"Nachher spricht darüber doch keiner mehr" ist wohl einer der bekanntesten Politikersprüche und betrifft meist Entscheidungen, die gegen den Widerstand der Bevölkerung durchgesetzt wurden. Ich freue mich deshalb, dass es Stadtbild Deutschland gibt, denn hier werden die ganze Auswirkungen der Fehlentscheidungen verantwortlicher Politiker dokumentiert. Es gibt kein Vergessen mehr.
In Bremen betrifft dies im Bereich der Stadtentwicklung sämtliche Abrisse seit den 40er/50erJahren bis heute, verantwortlich für diese "Zweite Zerstörung" nach dem Krieg war die Partei, die jetzt im Jahre 2018 bereits mehr als 70 Jahre den Stadtstaat regiert. Durchgeführt haben dies natürlich die modern ausgerichteten Stadtplaner, die sich an der "Charta von Athen"orientierten. Das hieß konkret: Herstellung der aufgelockerten Stadt, mehr und breitere Straßen, um den Autoverkehr zu bewältigen (und dafür wurde abgerissen, was das Zeug hält) und vor allem mussten, aber nicht nur deshalb, die Gebäude des Historismus daran glauben. Historismus - das war für die Stadtplaner einfach nur schlechte Architektur, die man weg haben wollte. Pagentorn hat dies jüngst eindrucksvoll am Beispiel der Kaiserstraße gezeigt.
Beim Osterdeich, eine neben der Parkallee und der Schwachhauser Heerstraße weiteren Prachtstraße direkt an der Weser mit dem entsprechenden Blick auf den Fluss ging es neben den historistischen Gebäuden auch Villen aus der Jugendstilzeit an den Kragen. Das Argument wie so oft: Wir brauchen Wohnungen. Und so argumentierte beim Abriss einer großen Osterdeich-Jugenstilvilla an der Ecke Staderstraße der Investor damit, dass Arbeitsplätze geschaffen werden und die Leute Wohnungen brauchen, was wichtiger sei als der Erhalt einer Villa.
Nun glaubt allerdings niemand, dass ein Investor plötzlich sein soziales Gewissen entdeckt hat, sondern der Profit bestimmt sein Handeln. Da die Stadt Wohnungen braucht, der Investor seine Rendite, kommt es zu einer "unheiligen Allianz" zwischen der Politik und dem Investor. Die Bürger dagegen sind außen vor. Sie wollen ihr Stadtbild erhalten, haben aber in ihren gewählten Vertretern keinen Anwalt. Die gewählten Politiker fühlen sich höheren Zielen verpflichtet als sich für den Bürgerwillen, sprich für das Stadtbild, einzusetzen.
Wie der ehemalige Senatsbaudirektor Rosenberg berichtete, war die SPD in Bremen gegenüber der Moderne aufgeschlossener als die CDU oder die FDP. Nur deshalb konnten in der Hansestadt in den 60er/70erJahren solche Bausünden wie die Groner Düne oder das Demonstrativbauprojekt Osterholz-Tenever, auch Klein-Manhattan genannt, entstehen. Und nur aufgrund dieser Aufgeschlossenheit mussten so viele Altbauten aus der Gründer- und Jugendstilzeit fallen, um moderner Bebauung Platz zu machen.
Man kann sich darüber auch im Nachhinein nur aufregen. Wir wurden als Bürger ja zwei Mal bestraft: einmal durch den Verlust des schönen Altbaus, dann durch den Anblick des modernen Neubaus. Hätte die Moderne ein überzeugendes Schönheitskonzept, würde anstelle der abgerissenen Bauten sicher etwas entstehen, was uns ästhetisch genau so begeistern würde wie der verloren gegangene Altbau - die Abrisse wären besser zu ertragen gewesen. Nur - wer soll das machen?
Investoren? - haben ausschließlich ein Profitinteressen. Das Investment muss sich lohnen. Architekten? - können es nicht mehr. Es fehlen die zeichnerischen Fähigkeiten, es fehlt eine Stilidee, es fehlt bei dieser Berufsgruppe vor allem an Kreativität, es fehlt eine ästhetische Alternative. Deshalb setzen sie auf die funktionale Moderne, deren "Klare Kante" ständig hochgeredet wird. Und die Politiker? - freuen sich, wenn es brummt. Neubauten sind Investitionen, stehen für Fortschritt, schaffen mehr Wohnraum.
Bleiben eigentlich nur die Bürger. Und die werden in zunehmendem Maße mit dem hässlichsten Baustil der Architekturgeschichte - bestimmte Solitäre mal ausgenommen - weiterhin gequält. Die gleichförmige Moderne erzeugt Monotonie, Hässlichkeit und Verwechselbarkeit.
Nachfolgend nun die Entwicklungen am Osterdeich, beginnend mit einem Zeitungsbericht aus den Bremer Nachrichten vom 9.1.1982 über die vom Abriss bedrohte Jugendstilvilla Ecke Osterdeich/Stader Straße. Beachtenswert die Aussagen des Architekten und des Staatsrates für das Bauwesen. Der nach dem Abriss entstandene Neubau war keine einfache Kiste, sondern hatte mit seinen Erkern und den drei angedeuteten Ecktürmen schon eine für die damalige Zeit hohe Qualität. Trotzdem - dafür hätte man nicht die Villa abreißen dürfen.
1905 von Kayser & Jatho gebaute Doppelhaus Osterdeich 140 - 141
1984 wurde das als Denkmal geschützte Doppelhaus Osterdeich 140 - 141 abgerissen.
Abriss Rückseite
Der stellvertretende Sprecher im Bauausschuss des Beirates östliche Vorstadt äußerte im Zusammenhang mit dem Abriss der Villa in einem Leserbrief an die Bremer Nachrichten seine Zustimmung:
Antwort auf diesen Leserbrief Tage später in den Bremer Nachrichten:
Nachfolgend der heutige Zustand: