Staatsminister für Schönheit

  • Sehr interessanter Einwurf der Kollegen der Welt. So langsam merkt auch das Feuilleton, dass man mit dem Bauhaus keinen Blumentopf mehr gewinnen kann. Die Warnung vor einer dritten Stadtzerstörung im Zuge des aufkommenden sozialen Wohnungsbaus ist nicht von der Hand zu weisen. Auch wenn die Forderung etwas plakativ sein mag, ist sie der Intention nach trotzdem richtig. Ob es einen Staatsminister für Schönheit braucht sei dahingestellt. Ich sehe es eher als Statement für ein anderes Bewusstsein zum Thema Schönheit in unserer Gesellschaft. Eine Debatte ist es allemal wert.

    https://www.welt.de/debatte/articl…eutschland.html

    APH - am Puls der Zeit

  • Bei uns fehlt es in der Tat oft an "Alltags-Ästhetik" in fast allen Lebensbereichen, nicht nur bei der Architektur, wo es häufig nur noch um reine Zweckmäßigkeit geht (früher war das anders, da sahen manche Fabriken oder sogar Kasernen aus wie Paläste, und sogar Trafohäuschen oder Kioske konnten kleine Kunstwerke sein), sondern auch bei den Umgangsformen oder in kleinen Dingen wie z. B. Verkaufspräsentationen.

    Wie man eine solche Bewußtseinsänderung bewirken kann, weiß ich aber auch nicht.

  • Ich weiß nicht, welcher Historiker neulich die Formulierung gewagt hat, das deutsche Kaiserreich sei großbürgerlich geprägt gewesen, die Bundesrepublik Deutschland dagegen kleinbürgerlich. Da ist sicher etwas dran. Der Kleinbürger hat nun mal keine finanziellen oder geistigen Resourcen übrig, sich um Schönheit zu kümmern, und wenn man bedenkt, dass das heutige Deutschland im Blick auf die Eigentumsverhältnisse zu den ärmsten Ländern Europas gehört, kann auch dieser Tatbestand einiges erklären. Am ehesten kann heute noch von der wohlhabenden Kaufmannschaft der Hansestädte oder von norddeutschen Gutsherren eine gewisse um Schönheit bemühte Alltagskultur erwartet werden. Im süddeutschen Raum muss man oft lange suchen, um in den patrizischen Hinterlassenschaften der Reichsstädte oder des Landadels Inseln kultivierten Geschmacks zu finden. Das Vorhaben der Geschmackserziehung, dem sich auch unser Verein verschrieben hat, braucht einen langen Atem, und wir wissen nicht, ob die derzeitigen Entwicklungen ind Deutschland und Europa dafür günstige Voraussetzungen bieten.

  • Meine absolute Zustimmung. Die Oberschicht, die finanzielle Elite, lebt im unserem Land tendenziell eher zurückgezogen. Das heißt nicht, dass von dort kein kulturelles Engagement käme; stilprägend wirken diese Kreise aber nicht mehr.

  • ^ Das stimmt. Leider ist die Zurschaustellung von Wohlstand und Mäzenatentum irgendwann im Laufe des 20. Jahrhunderts verpönt worden in Deutschland. Dementsprechend werden große Spendenbeiträge gern auch mal einfach anonym überwiesen, was der menschlichen Seele eigentlich widerstrebt. Prominente Beispiele sind die Görlitzer Altstadtmillion und diverse Spenden für Berliner Schloss und DDner Frauenkirche.

    Sowas gibt's in den USA bspw. kaum, da ist jeder Spender (zurecht) stolz auf seinen Beitrag und lässt sich dafür auch feiern. Der Philanthropismus ist dort Alltag; das war im deutschen Kaiserreich bspw. auch so. Vielleicht kommen wir ja irgendwann wieder dahin, wenn die "deutsche Seele" wieder halbwegs gesundet ist.

  • In Weimarer Zeiten gab es einen sogenannten "Reichskunstwart", der sich von der Gestaltung des Staatswappens über Gedenkfeiern bis zu großen Umbauplänen des Berliner Regierungsviertels oder ein "Reichsehrenmal" für die Gefallenen des Krieges über alles mögliche Gedanken machte. Amtsinhaber war die ganze Zeit über Edwin Redslob, eher ein Vertreter der Moderne zwar, aber doch mit Sinn für eine gewisse Grundästhetik.
    Ob so was heute noch brauchbar ist, bezweifel ich (der heutige Kultstaatsminister ist nicht wirklich vergleichbar). Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass Kunst im öffentlichen Raum wie auch Architektur weniger elitär sein muss. Was bisweilen als "Kunst am Bau" verkauft wird, mag für den akademischen Diskurs geeignet sein. Für die Allgemeinheit ist es häufig gar nicht als Gestaltungselement erkennbar. Im Bau wäre es ein großer Fortschritt, sich einfach mal an den Wortlaut vieler Gesetze und Gestaltungssatzungen zu halten. Die lesen sich nämlich meist ganz hervorragend. Nur wenn man die Ergebnisse sieht, fragt man sich welcher Interpretationskünstler da am Werk war.

  • Vielleicht hatte man nach den Kriegszerstörungen auch ganz andere Sorgen. Allein die Herausforderungen zur Sicherung von zerstörten Denkmälern mit den damaligen Mitteln sind ja sehr beeindruckend. Sozialen Wohnungsbau gab es in Deutschland und anderen Ländern, und er verfolgte einen Zweck, nämlich tatsächliche Wohnungsnot zu lindern. Man kann sich auch denken, wie sehr die stabileren überlebenden Betonbauten einen Nachkriegswiederaufbau inspirierten, und die Erinnerung an Altstädte eher durch die Erinnerungen an die Feuersbrünste des Krieges in Fachwerkvierteln und sozialen Unannehmlichkeiten in den oft heruntergekommenen Altstadtquartieren geprägt war. Die Gründerzeitviertel mögen wir auch deshalb, weil sie ab den 70er Jahren liebevoll saniert und aufgewertet wurden. Viel Bausubstanz in heutigen Bonzenvierteln wurde von linken Hausbesetzern und alternativen Spinnern politisch gerettet. Ich empfehle übrigens den ersten Film von Adam Curtis über eine ganz ähnlichen Sozialbauboom im Vereinigten Königreich und die Baumängel und der Pfusch. Interessanterweise wird da auch angesprochen, was vor kurzem bei einem Brand zur tödlichen Falle wurde, unzureichender Brandschutz.

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    Nun sind wir in der Phase wo wir Nachkriegsprovisorien webräumen sollten, mit großer Gelassenheit und Liebe zum Detail die Lücken schließen und auch das eine oder andere hingeklotzte Projekt des sozialen Wohnungsbaus rückzubauen.

    Es braucht keine Staatsminister sondern ein milliardenschweres Bundesbauprogramm für den Wiederaufbau 2.0 und Erleichterungen bei den Bauvorschriften für Rekonstruktionen.