Nachkriegswiederaufbau deutscher Städte im Vergleich

  • Die Bilder wurden nochmals aus diesem Strang kopiert (hier), weil daraus eine Diskussion über den Wiederaufbau im Vergleich stattfand. Da Vergleiche in der Wissenschaft, im Wiederaufbau… etc. sehr interessant sind, legte ich einen eigenen Strang dazu an.

    Anlässlich der Jahreshauptversammlung war ich zum ersten Mal in Dresden. Daraus ist eine kleine Bildergalerie entstanden.

    Ich bin absolut begeistert von dieser Stadt. Ich hatte ja immer im Hinterkopf, dass die Stadt so schrecklich zerstört wurde und man würde das der Stadt trotz Wiederaufbau ansehen und und und... Ich hatte darauf überhaupt keine Lust. Aber das stimmt nicht.

    Während Nürnberg von der Moderne wie zermalmt aussieht, strotzt Dresden voller Leben und Heiterkeit. Ja, die Modernes gibt es dort auch, aber sie setzt der guten Architektur längst nicht so zu. Im Gegenteil. Sie wirkt siegreich und voller Kraft. Lag es am blauen Himmel? An der lockeren Bebauung?

    Hier paar Eindrücke. (Und kulturell ist dort auch unglaublich viel los. Meiner Meinung nach die bislang interessanteste Stadt Deutschlands).



    Die Hofkirche




    Beauty matters!

  • Während Nürnberg von der Moderne wie zermalmt aussieht, strotzt Dresden voller Leben und Heiterkeit.

    Vorausschicken möchte ich, dass ich den Strang zum Thema JHV nicht übermäßig missbrauchen bzw. zweckentfremden möchte (bitte evtl. in einen anderen Strang verschieben, wenn es eine längere Diskussion werden sollte). Nürnberg kenne ich außerordentlich gut und Dresden absolut gar nicht. Bis heute kann (oder will?) ich nicht nachvollziehen, dass Dresden so viel lebensfroher und begeisternder sein soll. Daher eine interessante und bemerkenswerte Stellungnahme, Franka! Wahrscheinlich sollte ich mir vor Ort die Gelegenheit geben, dieselbe Erfahrung zu machen...

  • Vorausschicken möchte ich, dass ich den Strang zum Thema JHV nicht übermäßig missbrauchen bzw. zweckentfremden möchte

    Du hast vollkommen Recht. Ich werde die Bilder morgen verschieben.

    Zeno, ich werde versuchen in Worte zu fassen, warum ich diese Stadt viel gelungener und sehenswerter als Nürnberg halte.

    Beauty matters!

  • Ich war schon ziemlich oft in Dresden, sicherlich über 20 Mal, wobei ich in den letzten Jahren nur noch sporadisch vor Ort war, zuletzt 2018. Nürnberg habe ich ähnlich oft besucht, weniger aus speziellem Interesse, sondern eher, weil es neben München die nächstgelegene Großstadt ist.

    Nürnberg ist ein typisches und sogar überdurchschnittlich gelungenes Beispiel für den sehr durchwachsenen BRD-Wiederaufbau - man hat sich bemüht, neben neuen Akzenten und der "autogerechten Stadt" in der Innenstadt die bisherigen Straßenverläufe beizubehalten und sich bei den Baumassen in etwa am Vorkriegszustand zu orientieren, auch gab es sicherlich Gestaltungsvorgaben zu den Dächern.

    Entsprechend sieht Nürnberg von der Burg aus relativ intakt aus, die Ernüchterung kommt aber dann, wenn man sich die typischen schlichten Nachkriegsfassaden anschaut und feststellt, daß in manchen Ecken überhaupt nichts mehr erhalten ist. Besonders gepflegt sehen viele Bauten auch nicht aus.

    Außerdem enttäuschen selbst zentrale Plätze wie der Hauptmarkt mit völlig banalen Füllbauten, man hat genau wie in Würzburg nie den Eindruck, es könnte sich um eine unzerstörte Bebauung handeln.

    Dresden folgt fast ein wenig dem "polnischen Modell" wie in Danzig, wenngleich man am Neumarkt schon versucht hat, Neubauten auch wie solche aussehen zu lassen. Damit findet der Besucher einen Ort vor, der intakt wirkt, es ist für Touristen sicherlich attraktiver.

    Außerdem hat Dresden den Vorteil der schöneren Lage und der weitgehend erhaltenen und sanierten Vororte - so etwas wie den Elbhang oder das Elbufer gibt es in Nürnberg natürlich auch nicht.

    Der Nachteil von Dresden ist (genau wie bei Danzig), daß nach dem Krieg flächendeckend ein großer Teil der Innenstadt restlos abgeräumt wurde und dann auf die grüne Wiese die immer selben Zeilen- und Plattenbauten gesetzt wurden. Annenviertel, Seevorstadt, Pirnaische Vorstadt, weite Teile der Johannstadt, alles fast restlos verschwunden, inkl. jeglicher Strukturen. Selbst die Innere Neustadt ist ja nur noch in Teilen erhalten, der Rest ist bemerkenswert unpassend bebaut.

    Damit gefällt Dresden sicher auf den ersten Blick besser, flächendeckend gesehen ist Nürnberg wohl "besser" aufgebaut.

    Lanes are meant to be crossed. If you're staying in your lane you're obviously advancing too slow.

  • Letztens in Prag gewesen also einer intakten Großstadt. Fand ich als baulückengewohnter Dresdner wesentlich interessanter und städtischer als Dresden. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass wenn die Sonne scheint und sie auch überall hinkommt, auf Grund fehlender Bebauung, das Ganze einen heiteren Eindruck vermittelt im Gegensatz zu engen schattigen Straßenschluchten wie in Prag.

    Allerdings mit urbaner Innenstadt hat Dresdens Zentrum nicht allzuviel zu tun außerhalb von Neumarkt usw.

  • Oh, ich liebe schattige Straßenschluchten. Und Nürnberg war historisch schon immer sehr dicht bebaut. Ich hätte sogar Dresden für Nürnberg geopfert. (Architektonisch) . Ich vergleiche deswegen, weil beide sehr berühmt um ihrer Schönheit waren und beide am Ende des Krieges den Erdboden plattgemacht wurden.

    Zeno zu Deiner Frage, was macht für mich eine faszinierende Stadt aus?

    Hier meine Punkte:

    1. Stadtannäherung, wie wirkt die Stadt von Weitem..

    2. Ensemble-Wirkung

    3. Fußgängerbereich

    4. Kunst/Kultur/Kneipen

    5. last but not least: positive Überraschungsmomente.

    Punkt 1. Gewinnt Dresden.

    Nürnberg wäre natürlich auch wunderschön mit der Burg, um die sich herum die Fachwerkhäuser gliedern .hier Aber das sind nur Fotoansichten. Das menschliche Auge ist leider nicht so eingeschränkt und nimmt natürlich auch den Verkehr wahr. Ich habe leider gerade kein Foto zur Hand.

    2. Ensemble-Wirkung


    (und da gibt es auch die Moderne: links, sie stört aber nicht so)



    Kennst Du ähnliche Plätze in Nürnberg?

    Fortsetzung folgt...

    Beauty matters!

  • 3. Fußgängerbereich

    Zumindest hat Nürnberg mehr oder weniger die größte Fußgängerzone in Deutschland. Dazu, inwiefern die Fußgängerzone Dresdens attraktiver ist, kann ich aber nichts sagen.

    Kennst Du ähnliche Plätze in Nürnberg?

    Das ist natürlich immer subjektiv, was einem mehr zusagt. Der Platz Beim Tiergärtnertor besitzt aber doch eine hohe Attraktivität.

  • Ich habe schon öfters darüber nachgedacht, warum die einen wiederaufgebauten Städte deutlich attraktiver auf mich wirken als andere.
    Nürnberg ist eine Stadt, die weniger attraktiv auf mich wirkt, und Dresden ist eine Stadt, die deutlich attraktiver wirkt.
    Ich kam für mich zur Erkenntnis, dass es an Traditionsinseln liegt. Kleinere oder größere Bereiche in einer Stadt, in denen historische oder rekonstruierte Bauwerke vorherrschen. So z.B. ein komplett erhaltener Platz, eine komplett erhaltene Straße oder gar ein komplett erhaltenes Stadtviertel.
    Wenn ich diese Traditionsinseln in einer Stadt habe, wo die Stadt ihren alten Charme und ihre alte Schönheit voll entfaltet, dann fällt es mir sehr viel leichter über den unattraktiven, viel größeren Teil der Stadt hinwegzusehen. Als Tourist bewege ich mich da gar nicht erst hin, ich bleibe da, wo es schön ist.
    München, ist meiner Meinung nach, die Meisterin des Wiederaufbaus mit Traditionsinseln, der die Stadt, obwohl drumherum viel Schrott gebaut wurde und gebaut wird, dennoch ingesamt als schön und historisch erscheinen lässt.
    Odeonsplatz, Hofgarten, Ludwigstraße, Wittelsbacherplatz, Max-Joseph-Platz, Maximilianstraße... alles große, zusammenhängende Traditionsinseln.
    Dresden hat ähnliches geschafft: Theaterplatz, Schlossplatz, Brühlsche Terasse, Neumarkt, Königstraße...sie schaffen ein Netz von Traditionsinseln.
    Nürnberg ging einen anderen Weg. Da wurde zwar vieles wiederaufgebaut, aber große Traditionsinseln fehlen. Die Stadt ist ingesamt ein Mischmasch aus schönen, historischen Gebäuden und Nachkriegsschrott, und so tritt nirgends die alte Schönheit und der alte Charme richtig und ungestört hervor.

  • Treverer: eine sehr gute Analyse und Bewertung. In Berlin gibt es bestimmte Quartieren wo es noch herrlich "authentisch" Berlin ist: das Bergmann Quartier und einige Bereichen in Prenzlauerberg, Friedenau und Moabit. Es muss Strassen oder Plätzen geben die noch heil sind und intakten Fassaden aufzeichnen. Besonders prunkvollen Dächer sind in D. sehr sehr selten geworden, aber die bestimmen besonders das Aussehen von Gebäuden: schön, schlicht oder verunstaltet.

  • Mit dieser Diskussion entfernen wir uns zwar immer weiter von der Galerie. Aber zu Nürnberg muss man sagen, daß die Stadtpolitik leider alles dafür tut, daß sich erst gar keine Traditionsinseln entwickeln können. Die verhinderte Rückführung des Neptunbrunnens auf den Hauptmarkt, der Kampf gegen die Rekonstruktion des Peller-Fassade oder die Entscheidung zu Gunsten einer Baulücke/Grünfläche anstatt des Wiederaufbaus des Schwarzen Pellerhauses sprechen ja eine deutliche Sprache. Dabei könnte Nürnberg mit einigen Maßnahmen recht schnell deutlich attraktiver und historischer wirken. Verstümmelte Altbauten gibt es viele. Deren Reparatur wäre ein riesiger Gewinn. Aber das kapieren die Stadtlenker ja eben nicht.

  • Treverer: eine sehr gute Analyse und Bewertung. In Berlin gibt es bestimmte Quartieren wo es noch herrlich "authentisch" Berlin ist: das Bergmann Quartier und einige Bereichen in Prenzlauerberg, Friedenau und Moabit. Es muss Strassen oder Plätzen geben die noch heil sind und intakten Fassaden aufzeichnen. Besonders prunkvollen Dächer sind in D. sehr sehr selten geworden, aber die bestimmen besonders das Aussehen von Gebäuden: schön, schlicht oder verunstaltet.

    Die bedeutendste Traditionsinsel in Berlin hast du allerdings vergessen. ;) Das ist natürlich die östliche Hälfte von Unter den Linden und Lustgarten. Wenn eine (hoffentlich!) originalgetreue Bauakademie die letzte Lücke schließt und endlich mal alle Baustellen verschwunden sind, dann wird das eine sehr schöne und einer europ. Kapitale würdige Mitte.
    Diese und andere Traditionsinseln in Berlin (und im nahen Potsdam) lassen auch diese eigentlich sehr geschundene Stadt insgesamt schön wirken. Da sehe zumindest ich über die weitgehend entstuckten oder Plattenbauviertel hinweg.

    Und um wieder zu Dresden zurückzukommen:
    Empfindlich gestört wird die Traditionsinsel Neumarkt allerdings durch die Fehlstelle des Hotel Stadt Roms. Dass hier die Platzkannte nicht geschlossen ist, und man auf die Rücken der Wilsdruffer DDR-Riegel schaut, ist städtebaulich unbefriedigend.

  • Empfindlich gestört wird die Traditionsinsel Neumarkt allerdings durch die Fehlstelle des Hotel Stadt Roms. Dass hier die Platzkannte nicht geschlossen ist, und man auf die Rücken der Wilsdruffer DDR-Riegel schaut, ist städtebaulich unbefriedigend.

    Richtig. Das muss und wird sich ändern!

  • Wann denn? :)

    Franka: wunderschöne Bilder! Die Zeit in Dresden war wirklich toll. Ich war schon oft da, habe die Stadt aber jetzt nochmal neu entdeckt und schätzen gelernt. Am Neumarkt stellt sich allmählich das Gefühl von Angekommensein ein, es gibt wieder den urbanen Rahmen für die umwerfenden Wahrzeichen auf Welt-Niveau. Das bietet in dieser Kompaktheit mE keine Stadt der Welt, nichtmal die bekannten italienischen Klassiker.

  • Franka Auch von mir noch mal ein dickes Dankeschön für die tollen Dresden-Bilder (vor einem stahlblauen sächsischen Himmel). Die Bedeutung der eleganten Hofkirche für die Silhouette der Stadt kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Für mich, noch vor der Frauenkirche, die schönste Kirche der Stadt. Ach was, Sachsens. Ach was, Deutschlands ...

  • Nun war das barocke Dresden wohl immer heiterer als das dunkle mittelalterliche Nürnberg, das liegt schon in der Natur der Sache. Dass man heute beide Städte ob der städtebaulichen Qualität nicht ernstlich miteinander vergleichen kann, liegt natürlich nicht an der Parallelität des Schicksals im Winter 1945, sondern ausschließlich am Wiederaufbau. Da die schäbige Hässlichkeit einer noch dazu hoffnungslos in die Jahre gekommenen einstigen Wirtschaftswunder-Moderne, die tatsächlich von sich meinte, "alles richtig gemacht zu haben", dort doch ein nicht ganz unbeträchtlicher Teil der alten Pracht, der in neuem Glanze erstrahlt. Der Verlauf, der zu dieser Konstellation geführt hat, scheint paradox: in Nürnberg blieb eine Vielzahl von Baudenkmälern erhalten, in der Dresdner Altstadt abgesehen von den Ruinen einiger Großbauten so gut wie nichts. In Nürnberg bemühte man sich um die Erhalt des alten Stadtgrundrisses, in Dresden räumte man alles ab. In Nürnberg verblieben etliche Ecken, Winkel, Straßenzüge, die sich ohneweiters wieder ergänzen hätten lassen, in Dresden nur Schutthalden. Im BRD-Nürnberg vermochte man ungleich mehr Finanzkraft in Tourismus und Stadtbild zu investieren als im kommunistischen Dresden.

    Und warum ist alles so konträr gekommen? Warum ist Nürnberg ein stadtbildmäßiger Totalverlust, in dem erhaltene Kirchen, Türme, einzelne Häuser wie Fremdkörper wirken und die Katastrophe erst eigentlich so richtig erlebbar machen? Warum ist Dresden so schön geworden? Der frühe Wiederaufbau hat sich als schädlich erwiesen, das Brach-Liegenlassen und Zuwarten als nützlich. Dazu kam ein Mentalitätsunterschied, einerseits eine Bevölkerung, die den Verlust nur verdrängte und alles Erreichte sich schön redetet, eine Tendenz, die bis heute anhält, andererseits ein selbstbewusstes kämpferisches Bürgertum, das sich mit dem Verlust seiner Stadt nicht abfand und eine einmalige Chance witterte.

    Natürlich ist das wiederhergestellte Dresden weit kleiner-flächig als das nicht-wiederhergestellte, aber mit einzelnen versatzstückartig anmutenden Relikten versehene Nürnberg. Ja, die Nürnberger Möchte-gern-Altstadt ist riesig, was als quantitatives Argument immer wieder ins Treffen geführt wurde. Klar, man konnte nicht das alles aufbauen. Aber man hat es nicht einmal geschafft, einen mini-futzi-kleinen Winkel geschlossen wiedererstehen zu lassen. Nürnberg verfügt, anders als andere weitgehend zerstörte Städte, über keine einzige geschlossene Traditionsinsel, und meinem Argument, dass keine einziges Bürgerhaus ex nihilo wiedererrichtet worden ist, konnte bis heute mit keinem Beweis des Gegenteils entgegengetreten werden. Das ist, wenn man dies schon als Leistung apostrophieren will, eine ganz erbärmliche, und der Vergleich mit dem Dresdner Neumarktprojekt, dem in summa besten Wiederaufbau Deutschlands, der sogar in ganz Europa seinesgleichen sucht - die Konstellation im vielzitierten Warschau war ebenso wie im französischen Saint-Malo eine weit einfachere - ist gelinde gesagt vermessen.