Die Berliner Zeitung (Autorin Maritta Adam-Tkalec) hat heute einen erstklassigen Artikel (im Fahrwasser W. J. Siedlers) veröffentlicht, der überaus scharfsinnig die soziologischen und städtebaulichen Probleme der Stadt analysiert. Kurz zusammengefasst kommt die Autorin zu der These, dass die städtebauliche Misere (entstuckte bzw. entstellte Gründerzeitfassaden, undefinierte Stadträume wie beim Rathaus-Forum, seelenlose Gegenwartsarchitektur etc.) zu großen Teilen aus einer Proletarisierung bzw. v.a. Ent-Bürgerlichung der Stadt nach 1945 resultiert. Anders als in München oder Hamburg (Dresden wäre hier auch nennenswert!) sei das Bürgertum in Berlin als intellektuell-wirtschaftlicher Motor nahezu völlig verloren gegangen, und damit auch lokalpatriotische Identifizierung, bürgerschaftliches Engagement und Mäzenatentum.
Hier ein paar Zitate aus dem Artikel, die v.a. die städtebaulichen Aspekte thematisieren:
(...) Doch es gibt eine weitere,weniger leicht erkennbare, historisch erzeugte Ursache: den mehrfachen, für die Stadt jeweils nachteiligen Bevölkerungsaustausch. Anders als in Hamburg oder München konntekein vergleichbar gefestigtes Bürgertum wachsen, das sich seiner Stadt verbunden und verpflichtet fühlt. Statt Empathie für das große Gemeinwesen, herrschten und herrschen Lieblosigkeit und ideologische Verbohrtheit – diesen Eindruck gewinnen jedenfallsjene wenigen, die sich doch bürgerschaftlich über ihr Kleinquartier(gerne Kiez genannt) hinaus engagieren. (...)
Der Chefredakteur der Zeitschrift "Zitty" beschrieb jüngst, warum er mit Familie nach München zieht. Er will eine funktionierende Stadt: Schule, Polizei, Infrastruktur. Potsdam profitierte enorm vom Zug ins Umland: Es genießt das Engagement neuer Bürgerschaftlichkeit, einschließlich großzügiger Sponsoren. Berlin verweigert sich dem regelrecht und pflegt stattdessen eine Art proletarischen Hochmut. Will ein reicher Bürger der Stadt Millionen schenken, zum Beispiel für ein historisches Gebäude, weist ihm die Politik hochnäsig die Tür.
Andere konnten sich mit Hartnäckigkeit durchsetzen, wie der Hamburger Wilhelm von Boddien, der Berlin auf den Weg positiven Geschichtsverarbeitung drängte. Wäre ohne sein Engagement und das seiner Verbündeten der Wiederaufbau des Schlosses möglich gewesen und mit diesem ein Kulturzuwachs, wie er Humboldt Forum denkbar erscheint? Gäbe es in der Folge die Chance zur Neufindung der Alten Mitte? Wohl kaum. Dort zeigt sich das Desinteresseder Berliner Mehrheit besonders krass. In Bürgerdialogen reden Anwohner über ihr Grün und Parkplätze. Wer dort Historisches ins Spiel bringt, eine kleinteilige Bebauung im früherem Straßenraster,mit Wohnhäusern vorschlägt, wer die namenlose, vage als Rathausforum bezeichnete Ödnis beleben will, der bekommt schnell das Etikett „Fachwerkfraktion“ angeklebt. Das Anliegen wird ins Lächerliche gezogen. (...)Wie aber kann die Stadt ihreZukunft gestalten statt sie bloß kommen zu lassen? (...) Hemmnisse sieht man in der ideologischen Aufladung vieler Debatten über die städtebauliche Entwicklung. Es mangele anstädtebaulichen Ensembles – geschlossenen Straßenfluchten undattraktiven Plätzen. Bei einem Großteil der stadtbildprägenden Gründerzeitbauten sei die historische Fassadengestaltung zerstört – anders als in Städten wie Paris, Wien oder Leipzig. (...)
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