Reet- und Schilfdachhäuser

  • Neues vom Reiterhaus aus Neusalza - Spremberg.

    Nach ca. 350 Jahren wird auch hier das Reetdach im Herbst leider verschwinden. Das jetzige Dach ist kaputt und kaum noch zu flicken. Es soll gegen ein Holzschindel- Dach ersetzt werden. Ein neues Reetdach deswegen nicht mehr, weil es Kima auch in der Lausitz sich verändert hat. Ein neues Dach hält nicht mehr so lange, wie einst, so die Begründung. Es taucht vermehrt Schimmel und Insektenbefall auf und Vögel, die nach den Insekten suchen, zerwühlen und zerstören das Dach dadurch auch noch zusätzlich. Sonst kommt das übliche, wie Kosten, fehlende Fachkräfte und laufende Wartung dazu.

    Geschichtlich ist dieser Schritt jedenfalls nachvollziehbar. Einst waren damals alle Umgebindehäuser mit Stroh bedeckt. Irgendwann später stieg man auf Holzschindeln um. Durch die Industrialisierung und der Eisenbahn wurde dann Schiefer um 1840 rum importiert und dann ist das Holz gegen die Schieferdeckung vor allen beim Bach eingetauscht worden, wo noch viele Umgebindehäuser heute damit geschmückt sind. Später folgten dann der Biberschwanz, bzw. zu DDR- Zeiten hauptsächlich Pappschindeln und auch die schweren Pfannen kamen hinzu. Die waren aber oft aus Beton und hat so manchen Dachstuhl zerdrückt und zerstört. heute wird Maximal noch der Biberschwanz in einfacher Deckung verwendet.

    Was denkt ihr dazu?

    Ich würde mir wünschen, dass jemand mich guter Kamera noch viele Bilder vom Reetdach machen würde. Ich würde das auch vor Ort gern Organisieren und mit den Betreibern absprechen, wenn sie dazu gewillt sind. Es geht mir um ein ordentliches Zeitdokument für die Zukunft.

    Persönlich muss auch feststellen, das es bei uns öfters und heftiger regnet, als üblich. Oft wechseln sich heiße Tage mit Regen in 1 bis 3 Tage-Takt ab. In den 90er war es noch so: 2- 4 Regen und dann meist 1- 2 Wochen schönes Wetter. Das gibt es bei uns nicht mehr. Zwar war 2018 + 19 wirklich ein Katastrophenjahr, was Trockenheit betrifft, aber seither ist es eher mehr feucht geworden. und oft heiße Tage und ziemlich kalte Nächte. Das war mal mit den Temperaturen ausgeglichener.

    Einen besseren Link, als wie die SZ habe ich leider nicht, dafür aber in der Vorschau frei einsehbar:

    Wegen Klimawandel: Berühmtes Umgebindehaus hat einen Dachschaden
    Das Reiterhaus in Neusalza-Spremberg hat ein Reet-Dach. Das muss erneuert werden. Eine echte Herausforderung - technisch wie finanziell. Dennoch gibt es jetzt…
    www.msn.com
  • Man wird sich zwangsläufig in näherer und fernerer Zukunft mannigfaltigen Veränderungen stellen müssen. Konservativ zu sein, sollte nicht bedeuten, die Veränderungen auszublenden, sondern den Nimbus beibehalten zu können. Es versteht sich von selbst, daß ein Reetdach besonders anfällig ist für klimatische Einflüsse. Es ist sicher für das Haus das kleinere Übel, wenn es selbst erhalten werden kann um den Preis, bzw. die Veränderung, daß eben das angestammte Reetdach durch eine ökonomischere Variante ersetzt werden wird. Es ist unwahrscheinlich, daß jemand auf die Idee käme, jetzt wieder Strohdächer einführen zu wollen. Wie sehr Reet in der Region geschichtlich verwurzelt ist, kann man sicher herausfinden. Ein Dach mit Holzschindeln wird beim Reiterhaus zu keinem besonders starken optischen Bruch führen und Teil seiner bereits verbauten Materialien sein. Es ist also kein kompletter Bruch mit dem bisherigen, sondern es wird eben ein neues Kapitel geschrieben. Wenn ich kommunalpolitische Entscheidungen treffen müßte oder solche des Eigentümers, würde die Entscheidungsfindung vor genau den gleichen Ausgangsbedingungen stehen.

  • Wie sehr Reet in der Region geschichtlich verwurzelt ist, kann man sicher herausfinden.

    Danke für dein Résomé :)

    Das mit den Reet ist nicht heraus zu finden, sondern verbrieft. Viele Fotos um 1900 gibt es noch viele Bildzeugnisse der Deutschen Fotothek, die das bezeugen können. Auch kann man dies in den Archiven in der Stiftung Umgebindehaus nachlesen. :)

    Das ganze ist nur in Vergessenheit geraten, wie so oft in der Geschichte, wenn man nicht darin erinnert.


    Beispiele Links zu Bildern aus Seifhennersdorf, wo schon das Stroh/ Reetdach schon am sterben war:


    Deutsche Fotothek

    Deutsche Fotothek

    Deutsche Fotothek

    Deutsche Fotothek

  • Nur zur Richtigstellung des vorstehend mehrfach verwendeten Begriffs "Reet": Reet findet man eher in Norddeutschland. Im südlicheren 'Umgebindehausland' gab es aufgrund fehlender Wasser-und daraus resultierender Schilfflächen keine Reetdächer sondern vielmehr Strohdächer. Der Rohstoff zur Dachdeckung war schlichtweg das verfügbare Stroh als Nebenprodukt der Getreideernte. Besonders beliebt war Roggenstroh, wegen dessen Langhalmigkeit. Das wurde auch sehr gerne beim Lehmbau verwendet. Unter anderem zum Umwickeln der Deckenbretter, um so dem Lehm bessere Armierung und Halt zu geben. Heute nimmt man bei Lehm als Putzträger industriell gefertigte Schilf(Reet)matten ;)


  • Neusalza-Spremberg ist eine Landstadt mit ca. 3.750 Einwohnern. Wie einfach es für die Kommune ist, das Reiterhaus aufrecht zu erhalten, wäre eine sicher nicht uninteressante Frage. Sicherlich wurden Detailfragen wie Fortbestand des angestammten Reetdach von Fachleuten und Entscheidungsträgern eingehend ausgearbeitet. Die Entscheidungshintergründe wurden auch hier dargestellt. Aus finanziellen, ökonomischen und Zukunftsgründen wird nun eben das Reetdach dort durch etwas anderes, aber materialmäßig nahe verwandtes, ersetzt. Man wird sich sicher damit arrangieren können. Und daß das Material hier für eine Gemeinde finanziell schon eine substantielle Frage bedeutet, die nebenbei auch noch andere Sorgen hat, gilt es gerechterweise schon zu beachten.

  • An dieser Stelle nochmals die Bitte, begrifflich korrekt zu argumentieren: Reetdächer gab es im Umgebindehausland nicht. Hier wurden die Dächer mit Stroh gedeckt. (Zitat "Ratgeber Umgebindehaus" : "Das Rohrdach (ndt.: Reet- oder Rieddach) ist nicht typisch für die Oberlausitz und Nordböhmen. Rohr erntet man an den Ufern stehender Gewässer. Im betrachteten Gebiet wurden Dächer deshalb nur in der Heide- und Teichlandschaft und im Spreewald vorwiegend mit diesem Material gedeckt. In der Verlegeart ähnelt es dem vorher beschriebenen Strohdach")

  • An dieser Stelle nochmals die Bitte, begrifflich korrekt zu argumentieren: Reetdächer gab es im Umgebindehausland nicht. Hier wurden die Dächer mit Stroh gedeckt. (Zitat "Ratgeber Umgebindehaus" : "Das Rohrdach (ndt.: Reet- oder Rieddach) ist nicht typisch für die Oberlausitz und Nordböhmen. Rohr erntet man an den Ufern stehender Gewässer. Im betrachteten Gebiet wurden Dächer deshalb nur in der Heide- und Teichlandschaft und im Spreewald vorwiegend mit diesem Material gedeckt. In der Verlegeart ähnelt es dem vorher beschriebenen Strohdach")

    Einverstanden, verstehe ich nun, wo das Problem ist. Danke :)

    Also im Entschluss ist das Reet- Dach auf den Reiterhaus eigentlich im Umgebindeland Artfremd und Holzschindeln eigentlich historisch gesehen die nächste richtige Wahl nach den Stroh.

    Ich freue mich schon drauf, denn auf den Hexenhäuschen in Bautzen ist es ja auch ein Tolles Gesamtbild.

  • Ja, das Reetdach ist in der Tat auf einem Umgebindehaus artfremd, weil es damals mangels Schilf diesen Baustoff in der Region gar nicht ausreichend gab. Die Menschen nahmen damals zum Bauen das, was sie in der Nähe zur Verfügung hatten. Das ergab dann die Konformität in den Baustoffen, welche ja wiederum wesentliches Element des Ensemble-Erscheinungsbilds ist.

    Heute ist die Situation beim Stroh als Dacheindeckung umgekehrt: Da die Landwirtschaft (und vermutlich auch die Bauwirtschaft) mit langstieligem Stroh nicht mehr viel anfangen konnte, wurden kurzstielige Arten präferiert und gezüchtet. In unserer Zeit fehlt es also an adäquatem Stroh. Als Baustoff müsste es erst wieder nachgezüchtet werden. Da wir heute aber alles 'problemlos' über weite Entfernungen transportieren können, wird das Stroh halt durch Schilf ersetzt, welches vermutlich aus Rumänien oder im Zweifel sogar aus China oder vom Titicacasee stammt. Schilf ist langlebiger, weil wasserresistent, hat aber keinen so guten Dämmwert wie Stroh. Obwohl Schilf auf einem Umgebindehaus nicht dem historischen Vorbild entspricht, ist der Denkmalschutz in dieser Hinsicht jedoch kompromissbereit, denn Schilf kommt der ursprünglichen Strohdeckung am Nächsten. Nur Puristen - wie wir - stören sich daran.

    Es gibt in der Schweiz einen Architekten, der seine Häuser ausschließlich mit Baustoffen errichtet, die im Umkreis von 50 km verfügbar sind - und siehe da, seine Gebäude fügen sich in die Landschaft, als wenn sie schon immer dort gewesen wären! Wir versuchen, bei der Sanierung unseres Umgebindehauses dem zu folgen und bemühen uns, nur Baustoffe zu verwenden, die im Umkreis von 150 km verfügbar sind. Aber das ist auch nicht einfach.

  • Wird denn das Schilf oder Rohr vor der Aufbringung mit einem Flammschutzmittel behandelt? Angeblich sollen die schweren Gewitter künftig zunehmen. Beim Letzten hat ein Einschlag in der Nachbarschaft trotz schwer entflammbarer Dachdeckung und Blitzableiters zu einem Schwelbrand geführt. Wie gefährdet sind Reetdächer?

  • Achtung, leicht entflammbar! Feuergefahr!

    Das heißt ja deswegen so, weil es bisher allen Standtbränden getrotzt hat, obwohl es aus Holz ist und mit den besagten Deckungen gedeckt wurde. :tongue:

    Ich Zitiere: ,,Das ehemalige Fischerhaus wurde vor 1604 erbaut und überdauerte den großen Stadtbrand von 1634, der für die Stadt Bautzen große Schäden mit sich brachte. Auch allen folgenden Bränden und Kriegen hielt es stand. Noch heute hat es alte Schindeln (aus Holz) auf dem Dach und hölzerne Dachrinnen.,,


    Foto's sind von meinen Großvater von 1956.


  • "Hexenhaus" - bei dem Namen kann man ja nur hoffen, dass die Bewohner, nachdem Sie die Flammen des Stadtbrands überstanden hatten, nicht in den Flammen eines Scheiterhaufens geendet sind.

    Aber das schlichte Haus ist schon ein Träumchen. Es lebe Phi (oder 1,6180339887)!

    Mehr braucht's nicht.

  • Wird denn das Schilf oder Rohr vor der Aufbringung mit einem Flammschutzmittel behandelt? Angeblich sollen die schweren Gewitter künftig zunehmen. Beim Letzten hat ein Einschlag in der Nachbarschaft trotz schwer entflammbarer Dachdeckung und Blitzableiters zu einem Schwelbrand geführt. Wie gefährdet sind Reetdächer?

    Bei Reet- oder Strohdächern ist heute ein umfangreicher Blitzschutz selbstverständlich unerlässlich. Allein wegen der Versicherung. Denn diese Baustoffe entwickeln die Flamme selbstständig weiter, wie Holz.

    Früher - ohne Blitzschutz - war das anders. Da galt vielmehr 'hope and pray' oder das Sankt-Florians-Prinzip gemäß dem Motto "Heiliger Sankt Florian verschon mein Haus, zünd's andere an." Damals hat man konstruktiven Brandschutz mit einfachen Mitteln betrieben:

    a) In den Häusern z.B. mit Lehmschlag in den Zwischendecken oder auch mit Lehmschindeln unter dem Stroh-/Reetdach. Eine wirklich krasse Dachbedeckung ist Seegras, wie es in Dänemark häufig verwendet wurde. Dieser Baustoff brennt nicht selbstständig und hält sogar Nager ab!

    b) In den Städten wurden Brandgassen zwischen den Gebäuden belassen und so faktisch einzelne Brandabschnitte gebildet. Das findet man heute noch (siehe Foto)

  • Es ist auch überliefert, dass zur Abwehr von Blitzeinschlägen sogenannte Donnerkeile (neolithische Steinbeile) im Dachstuhl angebracht wurden. Aber das ist schon länger her.

  • Sowohl als auch. Mitten im Binnenland gab es kaum Fossilien. Dafür wurde ein Fall publik, wo ein Bauer die Herausgabe seines Stein-Artefakts mit dem Hinweis auf Blitzschutz verweigerte.

  • Sowohl als auch. Mitten im Binnenland gab es kaum Fossilien. Dafür wurde ein Fall publik, wo ein Bauer die Herausgabe seines Stein-Artefakts mit dem Hinweis auf Blitzschutz verweigerte.

    Hier sind wir genau beim Sankt-Florians-Prinzip.

    Überliefert und auch wirksamer als Blitzschutz war das Pflanzen eines hohen Baumes in der Nähe des Hauses als 'Blitzfänger'. Bevorzugt wurden z.B. Birnenbäume. Neben unserem Umgebindehaus hat sich vor Jahren eine Linde selbst ausgesamt und ist seitdem sehr schön gewachsen. Wir planen, sie im nächsten Jahr auf einen erhöhten Standort, etwas weiter vom Haus entfernt, umzusetzen - unter anderem auch als unser 'Blitzfänger'.