Im folgenden möchte ich eine Stadt präsentieren, die offensichtlich auf kein großes touristisches Interesse stößt, schließlich gibt es keinen spezialisierten Architekturführer auf dem "freien Markt" ... zum Glück existiert aber ein engagiertes Stadtplanungsamt, das diese Lücke schließt und mit "Architektur und Städtebau" einen ganz ausgezeichneten Architekturführer herausgibt ... ja, wir reden von Magdeburg.
Das wäre dann auch schon eines von zwei Büchern, die ich empfehlen würde, das andere wird von drei Magdeburger Wohnungsbaugenossenschaften herausgegeben und trägt den Titel "Magdeburg lebt auf - Visionen einer Stadt" und ist eher ein Bildband mit verschiedenen Schwerpunktthemen, während im Architekturführer ganz klassisch einzelne Bauwerke vorgestellt werden.
Zudem bietet die Stadt Magdeburg PDF-Dateien zu allen erdenklichen städtebaulichen Themen an: klick
Besonders empfehlenswert ist die PDF Städtebau 1945 bis 1990, die auch direkt über Magdeburg Tourist herausgegeben wird: Direktdownload
Besuchenswert auch die Website Madgeburger Platte, die indes alle erdenklichen Luftaufnahmen bietet, z. B. hier zum Hasselbachplatzviertel
Viele Galerien beschränken sich auf das Domumfeld, noch ergänzt durch das teilweise erhaltene Gründerzeitviertel im Süden, das Hasselbachplatzviertel (obwohl der namensgebende Platz ziemlich am Rand des Viertels liegt), sowie das Domviertel und (sehr selten) das Sterngelände südlich davon.
Ich möchte indes die gesamte Innenstadt präsentieren, bis zur Walther-Rathenau-Straße im Norden, mit Oper und Universitätsgebäuden - diesem Areal soll der erste Teil gewidmet sein.
Effektiv besteht die Innenstadt aus zwei völlig gegensätzlichen Teilen - der "sozialistischen Stadt" mit ihren Wohnkomplexen im Norden, mit sehr viel grüner Wiese, Platte, Großblockbauweise und einem eigenen Zentrum entlang des Breiten Wegs, und der "klassischen europäischen Stadt" mit einer dichten Bebauung und einer Abfolge von Straßen und Plätzen, teilweise erhalten, teilweise nach der Wende im Domviertel gekonnt neu errichtet (anstelle diverser Plattenbauten).
Die Trennlinie zwischen beiden Arealen beginnt meines Erachtens direkt nördlich des Domplatzes, dazwischen liegt der Zentrale Platz, der zu DDR-Zeiten als Aufmarsch- und Veranstaltungsfläche angelegt wurde und im wesentlichen ziemlich leer blieb, bis dann mit dem ebenfalls ziemlich gigantischen Allee-Center in der Nachwendezeit nachverdichtet wurde.
In Sachen Leere konnte Magdeburg durchaus mit Dresden mithalten - vom Bahnhof bestand freie Sicht zur 900 Meter entfernten Ruine der Johanniskirche ...
Kurz zur Geschichte Magdeburgs (Innenstadt Nord und Süd):
Magdeburg wurde in seiner Geschichte zweimal zerstört, einmal im Dreißigjährigen Krieg 1631 und einmal im Zweiten Weltkrieg, gefolgt von flächendeckenden Abrissen zu DDR-Zeiten. Aus der ersten Zerstörung entstand eine faszinierende Stadt mit eindrucksvollen Kirchen und dem Breiten Weg, zwar teilweise gründerzeitlich überformt, aber dennoch mit vielen Barockbauten (davon blieben zwei übrig), von der zweiten Zerstörung wird sich Magdeburg architektonisch wohl auch mittelfristig nicht erholen, zumindest nicht nördlich des Domplatzes.
Gerade weil Magdeburg schon ab 1950 eine Aufbaustadt der ersten Kategorie war, sollten die im selben Jahr beschlossenen 16 Grundsätze des Städtebaus besonders gründlich umgesetzt werden.
QuoteStädte ‚an sich‘ entstehen nicht und existieren nicht. Die Städte werden in bedeutendem Umfange von der Industrie für die Industrie gebaut. Das Wachstum der Stadt, die Einwohnerzahl und die Fläche werden von den städtebildenden Faktoren bestimmt, das heißt von der Industrie, den Verwaltungsorganen und den Kulturstätten, soweit sie mehr als örtliche Bedeutung haben.
Die Bestimmung und Bestätigung der städtebildenden Faktoren ist ausschließlich Angelegenheit der Regierung.
Entsprechend wurde munter flächendeckend abgerissen, teilweise auch Bauten, die Mitte der 60er Jahre noch standen (z. B. für den späteren Fußgängerbereich Leiterstraße). Besonders extrem ist die Bilanz bei den Kirchenabrissen, hier wurden acht Kirchen abgerissen, die teilweise relativ geringe Schäden aufwiesen, darunter die Ulrichskirche.
Dies wird nur noch übertroffen von der Heilig-Geist-Kirche - diese wurde wiederaufgebaut und bis 1959 auch als Kirche genutzt, dann aber dennoch abgerissen, ein Foto der Kirche und ihres leeren Umfelds gibt es auch auf der Wikipedia.
Ja, Magdeburg sollte eben zur Stadt des Schwermaschinenbaus werden, vgl. auch das SKET.
Auch der gigantische Zentrale Platz kann aus diesen Grundsätzen direkt abgeleitet werden, ebenso wie dessen monumentale Bebauung:
QuoteAuf den Plätzen im Stadtzentrum finden die politischen Demonstrationen, die Aufmärsche und die Volksfeiern an Festtagen statt. Das Zentrum der Stadt wird mit den wichtigsten und monumentalsten Gebäuden bebaut, beherrscht die architektonische Komposition des Stadtplanes und bestimmt die architektonische Silhouette der Stadt.
Die klassischen Bauten des Sozialistischen Realismus am Zentralen Platz entstanden dann in den 50er-Jahre im Rahmen des Nationalen Aufbauwerks noch im traditionellen Baustil, wobei sie nicht vollständig realisiert wurden und dennoch die Ressourcen der Stadtplanung so sehr beanspruchten, daß weitere Aufbauprojekte am Breiten Weg vorübergehend pausiert werden mußten.
Überhaupt waren die verfügbaren Ressourcen sehr bescheiden, zwar gab es phantastische Entwürfe, Wettbewerbe und Preise, nur gebaut wurde dann nur ein Bruchteil, und zwar abhängig von den Teilen, die im Zuge der immer stärkeren Industrialisierung des Bauens gerade verfügbar waren - ab 1971 wurden ja die bislang unabhängigen Projektierungsbetriebe und Plattenbauwerke zum VEB Wohnungsbaukombinat zusammengefaßt und man konnte dann nur noch aus Bauteilen auswählen, die von der Bauakademie der DDR angeboten wurden.
Entsprechend nicht realisiert wurden somit Hochhäuser am Zentralen Platz, auch eine Art "Prager Straße" im Miniformat am Elbufer blieb uns erspart, als Ersatz dienten dann grüne Wiese und dreimal dieselben Plattenbau-"Höhendominanten".
Immerhin interessant, daß auch für diese "Notlösungen" wiederum Wettbewerbe ausgeschrieben und Preise vergeben wurden, obwohl das Ergebnis ziemlich generisch aussah. Schaut man sich Bilder dieser Platten- und Großblockbauten nach der Wende an, so ist sofort ersichtlich, daß die Mittel für eine vernünftige Instandhaltung (geschweige denn Modernisierung) fehlten.
Auch der vom Krieg verschonte Baubestand verfiel, das Domviertel ("Südlicher Innenstadtbereich") sollte sowieso aus städtebaulichen Gründen südlich des Domplatzes teilweise abgerissen und neu bebaut werden, aber auch das Hasselbachplatzviertel war noch bis Ende der 70er-Jahre für den Abriß freigegeben ... zumal nur noch knapp unter 60 % der Wohnungen aufgrund von Verfall überhaupt noch bewohnt werden konnten.
Glücklicherweise nahm man von diesem Plan Abstand und leitete die "komplexe Sanierung" ein, eine Art von Entkernung der Häuserblöcke, wobei jedoch teilweise Plattenbauten als Lückenfüller zum Einsatz kamen und z. B. an der Bahnhofstraße auch komplette Häuserzüge abgerissen wurden und ein neuer und namenloser Platz entstand (beides schön zu sehen unter Luftbildsuche - links unten die Bahnhofstraße mit der fehlenden Häuserzeile, oben rechts der neue "Platz").
Nach dieser Einführung nun eine kurze Übersicht:
Die komplette Magdeburger Innenstadt, im ersten Teil geht es um das Areal nördlich des Zentralen Platzes (heute: Ernst-Reutter-Allee), das ist die Verbindungsstraße knapp nördlich des Bahnhofs zur Brücke:
Und hier etwas gezoomt:
Wir sehen in der Mitte den Breiten Weg als Zentrum dieses Stadtteils, der Rest besteht aus Wohnvierteln, an der Elbe ist mit Wallonerkirche, Sankt Petri und einigen wenigen Gebäuden noch ein wenig Alt-Magdeburg erhalten.
Leider nicht geschafft habe ich das Magdeburg jenseits der Bahnlinie, die Wilhelmstadt oder heute Stadtfeld (West und Ost), einem weitgehend erhaltenen Stadteil mit Historismus, Neuem Bauen, Gartenstadt und auch Platte. Möchte ich aber gern nachholen.
Skurrilerweise schlug genau beim Übergang von Nord nach Süd das Wetter um, so daß die Platten in schönstem Sonnenschein präsentiert werden, die historischen Gebäude hingegen vor durchaus bewölktem Himmel. Immerhin konnte ich alle Fotos aufnehmen, da sich der Regen schnell wieder verzog.