Hamburg - Stadtreparatur, Wiederherstellungen und Renovierungen in der Innenstadt

  • München, München - warum immer München als Beispiel, wo es doch nur eigentlich das Gegenteil bezeugen kann. München hat eben dieses: touristisch herausgeputzte zentrale Ensembles in erfreulicher Anzahl, aber eben das nicht: ein "tiefes" Stadtviertel mit (überwiegender Vorkriegsbebauung). Zumindest nicht im eigentlichen Zentrum, und da zählt die Ludwigstraße eben nicht mehr dazu. Auch die Maximilianstraße ist ein Einzelereignis.

    Mir ist München hundertmal näher und auch lieber als Hamburg, aber eben eine "tiefe" Innenstadt, welche diese Bezeichnung verdient, hat es genau nicht. Nirgendwo darf man zuviel nach links oder rechts schauen, ohne sich an der typisch bundesdeutschen Nachkriegsschäbigkeit stören zu müssen. Hier sind Hamburg und Leipzig einfach überlegen, und hier hat der Münchner Wiederaufbau, so wunderbar er in anderer Hinsicht gewesen ist, versagt.

  • Solche Diskussionen drehen sich irgendwann im Kreis. Es kommen ständig neue Parameter hinzu, die den eigenen Standpunkt untermauern sollen: nur westdeutsch, nur über 500.000 Einwohner, geschlossen oder nicht geschlossen, nur historistisch oder auch andere Epochen etc.

    Heinzer hat recht, buarque aber irgendwie auch. Ich glaube, dass Letzterer mit der Einschätzung 10 bis 20 % Altbauten in der Innenstadt (Einzelbauten vor 1945) sehr gut liegt. Ich bin nach meinem letzten HH-Besuch auf 15,8 % gekommen.

  • Ich geb' Ursus recht, was München betrifft (und ich kenne Hamburg und Leipzig leider gar nicht aus eigener Anschauung, von daher kann ich gar nicht mitreden), aber man muss halt immer auch den Zerstörungsgrad ansehen, der in der Altstadt Münchens bei 60-70 % lag (wozu dann noch die ganzen mittel bis schwer beschädigten Häuser kamen). München dürfte im Krieg nicht viel besser weggekommen sein als Dresden d.h. es blieben im Zentrum nur relativ wenige unbeschädigte oder leicht beschädigte Häuser übrig. Der Zerstörungsgrad in den Zentren Hamburgs und Leipzigs dürfte deutlich niedriger ausgefallen sein, außerdem bestanden beide Städte, soweit ich weiß, überwiegend aus robusteren Gebäuden aus der Gründerzeit und vom Beginn des 20. Jh, während München noch bedeutende mittelalterliche, barocke und klassizistische Reste hatte. München war gerade im Zentrum mehr oder weniger "tutta da rifare", weswegen der heutige Zustand, bei aller absolut berechtigten Kritik, dann doch wesentlich besser ist, als man sich das direkt nach dem Krieg hätte vorstellen können.
    Ich gebe Ursus nur in einem nicht recht: die Maximilianstraße ist weniger ein Einzelereignis als die Ludwigstraße - sowohl im inneren Teil, der noch in der Altstadt liegt, als auch im äußeren zum Lehel gehörigen Teil gibt es durchaus recht schöne Seitenstraßen, die überwiegend Altbaubestand haben. Gerade die Graggenau, d.h. das südlich der inneren Maximilianstraße gelegene nordöstliche Altstadtviertel, bietet einige schöne und angenehme Straßen und Plätze, die weitaus mehr erfreuliche als störende Gebäude besitzen, aber auch im Lehel gibt es einige überwiegend schöne Straßenzüge. Die Ludwigstraße hingegen ist tatsächlich links und rechts von überwiegend nichtssagender bis häßlicher Bebauung gesäumt.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Solche Diskussionen drehen sich irgendwann im Kreis. Es kommen ständig neue Parameter hinzu, die den eigenen Standpunkt untermauern sollen: nur westdeutsch, nur über 500.000 Einwohner, geschlossen oder nicht geschlossen, nur historistisch oder auch andere Epochen etc.

    Heinzer hat recht, buarque aber irgendwie auch. Ich glaube, dass Letzterer mit der Einschätzung 10 bis 20 % Altbauten in der Innenstadt (Einzelbauten vor 1945) sehr gut liegt. Ich bin nach meinem letzten HH-Besuch auf 15,8 % gekommen.

    Also "meine" Parameter waren von Anfang an klar: Großstadt über 500.000 Einwohner und Vorkriegsarchitektur. Es bleibt für mich bei Leipzig, München, Berlin (je nach Definition von Innenstadt) mit mehr Vorkriegsarchitektur als Hamburg im Innenstadtbereich. Diese ziemlich banale Aussage hat auch noch niemand widerlegen können, weil sie wahr ist.

    Der Rest sind zugegebenermaßen Geplänkel und semantische Spielchen um Geschmack, Wahrnehmung, Stile, die aber auch Spaß machen und lehrreich sein können. Ganz 100% Ernst muss man das hier nicht nehmen und ich frage mich natürlich auch, warum ausgerechnet ich als gar nicht so wahnsinniger Hamburgfan immer wieder in diesen Gesprächen lande ;).

  • Dass der Münchner Wiederaufbau eine der wenigen diesbezüglichen Glanzleistungen in Deutschland sein dürfte, steht glaube ich außer Frage.

    München meine ich gut beurteilen zu können, ein Teil meiner engeren Familie wohnt dort, und ich habe meinen Wehrdienst in Freimann in der Domagkstraße abgeleistet (die Kaserne ist heute ein Wohngebiet). Ich schätze die Stadt sehr.

    Hamburg hat eine schwächere Wiederaufbauleistung erbracht, aber, wie bereits mehrfach erwähnt das unwahrscheinliche Glück gehabt, dass gerade diejenigen Straßen überlebt haben, die auch vor dem Krieg schon die relevanten Einkaufsstraßen und Postkartenansichten der Innenstadt bildeten, inkl. der Einrahmung der Binnenalster.

    Ebenfalls Glück hat Hamburg mit den jüngeren städtebaulichen Ergänzungen etwa ab Ende der 1970er Jahre. Erwähnt sei das Hanseviertel, dass abweichend vom damaligen Zeitgeist in traditionellen Backstein errichtet und sensibel in den Altbaubestand eingefügt wurde. Es bildete den Startschuss für das Passagenviertel in der westlichen Innenstadt und zur erstmaligen baulichen Vervollständigung des Gänsemarktes (dessen Randbebauung war vor dem Krieg eher kleinstädtisch und sehr heterogen).

    Jenseits der Wahrnehmung der meisten touristischen Besucher hat Hamburg noch 2 Besonderheiten zu bieten, die in Deutschland wirklich einmalig sind: Die Kanäle seitlich der Oberalster und das Blankeneser Treppenviertel. Beide lassen sich nur mit ausreichend Zeit (ein halber Tag für die Kanäle, 1 Tag für das Treppenviertel mindestens) und einer gewissen körperlichen Fitness erkunden, das Treppenviertel zu Fuß, die Kanäle per Kanu (vor Ort ausleihbar). Touristengruppen bekommen diese Quartiere daher in der Regel nicht zu sehen.

    Last but not least, die weitgehend erhaltenen Vorstadtquartiere Karolinenviertel, Eppendorf, Rotherbaum, Winterhude, Ottensen und die übrigen Elbvororte.

    Ich hab mir vorgenommen, kleine Bilderserien von 5-10 Bildern zu diesen Quartieren einzustellen, um einen Eindruck zu vermitteln, was sie ausmacht.

  • Reik - der Artikel von Frau Grimm ist IMHO schwach - da ist die Diskussion hier deutlich weiter.

    Der Satz "rein architektonisch steckt Hamburg in einem ähnlichen Dilemma, wie viele andere Großstädte im Land: Nach dem Krieg waren die Innenstädte dem Erdboden gleich gemacht" zeigt, dass die Autorin sich nicht wirklich mit Hamburg befasst hat.

    Und, wie kann überhaupt man einen Artikel über die Hamburger Innenstadt schreiben, ohne das Kontorhausviertel, die Speicherstadt und das Passagenviertel in der westlichen Innenstadt zu erwähnen? Letzteres ist DAS Hamburger Shoppingquartier schlechthin, sozusagen das "gehobene" Gegenüber zur Mönckebergstraße in der östlichen Innenstadt.

    Also, lasst uns einen Blick in die besagte westliche Innenstadt werfen, einen kleinen Rundgang machen. Nur Impressionen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

    Ich beginne mit den Stadthöfen an der Stadthausbrücke mit ihrem markanten rekonstruierten Eckturm:

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    Hinein in die Stadthöfe durch das Portal des Görtz-Palais

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    ... und weiter über dem mit dem Stadthaus überbauten Kanal mit den Bezeichnungen Herrengraben bzw. Bleichenfleet, dem mittelalterlichen Stadtgraben an Hamburgs damaliger Westflanke:

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    Es soll hier nicht verschwiegen werden, dass das Stadthaus in der NS-Zeit die lokale Zentrale der GeStaPo war. Das Metalldach im Vordergrund gehört zum "Seufzergang", durch den die Häflinge aus ihren Gefängniszellen zum Verhör geführt wurden. Zur Vergangenheit des Gebäudes gibt es eine kleine Ausstellung, die permanent geöffnet ist.

    Bilder von 2 der 3 folgenden Höfe:

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    Weiter geht's ins Hanseviertel, dem Herzstück des Passagenviertels (1978-1980):

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    Aus de Poststraße ein Blick von außen zurück auf das Hanseviertel. Für die Entstehungszeit bemerkenswert finde ich, dass alle auf dem Areal vorhandenen erhaltenswerten Altbauten integriert wurden:

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    Ein Blick ins Körnerhaus mit seinem gut erhaltenen schlicht-eleganten Treppenhaus:

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    ... und dann weiter über Poststraße und ABC-Straße am Marriot-Hotel vorbei Richtung Gänsemarkt:

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    Der Jungfernstieg ist derzeit, wie von Frau Grimm erwähnt, noch eine Baustelle:

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    Ein Blick in die Mellin-Passage mit der Buchhandlung Felix Jud:

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    Weiter zur Postbrücke, Blick über das andere Ende des Bleichenfleets mit seinen Restaurantschiffen:

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    Von der Westseite des fleets gelangt man in die Ladenpassagen Galeria, Kaisergalerie und Kaufmannshaus:

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    Abschließend der Blick auf die Bleichenhofpassage, von der man wieder in die Stadthöfe gelangen würde.

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  • Reik - der Artikel von Frau Grimm ist IMHO schwach - da ist die Diskussion hier deutlich weiter.

    Der Satz "rein architektonisch steckt Hamburg in einem ähnlichen Dilemma, wie viele andere Großstädte im Land: Nach dem Krieg waren die Innenstädte dem Erdboden gleich gemacht" zeigt, dass die Autorin sich nicht wirklich mit Hamburg befasst hat.

    ...

    Sehe ich nicht ganz so - auch wenn Hamburg meine Lieblingsstadt in Deutschland ist und Du wunderschöne Filetstücke des heutigen Stadtbildes gespostet hat, ist die städtebauliche Bilanz - insbesondere auch nach dem Krieg - ernüchternd. Die "Freie und Abrissstadt hat nicht umsonst diesen "Titel". Eine kleine Auswahl des Abrisswahnsinns:

    - Gängeviertel Ulricusstraße (Kahlschlagsanierung: Abriss von über 30 Fachwerkhäusern 1958)
    - Hamburg, Gängeviertel Caffamacherreiche (größte Teil nach Krieg abgerissen - dafür u.a. Unilever-Hochhaus 1958). Die restlichen Teile des Gängeviertels konnten erst nach Bürgerprotesten 2009 gerettet werden.
    - Hamburg, Dovenhof - Hamburgs 1. Kontorhaus von 1885/86 (Abriss 1967)
    - Hamburg, Altona (radikale Kahlschlagsanierung Abriss Altbauten für Neubausiedlung "Neu-Altona" von Ernst May 1959-60)
    - Hamburg, Esplanade (Massenabrisse denkmalgeschützter Bauten Unter den Linden in den 50iger/60iger Jahren). Dafür Bau Punkthochhäuser.
    - Hamburg, St. Pauli, Nachkriegsabrisse u.a. rund um Hein-Köllisch-Platz
    - Hamburg: Gründerzeitbau Johannisbollwerk 10 an Promenade nähe Landungsbrücken (Abriss 2021) Quelle

    Das ist nur eine kleine Auswahl. Es gibt nahezu keine einzige Straße mit Altbauten in Hamburg, die nicht Abrissgefährdet war. Meist war es Zufall, dass ein Investor Pleite gegangen ist, oder es Bürgerproteste gab, die die Abrisspläne gestoppt haben. Selbst die wenigen Altbauten in der Admiralitätsstraße sollten unter der Abrissbirne verschwinden - zum Glück gingen engagierte Bürger auf die Barrikaden. Später ab den 80iger Jahren ging man dann zur "Hamburger Lösung" über und ließ zumindest die Fassaden von großen Altbauten stehen - dahinter baute man komplett neu. Dass zur Zeit etwas Entspannung herrscht und die positiven Beispiele für Neubauten überwiegen, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hamburg eine irrsinnige Abrissgeschichte hinter sich hat und Verkehrsschneisen wie die Willy-Brandt bis heute ganze Stadtviertel teilen.

  • Wikos - die Äußerung von Frau Grimm, auf die ich mich bezogen habe, ist schlicht falsch.

    Die Hamburger Innenstadt wurde eben nicht im 2. Weltkrieg „dem Erdboden gleichgemacht“, sondern ist vielmehr relativ glimpflich davongekommen. Nur deshalb waren ja die von Dir erwähnten Abrisse in der Nachkriegszeit überhaupt möglich.

    Das Haupthema des Artikels ist der gegenwärtige Zustand der Innenstadt. Und diesbezüglich greift er mit seiner Beschränkung auf Mönckebergstraße, Rathaus und Binnenalster als einzige positive Bezugspunkte zu kurz (- das war meine hauptsächliche Kritik!).

    Wie man die heutige Innenstadt heute als Ganzes betrachtet, muss jeder selbst wissen - aber wenn man 3/4 dessen, was es noch oder wieder an positiven Seiten gibt, ausklammert, kann das Urteil nicht fair ausfallen.

    Edited once, last by HelgeK (November 1, 2024 at 2:21 PM).

  • Reik - der Artikel von Frau Grimm ist IMHO schwach - da ist die Diskussion hier deutlich weiter.

    Sicher richtig, aber man kann von einem auf T-Online erschienenen Artikel nicht erwarten, dass er sich mit den Feinheiten des Wiederaufbaus beschäftigt. Dafür gibt es Foren wie dieses. Ich fand den Bericht im Ganzen nicht schlecht.

  • Ich habe begonnen, für die übrigen Hamburger Stadtteile mit überwiegender Vorkriegsbebauung eine Bilderserie zu erstellen.

    Die Quartiere, die sich nicht in der Innenstadt befinden, gehören ja nicht hier in den Innenstadtfaden. Den Anfang mache ich mit dem Karolinenviertel.