Magdeburg (Galerie) - Teil 1 - allgemeine Einführung und nördliche Innenstadt

  • Im folgenden möchte ich eine Stadt präsentieren, die offensichtlich auf kein großes touristisches Interesse stößt, schließlich gibt es keinen spezialisierten Architekturführer auf dem "freien Markt" ... zum Glück existiert aber ein engagiertes Stadtplanungsamt, das diese Lücke schließt und mit "Architektur und Städtebau" einen ganz ausgezeichneten Architekturführer herausgibt ... ja, wir reden von Magdeburg.

    Das wäre dann auch schon eines von zwei Büchern, die ich empfehlen würde, das andere wird von drei Magdeburger Wohnungsbaugenossenschaften herausgegeben und trägt den Titel "Magdeburg lebt auf - Visionen einer Stadt" und ist eher ein Bildband mit verschiedenen Schwerpunktthemen, während im Architekturführer ganz klassisch einzelne Bauwerke vorgestellt werden.

    Zudem bietet die Stadt Magdeburg PDF-Dateien zu allen erdenklichen städtebaulichen Themen an: klick

    Besonders empfehlenswert ist die PDF Städtebau 1945 bis 1990, die auch direkt über Magdeburg Tourist herausgegeben wird: Direktdownload

    Besuchenswert auch die Website Madgeburger Platte, die indes alle erdenklichen Luftaufnahmen bietet, z. B. hier zum Hasselbachplatzviertel

    Viele Galerien beschränken sich auf das Domumfeld, noch ergänzt durch das teilweise erhaltene Gründerzeitviertel im Süden, das Hasselbachplatzviertel (obwohl der namensgebende Platz ziemlich am Rand des Viertels liegt), sowie das Domviertel und (sehr selten) das Sterngelände südlich davon.

    Ich möchte indes die gesamte Innenstadt präsentieren, bis zur Walther-Rathenau-Straße im Norden, mit Oper und Universitätsgebäuden - diesem Areal soll der erste Teil gewidmet sein.

    Effektiv besteht die Innenstadt aus zwei völlig gegensätzlichen Teilen - der "sozialistischen Stadt" mit ihren Wohnkomplexen im Norden, mit sehr viel grüner Wiese, Platte, Großblockbauweise und einem eigenen Zentrum entlang des Breiten Wegs, und der "klassischen europäischen Stadt" mit einer dichten Bebauung und einer Abfolge von Straßen und Plätzen, teilweise erhalten, teilweise nach der Wende im Domviertel gekonnt neu errichtet (anstelle diverser Plattenbauten).

    Die Trennlinie zwischen beiden Arealen beginnt meines Erachtens direkt nördlich des Domplatzes, dazwischen liegt der Zentrale Platz, der zu DDR-Zeiten als Aufmarsch- und Veranstaltungsfläche angelegt wurde und im wesentlichen ziemlich leer blieb, bis dann mit dem ebenfalls ziemlich gigantischen Allee-Center in der Nachwendezeit nachverdichtet wurde.

    In Sachen Leere konnte Magdeburg durchaus mit Dresden mithalten - vom Bahnhof bestand freie Sicht zur 900 Meter entfernten Ruine der Johanniskirche ...

    Kurz zur Geschichte Magdeburgs (Innenstadt Nord und Süd):

    Magdeburg wurde in seiner Geschichte zweimal zerstört, einmal im Dreißigjährigen Krieg 1631 und einmal im Zweiten Weltkrieg, gefolgt von flächendeckenden Abrissen zu DDR-Zeiten. Aus der ersten Zerstörung entstand eine faszinierende Stadt mit eindrucksvollen Kirchen und dem Breiten Weg, zwar teilweise gründerzeitlich überformt, aber dennoch mit vielen Barockbauten (davon blieben zwei übrig), von der zweiten Zerstörung wird sich Magdeburg architektonisch wohl auch mittelfristig nicht erholen, zumindest nicht nördlich des Domplatzes.

    Gerade weil Magdeburg schon ab 1950 eine Aufbaustadt der ersten Kategorie war, sollten die im selben Jahr beschlossenen 16 Grundsätze des Städtebaus besonders gründlich umgesetzt werden.

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    Städte ‚an sich‘ entstehen nicht und existieren nicht. Die Städte werden in bedeutendem Umfange von der Industrie für die Industrie gebaut. Das Wachstum der Stadt, die Einwohnerzahl und die Fläche werden von den städtebildenden Faktoren bestimmt, das heißt von der Industrie, den Verwaltungsorganen und den Kulturstätten, soweit sie mehr als örtliche Bedeutung haben.

    Die Bestimmung und Bestätigung der städtebildenden Faktoren ist ausschließlich Angelegenheit der Regierung.

    Entsprechend wurde munter flächendeckend abgerissen, teilweise auch Bauten, die Mitte der 60er Jahre noch standen (z. B. für den späteren Fußgängerbereich Leiterstraße). Besonders extrem ist die Bilanz bei den Kirchenabrissen, hier wurden acht Kirchen abgerissen, die teilweise relativ geringe Schäden aufwiesen, darunter die Ulrichskirche.

    Dies wird nur noch übertroffen von der Heilig-Geist-Kirche - diese wurde wiederaufgebaut und bis 1959 auch als Kirche genutzt, dann aber dennoch abgerissen, ein Foto der Kirche und ihres leeren Umfelds gibt es auch auf der Wikipedia.

    Ja, Magdeburg sollte eben zur Stadt des Schwermaschinenbaus werden, vgl. auch das SKET.

    Auch der gigantische Zentrale Platz kann aus diesen Grundsätzen direkt abgeleitet werden, ebenso wie dessen monumentale Bebauung:

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    Auf den Plätzen im Stadtzentrum finden die politischen Demonstrationen, die Aufmärsche und die Volksfeiern an Festtagen statt. Das Zentrum der Stadt wird mit den wichtigsten und monumentalsten Gebäuden bebaut, beherrscht die architektonische Komposition des Stadtplanes und bestimmt die architektonische Silhouette der Stadt.

    Die klassischen Bauten des Sozialistischen Realismus am Zentralen Platz entstanden dann in den 50er-Jahre im Rahmen des Nationalen Aufbauwerks noch im traditionellen Baustil, wobei sie nicht vollständig realisiert wurden und dennoch die Ressourcen der Stadtplanung so sehr beanspruchten, daß weitere Aufbauprojekte am Breiten Weg vorübergehend pausiert werden mußten.

    Überhaupt waren die verfügbaren Ressourcen sehr bescheiden, zwar gab es phantastische Entwürfe, Wettbewerbe und Preise, nur gebaut wurde dann nur ein Bruchteil, und zwar abhängig von den Teilen, die im Zuge der immer stärkeren Industrialisierung des Bauens gerade verfügbar waren - ab 1971 wurden ja die bislang unabhängigen Projektierungsbetriebe und Plattenbauwerke zum VEB Wohnungsbaukombinat zusammengefaßt und man konnte dann nur noch aus Bauteilen auswählen, die von der Bauakademie der DDR angeboten wurden.

    Entsprechend nicht realisiert wurden somit Hochhäuser am Zentralen Platz, auch eine Art "Prager Straße" im Miniformat am Elbufer blieb uns erspart, als Ersatz dienten dann grüne Wiese und dreimal dieselben Plattenbau-"Höhendominanten".

    Immerhin interessant, daß auch für diese "Notlösungen" wiederum Wettbewerbe ausgeschrieben und Preise vergeben wurden, obwohl das Ergebnis ziemlich generisch aussah. Schaut man sich Bilder dieser Platten- und Großblockbauten nach der Wende an, so ist sofort ersichtlich, daß die Mittel für eine vernünftige Instandhaltung (geschweige denn Modernisierung) fehlten.

    Auch der vom Krieg verschonte Baubestand verfiel, das Domviertel ("Südlicher Innenstadtbereich") sollte sowieso aus städtebaulichen Gründen südlich des Domplatzes teilweise abgerissen und neu bebaut werden, aber auch das Hasselbachplatzviertel war noch bis Ende der 70er-Jahre für den Abriß freigegeben ... zumal nur noch knapp unter 60 % der Wohnungen aufgrund von Verfall überhaupt noch bewohnt werden konnten.

    Glücklicherweise nahm man von diesem Plan Abstand und leitete die "komplexe Sanierung" ein, eine Art von Entkernung der Häuserblöcke, wobei jedoch teilweise Plattenbauten als Lückenfüller zum Einsatz kamen und z. B. an der Bahnhofstraße auch komplette Häuserzüge abgerissen wurden und ein neuer und namenloser Platz entstand (beides schön zu sehen unter Luftbildsuche - links unten die Bahnhofstraße mit der fehlenden Häuserzeile, oben rechts der neue "Platz").

    Nach dieser Einführung nun eine kurze Übersicht:

    Die komplette Magdeburger Innenstadt, im ersten Teil geht es um das Areal nördlich des Zentralen Platzes (heute: Ernst-Reutter-Allee), das ist die Verbindungsstraße knapp nördlich des Bahnhofs zur Brücke:

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    Und hier etwas gezoomt:

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    Wir sehen in der Mitte den Breiten Weg als Zentrum dieses Stadtteils, der Rest besteht aus Wohnvierteln, an der Elbe ist mit Wallonerkirche, Sankt Petri und einigen wenigen Gebäuden noch ein wenig Alt-Magdeburg erhalten.

    Leider nicht geschafft habe ich das Magdeburg jenseits der Bahnlinie, die Wilhelmstadt oder heute Stadtfeld (West und Ost), einem weitgehend erhaltenen Stadteil mit Historismus, Neuem Bauen, Gartenstadt und auch Platte. Möchte ich aber gern nachholen.

    Skurrilerweise schlug genau beim Übergang von Nord nach Süd das Wetter um, so daß die Platten in schönstem Sonnenschein präsentiert werden, die historischen Gebäude hingegen vor durchaus bewölktem Himmel. Immerhin konnte ich alle Fotos aufnehmen, da sich der Regen schnell wieder verzog.

    Lanes are meant to be crossed. If you're staying in your lane you're obviously advancing too slow.

  • Nun zu unserer Vorgehensweise - wir beginnen am Hauptbahnhof und biegen dann gleich nach Norden ab, über die Otto-von-Guericke-Straße, vorbei am früheren Zentralen Platz, der heutigen Ernst-Reutter-Allee, und gehen von dort aus bis zum Universitätsplatz im Norden.

    Wenn es sich anbietet, gibt es auch mal kurze Abstecher in die Umgebung - danach dann über die Walther-Rathenau-Straße bis zur Elbe, das Elbufer nach Süden, um dann durch die Plattenbauviertel hindurch schließlich die Fußgängerzone am Breiten Weg zu erkunden.

    Hier nun der schön sanierte Hauptbahnhof, der ab 1872 von drei privaten Eisenbahngesellschaften errichtet, zerstört und dann schrittweise bis 1969 wiederaufgebaut wurde - mit Ausnahme des westlichen Empfangsgebäudes:

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    Dort zeigt auch eine Übersicht die "historischen" Viertel der Stadt:

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    Indes - es ist das einzige historische Gebäude im weiten Umkreis. Das gesamte Areal vor dem Bahnhof blieb zu DDR-Zeiten unbebaut - und wir reden hier von einer Fläche von 200 mal 400 Metern.

    Ab 1993 wurde hier als Teil des Projekts Städtebauliche Achse Innenstadt durch eine Projektgemeinschaft aus vier Architekturbüros mit dem Lückenschluß begonnen, beendet wurde das Projekt dann im Jahr 2000

    In Richtung Hauptbahnhof entstand das City Carré, das neben Einkaufsmöglichkeiten auch Büros und eine Fußgängerzone bietet - und leider architektonisch ziemlich enttäuschend ist.

    Willy-Brandt-Platz am Hauptbahnhof mit dem City Carré:

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    Auch Straßennamen wie Kantstraße oder Am alten Theater nehmen der Bebauung nicht ihre Künstlichkeit:

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    Südlich davon befindet sich das heute von der Volksstimme genutzte Gebäude aus der Zeit des Sozialistischen Realismus und das Faber-Hochhaus, ein Gebäude der Vorkriegszeit:

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    Davor noch Brache:

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    Aber nicht mehr lang:

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    Wir erreichen die Otto-von-Guericke-Straße, die im Süden auf den Hasselbachplatz zuläuft. Südlich vom Standort gibt es noch ein prächtiges Gebäude, das Bankhaus im Hintergrund, aus dem Jahr 1925 (wird später noch detaillierter gezeigt):

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    Hier das gigantische City Carré von der anderen Seite:

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    Das beste an all diesen Neubauprojekten ist wohl, daß wieder urbane Strukturen anstelle völliger Leere entstehen, daß wieder Arbeitsplätze und Einkaufsmöglichkeiten entstehen, besonders attraktiv ist die Bebauung nicht gerade ...

    Direkt gegenüber die Leiterstraße, eine Fußgängerzone aus der Endphase der DDR, für die Mitte der 70er-Jahre die Vorkriegsbebauung abgerissen wurde - fertig wurde die Neubebauung aber erst 1989!

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    Die recht kurze Fußgängerzone führt dann direkt zum Breiten Weg.

    Nördlich davon befindet sich dann in Gehrichtung rechts der Neubau des Maritim Hotels Magdeburg von 1995 mit dem größten Tagungssaal mit 1600 Plätzen - sieht fast wie ein DDR-Plattenbau aus, hier stand bis 1993 das Hotel International aus DDR-Zeiten.

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    Blick in Richtung Hauptbahnhof durch das City Carré:

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    Und schon haben wir die Bauten des Sozialistischen Klassizismus am früheren Zentralen Platz erreicht:

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    Blick auf die Gegenseite, Nordseite der Ernst-Reuter-Allee:

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    Zu den "stalinistischen" Bauten später mehr, wenn der restliche "Zentrale Platz" vorgestellt wird.

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  • Wir haben jetzt die Kreuzung Otto-von-Guericke-Straße und Ernst-Reuter-Allee erreicht - das westliche Ende des früheren Zentralen Platzes.

    Die Ernst-Reuter-Allee führt übrigens direkt unter den Gleisen hindurch zum Damaschkeplatz in Stadtfeld Ost, was ich unbedingt auch noch dokumentieren möchte.

    Die Idee zur Anlage eines solchen Platzes, wenngleich sehr viel kleiner, geht schon auf die Vorkriegsjahre zurück, der Ministerrat der DDR beschloß 1953, daß alle verfügbaren Ressourcen auf diesen Platz zu konzentrieren waren. Auch die Abrisse der bereits rekonstruierten Heilig-Geist-Kirche und der Ulrichskirche wurden direkt im Aufbauministerium in Berlin angeordnet - eben eine Aufbaustadt der ersten Kategorie.

    Mehr Informationen und Fotos zum Platz dann später, wie oben gezeigt, bilden zwei sehr ähnliche Bauten den Auftakt zum Zentralen Platz von Westen:

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    Interessanterweise weichen beide Gebäude hinsichtlich der Fassade und in vielen Details voneinander ab, obwohl sie auf den ersten Blick identisch scheinen. Im Architekturführer werden nur die vier Architekten des nördlichen Bauabschnitts genannt, vermutlich arbeiteten hier unterschiedliche Architektenteams an Nord- und Südseite (oder die Abweichung war so gewollt).

    Ein großer Unterschied besteht auch in der Ausführung der Bebauung - im Norden ein kompletter Block in diesem klassizistischen Stil sowie am Alten Markt ein weiterer kompletter Block, dessen Rückseite aber kleiner und traditioneller ausfiel, um sich dem Rathaus anzupassen, im Süden hingegen maximal eine L-Form und zwei längere "stabförmige" Gebäudekomplexe, die dann aber einfacher gestaltet waren.

    Hier der Blick zur Bahnlinie und zum Damaschkeplatz, immerhin erzeugt das City Carré wieder den Eindruck einer Stadt mit einer richtigen beidseitig bebauten Straße statt Leere:

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    Die Eckbebauung begeistert nicht gerade:

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    Geht man weiter nach Norden, befindet sich auf der linken Seite ein ziemliches Sammelsurium an Bauten. Hinter dem oben gezeigten klassizistischen "Stalinbau" kommt eine Baulücke, dahinter dann ein Plattenbau:

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    Dahinter befinden sich noch Reste der ehemals größten Lehranstalt in Preußen, 1874 erbaut:

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    Blick an der Platte vorbei zum oben bereits angesprochenen großen "Stalinblock":

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    Nördlich der Platte gibt es übrigens einen weiteren Bau im ähnlichen Stil, das 1958 als Nachzügler in diesem Stil errichtete Institut für Lehrmeisterausbildung, dessen Bau auch direkt in Berlin angeordnet wurde:

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    Spannender vielleicht der große prächtige Wohnblock, Blick in den riesigen Innenhof:

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    Hier empfiehlt sich ein kleiner Abstecher in Richtung des Zentrums der sozialistischen Stadt - dem Breiten Weg Nord, der früheren Karl-Marx-Straße.

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    Abgesehen von einzelnen Plattenbauten an den Rändern ist diese Fläche heute noch unbebaut:

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    Völlige Leere:

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    Ja, wir sind hier wirklich mitten im Zentrum des DDR-Magdeburgs, am Centrum-Warenhaus, den zweitgrößten der DDR bei der Eröffnung:

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    Über den Nordrand des "Platzes" (der gar keinen Namen hat und auch gar keiner sein will), die Julius-Bremer-Straße, wieder zurück zur Otto-von-Guericke-Straße.

    An der Ecke zweimal Platte, dahinter großflächig nichts:

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    Dahinter dann zwei große Neubaukomplexe, im Vordergrund als Hotel genutzt:

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    Denkt man sich das alles weg, verstärkt sich der Eindruck von Leere noch - klar, die DDR konnte ja durch die Bebauung keine Gewinne erzielen.

    Während in einem marktwirtschaftlichen System eine Nachfrage nach Innenstadtflächen besteht, die Areale einen Wert bekommen und wiederum mit Gewinn bebaut und vermietet werden können, fallen im DDR-System nur Kosten an. Entsprechend bleibt vieles leer und der Rest wird überwiegend mit Teilen aus dem "Teileregal" der vorgefertigten Betonplatten der diversen Bauserien bebaut.

    Selbst die Karl-Marx-Straße als Aushängeschild der sozialistischen Stadt in Magdeburger Norden unterlag diesen Zwängen - hier gab es dann auch viermal dieselbe Platte als Bebauung (manche Bautypen wie die Wohnhochhäuser gab es sogar 25-mal).

    Ein Foto gibt es hier: klick

    Wobei der Zustand damals noch besser aussah als heute, mit der üppigen Begrünung in der Mitte (Fotos folgen).

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  • Magdeburg ist schon heftig - ich habe sie als erste DDR-stadt in juni 1989 erlebt. Eigentlich ist das wohl der Traum-wiederaufbau von Ursus: Ein Paar Stalinbauten, viel Grün, unendliche Leere und Plattenbauten. Daneben Kirchen als Relikte der zerstörten Stadt....

    Ich finde, das ausgerechnet Magdeburg zeigt, dass der Wiederaufbau im Westen doch wesentlich besser war. Die allermeisten Kirchen wurden dort gerettet, es enstanden wieder Strassen und Plätze, und vor allem wurde nich so wahnsinnig abgeräumt wie in der DDR. Der Vergleich mit Braunschweig und Hannover ist erhellend, wobei auch im Westen vieles falsch gelaufen ist.

    Dennoch finde ich Magdeburg als Beispiel des DDR-Wiederaufbaus interessant. Sowas findet man in Westeuropa kaum, eigentlich muss man eher nach Königsberg oder weiter Richtung Osten. Die Monumentalität der Stalinbauten ist auch beeindruckend, und der Dom bleibt immer noch eine grosse Sehenswürdigkeit. Ich bin gespannt, ob es mit der Intell-Ansiedlung einen Boom geben wird.

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Es ist richtig, daß der nördliche Teil der Innenstadt nicht der klassischen europäischen Stadt entspricht, bei mir war Magdeburg auch nicht Liebe auf den ersten Blick, aber immerhin auf den dritten Blick ... mit 30 Jahren Verspätung :smile:

    Es ist fast wie mit Warschau, das ja eigentlich auch weitgehend nicht im klassischen Sinne schön zu nennen ist, aber mir irgendwie doch sehr gefällt (allerdings hat Warschau neben ein wenig Rekonstruktion auch noch extrem viele Bauten des Sozialistischen Realismus zu bieten, nicht nur Fragmente wie in Magdeburg).

    Was ich an Magdeburg auf jeden Fall schätze, ist eine offensichtlich sehr interessierte und kompetente Stadtplanung in Verbindung mit gleich drei Wohnbaugenossenschaften, die nicht nur Wohnungen sanieren oder bauen, sondern auch ganze Projekte wie das Domviertel realisieren. Außerdem hat man in Magdeburg auch Plattenbauten abgerissen, am Breiten Weg entlang und auch direkt am Domplatz, was ich mir von Dresden auch wünschen würde (Neustadt).

    Was man in Magdeburg indes kaum findet, sind größere Gründerzeitviertel außerhalb der südlichen Innenstadt, das lag wohl daran, daß die Stadt erst ab der Jahrhundertwende ihre Festungsstatus verlor und sich ausbreiten konnten (Abriß der Zitadelle erst nach dem Ersten Weltkrieg).

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  • Als ich in der Gegend so vor drei Jahren zum letzten Mal auf der A2 unterwegs war, dachte ich bei mir: "Komm, mach doch mal wieder einen Zwischenstopp in Magdeburg, so schrecklich kann das jetzt doch nach so vielen Jahren nicht mehr sein". War es dann aber leider doch.
    Und besonders schlimm ist, dass seit der Wende in Magdeburg beinahe wirklich überall überall überall nur gesichtslose Riesenschränke in die Landschaft gestellt worden sind, einfach um diese Stalingrad-Leere mal zu füllen. Zuletzt erst wieder am Breiten Weg zwischen Danzstraße und Keplerstraße; als hätte man sich gedacht: "Jetzt ist es auch schon egal". Dabei hätte die Stadt kleinteilige höherwertige Bebauung doch so bitter nötig gehabt. Dazu kommen dann noch diese endlosen öden zugigen Sichtachsen überall. Ich bin dann auch relativ schnell wieder gefahren. Traurig ...

  • Also, gerade das Domviertel, das Du als Negativbeispiel anführst, begeistert mich richtig, das ist wirklich hochwertige und großstädtische Architektur nach meinem Verständnis (nein, das ist nicht ironisch gemeint und wird später auch noch gezeigt).

    Natürlich würde ich mir den Breiten Weg von früher wünschen, gern auch mit manchen gründerzeitlichen Erweiterungen, aber alles neue finde ich jetzt nicht generell schlecht. Ich mag auch viele Bauten der 20er, die z. B. für die Deutsche Theaterausstellung entstanden - die habe ich aus Zeitgründen aber noch nicht fotografiert (kommt ggf. noch dieses Jahr im Doppelpack mit Dessau).

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  • Dabei hätte die Stadt kleinteilige höherwertige Bebauung doch so bitter nötig gehabt.

    Planungen dazu hat es ja gegeben, aber ich habe jetzt von dieser Idee ein paar Jahre nichts mehr gehört:

    Rekonstruktion von Alt-Magdeburg am Prämonstratenserberg?
    Pläne zur Rekonstruktion des barocken Magdeburg am Prämonstratenserberg: Denkmalpflege, Stadtreparatur oder Kulissenarchitektur?
    www.zeilenabstand.net
  • Meines Wissens wird an dem Projekt weiterhin gearbeitet, es wird von der Stadtplanung weiter unter dem Titel "Klosterquartier - Bauen an der Stadtmauer" bearbeitet und auch von der Wobau und einigen Persönlichkeiten wie Alt-OB Willi Polte und dem langjährigen Beigeordneten für Städteplanung Werner Kaleschky unterstützt.

    Das Areal wird auch nicht anderweitig bebaut, da wäre ich optimistisch.

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  • Zunächst einmal herzlichen Dank buarque !
    Man merkt, du hast sehr viel Zeit und Interesse in meine Heimatstadt gesteckt.

    Dein Lob bezüglich der Stadtplanung kann ich allerdings nur bedingt nachempfinden. Im mittlerweile langen Nachwendezeitraum wurden viele bedeutende Fehlentscheidungen bzgl. der Innenstadtentwicklung getroffen. Manche, wie z.B. das von dir ausführlich gezeigte City Carre, sind dem schnellen Bauboom der 90er Jahre geschuldet. Da kann ich schon nachvollziehen, dass man als quasi leere Stadt wie Magdeburg an Investoren mitnehmen wollte, was ging. Andere Entscheidungen sind schon deutlich kritikwürdiger.

    Deutlich besser wurde es eigentlich erst mit Matthias Lerm, der hier in kurzer Zeit wirklich viel bewegen konnte und sich sehr intensiv für eine kleinteilige Verdichtung der Magdeburger Innenstadt eingesetzt hat. Unter anderem hat das Stadtplanungsamt auch das Projekt Prämonstratenserberg unter seiner Führung sehr gut begleitet. Leider ist er zu schnell nach Dresden gewechselt, als das sich seine guten Ansätze in Beton hätten festgießen lassen.

    Zu den Gründerzeitvierteln: Magdeburg hatte drei wirklich bedeutende Gründerzeitviertel. Das ist das Hasselbachplatz-Viertel, die Nordfront (u.a. Alte Neustadt) und die Wilhelmstadt (Stadtfeld Ost/West). Das erste ist glücklicherweise nahezu vollständig erhalten geblieben. Die Nordfront ist ein bitterer Totalverlust. Stadtfeld Ost/West haben noch sehr schöne Straßenzüge, allerdings auch mit großen Kriegs- und DDR-Verlusten. Sehenswerte Gründerzeitbestände befinden sich aber auch noch südlich der Altstadt in Buckau oder westlich in Sudenburg.

  • Also, gerade das Domviertel, das Du als Negativbeispiel anführst, begeistert mich richtig, das ist wirklich hochwertige und großstädtische Architektur nach meinem Verständnis (nein, das ist nicht ironisch gemeint und wird später auch noch gezeigt).

    Natürlich würde ich mir den Breiten Weg von früher wünschen, gern auch mit manchen gründerzeitlichen Erweiterungen, aber alles neue finde ich jetzt nicht generell schlecht. Ich mag auch viele Bauten der 20er, die z. B. für die Deutsche Theaterausstellung entstanden - die habe ich aus Zeitgründen aber noch nicht fotografiert (kommt ggf. noch dieses Jahr im Doppelpack mit Dessau).

    Das Domviertel sehe ich zweigeteilt. Der Bereich nördlich der Haeckelstraße ist wirklich gut geworden, der Wobau-Block zwischen Kepler- und Haeckelstraße dagegen wirklich schlecht und stillos. Wenn man das Wobau-Areal in ähnlicher Qualität wie den nördlichen Bereich errichtet hätte, wäre es insgesamt eine gute Sache gewesen. So bleiben gemischte Gefühle.

  • Meine Güte, wie prachtvoll muss Magdeburg vor dem Dreißigjährigen Krieg ausgesehen haben? Vielleicht wie eine gelungene Mischung aus Lübeck und Vorkriegs-Halberstadt? Es wird dort gewiss auch gotische Steinbauten gegeben haben neben Fachwerkhäusern, denn Magdeburg war als Handels- und Hansestadt bestimmt nicht arm gewesen. Kann man auf den alten Merian-Ansichten nicht evtl. kleine Details erkennen an den Gebäudeumrissen? Wäre ja mal interessant.

  • Eigentlich ist das wohl der Traum-wiederaufbau von Ursus: Ein Paar Stalinbauten, viel Grün, unendliche Leere und Plattenbauten. Daneben Kirchen als Relikte der zerstörten Stadt....

    Ja, laut ursus ist ja der Alte Markt in Magdeburg eine der besten Leistungen überhaupt, während "Würzburg die am schlechtesten aufgebaute Residenzstadt ist". Daraus folgt, daß Magdeburg, Hannover und Dessau "besser" sein müssen.

    Wobei "besser" natürlich viel bedeuten kann, hier aber sicherlich auf das Erscheinungsbild gemünzt ist.

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  • Ja, laut ursus ist ja der Alte Markt in Magdeburg eine der besten Leistungen überhaupt, während "Würzburg die am schlechtesten aufgebaute Residenzstadt ist". Daraus folgt, daß Magdeburg, Hannover und Dessau "besser" sein müssen.

    Wobei "besser" natürlich viel bedeuten kann, hier aber sicherlich auf das Erscheinungsbild gemünzt ist.

    Ich finde schon, dass der Alte Markt in Magdeburg eine der besseren Wiederaufbauleistungen in Deutschland ist. Allerdings ist hier die Qualität der Nachkriegsarchitektur gleichzeitig auch Fluch, da dadurch so einigen der prominentesten Magdeburger Vorkriegsbauten auf Ewigkeit eine Rekonstruktion am Originalstandort verwehrt bleiben wird.

    Einigermaßen vermasselt hat es die DDR mit der Seite zum Breiten Weg hin. Die Westseite mit einem Plattenbau zu schließen, anstatt die historischen Raumkanten wiederaufzunehmen, war ein großer Fehler. In der Nachwendezeit hat man diesen zwar zügig erkannt und die Vorkriegsraumkanten wieder hergestellt, jedoch vollkommen indiskutable Architektur zugelassen, was das an sich gute Platzensemble bis heute nachhaltig in seiner Gesamtwirkung negativ beeinflusst.

    Wichtig wird es für die Zukunft sein, dass das Areal nördlich des Rathauses unbedingt in kleinteiliger Bebauung hochwertig geschlossen wird. Das kann dann auch Impulsgeber werden, um das Areal um die Johanniskirche wieder verstärkt zu reurbanisieren. Das komplett mit grobmaßstäblicher Nachkriegs- und Nachwendearchitektur versaute Arial (Katzensprung/Schwertfegergasse bis hin zu Breiter Weg westlich und Julius-Bremer-Straße nördlich) kann wohl realistischerweise erst in ein paar Jahrzehnten angegangen werden, wenn hoffentlich die ersten Nachwendebauten zu fallen beginnen.

  • Ja, kann sein. Wir werden sehen. Generell finde ich den DDR-Wiederaufbau grösstenteils recht katastrophal. Einzige Lichtblicke sind für mich Rostock, Neubrandenburg und Eilenburg.

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Diese endlos langen, immer gleichen Häuserzeilen in Neubrandenburg, mit denen letztlich leere Fläche umbaut wird, finde ich auch nicht so gelungen, siehe diese oder diese Luftaufnahme - fast so ähnlich wie in Teilen von Dessau, südlich vom Bahnhof und an der "Diagonalstraße".

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  • Wir erreichen jetzt wieder die Otto-von-Guericke-Straße, die dann bis zum Universitätsplatz nach Norden weiter dokumentiert wird.

    An der Ecke befindet sich der Neubau der Oberfinanzdirektion von 1995:

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    Weiter im Norden steht seit kurzem das Luisencarré, von der Wohnungbaugesesellschaft MWG anstelle von zwei Plattenhochhäusern errichtet:

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    Die gezackte Form soll an die Stadtmauer erinnern:

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    Danach folgt links etwas Brache und rechts drei Plattenbauten:

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    Hier war früher das Krökentor:

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    Indes gibt es hier den einzigen verbliebenen Altbau, die frühere Baugewerkschule von 1907:

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    Leider ein Unikat, dahinter kommen die Neubauten der Universität. Indes haben wir jetzt den nördlichsten Punkt erreicht, den Universitätsplatz.

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    Einziges wiederaufgebautes Gebäude ist das Opernhaus, 1907 als Zentraltheater errichtet, 1950 vereinfacht aufgebaut und nach einem erneuten Brand 1990 dann bis 1998 nochmals neu gebaut.

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    Bei den Anbauten hinter dem Opernhaus handelt es sich um das Telemann-Konservatorium, das im Jahr 2000 fertiggestellt wurde.

    Im Norden des "Platzes", der in eine lange breite Straße in Richtung Elbe übergeht, befinden sich Plattenbauten, vermutlich Plattenbauten der letzten Generation mit aufwendigeren Details.

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    Ansonsten fehlt es hier an jeglicher Gestaltung, es gibt einige verwilderte Grünflächen mit Trampelpfaden, dazwischen Parkplätze.

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    Lanes are meant to be crossed. If you're staying in your lane you're obviously advancing too slow.

  • Einer ungeheueren Verlust im Norden der ehemalige Gründerzeit Stadt (inkl. Nordfront). Jetzt sehr mittelmässige Bauten, Ödniss wo man auch hinschaut. Eine ganze wunderbare Stadt verschwunden......nichts wieder aufgebaut. Bin total nicht von M. begeisterd.

  • buarque,die Fotos machen nicht gerade neugierig auf MG.:sad:

    Schade,wenn sich die Ullrichskirche durchgesetzt hätte,wäre die überwiegend trostlose Innenstadt durch dieses geschichtlich hist.Großgebäude wesentlich interessanter.

  • buarque,die Fotos machen nicht gerade neugierig auf MG.:sad:

    Schade,wenn sich die Ullrichskirche durchgesetzt hätte,wäre die überwiegend trostlose Innenstadt durch dieses geschichtlich hist.Großgebäude wesentlich interessanter.

    Nein, die Ulrichskirche wäre städtebaulich ein ganz kleiner Tropfen auf dem heißen Stein gewesen. Der Teil, den buarque zuletzt gezeigt hat, ist für unsere Ambitionen schlicht verloren. Einige der riesigen Baulücken wurden bereits nach der Wende mit großen Blöcken bebaut, der Rest folgt Stück für Stück über die Jahre.

    Magdeburg kann noch deutlich aufgewertet werden, aber im Bereich zwischen der Julius-Bremer-Straße und Uniplatz fehlen schlicht die historischen Anknüpfungspunkte. Der Bereich gehört zwar formell zur Altstadt, hat aber nicht mehr im entferntesten städtebaulich etwas mit einer Altstadt zu tun, was die Bilder von buarque eindrucksvoll belegen.