• Die Kreisstadt Calw liegt am östlichen Rand des Schwarzwaldes im Nagoldtal. Im 17. Jahrhundert wurde die Stadt gleich zweimal gründlich zerstört, 1632 durch kaiserliche Truppen und 1692 durch die Franzosen (damals ging auch das wenig nördlich gelegene Kloster Hirsau unter). Die allermeisten Fachwerkbauten stammen dementsprechend aus dem Wiederaufbau nach den Zerstörungen. Den Zweiten Weltkrieg überstand Calw unbeschadet, doch leider haben die folgenden Jahrzehnte eine ganze Reihe bemerkenswert scheußlicher Bausünden hinterlassen. Gleichwohl sind noch viele hübsche Gassen erhalten.

    Zur Einstimmung die Merian-Ansicht von Calw. Auf dem Hügel rechts sieht man die Ruine der heute ganz verschwundenen Burg, Sitz der einst mächtigen Grafen von Calw.


    Calw [Public domain], by Matthäus Merian (1593–1650)


    Blick von der Marktbrücke nach Norden. Der größte Teil der Altstadt liegt westlich der Nagold, doch auch östlich von ihr steht eine hübsche Häuserzeile. Vor den Häusern verläuft die B 463, die, anders als es auf dem Photo den Anschein hat, stark befahren ist. Links eine der Calwer Bausünden.


    Blick von der Marktbrücke nach Westen zum Hauptteil der Altstadt. Hinten wird das Rathaus saniert.


    Eine schöne Häuserzeile an der Salzgasse. Wir wenden uns aber nach rechts in die Lederstraße.

  • Die Lederstraße führt parallel zur Nagold nach Norden. An ihrem Beginn steht ein wahres Prachtexemplar einer Bausünde.


    Im weiteren Verlauf ist die Lederstraße gut erhalten.

  • An ihrem nördlichen Ende erweitert sich die Lederstraße zu einem Platz. Auf dem Hügel im Hintergrund stand die Calwer Burg. Links das bekannteste und schönste Fachwerkhaus von Calw, das Haus Schnaufer von 1694.


    Leider habe ich kein brauchbares Photo des Hauses aufgenommen, deshalb muss Wikicommons aushelfen. Es zeugt vom Wohlstand des Calwer Bürgertums, dass ein solches Haus nur 2 Jahre nach der Zerstörung erbaut werden konnte. Calw besaß eine florierende Textilproduktion, die in der Calwer Zeughandlungscompagnie organisiert war. Ihr letzter Nachfolger, die Calwer Decken- und Tuchfabriken AG, ging 1997 in Konkurs.


    Fachwerkhaus in Calw - panoramio (3) [CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], von qwesy qwesy (http://www.panoramio.com/photo/117736068), vom Wikimedia Commons


    Leider wird das Haus vom einem hässlichen Neubau bedrängt.

    Ein Blick auf die höher gelegenen Teile der Altstadt.

  • Ein Blick zurück in die Lederstraße

    Zwischen der Nagold und den Resten der Stadtmauer führt ein schöner Weg zurück in Richtung Marktbrücke

    Man hat von hier einen guten Blick auf die östliche Nagoldseite. Die Brühlhalle von 1869.

  • Lederstraße 39, Haus Schnaufer

    Wie kann man die Umgebung eines solch großartigen Fachwerkhauses dermaßen verschandeln? Für mich eines der krassesten Beispiele deutschlandweit.


    Eine frühere Ansicht:
    Fachwerkhaus in der Ledergasse
    Die ganze Bebauung am rechten Rand gibt es auch nicht mehr.

    Das war seinerzeit so mit das erste was ich von Calw sah und eigentlich reicht das für den Tag.
    Hermann Hesse wäre sicherlich auch begeistert...

    Einmal editiert, zuletzt von Markus (23. November 2017 um 01:28)

  • Häuser auf der östlichen Nagoldseite



    Das großartige "Steinhaus". Der Calwer Bürgermeister und Textilmagnat Johannes Schill errichtete es 1694, 2 Jahre nach dem Stadtbrand, mit feuerfesten Gewölben. Er hatte geschäftliche Beziehungen nach Südtirol und er ließ sich von dem dortigen Baustil inspirieren. 1801 wurde es aufgestockt.


    Gleich daneben steht das Palais Vischer. Erbaut 1787-1791 vom Vorsteher der Holländer Holz-Compagnie Johann Martin Vischer. Neben der Textilerzeugung war der Handel mit dem Holz aus dem Schwarzwald ein weiterer bedeutender Wirtschaftszweig, der offensichtlich satte Gewinne abwarf. Solch ein prächtiges Bürgerhaus war im damaligen Württemberg sehr ungewöhnlich (im deutlich größeren Tübingen steht z.B. kein vergleichbares Haus aus dieser Zeit). Heute ist in ihm das Stadtmuseum untergebracht.

  • Vorgängerbauten

    Sah deutlich besser aus...stöhn. Waren wohl 50er Jahre Bauten.

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Zurück zum Ausgangspunkt. Links das schlimme Einkaufszentrum am Beginn der Lederstraße, hinten geht es zur Marktbrücke und zum Stadtbahnhof, rechts mündet die Marktstraße ein, in die es nun weiter geht.


    Die Marktstraße. Vorne das Haus Jourdan von 1693, daneben historisierende Bauten wohl aus den 1980er Jahren.


    Die Marktstraße aus der Gegenrichtung.


    Marktstraße 13, ein ehem. Wachhaus. Gleich hinter ihm stand das Äußere Tor der Stadtbefestigung.

  • Die Marktstraße mündet in den Hermann-Hesse-Platz, der außerhalb der ehem. Stadtmauern liegt.


    Von hier geht es zum Calwer Wahrzeichen, nämlich der Nikolausbrücke mit ihrer Kapelle. Eigentlich ein hübscher Platz...

    ... wenn die Calwer nicht dort einen maximal unpassenden Kasten platziert hätten.


    Die um 1400 erbaute Nikolausbrücke über die Nagold. Insgesamt ist die Calwer Altstadt gar nicht so schlecht erhalten, doch leider haben es die Calwer verstanden, die schlimmsten Bausünden an besonders empfindliche Stellen zu setzen.


    Calw - Nikolausbrücke + Nikolauskapelle (Wasserkraftwerk) 01 ies [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) oder CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], von Frank Vincentz (Eigenes Werk), vom Wikimedia Commons


    Calw - Nikolausbrücke + Nikolauskapelle 03 ies [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) oder CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], von Frank Vincentz (Eigenes Werk), vom Wikimedia Commons

  • Der Vorgang am Schnaufer Haus ist ungeheuerlich und nicht zu verzeihen. Die vorherigen Häuser fügten sich bestens ins Gesamtbild ein, im Gegensatz zu dem kalten Zweckbau der da jetzt steht. Wer genehmigt so etwas? Es ist nur mit enormen Minderwertigkeitskomplexen und einem zutiefst provinziellen Hang zur "Selbsterneuerung" zu erklären, dass man sich bereitwillig solche Bausünden in die Altstadt pflanzt. In so einem Fall schäme ich mich wirklich, aus Baden-Württemberg zu kommen.

    In dubio pro reko

    2 Mal editiert, zuletzt von reklov2708 (23. November 2017 um 18:28)

  • Vom Hermann-Hesse-Platz verläuft die gut erhaltene Badstraße nach Süden aus der Altstadt heraus. Blickrichtung der Bilder ist jedoch stadteinwärts.


    Wieder der Hesse-Platz.


    Vom Hesse-Platz geht es durch die Metzgergasse zu den höher gelegenen Teilen der Altstadt.

    Die Metzgergasse liegt außerhalb der Stadtmauer, die nördlich (im Bild rechts) parallel zur Gasse verläuft.


    Ein Blick zurück

  • Oben angekommen überrascht einen das französisch anmutende Georgenäum von 1871. "Benannt ist das Gebäude nach seinen Stiftern, dem königlich-niederländischen Generalkonsul Emil von Georgii-Georgenau und Sophie Emilie Georgii, Tochter des württembergischen Finanzministers Gärttner. Georgii-Georgenau wurde 1820 in Calw geboren, seine Mutter entstammte der bedeutenden Calwer Familie Doertenbach. Die Stifter wollten die Allgemeinbildung der Calwer Bürger heben und schenkten ihnen das Georgenäum als Bildungsstätte." Quelle)


    Stadtauswärts steht eine hübsche Gruppe alter Gebäude


    Am oberen Ende der Metzgergasse sieht man einen Rest der Stadtmauer


    Weiter gehen wird es durch die hübsche Straße "Im Zwinger".

  • Bei diesen schlichten Häusern im süddeutschen Raum wird mir immer bewusst, dass Fensterläden zwingend notwendig sind, um dem Bau ein gemütliches Aussehen zu verschaffen. Ohne solche sieht das meist nur schäbig bzw. 08/15 aus. Ich denke das erklärt dann auch mit die Sorglosigkeit, mit der Abrisse an solchen Häusern vorgenommen werden. Wäre ich in solchen Orten im Stadtparlament würde ich anregen, städtische Fördergelder für die Wiederanbringung von Fensterläden (und eventuell auch Sprossenfenstern) bereitzustellen.

  • ...städtische Fördergelder für die Wiederanbringung von Fensterläden UND Sprossenfenstern bereitzustellen.

    Die Bilder sprechen für sich.
    Heimdall, Du sprichst die süd(west)deutsche Problematik treffend an. Danke.
    Und ja, Mensch kann es nicht oft genug wiederholen...

  • Puh! In der Stadt gibt es ja einige krasse Bausünden. Bleibt zu hoffen, daß davon mal das ein oder andere Brutalinski-Gebäude verschwindet. - Trotzdem wirkt der Ort auf mich generell sehr einladend und attraktiv. Sicher liegt das auch an der Lage der Stadt und der sommerlichen Atmosphäre auf den Bildern.

    Vielen Dank! :blumen:

  • So sah die Nachbarbebauung des wundervollen Hauses Schnaufer übrigens vor der Errichtung der völlig unpassenden Neubauten aus (rechte Seite): https://www.humpert-architekten.de/wp-content/gal…es-ledereck.jpg
    https://www.istw.de/wp-content/upl…reck-calw-2.jpg
    Die Fachwerkbauten, die es hier früher einmal gab, waren demnach schonlänger verschwunden. Die Nachfolgebauten der 1980er oder frühen 90er Jahre (?) waren sicher kein großer architektonischer Wurf, dennoch passten sich die schlichten Bauten gut in das Ortsbild ein, was man von den jetzigen Bauten (u.a. C&A, DM, Deichmann) leider nicht behaupten kann. Sie sind viel zu hoch, sehr aufdringlich, klotzig und lassen jegliches Feingefühl vermissen: sie verfügen (natürlich wieder einmal) über riesige bodentiefe Fenster, haben eine völlig unpassende Farbgebung und ortsuntypische Baumaterialien (Giebelverkleidung). Da reißen auch die Alibi-Satteldächer nichts mehr heraus. Der gewollt modernistische Neubau der Volksbank gegenüber gibt dem Fachwerkbau den Rest.
    Dem alten Fachwerkhaus auf der rechten Seite (am so genannten Ledereck) wurde übelst mitgespielt. Vorher:
    https://www.schoener-reisen.at/Bildergalerie/…ck_IMG_2187.JPG
    Nachher:
    http://www.schwarzwaelder-bote.de/media.media.fa…riginal1024.jpg
    http://www.archp.de/wp-content/upl…alw-normal1.jpg
    Es wurde bei der Sanierung weitgehend zerstört.
    http://www.thomas-ingenieure.de/Bauwerksanierung/Ledereck.htm

  • Ein Seitenblick in die Salzgasse, die zum Marktplatz und zum Rathaus (das eingerüstete Gebäude links neben dem Kran) herabführt.


    Links ein Stück der Stadtmauer


    Weiter in der Gasse "Im Zwinger". Dies ist die "Alte Lateinschule", erbaut 1696, heute dient sie als Volkshochschule, der wohl auch der Anbau zu verdanken ist. Wie man sieht, war die Schule an die Stadtmauer angebaut.


    Die Stadtkirche

  • Im nördlichen Abschnitt ist die Gasse "Im Zwinger" dichter bebaut. Die Gasse lag außerhalb der Stadtmauer.

    "Der Lange", der einzige erhaltene Turm der Stadtbefestigung. Er diente als Gefängnis und entging daher dem Abbruch im 19. Jahrhundert.


    Kleinbürgerliche, doch nicht uncharmante Häuser.


    Ein Rückblick

  • Oberhalb steht eine hübsche Villa im Schwarzwälder Heimatstil. Solche Villen gibt es etliche in Calw.


    Hier haben keine reichen Leute gewohnt.


    Es geht den Hang herab zur Altburger Straße.


    Ein letzter Blick "Im Zwinger".

  • Zum Ledereck

    Das Erdgeschoss ist ja sowas von typisch für die derzeitigen Renovierungen. Das wird meistens auch noch als tolle Denkmalgerechte Sanierung verkauft.
    Der komplette Neubau hinter der Fassade ist für das Stadtbild unerheblich, aber Verlust an historischer Substanz äußerst schmerzlich. Man fragt sich aber auch was mit dem Gebäude passiert wäre wenn es zuvor verputzt gewesen wäre?