• Das obige Bild – aufgenommen vom Obergeschoß der Neuen Börse aus - entstand zwischen dem Jahr 1886 (in welchem die historistische Überformung des ehem. Constumptionshauses vorgenommen wurde, die auf dem Bild bereits zu sehen ist) und 1888, dem Jahr, in dem die Alte Börse abbrannte, die hier rechts neben dem Roland (am Südrand des Liebfrauenkirchhofs und Beginn der Oberstraße gelegen) noch vollkommen intakt ins Bild kommt. Es zeigt die Häuser am Markt 12 und 9 in der vollen Pracht der Weser-Renaissance (wenn auch - wie gesagt - z.T. historistisch nachinterpretiert), wohingegen die Ratsapotheke und auch die beiden Gebäude zwischen Fleisch- und Obernstraße eine recht banale Formensprache aufweisen, weshalb die letzteren im Laufe der nächsten drei Jahrzehnte ja auch durch dem Marktplatz würdigere Bauten ersetzt wurden. Gekrönt wird die Photographie von dem im Hintergrund aufragenden Turm von St. Anschari, der über mehrere Jahrhunderte (vor allem nach dem Verschwinden der Turmhelme des Domes und von St. Stephani) die unangefochten höchste Spitze der Stadt war und damit zu dem Symbol Bremens schlechthin wurde.
    Schon komisch, daß somit gerade jene Bauten, die für lange Zeit fast gänzlich auf sich allein gestellt, ästhetisches und symbolisches Rückgrat gezeigt hatten und damit für die Bedeutung Bremens und dessen Anspruch eine Stadt mit großer Vergangenheit zu sein, eingestanden waren, von der Wiederaufbaupolitik nach dem Zweiten Weltkrieg so bedenkenlos geopfert worden sind, obwohl sie – vor dem Hintergrund obiger Tatsachen - alle eine Rekonstruktion mehr als verdient gehabt hätten ! Da bleibt nur zu sagen: Undank ist der Welten Lohn !

    Das zweite Bild beleuchtet dieselbe Ansicht aus einer etwas anderen Perspektive:

  • Bezugnehmend auf dieses Zeitdokument (1961) der 'Bremischen Gesellschaft Lüder von Bentheim' aus dem Bremer Staatsarchiv mit der Abstimmung: Das sind genau diese unglaublich totalitären Strukturen in Stadtplanung und Architektenlobby/Baulobby, die ich immer wieder anprangere. All das hat mit Demokratie nichts zu tun.

    Erstaunlich, wie fortschrittlich die Bremer bereits 1961 waren und dies in richtige Worten fassten:

    "darf ein einziger Mann mit einer kleinen Zahl von Beratern üer das Gesicht unseres weltberühmten Marktplatzes für die nächsten Jahrhunderte entscheiden und bestimmen"?

    Den Spruch muss ich mir merken.

    Eine Schande! Eine ganz klar Mehrheit hat damals für den Wiederaufbau der Giebelhäuser gestimmt. Dieses postmoderne Gebäude ist übrigens nicht schlecht, ich bin nicht gegen so etwas. Könnte mir auch gefallen. Aber nicht an dieser Stelle! Egal wie gut oder nicht es empfunden wird, es ist einfach kein Ersatz für ein historisches Giebelhäuserensemble! Es ist unglaublich, wie schwer von Begriff Stadtplaner und Architekten sind.

    "Die Modernisten sollten sich endlich eingestehen, dass sich die Qualität einer Stadt konventioneller Architektur verdankt" - (H. Kollhoff).

  • Wie muss diese Stadt im 17. Jahrhundert ausgesehen haben! Die verbliebenen typisch bremerischen Renaissancebauten wirken meistens viel beeindruckender als alles was ich hier im Lande bisher angetroffen habe, obwohl die stilistische Verwandtschaft relativ leicht zu erkennen ist.

    Einmal editiert, zuletzt von Niederländer (12. April 2015 um 03:06)

  • Die Bremischen Renaissancebauten gehören zur Weserrenaissance, es sind aber auch größere Zusammenhänge ersichtlich, mit westfälischen Renaissancebauten, mit dem Danziger Manierismus sowie mit Bauten wie dem Schwarzhäupterhaus in Riga.
    In Holland gab es Bremischen Einfluß z. B. bei der wunderschönen Fassade des Leidener Rathauses. Aber diese wirkt wesentlich strukturierter und klassizistischer, was eben auch den Unterschied zu den mitteleuropäischen Bauten ausmacht.

    In Bremen scheinen der Wiederaufbau des Kornhauses, der Ansgarikirche und des Essighauses städtebaulich sinnvoll und passend, und mittelfristig für diese Stadt auch wohl finanziell machbar zu sein. Damit würde das Stadtbild der historischen Bedeutung dieser Stadt wieder mehr gerecht werden. Ich sehe aber nicht, wie man bei der Bremer Bevölkerung ein Bewußtsein dafür schaffen könnte. Denn anders als in kaum wiederaufgebauten Städten in Mittel- und Ostdeutschland wird die Urgenz solcher Rekonstruktionen im heutigen Bremen vielen Bremern nicht ersichtlich sein, nur Spezialisten wissen darum. Da gibt es wohl viel Öffentlichkeitsarbeit zu leisten.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Brandmauer schreibt, dass die Dringlichkeit von Rekonstruktionen vielen Bremern nicht ersichtlich sei, nur Spezialisten wissen darum. Meine Frage als Neuling, wer sind diese Spezialisten. Architekten können es nicht sein, die wollen immer neu bauen. Denkmalschützer können es auch nicht sein, die lehnen Vollrekonstruktionen ab. Politiker etwa? OK, sollte ich hier besser nicht anführen, aber wer dann, wer ist Spezialist.

  • (...) Meine Frage als Neuling, wer sind diese Spezialisten. (...)

    Na, WIR werden das wohl sein. Leute, denen sehr wohl bekannt/bewusst ist, was im Stadtbild verloren ging und wieviel schöner es einmal war. Der Durchschnittsbürger denkt nicht darüber nach und lebt unbekümmert mit dem Ist-Zustand. Aus diesen Reihen wird keine Forderung nach Rekonstruktion kommen.

    Ach ja, herzlich willkommen im APH, findorffer!

  • So siehts aus. Doch wir arbeiten daran, dass auch der Durchschnittsbremer sich für das (verlorene) historische Erbe der Stadt interessiert, so wie wir dazu beigetragen haben, dass das beim Durschnitts-Dresdner, -Potsdamer, -Berliner, -Wismaraner und -Frankfurter schon deutlich spürbarer wurde.

    Wenn ich mir dieses Bilderalbum so anschaue, dann gibts noch einige hochkarätige Rekonstruktionskandidaten in Bremen (längst nicht vollständig): Einstige/verlorene Bauwerke Bremens (siehe auch: Abgegangene Bauwerke in Bremen)

  • Also ich habe mich hier auch mal angemeldet um mir selbst eine Stimme zu geben, als stiller Mitleser erreicht man ja doch nichts. Ich bin 35 Jahre alt, komme ursprünglich aus Bremen und wohne jetzt in Landshut in Bayern. Trotz der Distanz bin ich für eine vollständige Rekonstruktion der Baumwollbörse und den Abriss der Bremer Bürgerschaft. Ich halte mich des öfteren auf der Suche nach Anlagenobjekten in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] auf und hatte auch schon entsprechende Kontakte zur Denkmalschutzbehörde dort. Ich muss sagen was [lexicon='Leipzig'][/lexicon] dort zum Teil auf die Beine stellt ist deutschlandweit einmalig. Rekonstruktionen werden im Westen erst ein Thema sein wenn jüngere Leute in die Ämter einziehen. Ich für meinen Teil sehe es nicht als Eingeständnis unserer Kriegsschuld an, dass wir von den Bedenkenträgern dazu verdonnert werden sollen in hässlichen Städten zu wohnen. Am besten baut man vor der Baumwollbörse ein Plakat mit dem historischen Zustand und dem neuen Entwurf ( :kotz: ) auf und sammelt kräftig Unterschriften. Parallel dazu würde ich auf Facebook eine Onlinepetition starten, da erreicht man ne Menge Menschen aus Bremen.

  • (...) Trotz der Distanz bin ich für eine vollständige Rekonstruktion der Baumwollbörse und den Abriss der Bremer Bürgerschaft. (...)

    :applaus: :daumenoben:
    Herzlich willkommen im Forum, Retro79!
    Beim Abriss/der Sprengung des Bürgerschaftshauses fülle ich gern selbst das Dynamit in die vorgebohrten Löcher. Ich hasse diesen Glassarg.
    Es wird tatsächlich Zeit, daß Leute mit unseren Zielen und unserer Denkweise die wichtigen Ämter besetzen. Hoffentlich wird das bald der Fall sein.

  • Sehr geehrter Retro79 !

    ich habe mich sehr über Ihre Ausführungen gefreut. Bremens Stadtbild braucht solche Unterstützer wie Sie !

    Und dann sind Sie ja auch noch 'Buten-Bremer', kennen also die hiesige Situation sehr genau. Mehr kann man eigentlich nicht wollen !

    Beste Grüße ins schöne Landshut ! :smile:

  • Rekonstruktionen werden im Westen erst ein Thema sein wenn jüngere Leute in die Ämter einziehen. Ich für meinen Teil sehe es nicht als Eingeständnis unserer Kriegsschuld an, dass wir von den Bedenkenträgern dazu verdonnert werden sollen in hässlichen Städten zu wohnen. Am besten baut man vor der Baumwollbörse ein Plakat mit dem historischen Zustand und dem neuen Entwurf ( ) auf und sammelt kräftig Unterschriften.

    Anbei ein Link zu einem Video auf Youtube, welches die von Retro79 angesprochene Hoffnung auf die junge Generation unterstreicht. Das Video stellt den Beginn einer von Radio Bremen vor einigen Jahren erstellten Dokumentation über die in Bremen beheimatete, einst weltweit größte Reederei in der Passagierschiffahrt [jawohl mit zwei ‚f’], den Norddeutschen Lloyd, dar. Gegen Ende dieses Videos (ab min. 02:03 – den vorhergehenden Teil bitte überspringen !) wird auf das prächtige, von Johann Georg Poppe entworfene und ehedem in der Bremer Altstadt gelegene Verwaltungsgebäude der Reederei eingegangen, welches in den 60er Jahren einem Kaufhausneubau weichen mußte. Die Reporterin stellt in diesem Zusammenhang eine Staffelei mit einer Abbildung des verschwundenen Baus an einer Stelle auf, von der aus sich die gleiche Perspektive auf den Nachfolgebau ergibt, wie sie auf dem Bild vom Lloydgebäude zu sehen ist. Die spontanen Reaktionen des – wohl noch ‚unverbildeten’ – Nachwuchses sind von min. 02:28 bis min 02:59 zu sehen. Sie fallen durchweg positiv aus ! Es fallen Worte wie „Gefällt mir ganz gut“ oder „Ist eigentlich richtig schick !“ Die – leider etwas spärliche – autochthone Jugend scheint somit durchaus wieder Gefallen an historischen (und selbst historistischen) Bauten zu finden. Und das macht Mut !
    Ich denke, die Jungs hätten für einen Wiederaufbau des Lloydgebäudes unterschrieben… :wink:


    https://www.youtube.com/watch?v=BgprYWId7sY

  • ... und ich hätte auch sofort unterschrieben. Dieses Gebäude könnte heute eine wirkliche Bereicherung der Bremer Innenstadt darstellen. Leider sah man das seinerzeit Ende der 1960er Jahre anders. Der damals verantwortliche Denkmalschützer soll sich recht abfällig über das Gebäude geäußert haben. Es sei, .... "sagen wir mal, eine Art versuchter Jugendstil" .... und nichts mehr wert. Außerdem mokierte er sich darüber, dass doch tatsächlich einige Bremer Bürger mit dem Anliegen zu ihm gekommen seien, das Gebäude noch schnell unter Denkmalschutz zu stellen.
    Gestern habe ich per Zufall ein Bild, das einen Teil des instand gesetzten Gebäudes nach dem 2. Weltkrieg zeigt, gefunden. Auf die aufwendige Rekonstruktion der Türme und Giebel wurde verzichtet, die Dächer in vereinfachter Form hergerichtet:
    http://hbpublik.de/Seiten/Bremer%20Berichte/Bau/Bau.html
    Im Hintergrund links bereits neu errichtete Häuser in der Knochenhauerstraße.

  • Zum Glück ist niemand verletzt worden. Schlimm, dass es nicht gelingt, solche Feuer zu verhindern. Ich hoffe, das Gebäude oder zumindest die Fassade kann noch gerettet werden.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Mittlerweile ist das Dach des Gebäudes fast vollständig zusammen gebrochen. Das Haus "Harms am Wall" (ca. 1911 erbaut), in dem das Feuer ausgebrochen war, ist innen vollständig ausgebrannt, es besteht Einsturzgefahr für das Gebäude. Ziemlich sicher als Ursache ist Brandstiftung, vermutlich in Verbindung mit einem Raubüberfall, evtl sogar einem Mordversuch. Näheres hier:
    Großbrand Harms am Wall
    Brandstiftung/Raubüberfall

  • Ich hoffe, das Gebäude oder zumindest die Fassade kann noch gerettet werden.

    Das hoffe ich auch. Leider pflegt Sandstein unter großer Hitze zu platzen und wie es ausschaut ist die Fassade aus Sandstein, somit höchstwahrscheinlich ebenfalls einsturzgefärdet sad:)

  • Dann hoffen wir, dass Experten baldmöglichst Sicherungsmaßnahmen durchführen, die die historische Fassade stützen, ehe man darauf kommt, sie aus Sicherheitsgründen abzureißen.

  • Das Gebäude ist nicht sanierungsfähig. Der Eigentümer wurde von der Bremer Baubehörde aufgefordert, Absicherungsmaßnahmen zu ergreifen, um Passanten und den Straßenverkehr vor herabfallenden Teilen zu schützen. Ich persönlich glaube eher nicht, dass das Gebäude in der alten Form wieder aufgebaut werden wird. Das Haus war innen ziemlich marode, es gab einen jahrelangen Rechtsstreit zwischen Mieter und Vermieter wegen der Übernahme der Sanierungskosten. Am Brandtag hatte das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts, das zu Gunsten des Mieters entschieden hatte, bestätigt. Einzige Hoffnung ist, dass der Eigentümer, der ein Nachfahre der Gründerfamilie von E. F. Harms ist, ein Interesse an der Wiederherstellung des historischen Gebäudes haben könnte. Man muss nun erstmal abwarten. Der Eigentümer genießt allerdings in Bremen nicht den besten Ruf im Umgang mit seinen Immobilien.

    Nicht sanierungsfähig

    Raubüberfall

  • So ist es, und sicher wird auch in die Richtung ermittelt. Es stellt sich nur die Frage, wer am meisten profitieren würde. Der Eigentümer, der das Haus versiffen ließ und nun möglicherweise in ein neues Gebäude investieren oder der Mieter, der an anderer Stelle mit seinem Geschäft vielleicht neu durchstarten könnte. Jedenfalls ist das ganze schon reichlich dubios.