Dresden - der Altmarkt

  • Der Siegerentwurf ist nicht kontrastierender, sondern der von "bilderbuch" erwähnte Entwurf von Wörner, Traxler und Richter. Entgegen den anderen Entwürfen hat er runde Ecklösungen, die sich dem insgesamt "kantig/eckig" gehaltenen Quartier entgegen stellen. Er nimmt optisch nicht einmal andeutungsweise die Pfeilerstruktur des gegenüberliegenden Gebäudes auf, sondern setzt auf ein rein gläsernes Erdgeschoss. Auch bietet er ein dunkles Dach an, im Kontrast zur roten Farbe der Quartiersbedachung.

  • Ich bin kürzlich über ein Foto gestolpert, bei dem mir doch glatt die Kinnlade runtergeklappt ist - es geht um die nach dem Krieg realisierte Innengestaltung der Kreuzkirche. Der historische Hintergrund war mir natürlich - so einigermaßen jedenfalls - vertraut. Hier die Kurzzusammenfassung bei Wikipedia:

    Zitat von wikipedia

    Bei und nach den Luftangriffen am 13. Februar 1945 brannte die Kreuzkirche völlig aus. Die Orgel verbrannte vollständig, das Altarbild wurde zwar rußgeschwärzt, blieb jedoch erhalten. Der Wiederaufbau erfolgte in den Jahren 1946 bis 1955 durch Fritz Steudtner. Dabei wurde die schwer beschädigte neubarocke Raumfassung durch einen zunächst als Provisoriumgedachten Rauputz sowie eine bewusst schlichte, moderne Ausstattung ersetzt. Dabei wurden noch viele erhaltene Ausstattungsdetails beseitigt oder wie beim Altar drastisch reduziert. Über den Wert dieser aus der Not und der Ablehnung der als überladen angesehenen Jugendstilornamentik geborenen Fassung, die mit dem Belassen einiger Kriegsspuren und ihrem „grottenhaften“ Charakter eine wichtige Rolle unter den öffentlichen Räumen der Dresdner Nachkriegszeit spielte, wurde lange diskutiert. Von 2000 bis 2004 wurde der Innenraum unter Leitung von Peter Albert restauriert. Da inzwischen der Denkmalwert der Wiederaufbauleistung anerkannt war, ging man behutsam vor.

    Und so sieht das also heute aus:


    Von Thaler Tamas - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, wikimedia commons


    Von Ad Meskens - Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0, wikimedia commons


    Von UlrikeLehmann - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 de, wikimedia commons

    Völlig unbekannt war mir aber bislang, was da so alles weggekloppt wurde. Hier nun eine Aufnahme vom Herbst 1945 (in ähnlicher Blickperspektive wie das unmittelbar voran stehende Bild): :schockiert:

    KLICK

    Wer vergleichen möchte, das war der analoge Blick im Zustand vor der Bombardierung: Klick

    Hier noch ein Foto vom Altar:


    Von Dguendel- Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 de, wikimedia commons


    Und schließlich noch ein Foto des original erhaltenen Altargemäldes (laut Wikipedia nur rußgeschwärzt, aber eben durch den Brand im Innenraum nicht vernichtet):


    Von Ad Meskens - Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0, wikimedia commons

    Einmal editiert, zuletzt von BautzenFan (26. Oktober 2016 um 16:36)

  • Oh, wie tragisch! Und das bei diesem barockisierendem Jugendstil. Wie unendlich schade! Das hätte ohne große Probleme wiederhergestellt werden können. Waren ja nicht einmal die Gewölbe eingstürzt. Und nun frönt man der Wiederaufbauaskese, die eine weitere Vernichtung war! Leider kein "Ruf aus Dresden" hier in der Kreuzkriche, obwohl es hier viel leichter wäre Schönheit wiederzugewinnen!

  • Ja, da muss ich SchortschiBähr beipflichten. Es ist ja nachgerade tragisch, dass man damals so blind war, den Wert dieses Jugendstil-Gotteshauses nicht zu erkennen. Eine Wiederherstellung des originalen Vorkriegszustands wäre angesichts des noch vorhandenen Bestands möglich gewesen.

    Ein verstorbener Onkel von mir (Jahrgang1930) hatte mir einst erzählt, dass in seiner Jugend, so etwa um 1950, von offizieller Seite der Architektenschaft sowohl Gründerzeit, als auch Jugendstil als völlig wertlos und als der wirklich allerletzte Dreck bezeichnet wurden. Man fühlte sich berufen, von den verhassten Stilen Gründerzeit und Jugendstil soviel wie möglich auszutilgen und zu entfernen. Geschult und indoktriniert durch Bauhausideologie konnte das Urteil auch gar nicht anders ausfallen. In einer Stadt wie Dresden, die im II. Weltkrieg so viel Schönes verloren hatte, wiegt der Verlust der eleganten Jugendstilausstattung der Kreuzkirche doppelt schwer.

  • So so. Der "Denkmalwert" wird anerkannt. - Heute gilt auch echt jeder Schrott als Denkmal. Ohne den Krieg hätten diese "Architekten" niemals die Gelegenheit gehabt einen solch kostbaren Raum zu verunstalten. Und eben nur, weil die Verunstaltung heute als besondere Leistung des Wiederaufbaus angesehen wird, genießt sie auch noch den Schutzstatus.

    Wahrscheinlich haben die Bauleute von damals nur an eine günstige und provisorische Instandsetzung gedacht, die in der Zukunft (heute), bei besserer Finanzlage, wieder dem Vorkriegszustand angeglichen werden sollte. Nur leider haben irgendwelche "Experten" vom Denkmalamt die Heilung und Reparatur auf lange Zeit unmöglich gemacht. Na danke auch!

  • Weil nach dem Krieg auf den "Resetknopf" gedrückt wurde, musste das Alte vielerorts einmal getilgt werden, um ein neues Land mit neuen Menschen zu erschaffen. Man schrieb die Stunde 0 und so musste fast überall von Grund auf alles anders gemacht werden.

    Wenn es nach mir ginge, ich würde heute auch gerne wieder auf den Resetknopf drücken und all die baulichen, politischen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen der letzten Jahre auf 0 zurücksetzen. Beginnen würde ich aber beim Baulichen nicht bei der Bauhaustristesse, sondern würde gleich bei 1911 an- und fortsetzen! Die Kreuzkirche würde ihr wertvolles Inneres wieder zurückerhalten und auch das bauliche Umfeld, wie zB die Pragerstrasse, würde ich auch gleich wieder in ihre besten Zeiten versetzen. Wenn erst einmal das gebaute Umfeld schön ist, dann werden es auch die Menschen wieder werden! Ich glaube daran, dass eine schöne Stadt auch andere, zufriedenere und kultiviertere Menschen hervorbringt!

  • Ein verstorbener Onkel von mir (Jahrgang1930) hatte mir einst erzählt, dass in seiner Jugend, so etwa um 1950, von offizieller Seite der Architektenschaft sowohl Gründerzeit, als auch Jugendstil als völlig wertlos und als der wirklich allerletzte Dreck bezeichnet wurden.

    Wann sind denn diese Architekten ausgebildet und indoktriniert worden? Wann wurde ihnen beigebracht, daß die Gründerzeit der letzte Dreck ist? Ich vermute mal, nicht nur in den Jahren 1945 bis 1950, sondern schon früher. Offensichtlich lehrte man sowas im Dritten Reich an den Architekturschulen, denn woher kamen denn diese ganzen Ideen der unmittelbaren Nachkriegsjahre von der asketischen und autogerechten Stadt, von der "Chance" auf den Neubeginn? Schon Hitler und Goebbels äußerten sich während der alliierten Luftangriffe in zynischer Weise, daß die Bomben auch etwas Positives hätten, denn nun müssten sie die Innenstädte nicht selbst einreissen. Oft wuurden Konzepte umgesetzt, die schon in den vierziger Jahren auf dem Reißbrett entstanden waren.
    Wer unsere heutige Tristesse in Frage stellen will (und das wollen wir ja täglich), der sollte bei den Herren Architekten und ihrem Disneyland-Geschwätz laufend den Finger in diese Wunde halten. Es gibt schließlich in Deutschland nichts Besseres, als NS-verdächtige Errungenschaften in Frage zu stellen.

    " Dem Wahren, Schönen, Guten "

  • Dass in der Kreuzkirche noch einiges nachträglich entfernt worden sein muss, vermutet man ja automatisch. Der Bruch zwischen den Überresten und der Neugestaltung ist einfach zu stark. Außerdem war die Kirche ja bekanntermaßen nicht in dem Maße zerstört wie die Frauenkirche, sodass hier auch nicht komplett neu aufgebaut werden musste. Ein Foto vom zerstörten Innenraum aus der unmittelbaren Nachkriegszeit habe ich aber noch nicht gesehen, sehr interessant.

    Mir gefällt die Kirche, sowie sie sich jetzt präsentiert, nicht. Es sieht einfach nach Rohbau aus. Man hat hier keinen realen Ruinenzustand sondern eher einen künstlichen Bauruinenzustand konserviert. Der Denkmalwert ist in meinen Augen begrenzt.

  • Wann sind denn diese Architekten ausgebildet und indoktriniert worden? Wann wurde ihnen beigebracht, daß die Gründerzeit der letzte Dreck ist? Ich vermute mal, nicht nur in den Jahren 1945 bis 1950, sondern schon früher.

    Bereits nach dem ersten Weltkrieg hat sich die Architektenschaft, jedenfalls in erheblichem Umfang, von den Bauten der Jahrhundertwende als nicht mehr zeitgemäß distanziert. Der Heimatschutzstil hat sich in dieser Zeit verbreitet (der dann seinerseits durch die Nähe Schulze-Naumburgs zu den Nazis diskreditiert wurde). Dazu kam dann als "Gegenbewegung" die klassische Moderne. Beide Richtungen lehnten den Historismus ab und haben auch den Jugendstil abgelehnt. Diese Haltung wurde dann durch deren Tätigkeiten als Hochschullehrer auch noch nach 45 tradiert. Ein Bekannter erzählte mal, dass ein Architekturprofessor noch in den 70er Jahren angesichts historistischer Bauten von "übelstem Eklektizismus" sprach. Die Abrisse von erhaltungsfähiger und -würdiger Architektur von 1870 bis 1910 gingen ja noch bis in die 80er Jahre weiter. Aber genug als Exkurs, das gehört eigentlich woanders hin.

  • Die DNN berichten heute, am 17.02.2017, über den Planungsstand des Vorhabens. Nachdem in den letzten Tagen das Großgrün auf dem Areal entfernt wurde, sollen nun weitere archäologische Grabungen beginnen. Indes wird der Bauantrag vorbereitet und soll Mitte des Jahres eingereicht werden. Der Bau der 200 Wohneinheiten beginnt dann Ende des Jahres 2017 und wird voraussichtlich Anfang 2020 abgeschlossen.

    Wahre Baukunst ist immer objektiv und Ausdruck der inneren Struktur der Epoche, aus der sie wächst. Ludwig Mies van der Rohe

  • 200 Wohneinheiten ist schon beeindruckend. Ich kann mir gar nicht richtig vorstellen, wie so viele Wohnungen auf diesem für mich überschaubaren Grundstück entstehen. Daran sieht man, was ein Investor aus solchen Brachen herausholen kann.

  • Die schiere Menge an Wohneinheiten ist in der Tat beeindruckend.
    Ich finde es allerdings auch schade, dass die kleine Grünfläche verschwindet - die Altstadt (innerhalb der historischen Stadtmauerverläufe) ist ohnehin schon so steinern und im Sommer enorm überhitzt. Da würde jedes bisschen Grün helfen, das abzumildern. Andererseits wird Wohnraum in Dresden dringend gebraucht. Da gibt es wohl keine "richtige" Antwort.

  • Ich persönlich feue mich über die zunehmende Verdichtung des Stadtzentrums. Die wilden Wiesen der enttrümmerten Innenstadt waren doch nie wirkliche Grünflächen und dem Zentrum einer Großstadt in keinster Weise angemessen.
    In Anbetracht der weiteren Verdichtung sollte man jedoch die städtischen Grünflächen (Ringanlage, Blüherpark usw.) weiter qualifizieren und gleichzeitig für eine kontinuierlichere Pflege Sorge tragen.

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  • 200 Wohneinheiten ist schon beeindruckend.

    Und wie erreicht man eine solche Zahl? Ich rate mal: Durch enge Wohnungen mit wenigen kleinen Zimmern und winzigem Karnickelstall-Kinderzimmer und Zimmerdecken, an die ich (1,88 m) ohne Hocker dranfassen kann, dazu Plattenbaubalkons und ein Flachdach, das mit ein wenig Schräge und riesigen Gauben ein bisschen altes Dresden vorgaukeln will. Das fände ich in keiner Weise beeindruckend. Oder sehe ich das zu eng?

  • Was erwartest du in einem alstädtisch-kompakt bebauten Quartier? Luxuswohnungen dürften es in keinem Fall werden. Sie würden an dieser Stelle auch kaum nachgefragt werden.

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  • Von Luxuswohnungen hat keiner was gesagt. Aber wer so viele Wohnungen auf so vielen Stockwerken da reinquetschen will, der kann das doch eigentlich nur auf Kosten der Zimmergröße und der Deckenhöhe erreichen. Können Wohnungen denn nicht einfach ausgestattet, aber doch halbwegs geräumig sein, mit einer Deckenhöhe deutlich über dem Mindestmaß? Es sei denn, man hat nur die maximale Rendite auf dem Zettel.

    Davon abgesehen, hätte ich in einem "altstädtisch" bebauten Quartier eine etwas ansprechendere Architektur erwartet als so einen monotonen Block, der fast wie ein Plagiat der Edelplatten-Randbebauung des Berliner Nikolaiviertels wirkt.


    Bild: MPP


  • Die in Berlin sind sogar noch schöner. Die haben Bogenarkaden im Erdgeschoss. eye:) Und sie sind ein echtes Produkt ihrer Zeit - also weitaus ernstzunehmender als dieser kommende Betonblock. Schon bisher ne ziemlich tote Ecke da gewesen... jetzt wirds auf die Spitze getrieben.
    Ja es sollte bebaut werden, aber nur ein Hochhaus wär unpassender dort, als das Ding da.

  • Naja. Gegenüber einigen anderen Bauten am Altmarkt, konkret genau nebenan, ist der Entwurf schon geradezu ein Fortschritt. Und ja, die Re-Urbanisierung Dresdens ist absolut entscheidend, damit wir überhaupt irgendwann von besserer Architektur träumen können. Im Moment ist ein großer Teil des unmittelbaren Dresdner Zentrumsbereiches einfach nichts als Platten-, Verkehrs- oder Brachenwüste.

  • Können Wohnungen denn nicht einfach ausgestattet, aber doch halbwegs geräumig sein, mit einer Deckenhöhe deutlich über dem Mindestmaß?


    Die Frage ist nur, wer sich diese geräumigen Wohnungen an diesem Standort leisten will, wenn man auch in Blasewitz, am Weißen Hirsch oder etwa am Neumarkt wohnen kann. Immerhin hat sich der Altmarkt noch lange nicht als Standort für gehobenes Wohnen, ganz zu schweigen vom Luxus, etabliert. Das dürfte auch der Investor auf dem Zettel haben.

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  • Obzwar der Bau erst Ende des Jahres beginnen soll, wurde das Grundstück bereits beräumt, also vor allem von seiner Vegetation befreit. Es schließen sich archäologische Erkundungsgrabungen an.


    Blick von der Stadtsparkasse über das Baufeld.


    Vor allem an der Böschung zum Versorgungstunnel unter der Straße An der Mauer hatte sich üppiges Grün ausgebildet.


    Dem Platz um die Kreuzkiche dürfte die Schließung dieser letzten Lücke gut bekommen und die Monumentalität des Sakralbaues noch einmal spürbar steigern.

    Bilder sind von mir.

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