Mainz - Hatte Mainz kein Rathaus?

  • Wie in so vielen weiteren Fällen in Mainz, liegen auch hier Licht und Dunkel, Positiv mit extremem Negativ, in unmittelbarer Nähe nebeneinander.
    Das Gebiet des heutigen Rathauses liegt nicht im Kerngebiet der inneren Altstadt, sondern vor dem Verlauf der mittelalterlichen Altstadt. An der Stelle befand sich die Stadtmauer. Hiervon ist der Eisenturm als Torturm der Stadtmauer noch erhalten. Vor dem Verlauf der Stadtmauer lag das Industriegebiet des Mittelalters, d.h. Anlegestelle für den Schiffsverkehr sowie Lager und Umschlagplatz für Waren aller Art. Nach Aufschüttung des Gebietes, das noch im 19. Jhd. immer wieder von Überschwemmung betroffen war, wurde in etwa der gesamte Verlauf entlang des Rheins mit Wohngebäuden bebaut. Der an der Stelle des Rathauses einstmals befindliche Halleplatz blieb hier im allgemeinen ausgenommen, da neben dem heutigen Rathauses an der Stelle der jetzigen Rheingoldhalle die Stadthalle stand.
    Unter dem Gesichtspunkt, daß der Eisenturm einstmals den Haupteingang in das eigentliche Zentrum des "Brand" bildete und sich hier der wahre Kern des Handelszentrums Mainz sowie des Patriziats befand, auch das einstmals berühmte gotische Kaufhaus am Brand, um 1814 in der französischen Zeit abgerissen, ergeben sich nach der kompletten Kriegszerstörung des gesamten Gebiets und der gnadenlosen Beseitigung aller Ruinen eine Vielzahl von Sachverhalten, an die man nolens volens anknüpfen wird müssen, und der Gedanke an eine Änderung des Zustandes zur Zeit als nicht realisierbar scheint. Folgend einige Aspekte :
    - Das gesamte Brandareal wurde aufgeschüttet und die Höhenverhältnisse total verändert. Sinn und Zweck dieses Tuns ist auch heute nicht unmittelbar zu erkennen.
    - Die Brandbebauung hat in der Bevölkerung eine lediglich funktionelle Akzeptanz gefunden als Gewerbeareal, auf dessen Gelände man ansonsten nichts zu suchen hat.
    - Von vielen Standpunkten aus gesehen, schiebt sich die Bebauung wie ein riesiges, graues Hochgebirge in das Gesamtstadtbild und stellt die mit Abstand größte Antithese zu einer moderat-kleinteiligen Bebauung dar.
    - Als einzige Baudenkmäler sind in unmittelbarer Nähe nur das Heiliggeistspital, der Eisenturm, der gotische Hof zum Korb, das rekonstruierte Hotel Stadt Koblenz / zum Spanisch Creutz sowie der Renaissancetreppenturm des "Urdruckhauses", dem Hof zum Humbrecht, verblieben.
    - Der Eisenturm steht heute neben der Rathausbrücke und den hier anschließenden Gebäuden wie ein historisch-kurioses Artefakt. Eine Anbindung der neuen Bebauung in den historischen Kontext als Gebiet des ehemaligen Haupteingangs in die Stadt vom Rhein aus gesehen ist nicht gegeben.
    - Nach der Aufgabe der Baufluchten einer erstaunlich großen Anzahl von milieubildenden Altstadtgassen ist der Verlauf der heutigen Baufluchten der Brandbebauung nur eine vage Spur von Erinnerung an den einstigen Zustand.
    - DIe Farbwahl der Rathausfassaden paßt sich in keinster Weise an das Antlitz der Stadt an, die vollkommen vom roten Mainsandstein beherrscht wird.
    - Die Fenstervergitterung hat diesem Gebäude in durchaus zutreffender Weise im Lokalkolorit die Beinamen Beamtengefängnis, Beamtenbollesje, Dänische Gardinen (man denke an Schwedische Gardinen) gegeben. Die Bezeichnung Fuchsbau ist eher ironisch als Bezug zum damaligen Bürgermeister zu sehen.
    - Die Silhouette der Stadt ist insbesondere auch rechtsrheinisch stark verändert. Die zahlreichen Fotoaufnahmen der Jahrhundertwende zeigen, daß gerade aus dieser Perspektive der Dom seine kraftvollste Dominanz erlangte und mit den Türmen von Stefan und Quintin zu einer Gesamtkulisse von überwältigender, überirdisch-magischer Schönheit zusammenschmolz. Die alte Stadthalle fügte sich perfekt in die Gesamtkulisse ein. Das Rathaus stellt sich heute wie ein grober Klotz vor den Dom und drängt ihn aus dem Blickzenztrum, so als ob man ihn durch den Rathausneubau abdrängen hätte wollen, gleichsam als schämte man sich über sein Vorhandensein. Man kann auch den Eindruck haben, die damalige Geisteshaltung der Zeit sei überzeugt gewesen, das neue Rathaus sei nun das eigentliche neue Wahrzeichen. Der Störfaktor wäre in dieser Form nicht so groß, wenn das Gebäude eine geringere Höhe besäße.
    - Die Kühlheit und Strenge der Gesamtarchitektur steht in krassem Widerspruch zu der dieser Stadt eigentümlichen heiter-festlichen Architektur aus der klassischen Zeit, die sich auch heute, trotz des Verlustes von über 80 % des alten Goldenen Mainz als wahrhaft stadtbildprägender Torso eines Gesamtkunstwerks präsentiert.
    - Das Gesamtkonzept der damaligen Zeit nahm keine Rücksicht mehr auf die erhaltene Restsubstanz des gotischen Rathauses und riß sie ab.
    - Die Auffassung, daß die Rathausplattform von der Bevölkerung als Verweilzentrum angenommen wird, hat sich nicht erfüllt.
    - Insofern hat auch die Fußgängerbrücke vom Brand zum Rathaus einen nur baulichen Bestand als technisches Mittel zur Überquerung des Areals vom Brand über die Rheinstraße hinweg zum Rathaus. Sie hat sonst keinerlei Bedeutung.
    - Der große Mangel dieses Gebäudes ist insoweit auch ein Beleg für die leider viel zu oft zu beobachtenden Tedenzen einer praxis- und weltfremden, rein im theoretischen Erstarrten modernen Architektur, bei der seit der Errichtung eine praxisbezogene Nutzung durch mangelhafte Versorgungs- und Entsorgungsmöglichkeiten, Nichtzuöffnender Fenster, nicht funktionierende Be- und Entlüftung, Baumängel, fehlende Dauerhaftigkeit der Materialien und Übertreibung des Urheberrechts,sowie vieler weiteren Aspekte, nicht gegeben ist.

    Die Stadt wird sich in den kommenden Jahren ganz zwangsläufig den Herausforderungen stellen müssen, die dieses Gebäude darstellt,