Wismar - Wiederaufbau des Gotischen Viertels

  • Diesen Entwurf halte ich für sehr gelungen, weil er zugleich erkennbar eine Neuschöpfung unserer Zeit und doch auch eine völlig stilgerechte Vollendung der Kirche sein würde. Das klingt zwar nach den üblichen Floskeln der Architekten, aber in diesem Fall ist es ausnahmsweise einfach so.
    Besser wäre noch die Lösung von Frank 1204 aus Beitrag 134, weil wir es bei der Georgenkirche mit einer historischen Rekonstruktion zu tun haben, und es ist sehr wichtig für die Annahme und Akzeptanz solcher Rekonstruktionen, daß sie sich weitestgehend an ein historisch dagewesenes Original halten. Kleine Änderungen mit Hinblick auf der heutigen Nutzung sind meistens unumgänglich, wie auch bei Frank 1204s Vorschlag.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

    2 Mal editiert, zuletzt von Brandmauer (23. Oktober 2014 um 01:50)

  • Na und, ist der jetzige Zustand "Original"?

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Immer noch besser als modernistische Entstellung!
    Das Problem an Neohistoristischem Schnickschnack besteht idR darin, dass dieser ohne Geschmack und Formempfinden erfolgt. Das ist bei Freund L' Arkitektür eindeutig nicht der Fall.
    Zu jeder Zeit hat es eigenständige Vollendungsversuche und Adaptionen an alten Gebäuden gegeben.
    Ich bin 100% bei dir, wenn diese stümperhaft ausgeführt erscheinen.
    Gegen das Können unseres neuen Freundes hingegen habe ich absolut nichts einzuwenden.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Bzw. war der "Originalzustand" jemals geplant, oder nicht eher eine Notlösung?

    Ich finde, am ehemaligen Pyramidendach, das mehr als Schutz denn als Zierde auf den stets unvollendeten Turm gesetzt wurde, muss man sich nun wirklich nicht festklammern. Eine kreative Vollendung des Turms würde gerade bei St. Georgen dem Gesamtbild sehr zugute kommen.

  • Also ich versteh auch nicht ganz den "Wiederwillen" gegen den Versuch einer Neuinterpretation des Turmes. Diese Notbedachung war zwar historisch aber hatte eben doch nur den Charakter einer Interimslösung für den Fall des späteren Weiterbaus.
    Ich bin froh das es Entwürfe für diese Kirche gibt, die sich in der Gestaltung, Materialität und Funktionalität dem Grundgedanken des Kichenbaus annähern und zu einer würdigen heutigen Lösung führen könnten.
    Die aktuelle Situation auf dem Turmstumpf ist absolut unwürdig und eigentlich sind die Entwürfe doch genau das was ich mir unter einer adäquaten Lösung für die Kirche vorstelle. :daumenoben:

    Labor omnia vincit
    (Vergil)

  • Solche stilistisch-historisch angepassten, formschönen "architekturharmonischen Weiterbauten" sind freilich total wünschenswert. Doch räume ich diesen Ideen in unserer so rational eingestellten Welt kaum Verwirklichungschancen ein. Der Denkmalschutz wird dagegen wettern, Kirchenkritiker werden türmelnde Hybris und Geldverschwendung vorwerfen.
    Allerdings ein finanzstarkes und renditeversprechendes Konzept, wie von unserem Architectus angedeutet, könnte auch die Sparfüchse zum Schweigen bringen.

    Schön, wie in der Gesamtansicht der Zweiklang beider Kirchtürme wieder zur Geltung kommt. Das lässt den Wunsch aufkommen auch die andere ruinierte Kirche Wismars wieder auferstehen zu lassen!

  • Ich finde den Entwurf von "L Architecture" garnicht schlecht, auch wenn im Mittelalter sicher ein sehr viel höherer Turm, wahrscheinlich höher als der der Marienkirche und mit schlankem Turmhelm, geplant war. Verbessert er doch die Proportionen des Baus deutlich. Mich stört lediglich dieses eine überhöhte Turmgeschoss. Der Entwurf würde m.E. noch gewinnen, wenn man dies etwa in Höhe des Mittelschifffirsts in zwei Geschosse (d.h. getrennte Fenster und umlaufendes Gesims/Fries) trennen würde.
    Das Pyramiddach passt zu dem eher trutzigen Bau und nimmt die Form der Querschiffsgiebel auf. Die kleinen Türmchen korrespondieren gut mit den Querschiffstürmchen und bilden eine Art Krone auf dem Turm. Etwas gewöhnungsbedürftig finde ich, dass die Fenster über das geschlossene Mauerwerk hinausragen. Das gibt dem Turm aber weiterhin eine Anmutung von "Unfertigkeit", was ich wiederum ganz gut finde, da er ja wie schon geschrieben eigentlich noch höher werden sollte.

    Lûbeke, aller Stêden schône, van rîken Êren dragestu de Krône. (Johann Broling, Lübecker Kaufmann und Ratsherr, um 1450)

  • Falls es noch Pläne des Turmes geben sollte, so wäre ich für dessen Vollendung. Ansonsten gibt es zu der Vorkriegsversion keine Alternative, sei es mit Glashäuschen oder irgendwelchen Historismusfantasien.

  • Zitat

    Ansonsten gibt es zu der Vorkriegsversion keine Alternative


    "Keine Alternative", "alternativlos".... wenn ich das nur höre...
    Freund Herzog, alles gibt es. Auch Sachen, die es gar nicht gibt...

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Die Entwürfe habe ich zum Bürgermeister, dem Bauamt, der Ostseezeitung und dem Wiederaufbauverein geschickt, leider hab ich nur eine positive Rückmeldung vom Wiederaufbauverein bekommen. Wenn also die Idee des Turmes hinter den Wünschen der Einwohner und Gäste Wismars steht, dann hoffe ich auf eine Umsetzung denn der Zustand jetzt ob mit oder ohne Notbedachung sieht ja nun auch nicht unbedingt gut aus. Manchmal reichen schriftliche Eingaben um das Thema zur öffentlichen Diskussion zu bringen. Ich würde mich freuen wenn Wismar eine neue kleine Stadtkrone bekommen würde.

  • .

    Bild: St. Georgen-Hauptaltar, Wismar. Der Hauptaltar stammt aus der Zeit um 1430. Im aufgeklappten Zustand ist er etwa 9,5 Meter breit und 4,42 Meter hoch und ist der größte seiner Art im ganzen Ostseeraum. Bild Wikipedia, von "Arnholdius"

    Zitat

    Besteht jetzt wieder Hoffnung, dass der Altar der St.Georgen-Kirche zu Wismar an seinen angestammten Platz in das Wismarer Gotteshaus zurückkehrt? Derzeit steht der Schrein in einem Seitenflügel der St. Nikolai-Kirche. Im Gespräch mit "Markt Wismar" plädierte Dr. Wolfgang Illert, Vorstandsmitglied der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD), für dessen Rücküberführung. „Wenn ein originaler Standort, wie in diesem Fall für den Altar von St. Georgen vorhanden ist, frei ist und zur Verfügung steht, dann ist das für mich gar keine Frage. Warum soll der Altar dann an einem Behelfsplatz stehen?“, fragte Dr.Wolfgang Illert. „Der Altar gehört natürlich nach St. Georgen, das ist gar keine Frage. Er wurde nach dem zweiten Weltkrieg aus der stark beschädigten Kirche nach St. Nikolai verbracht. Jetzt ist St.Georgen wieder aufgebaut. Über einen breiten Konsens zwischen Kirche, Bevölkerung und Stadt sollte hier eine Lösung gefunden werden.“ Da scheint sich in der wohl größten privaten Initiative der deutschen Denkmalpflege ein Sinneswandel zu vollziehen.

    Endlich! :anbeten:

    Quelle: http://www.georgenkirche.de/upload/markt_47_1%20(1).pdf
    Zudem:
    https://www.nordkirche.de/nachrichten/na…-20-jahren.html

  • Im kommenden Jahr soll die Aufmauerung der Grundmauern des von den Roten Taliban 1960 gesprengten Kirchenschiffs der Marienkirche offenbar - nach jahrelangem Stillstand - endlich fortgesetzt werden (derzeitiger Zustand: siehe Bild).
    Im städtischen Haushalt sind in den Jahren 2015-2018 die entsprechenden finanziellen Mittel eingestellt worden (zu sehen hier; S.25 und 403). :trommeln:

  • Vielen Dank, Kralle, für die gute Nachricht und das tolle Luftbild. Gerne möchte ich glauben, dass man die Kirche tatsächlich weiterbaut. Ich lese im der Haushaltsaufstellung allerdings:

    Zitat

    St. Marien – Gestaltung Außengelände,
    Grundmauern und Innenraum des ehem.
    Kirchenschiffes


    375.000 Euro für diese Punkte erscheint mir kaum ein Tropfen auf den heißen Stein zu sein. Ich befürchte, dass sich das Wort "Gestaltung" auf alle drei Punkte bezieht, also dass das Geld tatsächlich "nur" für die "Gestaltung" der Außenanlagen, des Innenraums (der besteht zum größten Teil bisher nur aus einer Sandfläche) und der momentan vorhandenen Grundmauern vorgesehen ist. Bei den Mauern ist zu erkennen, dass noch viele Aussparungen für (teure) Formsteine vorhanden sind, die wohl noch nachträglich angebracht werden sollen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass darüberhinaus noch viel Geld für ein weiteres Aufmauern übrig bleibt - das soweit ich bisher gelesen habe - eigentlich auch nicht vorgesehen ist.

    Wie auch immer, hoffen wir mal das beste - ich lasse mich gerne überraschen.

    Die Mauern haben momentan übrigens ganz verschiedene Höhen:
    - Die Pfeilersockel liegen geschätzt bei 0,5-0,7 m
    - Die Seitenschiffswände bei 1-1,5m
    - Die Chorwände bei 2-2,5m

    Nachfolgend stelle ich ergänzend zu dem Luftbild noch ein paar Fotos ein, die ich am 22.7. dieses Jahres gemacht hatte. Sind also noch ziemlich aktuell und sollten den jetzigen Stand zeigen:

    IMG_0015.jpeg
    Abb 1: Blick nach Osten auf Teil des Mittelschiffs und Chor

    IMG_0065.jpeg
    Abb 2: Blick von Südosten

    IMG_0010.jpeg
    Abb 3: Blick von Osten aus dem Chor

    IMG_0066.jpeg
    Abb. 4: Blick von außen auf den Chor

    IMG_0047.jpeg
    Abb. 5: Illusion des Kirchenschiffs in der südlichen Turm-Seitenkapelle

    IMG_0054.jpeg
    Abb. 6: Modell der Kirche in der nördlichen Turmseitenkapelle

    Alle Fotos von mir.

    Lûbeke, aller Stêden schône, van rîken Êren dragestu de Krône. (Johann Broling, Lübecker Kaufmann und Ratsherr, um 1450)

    Einmal editiert, zuletzt von frank1204 (8. April 2023 um 23:38) aus folgendem Grund: Bilder wiederhergestellt

  • Hallo Frank,
    Danke für deine Infos!
    So wie ich das verstanden habe sind die 375.000 Euro auch in den Folgejahren (bis 2018) im jeweiligen Haushalt eingeplant, so dass man insgesamt auf etwa 1.500000 Euro kommt. Das dürfe reichen. :smile:

  • Ja, Du hast recht - es scheinen tatsächlich 375.000 Euro pro Jahr bis 2018 zu sein. Ich habe aber noch keine Infos gefunden, welche Maßnahmen genau damit durchgeführt werden sollen. Ich werde das mal weiter beobachten.

    Wer etwas Lesestoff zum Thema braucht: Hier habe ich gerade eine interessante Abhandlung zum archäologischen Befund der Marienkirche mit vielen Fotos gefunden:
    http://www.seppweb.net/ruetz.pdf

    Falls das hier schon mal verlinkt wurde, bitte ich um Nachsicht, ich mag jetzt nicht den ganzen Thread nochmal durchlesen. Mir ist das Dokument zumindest neu.

    Lûbeke, aller Stêden schône, van rîken Êren dragestu de Krône. (Johann Broling, Lübecker Kaufmann und Ratsherr, um 1450)

    Einmal editiert, zuletzt von frank1204 (24. Dezember 2014 um 14:28)

  • Mit den Jahren lernt man, daß man sich auch über kleinere Fortschritte sehr freuen kann. Der Wiederaufbau der Georgenkirche hat gezeigt, daß so ein Projekt seine Zeit baucht. Wie es mit der Marienkirche weitergehen wird, wird die Zukunft zeigen. Im Moment ist das maximalste, was ich mir mittelfristig vorstellen könnte, der Wiederaufbau der vier westlichen Joche bis zum Querschiff, weil es realistischer ist, daß man an den Turm anschließt, auch, um ihn zu stabilisieren. Wismar, laß öfter von dir hören.

  • Ja, ich hoffe auch sehr, dass die Kirche wiederkommt und damit die grandiose Stadtsilhouette wieder vervollständigt wird. Die angefangenen Mauern hat man meines Wissens nach auch so gebaut, dass sie tragfähig wären. Ein Anfang ist also gemacht.

    Und das war lange Zeit gar nicht selbstverständlich. In den 1990er Jahren gab es nämlich einen Wettbewerb zur Bebauung des Kirchengrundstücks. Es sollte ein Gebäude in Anlehnung an die Kubatur des Kirchenschiffs entstehen. Ich kann mich daran erinnern, dass ich bei meinem ersten Besuch in Wismar einen Flyer zu den Wettbewerbsergebnissen in den Händen hatte und dass der Siegerentwurf dann ein x-beliebiges, ich meine sogar u-förmiges Bürogebäude war, das mit dem Kirchenschiff so gar nichts gemein hatte. Das machte mich sehr sauer und ich verfolgte das Thema daher nicht mehr weiter.

    Einige Jahre später erfuhr ich dann davon, dass der Kirchengrundriss wiederhergestellt und bis auf Sitzhöhe aufgemauert werden sollte. Ich war sehr erfreut darüber und dass man den Wettbewerb offenbar ad acta gelegt hatte. Und da die Sitzhöhe insbesondere im Chor inzwischen deutlich überschritten wurde, lässt tatsächlich hoffen, dass nach und nach weitergebaut werden wird.

    Man muss aber realistisch bleiben und auch sehen, dass eine so kleine Stadt wie Wismar mit der Wiederherstellung zweiter so monumentaler Bauten wie St. Georgen und St. Marien einfach überfordert ist. Da jetzt aber Georgen nach nun fast 25 Jahren Wiederaufbau der Vollendung entgegengeht, hoffe ich, dass sich die Anstrengungen zukünftig mehr auf St. Marien konzentrieren werden. Vielleicht sehen wir hier ja mit den 375.000 Euro pro Jahr einen Anfang.

    Es gibt ja schon lange einen Förderverein St. Marien. Dessen (leider sehr unübersichtliche) Webseite vermittelt aber den Eindruck, dass dort nicht so viel passiert. Wenn man aber vor Ort ist, sieht man, dass man bisher großartige Arbeit insbesondere am Turm geleistet hat, der ehedem auch in einem erbarmungswürdigen Zustand war. Er wurde komplett saniert und gesichert, die Seitenkapellen wieder vollständig aufgemauert, gewölbt und überdacht. Da diese Arbeiten abgeschlossen erscheinen, kann man sich nun vielleicht mehr auf das Kirchenschiff konzentrieren.

    Und ja, ich habe tatsächlich irgendwo gelesen, dass man in absehbarer Zeit wohl wenigstens ein oder zwei Joche des Mittelschiffs wiederaufbauen muss, um den Turm zu stabilisieren.

    All das lässt mich wirklich auf einen positiven, wenn wohl auch sehr langwierigen Fortgang hoffen!
    :smile:

    Lûbeke, aller Stêden schône, van rîken Êren dragestu de Krône. (Johann Broling, Lübecker Kaufmann und Ratsherr, um 1450)