Verlorene Identität: Das Verschwinden der Traditionsgeschäfte

  • Es ist schon mehr als erschreckend: In den Städten in Deutschland gibt es ein nie da gewesenes Sterben der Traditionsgeschäfte. Überall im Land schließen familiengeführte Handelsgeschäfte ihre Läden für immer ab. Traditionsreiche Bäckereien, Metzgereien und Lokalitäten verschwinden von heute auf Morgen. Die Gründe, warum zwei Jahre nach Corona die Läden verschwinden sind vielfältig. Fest steht, es scheint kein Rezept zu geben diesem Massensterben in den Städten und Dörfern zu begegnen. Und ich habe den Eindruck, im übrigen Europa ist die Lage nicht so dramatisch wie in Deutschland. Einige Meldungen aus der letzten Zeit:

    - Bad Nauheim - 31.000 Einwohner - früher wohl bis zu 16 Metzgereien - nun gibt die letzte Traditionsmetzgerei in der Stadt auf https://www.fnp.de/lokales/wetter…d-93054969.html

    - Hamburg - Fisch Böttcher schließt nach 111 Jahren.

    - 5.000 Geschäftsschließungen drohen alleine 2025: https://www.n-tv.de/wirtschaft/500…le24895286.html

  • Wikos May 12, 2024 at 12:13 PM

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  • Das ist tatsächlich überall ein Problem, das ich auch sehr bedaure. Der wichtigste Grund ist und bleibt das Internet. Kleidung, Antiquitäten, Bücher, Uhren, Elektronik, Musikinstrumente, Optiker- alles geht zugrunde und wird online bestellt. Ich bin da keine Ausnahme und verstehe die Menschen ja. Paradoxerweise kaufe ich meine Kleidung meist online bei alten deutschen Traditionsgeschäften, weil es die hier nicht gibt. Auch das ist eine Blüte des Onlinehandels. Nur bei meinen Brillen bleibe ich bei meinem kleinen Traditionsoptiker in der Altstadt und würde nie zu einer Kette gehen.

    Das war schon vor Corona so, aber wurde danach noch verstärkt. Bei Bäckereien und Metzgereien natürlich nicht. Da sind es dann die großen Ketten, die den Geschäften den Garaus machen. Ich erkenne meine Stadt kaum noch, wenn ich sie mit der Zeit um 2000 vergleiche. Ein Geschäft nach dem anderen musste schließen. Wir haben nicht mal mehr unsere große Kinomeile, weil alle zuhause streamen. Das letzte Kino in der Innenstadt (von ursprünglich etwa fünf in meiner Jugend) schloss letztes Jahr. Bedauerlich, weil es ein Jugendstilgebäude ist und die weitere Nutzung ungewiss. Wobei es auch viele Traditionsunternehmen gibt, die den Onlinehandel für sich entdeckten und überleben können. Aber das klassische „shoppen in der Stadt“ wurde zumindest hier in Basel immer schwieriger. Gibt einfach immer weniger und die Städte sterben in dieser Hinsicht. Meine Vermutung ist: nur die Gastronomie und die Ketten für Lebensmittel überleben am Ende. Die Gründe für dieses exzessive Onlineshopping? Das größere Angebot und das Portemonnaie, verbunden mit Faulheit. Mehr ist es ja nicht.

  • Wenn man in Mainz ein Stück warme Fleischwurst essen will, dann geht das Dienstags, Freitags und Samstags auf dem Markt an den Metzgerverkaufswagen am Liebfrauenplatz. Es gibt keinen Ebling in der Augustinerstraße mehr, keinen Riechard in der Klarastraße mehr, keinen Walz in der Großen Bleiche und keinen Lumb mehr in der Großen Langgasse. Segnungen des Fortschritts... Und dann höre ich mir solche Sprüche an wie "Man muß nicht jeden Tag Fleisch essen". (Schleichwerbung: die beste Fleischwurst, die beste luftgetrocknete Bratwurst gibt es bei Lumb in Ober-Olm).

    Die Änderungen, die innerhalb weniger Jahre eingetreten sind, sind teilweise extrem und in ihren weiteren Entwicklungen nur schwierig abzuschätzen. Es ist klar, daß es Veränderungen immer gegeben hat und immer geben wird; daß sie innerhalb weniger Jahre so rasant aufkommen, macht allerdings schwer, einen angemessenen Umgang damit finden zu können.

  • Solange immer noch Städte wie Ludwigshafen mit der "Rheingalerie" oder Kaiserslautern mit dem "K in Lautern" (es gibt sicher noch viele weitere aktuelle Beispiele) meinen, durch solche "Shopping"-Klötze attraktiver zu werden, die ihre Innenstädte leersaugen und die Mieten ins exorbitante steigen lassen, braucht man sich nicht wundern. Dort können sich alteingesessene Familienbetriebe nicht einmieten und in den ehemalig gutbesuchten Lagen herrscht tote Hose und Kundenmangel. Also nicht nur das Internet verdammen - es ist auch diese Art der Stadtplanung und Wirtschaftsförderung, die diesen Effekt hervorrufen.

    Wie sang Bodo Wartke schon vor über zehn Jahren:

    So werden wir da drinnen schneller fündig wenn
    Wir mal in ein Spezialgeschäft wollen wie ... H&M

  • Ich halte die Rheingalerie schon für sinnvoll und einen wichtigen Beitrag, um das gesamte Rheinufer aufzuwerten und überhaupt Besucher nach Ludwigshafen zu bringen.

    Ludwigshafen hatte auch schon vorher das Problem (mein erster Besuch war 1990), daß die Fußgängerzone extrem häßlich und Mannheim wenige Fahrminuten mit der Straßenbahn entfernt ist, niemand muß also in Ludwigshafen einkaufen.

    Die Innenstadt-Nord mit der Fußgängerzone in der Prinzregentenstraße ist sowieso eine Welt für sich, die Grundschulen mit bis zu 99 % Migrationsanteil wurden ja kürzlich in den Medien erwähnt, das Einkaufszentrum am südlichen Innenstadtrand, hinter der S-Bahn-Station, darbte schon seit Jahren und wurde inzwischen in eine Flüchtlingsunterkunft umgewandelt.

    PS Wie man so blöd sein kann, mit der legendären Tortenschachtel sein Aushängeschild abzureißen, worauf dann jahrelang nichts passiert, erschließt sich mir auch nicht.

    Lanes are meant to be crossed. If you're staying in your lane you're obviously advancing too slow.

  • Das mag ja alles sein, aber für einige inhabergeführte Geschäfte (um die's hier ja gehen soll) in der Fußgängerzone von LU war die Rheingalerie trotzdem der Todesstoß. Ich erinnere mich an mindestens ein Eiscafé und ein-zwei Boutiquen oder sowas und generell einen noch trostloseren Anblick kurz nach Eröffnung des Einkaufszentrums. Das gleiche in KL - möglich, dass sich das regeneriert, wenn solche Einkaufszentren mehr Publikum anziehen, aber diesen Effekt habe ich selber noch nicht gesehen. Und gerade für Gegenden, die eh schon unattraktiv sind, ist so ein Klotz erst recht nicht die städtebaulich richtige Entscheidung.

    Das gleiche trifft auch für zukünftige Ansiedlungen zu - da fällt mir auf Anhieb der Kaufpark in Dresden-Nickern ein. Dort wird in großem Umkreis drumherum niemals kleinteiliger Einzelhandel überleben können, wenn dort mal mehr "Stadt" entsteht (was ja geplant ist).

  • Natürlich gibt es weder im allgemeinen Leben noch hier bei uns im Forum so etwas wie den goldenen Mittelweg der Schwerpunkte, der sich so selbstverständlich und ohne größeren Aufwand erschließen würde. Daß es offenbar so etwas wie Schwerpunktthemen und -regionen gibt, ist ein Eindruck, der in all den Jahren wohl nicht ausbleibt. Die Frage, wie man jetzt und in der Zukunft leben will, was eine Region auszeichnet und wie man seine eigene Anbindung nach dort, aber auch das zukünftige Verständnis von Zugehörigkeit und Wettbewerbsfähigkeit definieren will, wird sich zwangsläufig von selbst stellen. Je fester eine Region in ihrer eigenen gewachsenen Kultur verwurzelt ist, desto robuster kann sie auch mit Veränderungen umgehen. Bei Städten wie Kaiserslautern und Ludwigshafen ist offenbar weniger die ohnehin schon etwas flach wurzelnde historische Tiefe das Problem, als vielmehr eine Unbeantwortbarkeit der Fragen der Identifikation des Jetzt und der Zukunft. Verlorene Identität - was man nicht kennt, kann man nicht vermissen. So etwas wie eine regionale Identität wird aber durch Traditionsgeschäfte gestärkt und aufgebaut. Sie sind es, die zur Wahrnehmung einer Region beitragen können, ihre Identifikation mitdefinieren. Ihr Vorhandensein ist offenbar untrennbar auch eine regionale Frage der Gegenwart und Zukunft.

  • Ich lebe in den USA/PA - bei uns am Ort (22.000 Einwohner), haben 2020-2021 22 Geschaefte geschlossen. Jeder dritte Laden stand leer. Heute: alles voll vermietet. Es gibt zwei neue Bäckereien, einen Fahrradladen, drei neue Restaurants, einen neuen Eisladen, Kunstgallerien etc etc.. Da kommen ganz viele junge Unternehmer nach, die interessante Sachen machen. Sogar einen Münzhändler gibt es jetzt. Das ist in NYC auch so - lauter neue Geschäfte, die halt was anderes machen. Wenn so ein Traditionsgeschäft aufhört, dann kommt ja vielleicht eine neue Tradition auf.

  • Ich glaube, es gibt 2 Ursachen, die nichts miteinander zu tun haben:

    Personalmangel und veränderte Nachfrage. Speziell Bäckereien und Metzgereien finden oft weder Verkäufer noch Nachfolger beim Generationswechsel. Fehlende Nachfrage ist in diesen Branchen in der Regel nicht das Problem. Das Internet spielt hier keine Rolle, und mit den Supermärkten als Mitbewerbern hat man längst leben gelernt.

    Anders ist die Situation im Textilhandel, bei Juwelieren, in Fotofachgeschäften etc.: Diese leiden unter der Konkurrenz im Netz, die ein umfassenderes Angebot bieten kann, ohne für teure Mieten und Verkaufspersonal aufkommen zu müssen. Ich kann das Verhalten der Kunden nachvollziehen. Mit Grauen erinnere ich mich an die Probleme, als schlanker 190-Mann Hemden zu kaufen. In der Hamburger Innenstadt hatte ich typischerweise nach stundenlanger Suche ganze 3 Exemplare zur Auswahl, die mir überhaupt passten: Eines in Pink, eines in Gelb, eines in Veilchen-Lila :daumenunten:

    Heute gehe ich auf die Homepage eines bekannten württembergischen Produzenten, suche mir in 10 Minuten aus einer großen Auswahl aus, was ich brauche, und bekomme 3 Tage später wunderbar passgenaue Hemden in bester Qualität in meinen Wunschfarben nach Hause geliefert.

  • Speziell Bäckereien und Metzgereien finden oft weder Verkäufer noch Nachfolger beim Generationswechsel

    Außerdem immer höhere Dokumentations- und sonstige Pflichten (siehe hier) und bei der Übergabe an die nächste Generation Auslaufen des Bestandsschutzes, siehe z. B. dieses Beispiel:

    Quote

    Seinen Betrieb hätte Franz Meier gerne an einen Nachfolger übergeben. Doch trotz intensiver Suche hat der 62-Jährige niemanden gefunden. Das liege auch daran, dass der neue Eigentümer die neuen Verordnungen zum Beispiel für den Brandschutz in der alten Backstube hätte umsetzen müssen.

    Meier hatte dafür noch einen sogenannten Bestandsschutz von den Behörden bekommen. Für einen Nachfolger würde diese aber nicht gelten. Die Backstube hätte erst für viel Geld modernisiert werden müssen. Das wollte keiner.

    Bäckereien wie die von Franz Meier müssen viele Vorschriften und Hygienestandards einhalten. Das hat oft zusätzliche Kosten und einen höheren administrativen Aufwand zur Folge. Vor allem traditionelle Bäckereien bringt das schnell an ihre Grenzen.

    Damit sind erst einmal sehr hohe Anfangsinvestitionen erforderlich, bei denen es sehr fraglich ist, ob die jemals erwirtschaftet werden.

    Daher müssen die Betriebe wachsen, um diese Anforderungen erfüllen zu können, hierzu mehr Filialen eröffnen und diese dann aus logistischen Gründen mit Tiefkühlprodukten beliefern, wodurch wiederum die Unterscheidbarkeit zum Supermarkt-Produkt nicht mehr so eindeutig gegeben ist (vor allem dann, wenn dieselbe "Familienbäckerei" dann laut eigener Website auch den Handel direkt beliefert).

    Es gibt aber große regionale Unterschiede, an meinem früheren Wohnort bei Stuttgart mit rund 40.000 Einwohnern gab es schon seit mindestens 20 Jahren keinen einzigen "richtigen" Bäcker mehr vor Ort, an meinen etwas kleineren aktuellen Wohnort in Bayern hingegen gleich 3.

    Lanes are meant to be crossed. If you're staying in your lane you're obviously advancing too slow.

  • Ich lebe in den USA/PA - bei uns am Ort (22.000 Einwohner), haben 2020-2021 22 Geschaefte geschlossen. Jeder dritte Laden stand leer. Heute: alles voll vermietet. Es gibt zwei neue Bäckereien, einen Fahrradladen, drei neue Restaurants, einen neuen Eisladen, Kunstgallerien etc etc.. Da kommen ganz viele junge Unternehmer nach, die interessante Sachen machen. Sogar einen Münzhändler gibt es jetzt. Das ist in NYC auch so - lauter neue Geschäfte, die halt was anderes machen. Wenn so ein Traditionsgeschäft aufhört, dann kommt ja vielleicht eine neue Tradition auf.

    Ich glaube, die Situation in den USA ist in dieser Hinsicht grundverschieden.

    Die inneren Bereiche der Städte sind viel weitläufiger als in Europa, und auf Kundschaft ausgelegt, die mit dem Auto bis vor die Ladentür fährt. Eng bebaute Innenstädte, in denen die Kunden in fußläufiger Entfernung unterschiedlichste Geschäfte vorfinden, die dort unter gleichem Namen schon vor 100 Jahren standen, gibt es schlicht nicht. Letzteres bzw. dessen langsames Verschwinden ist aber genau das denke ich, was hier mit "verlorener Identität" gemeint ist.

    Die Hamburger Innenstadt zum Beispiel ist nach wie vor bestens besucht, Leerstände gibt es (eine große Warenhauskette ausgenommen), ebenfalls kaum. Aber die Geschäfte sind größtenteils eben keine inhabergeführten Traditionsläden mehr.

  • Traditionsläden haben großenteils ihre Einnahmen über Onlinehandel oder Kooperationen mit Onlineplattformen wettgemacht. Ich nenne aus Gründen der Werbung keine Namen, aber kenne viele altehrwürdige Geschäfte aus Deutschland (das geht teils noch bis ins 19. Jahrhundert zurück), die hauptsächlich online handeln und gut überleben können. Die nutzen auch Instagram etc. Da findet auch bei Traditionsgeschäften ein massiver Wandel statt. „Physisch“ verschwinden sie natürlich fast alle. Aber sie können überleben, wenn sie mit der Zeit gehen und ihre Qualitäten online ausspielen.

  • Daher müssen die Betriebe wachsen, um diese Anforderungen erfüllen zu können, hierzu mehr Filialen eröffnen und diese dann aus logistischen Gründen mit Tiefkühlprodukten beliefern, wodurch wiederum die Unterscheidbarkeit zum Supermarkt-Produkt nicht mehr so eindeutig gegeben ist

    Man könnte auch argumentieren, dass Franz Meier kurz vor der Rente vielleicht etwas spät angefangen hat, sich um die Zukunft seines Geschäfts zu sorgen (wenn er das denn ernsthaft getan hat). Eine Sanierung, die nur wegen Bestandsschutzes nicht erfolgt ist, ist betriebswirtschaftlich eine ausgebliebene Investition, die sich nun eben in geringerer Wettbewerbsfähigkeit äußert. Ob diese Auflagen so streng sein müssen, kann man unabhängig davon diskutieren, aber wie sähe es denn eigentlich aus, wenn ein langjähriger Mitarbeiter (früher ja am ehesten die Kinder) das Geschäft weiterführen würde?

  • Von den 6 handwerklichen Bäckereien, die ich in meiner Kindheit in den 1970ern in unterschiedlichen Orten in Deutschland kannte, haben genau 2 bis heute überlebt. Neue sind in den betreffenden Ortschaften / Stadtteilen nicht hinzugekommen. Von den 2en hat nur eine eine gesicherte Nachfolge.

    Die 4, die verschwunden sind, existieren nicht mehr, weil die Besitzer entweder kinderlos geblieben sind, oder die Kinder kein Interesse an einer Übernahme hatten. Bei Bäckereien ist der (- scheinbare oder gefühlte) Zwang, das komplette Sortiment morgens um 06:00 oder 07:00 anbieten zu müssen, ein großes Problem. Wer will schon sein ganzes Arbeitsleben lang um 02:00 Uhr nachts aufstehen müssen?

    Bei Metzgereien scheint der Grund zu sein, dass das Töten und Ausnehmen von Tieren nicht jedermans Sache ist. Als Käufer kann man die Herkunft der Wurst "ausblenden" - als Metzger nicht.

  • Hinsichtlich der Bäckereien hat Deutschland halt unglaublich viele Ketten. Fiel mir neulich wieder in Dortmund auf. Da gibt es ein Monopol aus Kamps, Backwerk und Crobag (ich nenne sie jetzt trotz Werbung). Und die sind sogar sehr gut besucht. Da haben kleinere Betriebe wohl keine Chance mehr. In Basel gibt es noch einige Traditionsbäcker. Die können überleben, weil sie heute innerstädtische Ketten sind oder sehr sehr hochwertig (oder aber im jeweiligen Quartier eine Monopolstellung innehaben). Aber der kleine Bäcker um die Ecke von früher hat einfach kaum noch Chancen. Zumal neben den Bäckereien auch die Lebensmittelketten Brötchen aller Art anbieten.

  • Unzähligen Beispielen von Geschäftsschließungen zum Trotz gibt es immer wieder Beispiele für Neuerungen, neue Experimente und neue Wege. Auch wenn der Vergleich in einem Strang mit dem Thema Geschäftsschließungen sicher sehr hinkt, darf man sich gerne das Vorbild von Schmilka mit der gemeinschaftlichen "Transformation" hin in ein Biodorf vor Augen halten. Bei einer Einwohnerzahl von aktuell 75 (!) ist das eine beachtliche Leistung, freilich auch durch eine touristisch vorteilhafte Lage beeinflußt. Für mich persönlich gibt es nichts interessanteres, mich in einem Milieu von Experimentier- und Neuerungsfreudigkeit wiederzufinden, von dort beeinflußt zu werden und dort etwas lernen zu können. Auch wenn der Vergleich ganz sicher äußerst unsachlich herüberkommt, macht das Beispiel von Schmilka mit seinen 75 Einwohnern zum einen, das hier angesprochene Ludwigshafen zum anderen mit ca. 171.000 Einwohnern deutlich, daß ein städtisches Gefüge mit einer größeren Einwohnerzahl noch kein Garant dafür sind, deswegen nach dort eine nähere Bindung zu haben. Und wenn Traditionsgeschäfte (vor allem auch in solchen Städten) schließen, ist es eine Aufgabe ihrer Bewohner, den Verlust wahrzunehmen und in Zukunft angemessen damit umzugehen. Wenn man das dort selbst nicht so empfindet und nichts tut - was hat man sie von außen zu missionieren?

  • Ich glaube gar nicht, dass der Verlust in Städten ausgeprägter ist als auf dem Land. Die Dorfmetzgereien und -Bäckereien verschwinden - IMHO eher mindestens - ebenso rasch.

    In Dörfern waren die besagten Geschäfte aber nicht ortsbildprägend, weil es dort schlicht zu wenige in jeweils einem Ort gab und gibt.

  • Eine Sanierung, die nur wegen Bestandsschutzes nicht erfolgt ist, ist betriebswirtschaftlich eine ausgebliebene Investition, die sich nun eben in geringerer Wettbewerbsfähigkeit äußert. Ob diese Auflagen so streng sein müssen, kann man unabhängig davon diskutieren, aber wie sähe es denn eigentlich aus, wenn ein langjähriger Mitarbeiter (früher ja am ehesten die Kinder) das Geschäft weiterführen würde?

    So hohe Summen wirft eine kleine Bäckerei nicht ab, das dürften schon mindestens sechsstellige Summen sein, die natürlich der Nachfolger übernehmen müßte (gilt auch für eigene Kinder).

    Außerdem sind so kleine Betriebe eben nicht in der Lage, die Nachfrage nach großer Auswahl zu bedienen oder die ganzen bürokratischen Pflichten zu erfüllen, die heute schon eine Vollzeitstelle erfordern.

    Entsprechen sinkt die Betriebszahl immer weiter, ich zitiere aus den Stuttgarter Nachrichten:

    Quote

    Einen Kleinbetrieb würde er heute niemandem mehr empfehlen. Die Schließungen von kleineren Bäckerei-Betrieben ist keine Seltenheit. Nach Angaben der Bäckerinnung Württemberg habe sich die Zahl der backenden Betriebe in Stuttgart von 600 in den 1960er-Jahren auf derzeit 38 reduziert. Es gebe immer mehr Großbetriebe mit mehreren Filialen und zentralen Großbäckereien. Zuletzt hatte die Schließung der Traditionsbäckerei Gehrung in Plieningen mit ihrer über 500-jährigen Tradition für Aufsehen gesorgt.

    Einer der drei existierenden Bäcker hier vor Ort hat auch ein Filialkonzept eingerichtet und beliefert eigene Filialen in bis zu 30 Kilometern Umkreis und will auch eine eigene "Backfabrik" am Stadtrand errichten, die beiden anderen sind noch klassische Bäcker mit einem einzigen Sitz (so ganz ohne Tiefkühlprodukte wird es da aber wohl auch nicht gehen).

    Indes gibt es auch eine erfolgreiche Neugründung, die brotique: winziges Produktangebot, praktisch nur Sauerteigbrote, dafür aber garantiert immer tagesfrisch. Aber ob das auch außerhalb einer Großstadt funktionieren würde?

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  • Indes gibt es auch eine erfolgreiche Neugründung, die brotique: winziges Produktangebot, praktisch nur Sauerteigbrote, dafür aber garantiert immer tagesfrisch. Aber ob das auch außerhalb einer Großstadt funktionieren würde?

    Angebote in diese Richtung - deutlich eingeschränktes, aber sehr hochwertiges Angebot - gibt es offenbar in vielen größeren Städten.

    IMHO folgerichtig, denn die Notwendigkeit, extrem früh aufzustehen, um das traditionelle Komplettangebot morgens bereitstellen zu können, dürfte eines der Haupthindernisse bei der Rekrutierung von Nachwuchs sein.

    Worin ich im Übrigen kein Problem sehe, ist das Aufbacken von Roh- oder halbgebackener Ware in den Geschäften. Die Praxis hat meiner Meinung nach zu Unrecht einen schlechten Ruf, der dadurch entstanden ist, dass sie meist von billigen Ketten mit minderwertige Ware praktiziert wird. Mit hochwertigen Produkten erzielt man dabei aber auch hochwertige Ergebnisse! Auf diese Weise lassen sich in der Produktion normale Arbeitszeiten am Tage statt nachts ermöglichen, und der tolle Duft ist eine gute Werbung.

  • Worin ich im Übrigen kein Problem sehe, ist das Aufbacken von Roh- oder halbgebackener Ware in den Geschäften. Die Praxis hat meiner Meinung nach zu Unrecht einen schlechten Ruf, der dadurch entstanden ist, dass sie meist von billigen Ketten mit minderwertige Ware praktiziert wird. Mit hochwertigen Produkten erzielt man dabei aber auch hochwertige Ergebnisse!

    Soweit ich weiß ist eine Unterbrechung und Fortsetzung des Backprozesses ungesund und auch nur mithilfe technischer Enzyme zu bewerkstelligen.