Dieser Umschwung, der in Deutschland besonders krass ausfiel, hatte eine ganze Reihe von Gründen, von denen der wirtschaftliche, die anfängliche Notlage der Nachkriegszeit der unerheblichste ist. ... Natürlich sehen wir heute, da die Moderne so gründlich abgewirtschaftet hat, wie für unsere Großväter die Gründerzeit abgewirtschaftet hatte, alles in anderem Licht, und wenn erst der modernistische Dogmatismus an den Hochschulen sich totgelaufen haben wird, wird ein neuer menschengemäßer Stadtbau möglich werden.
In einem Absatz (den ich jetzt nicht komplett zitiere) auf den Punkt gebracht. Der Mensch möchte nunmal immer das, wovon er wenig hat. Und wenn zurecht gefordert wird, z.B. jemanden wie Ernst Moritz Arndt nicht nach heutigen Gesichtspunkten zu beurteilen, so müssen wir eben auch zur Kenntnis nehmen, dass die Deutschen des ihre Städte wie nichts zuvor überrollt habenden Historismus überdrüssig waren. Die Experimente für eine moderne Architektur begannen ja schon weit, weit vor dem ersten Weltkrieg mit den Reformbewegungen Jugendstil, Reformstil etc.
Hinzu kamen die tatsächlich nicht eben idealen Wohnverhältnisse, die schlechte Heizbarkeit, die aus heutiger Sicht wahnsinnige Bevölkerungsdichte inkl. Lärm etc. In manchen unteren Etagen und in den Hinterhäusern schien praktisch nie die Sonne in die Wohnungen, die zudem auch wesentlich stärker belegt waren... wo damals eine neunköpfige Familie wohnte, leben nun maximal DINKs, vielleicht noch mit ihrem ersten Kind (und ächzen schon über das Treppensteigen). Nein, so schön uns heute Bilder aus den Nuller oder Zwanziger Jahren erscheinen, wir sollten uns doch davor hüten, die Situation damals zu romantisieren. So wie noch in den 80er Jahren die DDR roch, roch in den 20er Jahren ganz Deutschland im Winter in den Städten: nach Ruß und Rauch, Schwefel und Teer, und dieser schlug sich überall dunkelgrau auf den Gebäuden nieder. All das führte eben zu dem Gefühl, dass etwas passieren müsse und hierher rührt auch dieser für uns vielleicht manchmal nicht nachvollziehbare Wunsch nach Auflockerung, nach Licht und Grün, nach einer Abkehr vom Blockrand.
Selbst ich -als ausgemachter Altbaufan- gerate beim Besuch eines Freundes und Architekten, der sich vor einigen Jahren ein natürlich modern gestaltetes Eigenheim gebaut hat, manchmal etwas ins Grübeln mit meiner Altbauliebe, den zugigen kalten Wänden und knarrenden Dielen: Ein so herrliches Raumklima, bei der dank einer Betonkernheizung alles im Prinzip gleichwarm ist, ein so leises Haus, ohne Heizungsgeräusche, ohne knarrende Treppen und müffelnde Keller, dabei überall hell und luftig - geht einfach nicht in einem Altbau. Und dann fahr ich wieder nach Hause in mein mäßig renoviertes Bremer Haus und setze mich mit Decke aufs Sofa und ärgere mich über die in der zirkulierenden Heizungsluft flatternden Spinnweben in den Ecken.
Es gab eben den Wunsch nach Klarheit und Sauberkeit, der schon weit vor dem zweiten Weltkrieg zu Entstuckungen und Vereinfachungen geführt hatte, die auch ohne den Krieg ganz zweifellos fortgeführt worden wären. Auch zu den flächendeckenden Abrissen intakter Viertel im Zuge des Ausbaus der autogerechten Stadt wäre es genauso gekommen wie ohne den Krieg. Nur wäre natürlich trotzdem unendlich viel mehr übrig geblieben aufgrund der schieren Masse an Altbausubstanz. Hinzu kam dann wie von Philoikodomos treffend beschrieben das Kriegstrauma, das zunächst kaum benannte Verlust- und Schuldgefühl, das zu diesem dringenden "Neustart"-Wunsch führte. Die Pläne lagen ja schon zur Nazizeit in den Schubladen und konnte nun nach Herzenslust und zunächst sogar noch beklatscht von der Bevölkerung durchgezogen werden... weg mit dem alten (Pardon my French) Scheiß, vorwärts in die Zukunft! Wenn man so manche Stadtnachrichtensendungen aus den 60ern sieht, mit diesem bombastischen Ton des Sprechers und seinem Modernitäts- und Autowahn, dem mal wieder irgendein altes Gebäude zum Opfer fiel und Platz für eine langersehnte Stadtautobahn machte, so fühlt man sich immer noch an 30er Jahre Ufa-Wochenschauen erinnert.
Wie alles eigentlich ein verdammt vielschichtiges und interessantes Thema.... und doch wirklich kaum noch nachvollziehbar aus heutiger Sicht.
P.S. und um nochmal zum Thema des Strangs zu kommen: Tolle Bilder, wissen, aus einer tollen Stadt! Ein kleines Detail ist mir aufgefallen: In Berlin sind ja alle Altbaufenster kreuzförmig geteilt, auch das Oberlicht ist immer geteilt. In vielen Städten im Westen war das auch vor dem Krieg nicht so, ich hätte Leipzig eher dem "östlichen" Stil zugeordnet, sehe aber, dass viele der normal breiten Fenster keine geteilten Oberlichter haben. Ist das dort traditionell so gewesen?