dass darum nicht auch schade wäre. Aber nunmehr scheint mit Kupjansk ein vergleichsweise ältere Stadt betroffen zu sein bzw in mehr als ernste Gefahr zu geraten.

    Wikipedia schreibt nämlich:

    "Kupjansk wurde 1655 gegründet und hat seit 1779 den Status einer Stadt."

    Leider bleibt es Informationen über Sehenswürdigkeiten und alle relevanten Bilder schuldig - die Historie scheint nur aus dem II. Weltkrieg und den aktuellen Kriegshandlungen zu bestehen. Das Netz gibt auch keine brauchbaren Bilder her. Ich habe immerhin dieses eine gefunden, will aber nichts mehr verlinken (zumal ich die Quelle nicht fördern will). Ich gebe den Photographen an und den (unverfänglichen) Titel, der in der Quelle angeführt ist. Wenn das nicht genügen sollte, muss das Bild halt gelöscht werden.

    Stadtbild von Kupjansk , am Nachmittag sind kaum Menschen auf den Straßen


    Foto: Volodymyr Kutsenko, "Kupjansk im Februar, am Nachmittag sind kaum Menschen auf den Straßen". Die "slawische Melancholie" dieses Bildes, spricht mich irgendwie sehr an.

    Das darf jetzt keine neue politisch-ideologische Diskussion loslösen, außer natürlich der mitmenschlichen Sorgen um diese "unschuldige Stadt" (welche Stadt ist das nicht, nur daher die Anführungsstriche) und ihre Bewohner. Wenn dieser Beitrag für politische Propaganda für eine Seite oder sinnlose allgemeine Debatten, die nicht Architektur und Stadtbild betreffende Fragen betreffen, missbraucht wird, nehm ich mir das Recht, diesen Initialbeitrag zu löschen.

    Die Lage scheint schlimm, die Front immer näher zu rücken. Angesichts der modernen Kriegsführung besteht für ein direkt umkämpftes Stadtgebiet absolut keine Chance, dass seine historischen Bauten auch nur als einigermaßen wiederaufbaufähige Ruinen überleben.

    Weiß jemand, ev Rastrelli, Näheres über diese bedrohte Stadt und ihre Geschichte?

    Wikos hatte am 25.4.2023 über die Stadt schon geschrieben (Verlinkungen aus oben angeführten Gründen nicht wiedergegeben):

    Quote

    Das Heimatmuseum in Kupjansk wurde wohl zerstört. Es war wohl ursprünglich Teil der Pokrovsky-Kathedrale, die schon zu Sowjetzeiten stark zerstört wurde

    Pokrov= Mariä Schutz und Fürbitte

  • Also ich sehe hier keine Propaganda (und ich bin was der furchtbare russiche Angriffskrieg betrifft sehr empfindlich). Ich bin mehrmals vor 2022 in der Ukraine gewesen. Abgesehen vom ehemaligen Ostpolen/Galizien usw. sowie Odessa und Kiew gibt es architektonisch gesehen nicht sehr viel wertvolles. Kharhiv hat noch einiges, aber ansonsten trifft die Bewertung von Ursus ganz gut zu. In der Nähe von Kupjansk befindet sich das Kloster Sviatohirsk, das schon einmal beschädigt wurde. Hier könnte es zu Verluste kommen.

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Abgesehen vom ehemaligen Ostpolen/Galizien usw. sowie Odessa und Kiew gibt es architektonisch gesehen nicht sehr viel wertvolles.

    Na, da gibt es schon noch einiges. Ich werde mal demnächst noch dies und das vorstellen.

    Kupjansk liegt im Osten des Gebiets (Oblast) Charkiw und gehört zur historischen Region Sloboschanschtschyna, also zur Sloboda-Ukraine. Deren Geschichte beginnt Mitte des 17. Jahrhunderts. Damals ließ der Zar das Grenzland zur Steppe (dem "Wilden Feld") besiedeln. Um Siedler dorthin zu locken, wurden Vergünstigungen, "Freiheiten", gewährt. Daher hat die Sloboda-Ukraine ihren Namen. Es handelt sich im Wesentlichen um die heutigen Gebiete Sumy und Charkiw sowie das angrenzende russische Land. Bei der Abgrenzung der Sowjetrepubliken war die historische Sloboschanschtschyna entsprechend den damaligen Nationalitätenverhältnissen zwischen der RSFSR und der Ukrainischen SSR aufgeteilt worden.

    Die Sloboschanschtschyna war militärisch-territorial organisiert. Das südöstliche Ende unterstand dem Regiment Isjum. Die Stadt Isjum in der Charkiwska oblast ist auch die kunsthistorisch bedeutendste Stadt der Gegend. Dort gibt es eine Kathedrale aus dem 17. Jahrhundert. Die auf dem Foto von ursus carpaticus oben zu sehende Kirche in Kupjansk ist von 1852 und in dem für jene Zeit und Gegend typischen freundlichen Stil gehalten (siehe folgendes Foto).

    Kupjansk-Mykolajivska-cerkva-20.10.2018-Nadiya-Li-SA40---1.jpg
    Kupjansk, Nikolauskirche (Mykolajiwska zerkwa) (Foto: Nadiya Li, 20. Oktober 2018, CC-BY-SA-4.0)

    Foto [...] Kupjansk im Februar [...] Die "slawische Melancholie" dieses Bildes, spricht mich irgendwie sehr an.

    Mich auch.

    Das Kloster Swjatohirsk liegt im Gebiet Donezk, gehört aber historisch ebenfalls zum Regiment Isjum der Sloboschanschtschyna. Südöstlicher Endpunkt dieses Territoriums war die Stadt Bachmut. Da gab es auch eine ähnliche Kirche wie in Kupjansk (kann ich mal raussuchen). Der Donbass jenseits von Bachmut gehörte überwiegend zum Gebiet des Don-Heeres, das sein Zentrum im heutigen russischen Gebiet Rostow hatte. Ein kleiner Teil des Donbass im Südwesten gehörte im 19. Jahrhundert zum Gouvernement Jekaterinoslaw (ukr. Katerynoslaw, heute Dnipro). Die Geschichte und Bebauung dieser Gegenden, die nicht zur Sloboschanschtschyna gehörten, beginnt erst im 19. Jahrhundert.

    Im laufenden Krieg waren Kupjansk und Isjum zwischen Februar und September 2022 russisch besetzt und liegen seitdem in Frontnähe. Die Swjatohirska Lawra ist unter ukrainischer Kontrolle. Die wichtigen Kirchen in allen drei Orten sind wohl unbeschädigt oder wenig beschädigt.

    Слобожанщина - Slobožanščyna - Sloboschanschtschyna (das erste sch stimmhaft wie j in Journal sprechen, Betonung auf der dritten Silbe)

  • Das Heiligenberg-Kloster hab aber nichts mit Kupjansk zu tun, es ist hiner Lyman und derzeit nicht von der Front bedroht. Trotzdem schöner Hinweis.

  • Die Stadt scheint wohl noch einen relativ großen Altbaubestand gehabt zu haben, der allerdings bereits weitgehend in Trümmern liegt. Überraschenderweise sind bereits aktuelle Aufnahmen der zertrümmerten Geisterstadt in Google Maps zu finden: https://www.google.com/maps/@49.71067…g_st=ic&g_st=ic

    Sehr sehenswert und traurig zugleich. Die bevorstehende „dritte Schlacht um Kupjansk“ dürfte der Stadt wohl den letzten Rest geben, zumal mittlerweile auch tonnenschwere Gleitbomben zum Einsatz kommen.

  • Dass es bereits jetzt so schlimm aussieht, lässt wirklich nichts zu hoffen übrig. Dabei stammte das von mir verlinkte Bild einer noch unbeeinträchtigten Stadt sogar von heuer...

  • Hier ein Bild aus einer tschechischen Zeitung vom 9.1. 25, das Bild dürfte wie anhand der Witterung zu sehen etwas älter sein:

    profimedia-095219288_250109-130845_har.jpg

    Situace na východě Ukrajiny je extrémně složitá | iROZHLAS - spolehlivé zprávy

    Die Stadt ist mittlerweile vollständig evakuiert. Ein Teil dürfte im Spätherbst 2024 bereits (abermals) von den Russen erobert gewesen sein , die allerdings wie es aussieht, dort nicht Fuß fassen konnten bzw zurückgeworfen wurden.

    Die schon von Rastrelli gezeigte Nikolaus-Kirche dürfte "gezielt verschont" worden sein, wobei wir aber wohl den aktuellen Zustand nicht kennen. Die Stadt herum dürfte, wie auch anderen Bildern zu sehen, großflächig in Trümmern liegen. Der Zustand dürfte sich gegenüber dem google-maps-Bild vom Bergischen gefühlsmäßig noch verschlimmert haben - dort findet man im Hintergrund einigermaßen unversehrte Altstadthäuser. Dabei hat der Sturm auf die eigentliche Innenstadt noch gar nicht begonnen. In Kurachowo ist die Eroberung für die Stadt selbst zwar erstaunlich glimpflich verlaufen, was Hoffnung gäbe. Für Kupjansk dürfte es wohl zu spät sein, die Verwüstungen sind bereits zu schlimm. Es bleibt zu hoffen, dass die Nikolauskirche und vielleicht das eine oder andere sie umgebende Haus als Solitäre überleben werden. Kupjansk gehört an sich zu keiner der vier von Russland reklamierten Oblaste.

  • Hier ein Bild aus einer tschechischen Zeitung

    Keine Zeitung, sondern der Tschechische Rundfunk (Český rozhlas). Der Text unter dem Bild bietet aktuelle Berichterstattung. Die Lage im Osten der Ukraine sei extrem schwierig.

    Kupjansk ist auf Grund der Kämpfe am Oskil weiter in Gefahr. Das Foto ist ganz interessant und dürfte recht aktuell sein.

    Hier noch ein Bild aus besseren Tagen:

    Kupjansk-vul.-Persoho-Travnja-skver-20.10.2018-Nadiya-Li-SA40---2.jpg
    Kupjansk, wulyzja Perschoho Trawnja, Grünanlage an der "Straße des Ersten Mai" (Foto: Nadiya Li, 20. Oktober 2018, CC-BY-SA-4.0)

  • Liegt dort nicht doch schon Schnee?

    Ich habe es überprüft. Im Dezember und Januar lag in Kupjansk kein Schnee. Allenfalls kurzzeitig könnte es mal etwas Schnee gegeben haben. Der Wetterbericht meldete häufig leichte Plusgrade. Ab und zu lagen die Temperaturen etwas unter Null, aber ohne Niederschläge kann der Frost bekanntlich auch keinen Schnee hervorzaubern. Ich habe aus den Monaten Dezember und Januar viel Bild- und Videomaterial aus Kiew gesehen. Auch dort gab es keinen Schnee. Ebenso zeigten Videos aus Pokrowsk, Dnipro und Odessa keinen Schnee.

    In der vegetationslosen Zeit überwiegen in der ostukrainischen Landschaft die Braun- und Grautöne (sofern kein Schnee liegt). Ich hatte in meinen vorigen Beitrag nachträglich noch ein schönes Herbstbild eingefügt, damit man sieht, dass es in der Gegend nicht immer so trostlos aussieht. Der Herbst ist in Osteuropa allgemein sehr schön.

    Das folgende Gemälde des russischen Malers Alexandr Kisseljow (1838-1911) zeigt die typische Landschaft der Sloboschanschtschyna im Sommer. Kisseljow lebte zwischen 1865 und 1877 in Charkiw, wo er als Bankangestellter tätig war. Die Ansicht aus der Umgebung der Stadt brachte ihm die Mitgliedschaft in der Künstlervereinigung der Peredwischniki ein. Deren bekanntester Vertreter, Ilja Repin, schätzte Kisseljows Landschaftsmalerei sehr.

    Aleksandr-Kiselev-Vid-okrestnostej-Charkova-1875-Kunstmuseum-Doneck.jpg
    Alexandr Kisseljow, Ansicht aus der Gegend von Charkiw, 1875 (Donezk, Kunstmuseum)